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Krieg
- Krise - Friedensbewegung
In Gefahr und höchster Not bringt der Mittelweg den Tod
Dezember 1983
Neue Formen der Reichtumsakkumulation und Herrschaftssicherung
Die eigentliche Ursache der Krise, nämlich der Fall der Profitrate,
würde durch eine totale Unterwerfung und Integration des Ostblocks
unter kapitalistische Verwertungsbedingungen zwar aufgehalten, aber
nicht grundsätzlich umgekehrt. Um die Profitrate auf neuer,
höherer Stufe zu realisieren, bedarf es einer grundlegenden
Veränderung im weltweiten politökonomischen Verhältnis
zwischen Kapital und Unterklassen, vermittelt über neue strategische
Sektoren und eine Neustrukturierung der Produktionsformen. Das heißt
aber, daß das Nachkriegsmodell, das durch Fließband
und industrielle Massenproduktion samt Massenarbeit und Vollbeschäftigung
gekennzeichnet ist und in dem Auto- , Elektro- und Chemieindustrie
die entscheidenden Quellen der Profitmaximierung sind, ausgereizt
ist und daß in der organischen Zusammensetzung des Kapitals,
also im Verhältnis von toter, angehäufter Arbeit und lebendiger
Arbeitskraft, eine ganz entscheidende Verschiebung zugunsten des
fixen Kapitals vollzogen wird.
Als neue strategische Sektoren gelten neben der Biotechnologie
und der Mikroelektronik der Energiesektor, der Nahrungsmittelsektor
sowie die Rohstoffausbeutung der Meere und Pole.
Das Entscheidende an diesen Sektoren - was ihre strategische Qualität
erst ausmacht - ist, daß sie in der ausschließlichen
Verfügungsgewalt des westlichen Imperialismus liegen müssen.
Denn allein die Tatsache, daß alle anderen Mangel an diesen
grundlegenden Lebens- und Produktionsressourcen leiden, macht sie
zu Profitquellen in wahrhaft unbegrenzter Höhe. Über dieses
Verhältnis: ausschließliche Verfügungsgewalt/weltweiter
Mangel lassen sich jeder Preis diktieren und grenzenlose Extraprofite
realisieren. In diesem Verhältnis liegt darüberhinaus
ein ungeheurer Zuwachs an Kontrolle über die Existenzbedingungen
der weltweiten Unterklassen und subsumierten Völker, was der
Vision einer totalen Herrschaftssicherung des westlichen Imperialismus
näher kommt als je zuvor.
Am Energiesektor - weil am weitesten vorangetrieben - läßt
sich am besten verdeutlichen, was damit gemeint ist. Bekanntlich
sprudelt der Energieträger Nr. 1 - das Erdöl - ja nicht
am ergiebigsten auf dem Territorium des "freien Westens",
sondern im Orient. Diesem Mißstand der Natur wird seit den
70er Jahren energisch entgegengearbeitet. Dabei hatten die Ölländer
niemals die Verfügungsgewalt über ihre Energiequellen,
sondern nur den Eigentumstitel, der ihnen mit einer schäbigen
Grundrente abgegolten wurde. Die entscheidenden Erschließungs-
, Abbau- und Transporttechnologien lagen immer ausschließlich
in den Händen des westlichen Imperialismus. Mit dem Energieprojekt
"Project independence" wurde beschlossen, auch diesen
schmerzlich vermißten Eigentumstitel in die Metropolen zu
holen. Denn eine "Abhängigkeit in diesem strategischen
Bereich ist für die Industrie untragbar".
Die OPEC- Staaten vollzogen die von der Abteilung "Brennstoffe
und Energie" des US- Außenministeriums forcierte Ölpreiserhöhung
praktisch nur nach. Sie machten damit gezwungenermaßen den
Weg frei für ein Programm, das einerseits über die hochgetriebenen
Ölpreise den schwierigen und teuren Abbau der eigenen metropolitanen
Ölquellen profitabel machen und andererseits mit einem Billionen-
Dollar- Aufwand die Entwicklung neuer, unabhängiger Energiequellen
mit Hilfe von Atomspaltung und - fusion, Solartechniken und Erdwärme
vorantreiben soll. Das bedeutet die Rückverlagerung des Energiesektors
in die Metropolen, um dadurch die bisher eingeschränkte, weil
nur technologische, Verfügungsgewalt zu einer totalen zu machen.
Die
gleiche Entwicklung läßt sich auf dem Nahrungsmittelsektor
[38] beobachten: "Weizen
als eine der mächtigsten Waffen gegenüber dem Ostblock
und den Entwicklungsländern!" (US- Landwirtschaftsministerium)
- das ist keine Übertreibung, sondern beweist, wie weit die
strategische Kontrolle speziell der USA auf dem Nahrungsmittelsektor
gediehen ist. Voraussetzung dafür war und ist die Ruinierung
der bäuerlichen Subsistenzwirtschaft in der 3. Welt und die
überdimensionale Subventionierung der westlichen Agrarmärkte,
an der die Exporteure der 3. Welt regelmäßig scheitern.
Mittlerweile wächst im Zuge des kometenhaften Aufstiegs der
Biowissenschaften ein weiteres Instrument zur Unterwerfung der Welternährung
unter die Kontrolle des Imperialismus heran, das riesige Profite
verspricht. Längst haben sich die Giganten unter den Erdöl-
, Chemie- und Agrokonzernen in die Saatgutbranche eingekauft, um
sich Patent und Verfügungsgewalt über die genetische Konstruktion
der Lebensmittel der Zukunft zu sichern. Von einer zweiten Phase
der "grünen Revolution" ist die Rede, die direkt
an der Wurzel der Nahrungsproduktion - der Züchtung von Saatgut
- ansetzt. Superpflanzen aus den molekular- und zellbiologischen
Laboratorien einiger dutzend Transnationaler wie Shell [39]
oder Ciba- Geigy [40]
werden die Ruinierung des über Jahrtausende gewachsenen Reichtums
unterschiedlichster Agrokulturen weiter forcieren und die Abhängigkeit
der weltweiten Nahrungsmittelproduktion von den Investitionsentscheidungen
und Gewinnmargen jener Konzerne zementieren.
Die industrielle Verwertung biotechnischer Grundlagenforschung
geht jedoch weit über den Nahrungsmittelsektor hinaus. Die
Reproduktion von Natur bedeutet einen entscheidenden Durchbruch
hin zu neuen Herstellungsverfahren und Produkten, zu neuen Märkten
und Profitquellen. Bakterienfabriken werden zur Produktionsstätte
biologischer Wirkstoffe und chemischer Grundstoffe, die Wiederaufbereitung
und Substitution von Rohstoffen durch genetisch manipulierte Organismen
liegt im Bereich des Machbaren. Und jenseits dieses Milliardengeschäfts,
das die Biotechnik eröffnet, liefert sie das Rüstzeug
für eine perfekte qualitativ neue Bevölkerungskontrolle,
die auch vor dem direkten Zugriff auf Köpfe und Körper
- vor allem Frauenkörper - nicht zurückschrecken wird,
wenn es gilt, den Menschen an die veränderten Verwertungsbedingungen
anzupassen.
Parallel zu diesen Projekten sichert sich der westliche Imperialismus
zur Zeit auf den Seerecht- und Antarktiskonferenzen über die
Nahrungsmittel und Bodenschätze der Meere und Pole die entscheidenden
Eigentumstitel nach dem Motto: die Meere und Polen sollen denen
gehören, die über die Mittel und Technologien verfügen,
sie auszubeuten.
Was
die Beschlagnahme des Weltraums betrifft, so hat im All noch nie
ein anderes Prinzip gegolten. Waren die Raumflüge allerdings
bislang vor allem militärischen Erwägungen und imformationstechnischen
Experimenten vorbehalten, so steht nun der Sprung in die "Industrialisierung
des Alls" an. Die vollautomatisierte Fertigung unter den besonderen
physikalischen Bedingungen des Weltraumes wie Schwerelosigkeit,
Vakuum und extremen Temperaturunterschieden befindet sich zwar noch
in der Anfangsphase, dennoch versprechen sich die Großunternehmen
von Produkten "Made in Space" heute schon derartige Gewinne,
daß sie Riesensummen in dieses Zukunftsprojekt investieren.
Auf diesem Gebiet ist wohl die sowjetische Konkurrenz mit ihrem
intensiv vorangetriebenen Weltraumprogramm mehr als nur lästig.
Die Sowjetunion stellt aber auch das Haupthindernis dar für
das Projekt der weltweiten, ausschließlichen Kontrolle über
alle entscheidenden Ressourcen. In ihren riesigen, aber schwer zugänglichen
Bodenschätzen in Sibirien liegt für sie die Möglichkeit
zur Autarkie beschlossen. Diese muß gebrochen werden, d.h.
die Sowjetunion soll konkret über Verschuldung und einen gigantischen
Rüstungsetat daran gehindert werden, die schwierigen Technologien
für die Erschließung und den Abbau ihrer Naturressourcen
zu entwickeln. Das Ziel dabei ist, ihr - wie dem Nahen Osten - das
Grundrentemodell aufzuzwingen, sie mit Abschlagszahlungen für
die Nutzungsrechte abzuspeisen, während der westliche Imperialismus
Erschließung und Abbau kontrolliert und den Preis diktiert.
Die sprunghafte Erhöhung der Erdöl- und Weizenpreise Anfang
der 70er Jahre eröffnete jedoch noch eine weitere Dimension:
damit wurde eine weitgehende Abschöpfung der Masseneinkommen
in den Metropolen, die Aufsaugung der Devisenbestände des Ostblocks
und die Abpressung der letzten Bonitäten der 3. Welt erzwungen
(Selbst das, was die OPEC- Staaten daran profitierten, floß
in Form des Petro- Dollar- Recycling [41]
wieder in die Metropolen zurück). Über dieses "externe
Zwangssparen" saugten die imperialistischen Zentren Billionenbeträge
ab für eine gigantische Kapitalansammlung, mit deren Hilfe
die umfassende Neustrukturierung der Weltökonomie zu ihrem
ausschließlichen Nutzen finanziert werden soll.
Und noch etwas kennzeichnet die neuen strategischen Sektoren: sie
sind in nie gekannter Weise kapitalintensiv, ermöglichen einen
riesigen Investitionsboom, ohne gleichzeitig große Arbeiterheere
neu zu erzeugen. Im Gegenteil - in ihnen wird die Nachfrage nach
lebendiger Arbeitskraft auf ein Maß zurückgeschraubt,
daß mit Fug und Recht von der Abschaffung der Arbeiterklasse
in diesen Bereichen gesprochen werden kann. Das heißt, sie
sind strategisch auch in dem Sinn, daß in ihnen mit der Eliminierung
lebendiger Arbeit der Klassenkampf abgeschafft wird. Das ist in
der Tat ein ganz entscheidender Schritt zur totalen Herrschaftssicherung.
Die Extraprofite der neuen strategischen Sektoren, die sich heute
schon in den Öl- und Weizenpreiserhöhungen realisieren,
setzen einen Mechanismus von Geldschöpfung jenseits von Arbeit
und Mehrwert in Gang, der auch zum Rentabilitätsmaßstab
für Investitionen im Produktionsbereich wird. Das heißt,
diese müssen sehr "mehrwertintensiv" sein, um angesichts
der Geldschöpfung von Weizen und Öl noch profitabel zu
sein. Dieser innere Zusammenhang erhellt den Hintergrund für
die so vehement beklagte "Investitionsunlust unserer Unternehmer",
ihre "mangelnde Risikobereitschaft" und erklärt,
warum statt dessen die Kapitalmärkte anschwellen und die Spekulationsbörsen
florieren. Das Kapital nutzt nur noch die extremsten Bedingungen
für seine Produktion. Das bedeutet selbstverständlich
nicht seinen Rückzug auf einige wenige "ökonomische
Inseln", sondern die Zerschlagung aller wirtschaftlichen und
politischen Strukturen, die dieser extremen Profitrealisierung im
Wege stehen.
Haupthindernisse sind dabei das klassische Fabriksystem und die
"freie" Lohnarbeit. Die Fabrik als Konzentrationspunkt
des Lohnarbeit/Kapital- Verhältnisses - und damit als Zentrum
des Klassenkampfes - wird systematisch auseinandergebrochen und
neu zusammengesetzt, wie es z.B. FIAT [42]
vormacht. Ihr Kern soll weitgehend "arbeitsfrei" gemacht
werden. Hierauf konzentrieren sich Rationalisierung und der Einsatz
von numerisch gesteuerten Maschinen, von Robotern und von Computern,
um Störungen im Produktionsablauf und den Klassenkampf "außen
vor" zu halten. Doch hat die Rationalisierung neben ihrem ökonomischen
Kalkül auch ein wesentlich politisches:
"Menschen zu trainieren, damit sie ihre unregelmäßigen
Arbeitsgewohnheiten ablegen und sich mit der unveränderlichen
Regelmäßigkeit des komplexen Automaten identifizieren".
(Ure)
Alle anderen Bereiche werden möglichst ausgelagert, damit
die Klasse nirgends mehr zentriert wird, sondern automatisiert,
um sie in entgarantierten Arbeitsverhältnissen, also jenseits
aller rechtlichen und lohnvermittelnden Beziehungen, extrem vernutzen
zu können. Dies wird sich zunehmend unter den Bedingungen von
Kontraktarbeit, Leiharbeit, Teilzeitarbeit, Saison- und Heimarbeit
und illegaler Beschäftigung vollziehen bzw. in Form unentlohnter
Arbeit wie der sogenannten "Eigenarbeit", der Subsistenzarbeit
und der meist vergessenen Hausarbeit - kurz: Arbeit, die angeeignet
und nicht gekauft wird.
Die Wahrnehmung nur noch der extremsten Bedingungen der Kapitalverwertung
wird das "Heer der Überflüssigen" ständig
anwachsen lassen und zunehmend auch billigste Arbeitskraft unvernutzt
lassen. So ist speziell in der 3. Welt die Tendenz zu beobachten,
daß der Imperialismus regionales Verhungernlassen der Ausbeutung
der Arbeitskraft vorzieht.
Das ist die Antwort des Kapitals auf den Streik- und Kampfzyklus
der Unterklassen von 1967-74 und gleichzeitig der Hebel zur Abschaffung
der "freien Lohnarbeit", auch für ihren eigentlichen
Exponenten, den weißen männlichen Metropolenarbeiter,
dessen "Freiheit" - idealtypisch - darin bestand, seine
Arbeitskraft für eine permanente Anstellung und einen Lohn,
der zur Reproduktion einer Familie ausreicht, zu verkaufen. Der
Prototyp dieses als "zentral" definierten Produktionsverhältnisses
war immer nur eine Form der Ausbeutung, nur in einer bestimmten
Phase des Kapitalismus vorherrschend und auf einige wenige Regionen
der Erde, nämlich die Zentren der Kapitalakkumulation, beschränkt.
Die Abschaffung der garantierten, entlohnten Arbeit bedeutet daher
die Verallgemeinerung von Arbeitsbedingungen, denen die Mehrheit
der Menschen in der 3. Welt und die Frauen schon lange unterworfen
sind; denn die "wilden Früchte" ihrer Arbeit waren
seit jeher die stofflichen Grundlagen für den Reichtum in den
Metropolen.
"Ich glaube, daß wir den historischen Moment erleben,
in dem die Säule kapitalistischer Produktion, der freie
Lohnarbeiter oder Proletarier, auf Nimmerwiedersehen verschwindet.
Es handelt sich um eben jenen Arbeiter, der seit dem 19. Jahrhundert
die klassische Figur des vom Kapital ausgebeuteten und daher
auch subjektiv zur Umwälzung der Gesellschaft Berufenen abgibt,
zumindet was die Meinung der Linken betrifft. Aber auch die Nichtlinken
hatten im wesentlichen diesen Arbeiter im Blick, wenn sie ihn auch
nicht Proletarier nannten, sondern Mittelschicht, schweigende Mehrheit
etc. Denn Proletarier ist nicht nur der Fabrikarbeiter, sondern
grundsätzlich jeder, der seinen Lebensunterhalt in erster Linie
mittels eines Lohnes (bzw. eines Gehalts) bestreitet. [...] Dieser
Typ des Lohnarbeiters stellte bei uns immerhin eine Art Mehrheit
dar, er trug die Gesellschaft, die Demokratie, er war Wähler"
(aus: "Frauen, die letzte Kolonie" [43])
In der feministischen Theorie wird schon seit längerem darauf
hingewiesen, daß mit der Abschaffung der "klassischen"
Lohnarbeit auch ihre Entsprechung, das "klassische revolutionäre
Subjekt", verschwindet und die Frage nach dem zukünftigen
Protagonisten revolutionärer Veränderungen ganz neu und
viel umfassender gestellt werden muß.
Darüberhinaus wird die Zerschlagung der überkommenen
wirtschaftlichen Strukturen zu knallharten politischen Konsequenzen
führen, denn damit werden auch deren politische Entsprechungen,
die "bürgerlichen Demokratien", absolut. Das Kapital
schickt sich an, die Gesellschaft mit ungeheurer ökonomischer
und sozialer Gewalt umzuwälzen, die in ihrer Brutalität
den vorausgegangenen Akkumulationskrisen und ihren gesellschaftlichen
Auswirkungen um nichts nachstehen wird. Der Staat als politischer
Garant dieses "Prozesses der schöpferischen Zerstörung"
- wie ihn das Kapital zu charakterisieren beliebt - und der in Wirklichkeit
ein menschlicher und gesellschaftlicher Vernichtungsprozeß
ist, wird diese Aufgabe in seiner jetzigen organisatorischen und
politischen Form und dem Maß an institutioneller und technologischer
Gewalt, über das er heute verfügt, nicht gewährleisten
können. Die provozierten Spannungen und Brüche werden
viel zu explosiv sein, um sie mit dem herrschenden System der "Regierungen
der knappen Mehrheiten" unterdrücken zu können. So
werden denn auch in den Stäben der Trilateralen längst
neue Herrschaftsmodelle projektiert, da die "Regierungssysteme
der westlichen Hemisphäre zu demokratisch geworden sind."
An der "Entpolitisierung von Schlüsselproblemen wie Rüstung,
Arbeitslosigkeit und Inflation" wird gearbeitet und daran,
wie sie der "demokratischen Kontrolle zu entziehen" seien.
Welche Formen die heraufziehenden metropolitanen Zwangsstaaten letztlich
annehmen werden, läßt sich nicht vorherbestimmen, zumal
solche Planungen sich in der Konfrontation mit der Realität
immer wieder verändern. Jedenfalls werden die neuen Herrschaftsinstrumente
der globalen Erfassung, Kontrolle und Überwachung bereits mit
fliegender Eile entworfen. Wir waren lange Zeit mit der ehemaligen
"Gauche Proletarienne" [44]
der Meinung, daß heute nicht mehr der Faschismus das Innenministerium
erobern muß, sondern das Innenministerium viel effektiver
und reibungsloser durch den strukturellen Faschismus des Überwachungsstaates
das Land kontrolliert. Wir sind uns da nicht mehr so sicher, ob
das ausreicht und glauben, daß diese Einschätzung den
heute bereits zu Ende gehenden politökonomischen Verhältnissen
der Nachkriegsära entsprang.
Wenn heute die Herrschenden sagen, sie müssen auf jeden Fall
"die Schlacht um die Seelen der Völker gewinnen",
dann deutet das an, daß allein mit Überwachen, Einbetonieren,
Atomisieren und Telenarkose eine "Ruhigstellung des Patienten"
nicht mehr garantiert ist.
Das kapitalistische System des "freien Westens" hat -
jenseits seines Warenangebots - in den letzten 40 Jahren keine Legitimation
gebraucht. Jetzt wird es eine brauchen, und da es keine gibt, wird
es ideologisch und gesellschaftlich- organisatorisch mobil machen
müssen, um die drohenden gesellschaftlichen Auseinandersetzungen,
die Revolten, Randalen und Riots umzubiegen und zu kanalisieren.
Die einzige radikale Kampfideologie jedoch, über die der Imperialismus
verfügt, ist das Faschismus-/ Sexismus-/ Rassismus- und Nationalismus-
Syndrom. Die ersten alarmierenden Auswirkungen dieser "geistig-
moralischen" Wende sind in allen Metropolenländern zu
beobachten. Immer systematischer wird das durch soziale und wirtschaftliche
Verelendung erzeugte individuelle und gesellschaftliche Haß-
und Verzweiflungspotential nach "unten" kanalisiert und
explodiert in Frauenhaß und Ausländerhatz, verkehrt sich
in die Einkreisung "der anderen", der Nichtdeutschen,
der Nichtmänner, der Nichtweißen und soll sich zunehmend
in militärischen Interventionen auf den Malvinen, im Tschad,
im Libanon und auf Grenada nationalistisch befriedigen.
Genauso
systematisch wird die Brutalisierung von Kindern und Jugendlichen
über Video- Gewalt und - Vergewaltigung und Feindbild- Telespiele
forciert, die sich dann bei Fußballspielen, der Jagd auf Türken
und zunehmenden Gruppenvergewaltigungen ihre faschistoiden "Höhepunkte"
ganz von selbst verschafft. "Die Hölle, das sind die anderen."
(Sartre) Gewalt gegen Frauen und "die anderen" - das ist
die neue Ware, die als "software" Videorecorder, Computer
und Telespiele erst möglich macht. Hier sehen wir, daß
Krieg als Krisenlösung bereits stattfindet in den Köpfen
und im Unterbewußtsein von Millionen junger und alter Männer
in dieser Gesellschaft, daß die Aggressionen gerichtet werden
auf Frauen, Ausländer, Farbige, "Unterentwickelte".
Nur in scheinbarem Gegensatz zu diesen aggressiven polit- ökonomischen
Strategien stehen die biederen Figuren eines "abgetakelten
Schauspielers" [45]
oder eines "behäbigen Pfälzers". [46]
Sie sind vielmehr die idealen Protagonisten eines knallharten Imperialismus
nach innen und außen mit gottesfürchtigem Herz und wabberndem
Gemüt. Auch ihre - so oft beklagten oder bespöttelten
- "Unzulänglichkeiten" ziehen unermüdlich Konzentration
auf sich und von den brutal geschaffenen Fakten ab. Fakten, die
mit "reaktionärem Konservativismus" oder "Rezepten
der 50er Jahre" nichts zu tun haben und dafür umso mehr
mit den neuen imperialistischen Strategien, die
- die 3. Welt völlig ruinieren;
- den Zerfall des Ostblocks und seine totale Unterwerfung unter
kapitalistische Verwertungsbedingungen mit allen politökonomischen
und militärischen Mitteln verfolgen;
- in den Metropolen die "freie" Lohnarbeit abschaffen,
um die Klasse zu atomisieren und unter extremsten Bedingungen
vernutzen zu können;
- gesellschaftlich mobil machen, um das Haß- und Verzweiflungspotential,
das dieser sozialen Verelendung entspringt, nach "unten"
auf Frauen, Ausländer, "die anderen" zu konzentrieren;
- und sich anschicken, über die Besetzung neuer strategischer
Sektoren die Grundvoraussetzungen jeglicher menschlicher Existenz
und Produktion - nämlich Nahrungsmittel, Energie und Rohstoffe
- ihrer ausschließlichen Verfügungsgewalt zu unterwerfen.
Diese Analyse der aktuellen und zukünftigen Imperialismusstrategien
haben wir nicht gemacht, weil wir die heutigen Verhältnise
zu gemütlich finden und deshalb eine Horrovision an die Wand
malen - in der Hoffnung, damit die Leute zu agitieren. Das Gefühl
der Ohnmacht war noch nie eine gute Antriebskraft, aus der heraus
revolutionäre Energie erwachsen kann.
Wir haben diese Analyse gemacht, weil die "Nachrüstung"
in den imperialistischen Strategien nur ein Puzzlestein ist, der
- aus seinem Zusammenhang gelöst - nicht zu verstehen ist.
Die Flut von Scheindiskussionen, die uns seit Jahren überschwemmt,
ist dafür der beste Beweis. Nur wenn wir die Hintergründe
der Stationierung, ihren imperialistischen Zweck, zu begreifen versuchen,
haben wir eine Chance, Spaltungs- und Herrschaftsmechanismen zu
durchschauen und Bruchstellen im "Projekt der Zukunft"
auszumachen, an denen sich Widerstand entwickeln kann. Andernfalls
werden von unseren Unklarheiten immer die profitieren, die die Betreiber
einer "neuen Weltordnung" sind.
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