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Krieg
- Krise - Friedensbewegung
In Gefahr und höchster Not bringt der Mittelweg den Tod
Dezember 1983
Fragen - keine Rezepte ...
Was
unsere Kritik an der Friedensbewegung betrifft, so sind die Schlußfolgerungen
einigermaßen klar: wir müssen aus der fatalen Abhängigkeit
von dem Friedensbündnis herauskommen und eigene Fronten aufmachen.
Die Anlehnung und Orientierung an Themen und Verlaufsformen des
Protests gegen die Stationierung bedeutet eine politische wie praktische
Einengung, aufgrund derer sich die erklärten Ziele in ihr Gegenteil
zu verkehren drohen. Mit der biologistischen und rassistischen Forderung
nach einem "atomwaffenfreien Europa von Polen bis Portugal"
haben Linke nichts gemeinsam! Nur in der Perspektive einer autonomen
Gegenbewegung, die sich von den inhaltlichen Beschränkungen
und vom Niveau der Friedensbewegung frei macht, den Zusammenhang
von Krise und Krieg wieder artikuliert und ihre Kritik als Praxis
begreift, besteht die Chance, das Bündnis zu polarisieren und
ein Gegengewicht zu schaffen, das einer Transformation der Friedensbewegung
in einen "neuen" Befreiungsnationalismus entgegenwirkt.
Innere Unruhe und Zersetzung der Fundamente der Macht an den Punkten,
wo mit schwachen Kräften effektiver Widerstand zu leisten ist,
sind nach wie vor die entscheidenden Mittel gegen die Aufrüstung.
Solange eine radikale Massenbewegung nicht in Sicht ist, die im
Widerstand gegen die imperialistischen Vernichtungsstrategien zugleich
die Machtfrage stellt, bleibt uns keine andere Wahl: unsere Politik
muß weiterhin auf eine Stärkung der Linken, auf ihre
Radikalisierung und erweiterte Militanz abzielen. Sie darf sich
nicht auf Ausschnitte der gesellschaftlichen Wirklichkeit angesichts
einer vermeintlichen "Hauptgefahr" begrenzen, sondern
muß das System in seiner Totalität angreifen und die
Verbindungslinie zwischen Krise und Krieg, zwischen sozialer Verarmung
in den Metropolen und Verelendung und Vernichtung in der 3. Welt,
zwischen Sexismus und Rassismus, zwischen technologisch vermitteltem
Angriff von oben und ökologischer Verödung ziehen. Die
Konsequenzen, die sich aus unserer Analyse des imperialistischen
Projekts der Zukunft ergeben, gehen allerdings darüber hinaus,
ohne daß sie uns in ihrer Tragweite bereits klar wären.
Wir wollen keine Antworten vorspiegeln, wo wir selbst vor allem
offene Fragen haben:
- Die neuen sozialen Bewegungen - das hat die Friedensbewegung
auf den Punkt gebracht - verlaufen zunehmend quer zur Klassenfrage,
überlagern soziale Inhalte und entwickeln sich in Teilen
nach rechts. Als ausschließlicher Bezugspunkt einer revolutionären
Praxis werden sie fragwürdig. Jenes "Ab in die Bewegung!",
das die Frage der Mobilisierung vor ihre Inhalte und Ziel stellt,
reicht als Kriterium nicht länger aus.
- Die Unterklassen sind zwar als neues Subjekt revolutionärer
Veränderungen ausgemacht, allerdings nur auf der Ebene der
Analyse und kaum auf der Ebene gesellschaftspolitischer Praxis.
Wo sie sich wehren und kämpfen, entwickeln sie Widerstandsformen,
die sich von denen der neuen sozialen Bewegungen grundsätzlich
unterscheiden. Kurze, aber heftige Randalen, Krawalle, Riots -
wie sie sich seit Brixton und Toxteth [62]
abzeichnen - haben mit traditioneller Kampagnenpolitik nichts
mehr zu tun. Eine Linke, die sich auf die Unterklassen bezieht,
muß die Verlaufs- und Organisationsformen ihres eigenen
Widerstandes überdenken, wenn sie Vermittlungsmöglichkeiten
nach "unten" finden will.
- Vor dem Hintergrund der Abschaffung der "freien"
Lohnarbeit und der Verallgemeinerung von Arbeits- und Reproduktionsformen,
die nicht mehr von der Zentralisation der Klasse ausgehen, sondern
deren Atomisierung und Zersplitterung beabsichtigen, stellt sich
die Frage nach den Konstitutionsbedingungen von Bewußtsein
und Organisation in neuer Form. Die Behauptung, daß die
Frauen, die Ausländer, die von sozialer Verarmung Betroffenen
und Bedrohten die neuen Protagonisten der zukünftigen Kämpfe
sein werden, sagt noch nichts darüber aus, wie sich angesichts
der Umwälzung der Lebensbedingungen in den Metropolen tatsächlich
Subjektivität herausschälen kann und welche Aufgabe
eine radikale Praxis der Linken im Prozeß der Konstitution
von Bewußtsein spielen wird.
- Die 3. Welt kann in ihrer Gesamtheit nicht mehr als historisches
Subjekt verstanden werden, von dem revolutionäre Veränderungen
auch in den Zentren der Kapitalakkumulation ausgehen und als dessen
"verlängerter Arm" der Widerstand hier sich definiert.
Die unterdrückten Völker und Länder können
nur partielle Befreiungsprozesse aus kolonialer Abhängigkeit
machen. Die Konsolidierung dieses Prozesses ist an die Bedingung
des "Kampfes im Herzen der Bestie" (Che [63]),
an die Zerstörung des Imperialismus in seinen Kernländern
gebunden.
Gleichzeitig scheint die Ära nationaler Befreiungskämpfe
zu Ende zu gehen. In den Hungerrevolten und Plünderungen
in Sao Paulo deutet sich an, daß die nationalistische Klammer
zwischen einheimischen Eliten und Unterklassen brüchig geworden
ist und der gemeinsame Kampf um soziale Befreiung in den Metropolen
wie in der 3. Welt zur materiellen Grundlage eines neuen Internationalismus
wird.
- Die Bedeutung der neuen strategischen Sektoren, die Quelle
einer gigantischen Reichtumsakkumulation und Herrschaftsinstrument
zugleich sind, muß sich in praktischen Konsequenzen niederschlagen.
Es stellt sich die Frage, ob sie zu zentralen Angriffspunkten
einer revolutionären Strategie in den Metropolen werden,
ob Sabotage zur vorrangigen Kampfform der radikalen Linken wird,
auf die hin wir uns zu qualifizieren und zu organisieren haben.
- Die Transformation der "bürgerlichen Demokratien",
die aus den politökonomischen Umwälzungen resultiert,
wird die legalen Handlungsspielräume der Linken weiter einengen,
zumal dann, wenn die Bedingungen selbst eine Radikalisierung des
Widerstands erfordern. Daß die neuen sozialen Bewegungen
keinen Schutz darstellen, in dessen Schatten sich Militär
organisieren läßt, hat die Friedensbewegung hinlänglich
bewiesen. Eine radikale Linke, deren Selbstverständnis darin
besteht, Widerstand immer wieder zu ermöglichen, muß
sich eigene Strukturen von Subversion und Illegalität schaffen,
um unberechenbar, unfaßbar, unbesiegbar zu bleiben.
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