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Früchte des Zorns

TitelblattKrieg - Krise - Friedensbewegung

In Gefahr und höchster Not bringt der Mittelweg den Tod

Dezember 1983


Die BRD - "Geisel" oder die Nr. 2 der NATO

Weder die Tatsache, daß die BRD als Projekt der amerikanischen Nachkriegsordnung gegründet worden ist, noch der Umstand, daß das deutsche Kapital diese Chance zu nutzen verstanden hat, um auf der Grundlage funktionierender Ausbeutung und wohl fundierter politischer Macht sich auch weltweit wieder Respekt und Einfluß zu verschaffen, begründen die Annahme, daß sich die USA nun neokolonialer Praktiken bedienen und "uns" unter Ausnutzung ihrer Rechte als Besatzungsmacht atomare Raketen aufzwingen, um so einen lästig gewordenen Konkurrenten in die Enge zu treiben und nötigenfalls auf dem nuklearen Schlachtfeld zu opfern. Es sind auch Großmachtphantasien, die dazu verleiten, aus der Banalität, daß "deutsche Interessen" dort an ihre Grenzen stoßen, wo gemeinsame Belange des westlichen Lagers berührt sind, den Schluß zu ziehen, daß es um die Eigenständigkeit der BRD schlecht bestellt ist.

Zwar ist die Souveränität nur im Rahmen und zu den Konditionen der pax americana [9] zu haben, aber diese Bedingung war und ist allemal die Garantie für den unnachahmlichen Höhenflug dieser Republik zum Modellstaat.

Zwar produzieren die Notwendigkeiten der Kapitalverwertung stets aufs neue Rivalitäten zwischen den Hauptzentren der Kapitalakkumulation, versucht sich eine Seite auf Kosten der anderen (und in der Regel auf dem Rücken dritter) ökonomisch nutzbaren politischen Vorteil zu verschaffen. Aber dieses Gerangel innerhalb der Trilateralen um Marktanteile und Einflußzonen ist weniger Beleg für wachsende grundsätzliche Interessensdifferenzen, sondern eher dafür, mit welchem Feuereifer sie dem gleichen, gemeinschaftlichen Geschäft nachgehen, das bekanntlich durch Konkurrenz belebt wird. So treten all diese Konkurrenzen letztlich zurück hinter dem von den USA gesetzten und den übrigen Staaten des westlichen Bündnisses nachvollzogenen gemeinsamen Willen der verschiedenen Abteilungen, ihre Interessen möglichst noch im letzten Winkel dieses Planeten durchzusetzen.

Instrument dieses gemeinsamen Interesses ist die NATO. Die BRD als unbestrittene Nr. 2 innerhalb dieser supranationalen Struktur der Westmächte ist nicht Faustpfand sondern Pfeiler der NATO und begründet - umgekehrt - eben gerade darauf ihre Macht. Die Stationierung entspringt nicht dem Zwang, sich im Gefolge amerikanischer Hegemonialpolitik bewähren und - wenn es denn unbedingt sein muß - auch ans Messer liefern zu müssen, ist nicht Rückfall in die Bedeutungslosigkeit, sondern ein weiterer Meilenstein auf dem Erfolgsweg dieser Republik. Sie ist das Ergebnis der wirtschaftlichen und politischen Weltmachtstellung, die sich in der Übernahme militärischer Verantwortung beweist.

"Es ist auf Dauer kein deutsches Vorrecht, nur Nutznießer einer Situation zu sein, für die andere, wie die USA, Großbritannien und Frankreich, die Voraussetzungen schaffen. Ein deutscher Beitrag in der einen oder anderen Form könnte eines Tages unausweichlich sein." (Schenck/ SPD)

Die Zeiten also, in denen die anderen die Drecksarbeit machen mußten, während der BRD- Staat lediglich zahlt und sich im übrigen - immer unter Verweis auf seine historische Erblast - den "eleganteren" Methoden imperialistischer Durchdringung widmete, nähern sich endgültig ihrem Ende. Die Neudefinition des NATO- Auftrages, nämlich die "Sicherung vitaler Interessen außerhalb Europas" oder im Klartext: "Die ganze Welt ist Sache der NATO" (HaigHaig [10]), verlangt eine neue innerimperialistische Arbeitsteilung zwischen den Mitgliedsstaaten. Die BRD wird im Rahmen dieses arbeitsteiligen Konzepts - neben den USA, Großbritannien, Frankreich und dem Nicht- NATO- Mitglied Japan - zum Kern einer Gruppe von "Schlüsselstaaten", die in der ihrer Zuständigkeit unterworfenen Region für Ordnung zu sorgen haben. Wie sehr sich die BRD diese Verantwortung zu Herzen genommen hat, kann man u.a. den Berichten über Folter und Mord in der Türkei entnehmen. Dieses strategisch so wichtige Land an der Südostflanke der NATO mußte innerhalb kürzester Zeit mit Krediten und militärischer Ausrüstung zum Ersatz für den Iran hochgezogen werden. Daß sich ein solches Programm nicht mit den geheiligten Prinzipien von Frieden, Freiheit und Demokratie, sondern nur mit der terroristischen Gewalt einer Militärjunta umsetzen läßt, ist bittere Routine im politischen Geschäft. Von "sanfter Tour", die dem BRD- Imperialismus nachgesagt wird, kann da kaum die Rede sein. Sie stößt sehr schnell an ihre Grenzen, wenn elementare Positionen und Vorteile der Allianz auf dem Spiel stehen.

Die Stationierung der Pershing 2 auf westdeutschem Boden hat nichts mit Selbstaufgabe und dafür umso mehr mit der Entwicklung der BRD zu einem der Schlüsselstaaten der NATO zu tun. Anders als Großbritannien oder Frankreich, deren Armeen direkt an den Fronten der 3. Welt aufmarschieren sollen oder bereits aufmarschiert sind (Libanon/Tschad [11]/Malvinen [12]), muß sich die BRD vor allem in ihrer Funktion als vorderste Linie im Ost- West- Konflikt bewähren. Sie ist keineswegs nur "Drehscheibe", nur "Hinterland" des militärischen Nachschubs für einen Krieg, den andere ausfechten.

Das "Wartime Host Nation Support Agreement" verpflichtet die BRD, jene Lücken zu schließen, die ein Abzug von US- Truppen infolge eines Waffengangs im Mittleren Osten reißen würden. Im Zuge der "Nachrüstung" soll ein westeuropäisches Gleichgewicht zum Warschauer Pakt [13] hergestellt werden, der NATO- Zweck soll von Westeuropa aus allein durchsetzbar sein. Kein Wunder also, daß die russischen Diplomaten in Genf [14] mit ihrer Forderung nach Berücksichtigung der englischen und französischen Atomwaffen beim Hochrechnen der Megatonnen wieder und wieder auf Granit gestoßen sind.

Jene von Teilen der Friedensbewegung genährte Legende von der "Geisel" Europa und vom "Faustpfand" BRD, die in erster Linie den westdeutschen Imperialismus verharmlost, stellt die Verhältnisse auf den Kopf. Mit der "Nachrüstung" verschafft sich die NATO den stategischen Vorteil, die "Schlachtfelder der Zukunft" wieder selbst definieren, d.h." den Kampf zum Gegner tragen" zu können (Airland- Battle). Die Epoche, wo Kriege zwischen den Blöcken nur auf dem Niveau des atomaren Schlagabtauschs und um den Preis gegenseitiger Auslöschung denkbar waren, geht zu Ende. Die "Kriegsgefahr" besteht nicht etwa in der abstrakten Möglichkeit einer atomaren Katastophe als Folge der Produktion und Lagerung von overkill- Kapazitäten - eine Möglichkeit, die in der BRD (und keineswegs nur hier) bekanntlich seit Jahrzehnten gegeben ist - sie besteht vielmehr darin, daß die NATO- Staaten mit den qualitativ neuen Waffensystemen Kriege für sich wieder kalkulierbarer gemacht haben. Die Konstruktion der Pershing 2 bedeutet Option zum strategischen Erstschlag. Ihre technischen Eigenschaften wie Präzision, Flugdauer und Reichweite erlauben es, atomare Gefechte unterhalb des allgemeinen Infernos zu inszenieren und zwar dort, wo man den Gegner stellen will. Der Rogers- Plan [15], das Konzept Airland- Battle [16] - zum Teil mit Erleichterung aufgenommen, wird doch Krieg scheinbar wieder auf das erträgliche Niveau konventioneller Waffengänge zurückgeschraubt - geben den Rahmen ab, innerhalb dessen die "Nachrüstung" ihren Sinn bekommt. Sie eröffnet mit der Fähigkeit des westlichen Imperialismus zum - wenn auch noch so verheerenden - Sieg eine neue Ära, in der der Möglichkeit, unterhalb dieser Schwelle weltweit und umfassend sowohl ökonomisch wie auch politisch erpressen zu können, keine Schranke mehr gesetzt sein soll. Widersetzen sich die "Opfer" diesen Manövern, so werden aus ihnen Aggressoren gemacht, die eine militärische Antwort herausfordern.


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