www.freilassung.de
Zurück zur Startseite  
Früchte des Zorns

TitelblattKrieg - Krise - Friedensbewegung

In Gefahr und höchster Not bringt der Mittelweg den Tod

Dezember 1983


Der Ostblock - ein blinder Fleck in der politischen Geographie der Linken

Obwohl die Pershings und die Cruise Missiles direkt auf den Ostblock zielen, vertreten - wie gesagt - große Teile der radikalen Linken die These, daß dieser nicht "an sich" damit gemeint sei, sondern vielmehr in seiner Rolle als Unterstützer nationaler Befreiungsbewegungen erpreßt werden soll. Sie pflegen der Sowjetunion gegenüber ein seltsam widersprüchliches Verhältnis: einerseits ist sie für sie mit ihrem öden, heruntergekommenen "Realsozialismus" völlig indiskutabel, andererseits trauen sie ihr aber einen durchaus respektablen Rest an revolutionärem Internationalismus zu. Weil aber die inneren Verhältnisse der Sowjetunion aus der politischen Diskussion völlig ausgeblendet werden und der Ostblock ein blinder Fleck in der politischen Geographie der Linken ist, kann sich der Mythos von seiner Rolle als Freund der "Verdammten dieser Erde" [23] so hartnäckig halten. Die Fakten sprechen eine andere Sprache.

StalinDas Ideal des revolutionären Internationalismus hat niemals die sowjetische Außenpolitik bestimmt: weder zu Zeiten Stalins [24], der die kommunistischen Parteien Deutschlands und Jugoslawiens ans Messer geliefert hat und die kommunistische Widerstandsbewegung Griechenlands an die Aliierten, noch zu Zeiten Chruschtschows [25], Brechnews [26] oder Andropows. [27] Die sowjetische Außenpolitik war vielmehr bestimmt von geostrategischen Interessen und dem Vorrang ihrer Existenzsicherung. Das Streben nach "Anerkennung" und "Ausgleich" mit dem westlichen Imperialismus und nicht nach Weltrevolution zieht sich wie ein roter Faden durch ihre weltpolitischen Aktivitäten. So empfing sie Kissinger zu Entspannungsgesprächen, während die USA Haiphong [28] bombardierten und war bereit, sich aus geostrategischen Interessen mit blutrünstigen Diktatoren wie Idi Amin und Siad Barre [30] zu verbünden.

Auch im Handel mit der 3. Welt kann und will der Ostblock keineswegs auf die Vorteile verzichten, die ihm auf diesem Gebiet aus der internationalen Arbeitsteilung erwachsen:

"Interessanterweise weisen die sozialistischen Länder denn auch im Handel mit den unterentwickelten Ländern einen wachsenden Überschuß auf; d.h. die unterentwickelten Länder haben sowohl gegenüber den imperialistischen Ländern als auch gegenüber den sozialistischen Ländern ein Defizit, so daß der zunehmende Austausch mit den sozialistischen Ländern das Defizit der unterentwickelten Länder nur noch vergrößert." (A.G. Frank)

Das heißt: der Ostblock versucht die Verschlechterung seiner Zahlungsbilanzen gegenüber den imperialistischen Ländern im Handel mit der 3. Welt abzufangen. Was die RGW [31]- Staaten für den Technologie- Import aus der westlichen Welt zahlen müssen, schaffen sie über den Warenexport an die 3. Welt - und zu deren Lasten - wieder heran.

Über die Devisenbeschaffung hinaus benutzt der Ostblock die Wirtschaftsbeziehungen mit der 3. Welt zur Sicherung von Rohstoffen. Und die ohnehin nur knapp bemessene "Entwicklungshilfe", die überdies nur zu harten Konditionen gewährt wird, wird auch von sozialistischen Ländern nicht unter der Maßgabe verteilt, wirtschaftliche Unabhängigkeit zu schaffen und zu stabilisieren. Vorrang hat auch hier - wie in der Außenpolitik - das Interesse an der strategischen Lage der meisten Bezieherländer.

Trotz alledem kann nicht bestritten werden, daß die Voraussetzungen für die Befreiungskämpfe in der 3. Welt ohne die Sowjetunion denkbar schlechter wären. Allein die Existenz einer konkurrierenden Supermacht hat den Spielraum der imperialistischen Staaten immer wieder beschnitten und umgekehrt die Sowjetunion dazu veranlaßt, Befreiungsbewegungen im Einflußbereich des Gegners zumindest partiell zu unterstützen.

Diese Tatsache hat jedoch nicht verhindern können, daß der Einfluß der Sowjetunion als Weltmacht in den vergangenen Jahren kontinuierlich zurückgegangen ist - selbst in ihrem ureigensten Einflußbereich. Solange die Sowjetunion in der 3. Welt auf dem Vormarsch war, war sie es vor allem als Ergebnis kolonialer Auflösungsprozesse. Um diesen Einfluß zu stabilisieren, nachdem die Befreiungsbewegungen Nation, Staat geworden waren, hätte es in erster Linie ökonomischer Mittel bedurft. Die Sowjetunion hat aber gegenüber dem Imperialismus den entscheidenden Nachteil, daß ihr Expansionismus auf Mangel und nicht auf Überschuß gegründet ist. Sie kann nicht auf die "sanfte" Gewalt einer aus ihrer Logik heraus expandierenden Produktionsweise zurückgreifen, um Abhängigkeiten dauerhaft zu gestalten. Gerade wegen ihres Mangels an ökonomischer Potenz stößt die Sowjetunion in der 3. Welt so schnell an ihre Grenzen, ist sie auf die Reklamation eines weltpolitischen Idealismus im Namen der "Völkerfreundschaft" oder aber auf rein militärische Formen der Sicherung von Einflußzonen verwiesen.

So ist der Sowjetunion die einzig dauerhafte Erweiterung ihrer Machtsphäre im Kampf gegen den Faschismus gelungen. Das Bündnis mit China hat sich in jahrzehntelange Feindschaft verkehrt, aus Ägypten ist sie regelrecht rausgeschmissen worden. Kuba und Vietnam müssen wegen des imperialistischen Boykotts weitgehend bezuschußt werden. Angola und Mozambique sind ständig militärischen Angriffen Südafrikas ausgesetzt und gleichzeitig ökonomisch so stark von ihm abhängig, daß sie sich aus dem RGW abgekoppelt haben. Algerien ist ebenfalls stärker vom Weltmarkt abhängig als von der "Völkerfreundschaft" zur Sowjetunion. Und Libyen und Syrien sind mehr zufällige Partner aus einer augenblicklichen Feindschaft zu den USA heraus. Was bleibt, ist im wesentlichen Waffenhilfe für nationale Befreiungsbewegungen, die nach ihrem Sieg - wie Nicaragua - auch im Interesse der Sowjetunion versuchen müssen, einen 3. Weg zu gehen, denn diese kann sich weder ökonomisch noch machtpolitisch weitere Kubas leisten.

Rote Armee in AfganistanAuch die militärische Intervention in Afghanistan [32] hat die Sowjetunion nicht gerade stärker gemacht, sondern den Beweis geliefert, daß sie selbst in diesem traditionell befreundeten Land ihre Statthalter kaum noch halten kann. Doch entscheidender ist wahrscheinlich, daß dieser Überfall Moskau einen weiteren Sympathieverlust bei den - im Lauf der Jahre immer mehr auf Distanz gegangenen - "Blockfreien" [33] gekostet hat.

Angesichts dieser Machtverhältnisse blamiert sich jede Rechtfertigung der militärischen Eskalation der NATO, die sich auf den Zwang zur "Eindämmung des sowjetischen Expansionismus" beruft, bis auf die Knochen und verrät viel mehr über den aggressiven imperialistischen Charakter des westlichen Bündnisses. Die militärische Einkreisung des Ostblocks ist kein Hirngespinst "paranoider Sowjetführer", sondern Realität, die täglich neue Fakten schafft: die NATO ist nicht nur selbst übermächtiger Gegner, sondern über die USA auch mit dem ANZUS- Pakt [34] (Australien/Neuseeland/USA/Pazifik- Pakt) und der OAS [35] (Organisation amerikanischer Staaten) verbündet. Sie verfügt außerhalb ihres Hoheitsgebietes über rund 400 wichtige militärische Basen in aller Welt, vor allem im asiatischen Raum (z.B. Philippien), und sie forciert gerade in jüngster Zeit - neben dem Zugewinn neuer Stützpunkte in Afrika (Ägypten, Somalia, Kenia, Sudan, Marokko) und dem Nahen Osten (Saudiarabien, Oman) - den Ausbau bzw. die Modernisierung ihrer weltweiten militärischen Infrastruktur. Buchstäblich in die Zange genommen wird der Ostblock allerdings durch die neuen Operationen, die sich direkt an seinen Grenzen abspielen.

Der bedrohliche Würgegriff reicht von der Ausrüstung Westeuropas mit Präzisions- und Erstschlagwaffen über den Ausbau des "NATO- Flugzeugträgers" Türkei zum neuen "imperialistischen Kettenhund" anstelle des Iran bis zur Bildung eines Oberkommandos Südwest- Asien, das die Region von Ägypten bis Pakistan beherrscht und den Persischen Golf mit einschließt. Die Einkreisung setzt sich fort in Japan, das sich voll in die NATO- Strategien integriert hat, d.h. im Kriegsfall die Ausgänge aus dem Japanischen Meer vermint, um die sowjetische Flotte bei Wladiwostok einzuschließen, amerikanische F- 16 Kampfflugzeuge stationiert und gemeinsam mit den USA gegenüber Sadchalin - dem strategischen Zentrum der Sowjetunion - auf Hokkaido Landmanöver trainiert. In dieser Front wird neuerdings auch China - zumindest als Horchposten, aber auch über Technologie- und Waffenlieferungen - eingebunden.


[Zurück zum Inhaltsverzeichnis]   [weiter]

MAIL
http://www.freilassung.de/div/texte/rz/zorn/Zorn40e.htm