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Krieg
- Krise - Friedensbewegung
In Gefahr und höchster Not bringt der Mittelweg den Tod
Dezember 1983
Bewegung ist nicht alles!
Die
Diskrepanz ist offensichtlich: während Kapital und Staat ihre
Krisenstrategie durchsetzen und in anderen Regionen bereits an ganzen
Völkern exekutieren, ist in den Metropolen die Kriegsgefahr
zum alles beherrschenden Thema geworden. Weder die gezielte Politik
der Verarmung noch die tatsächlichen Kriege, die der Imperialismus
an verschiedenen Fronten der 3. Welt anzettelt, sondern eine eher
abstrakte Vernichtungsdrohung mobilisiert die Menschen in den Zentren
zu Hunderttausenden. Nicht eine revoltierende, klassenkämpferische,
sondern eine Katastrophenkultur macht sich breit und wird von oben
nach Kräften geschürt. Die berechtigte Angst vor sozialer
Verelendung, ökologischer Verödung und den möglichen
Folgen atomarer Hochrüstung wird übersetzt in die wahnhafte
Vorstellung von dem alles vernichtenden Untergang, der nur noch
Opfer und keine Täter mehr kennt.
"Apocalypse now!" scheint das Leitmotiv einer Epoche
zu werden, die sich materiell auf Umstrukturierungen von gigantischem
Ausmaß zubewegt. Die klammheimliche Lust am Weltuntergang
wird zur metropolenspezifischen Reaktion auf eine neue Ära
voller unerträglicher Widersprüche, die nur Vorboten jener
Umwälzungen sind. Schon einmal - während der 20er Jahre
- erwies sich, was als "Untergang des Abendlandes" [1]
interpretiert und erlebt wurde, als globale Krise der Kapitalakkumulation,
die bekanntlich nicht das Ende der Welt, wohl aber einen weiteren
Abschnitt kapitalistischer Entwicklung einleitete, an deren Ausgangspunkt
Faschismus und ein verheerender Krieg standen.
Wo sich Endzeitstimmung breit macht, ist kein Raum mehr für
soziale Utopien. Der Anspruch auf ein menschenwürdiges Leben
steht zurück hinter der Frage des nackten Überlebens.
Jeder Ausweg legitimiert sich von selbst, wenn er nur Hoffnung auf
Rettung verspricht. Was immer unterhalb der Schwelle der Katastrophe
daraus erfolgt, es dient der Abwendung eines vermeintlich größeren
Übels. Die Drohung mit dem Weltuntergang verschafft den staatlichen
Souveränen das Mittel, um jedes Opfer nach innen durchzusetzen
und vergleichsweise zweitrangig erscheinen zu lassen.
Wie einst der Club of Rome [2]
oder rechte Ökologen im Namen der Natur einklagten, was vor
allem die Krise verlangte, nämlich Bereitschaft zum Verzicht
angesichts des drohenden Ruins sämtlicher Grundlagen menschlicher
Existenz auf diesem Planeten, so beschwören heute Teile des
Friedensbündnisses die atomare Apokalypse, um politische Enthaltsamkeit
zu predigen. "Frieden statt Politik" hieß es auf
der Bonner Kundgebung [3]
vor zwei Jahren, wo einem Sprecher verschiedener Freiheitsbewegungen
aus eben diesem Grund das Wort entzogen wurde, als er sagen wollte,
was dort unter Frieden verstanden wird: "Friede in unseren
Ländern bedeutet nicht allein Nicht- Krieg. Friede heißt
für uns nationale Unabhängigkeit, soziale Gerechtigkeit,
kulturelle Identität. Friede heißt für uns das Ende
der alltäglichen Gewalt, der ungerechten Strukturen, des Elends,
des Hungers, des Terrors der Herrschenden."
Es ist nur folgerichtig, wenn staatliche Politik hier nicht mehr
an ihren bewußt geschaffenen Fakten und imperialistischen
Planungen gemessen wird, sondern deren Macher als Gefangene einer
bedrohlichen Lage entschuldigt werden, der es nun gilt, gemeinschaftlich
Herr zu werden. Beifall und Sympathie erntete Willy Brandt, als
er auf dem letzten Kirchentag über die "Ohnmacht der Mächtigen"
lamentierte, die zwischen Zweifel und Zuversicht zerrieben würden.
Die Theorie vom "Rüstungswettlauf" kennt - abgesehen
von einem "dümmlichen Westernhelden" [4]
und sonstigen ausgemachten Bösewichtern vom Schlage eines Weinberger
[5] - nur noch Verlierer
und keine Veranstalter mehr. Kritik an der Rüstungseskalation
entwickelt sich nicht zur Fundamentalopposition gegen die Ziele
imperialistischer Politik, die mit den Mittelstreckenraketen abgesteckt
werden, sondern bleibt Korrektiv eines Regimes, das die Konsequenzen
seines Handelns angeblich nicht überblickt. Die Politik des
Imperialismus wird von ihrer ökonomischen Basis gelöst
und einer vergleichsweise besseren, vom Willen und Gewissen ihrer
Repräsentanten angeblich
unabhängigigen, bürgerlichen Politik - auf derselben Grundlage
- gegenübergestellt. Als wäre der Sinneswandel der SPD
in Sachen Stationierung tatsächlich Ergebnis eines parteiinternen
Läuterungsprozesses und nicht banale Folge des Machtverlustes!
Wer Krieg nur als abstrakte Gefahr und die atomare Vernichtung vor
allem als technologisches Risiko diskutiert, erteilt deren Betreibern
Generalabsolution. Er attestiert staatlicher Politik indirekt, was
deren Vertreter ohnehin unablässig von sich behaupten: daß
die Bewahrung des Friedens ihr ureigenstes Anliegen sei und man
sich lediglich im Weg zum selben Ziel unterscheide. Der Protest
gegen die "Nachrüstung" versackt so in der Debatte
um Fragen der Sicherheitspolitik, die pazifistischen Ambitionen
verkehren sich in Lektionen über "alternative" Wehrkunde.
Die Stationierung der Raketen soll nicht gegen den Willen der Regierung,
sondern kraft Überzeugung und besserer Argumente verhindert
werden. Eben deshalb bleiben so viele Aktionsformen aus den Reihen
der Friedensbewegung - von der Unterschriftensammlung bis hin zum
frömmelnden Fasten, dessen Effekt in erster Linie in der Genugtuung
über die eigene Opferbereitschaft besteht - stets Appell an
die Vernunft, getragen von der durch nichts zu belegenden Hoffnung,
daß gute Gründe oder Moral und nicht etwa die Notwendigkeiten
der Kapitalverwertung den Machthabern die Maßstäbe diktieren,
die sie ihren Entscheidungen zugrunde legen.
Eine solche Politik gewinnt die Anhängerschaft, die sie verdient!
Jenes breite Bündnis, auf das sich die Sprecher der Friedensbewegung
zum Beweis ihrer vermeintlichen Stärke zu gerne berufen, war
nur um den Preis der Unterdrückung sozialrevolutionärer
und antiimperialistischer Inhalte zu kriegen und auf Dauer zusammenzuhalten.
Die hektischen Reaktionen und kriecherischen Distanzierungen von
den Blutspritzern [6]
im hessischen Landtag offenbaren nicht nur, wie schmal der Konsens
ist, sondern vor allem, daß er immer wieder gegen links durchgesetzt
und behauptet werden muß. Und wenn dieselben Leute zum hundertsten
Mal daherbeten, daß die Perspektiven der Friedensbewegung
in ihrer Verbreiterung liegen und deshalb jegliche Eskalation an
der Spitze eben diesen Perspektiven abträglich sei, so meint
das nichts anderes, als daß die Ausschaltung eines linken
Radikalismus in diesem Land noch allemal honoriert wird und zumindest
demoskopisch positiv zu Buche schlägt.
Dennoch geht man von falschen Voraussetzungen aus, wenn diesen
Leuten heute von Seiten der Autonomen Verrat vorgeworfen wird. Es
ist widersinnig, eine in ihrer Mehrheit bürgerliche Protestbewegung
mit dem Maßstab revolutionären Widerstands zu messen,
um ihr dann ihre Halbheiten vorzuhalten. Ein solcher Vorwurf zeugt
weniger vom Ausverkauf der Friedensbewegung durch deren Verwalter,
als vielmehr von den enttäuschten Erwartungen auf Seiten des
autonomen Spektrums.
Wieder einmal hat sich die falsche Hoffnung, daß die Bewegung
vielleicht doch alles und das Ziel nur zweitrangig ist, als Trugschluß
erwiesen, dessen Folgen in erster Linie wir alle auszubaden haben.
Hinterher ist man meistens schlauer: eine falsche Politik wird nicht
dadurch richtiger, daß man sie von innen her zu radikalisieren
versucht. Allzu schnell sind die Ansätze eines radikalen
Antimilitarismus, die im Widerstand gegen die öffentliche Rekrutierung
in Bremen und Hannover [7]
zum Tragen gekommen waren, auf der Strecke gebleiben. Anstatt diese
Ansätze weiterzutreiben hin zu einer umfassenden autonomen
Gegenbewegung, die nicht bei der Raketenfrage stehenbleibt, sondern
die Verhältnisse angreift, die die Vernichtungswaffen hervorbringen,
und den bürgerlichen Pazifismus mit einer solchen Gegenbewegung
praktisch zu konfrontieren, wurden - in der Hoffnung auf die gegenseitige
Potenzierung verschiedener Protestebenen und nicht zuletzt mangels
eigener Perspektiven - Vermittlungsmöglichkeiten gesucht. Die
Orientierung des autonomen Spektrums an der Friedensgemeinde hat
jedoch nicht zu der erhofften Vielfalt unterschiedlicher Aktionsformen,
zur Synthese von Massenprotest und Militanz geführt, sondern
zu deren Anpassung an einen von Realpolitikern kontrollierten Rahmen.
Die faktische Beschränkung auf das von der offiziellen Friedensbewegung
vorgegebenn, angeblich erreichbare Nahziel "Keine Pershing
2" - und das heißt die Abkoppelung der Stationierung
von ihrem imperialistischen Zweck - ist nicht nur auf gefährliche
Weise falsch, weil sie die Waffen und nicht die Menschen, die sie
dirigieren, in den Mittelpunkt des Problems rückt. Sie impliziert
darüberhinaus die Neutralisierung sozialrevolutionärer
Zielsetzungen, da der Rückschluß auf die unmittelbare
Betroffenheit aller Menschen dieses Landes dem Widerstand jeglichen
klassenpolitischen Bezug nimmt. Die Differenz zum Bürgerprotest
reduziert sich so leicht auf die abstrakte Gewaltfrage und dies
auf einem Terrain, auf dem Militanz ohnehin kaum eine Chance hat,
als tatsächliche Alternative begriffen zu werden. Denn durch
die Konzentration auf Militärstützpunkte und Ministerien,
also auf die Bastionen der Macht, wo sie am stärksten und am
besten gerüstet ist, wird jeglicher Aktionsdynamik der Spielraum
genommen. Hier gibt es für uns bei den gegenwärtigen Kräfteverhältnissen
nichts zu gewinnen, weil wir auf diesem Terrain nicht die "Wahl
der Waffen" haben. Für den Schwächeren ist die Bestimmung
des Orts der Auseinandersetzung von entscheidender Bedeutung und
unsere einzige reelle Chance. Sonst überlassen wir den Protagonisten
des plattesten Widerstandssymbolismus in Form von Körperblockaden,
Menschenteppichen und Die- In's [8]
von selbst das Feld.
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