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Früchte des Zorns

TitelblattKrieg - Krise - Friedensbewegung

In Gefahr und höchster Not bringt der Mittelweg den Tod

Dezember 1983


Imperialismus und 3. Welt: der Bankrott nationaler Entwicklungsmodelle

Während die Mehrheit der Friedensbewegung von der Angst umgetrieben wird, sie selbst, "unser" Land, ja ganz Europa könne Schlachtopfer im "Kampf der Supermächte" werden, hat die radikale Linke immer wieder versucht, diese eurozentristische und rassistische Einengung zu durchbrechen und die Kriege, Völkermord- und Vernichtungsstrategien ins Bewußtsein zu rücken, die der Imperialismus mitten im "40jährigen Frieden" in ununterbrochener Folge an den Völkern der 3. Welt exekutiert hat. Diese richtige Diskussion über die trikontinentale Dimension der neuen NATO- Strategien rückte gleichzeitig die Stationierung in ein FSLNanderes Licht. Sie war Beweis für die aggressive Gegenoffensive des - durch Vietnam, "Ölkrise" [17], Iran, Nicaragua usw. - in seiner Vormachtstellung bedrängten US- Imperialismus, der überall, wo er in dieser Welt auf seine Grenzen stößt, die Sowjetunion als Drahtzieher ausmacht und diese mit seinen qualitativ neuen Waffensystemen nun zwingen will, die Unterstützung nationaler Befreiungsbewegungen in der 3. Welt einzustellen. Es ist unbestritten, daß die Voraussetzungen für die trikontinentalen Befreiungskämpfe ohne die Sowjetunion denkbar schlechter wären und allein schon die Existenz einer konkurrierenden Großmacht direkte militärische Intervention der imperialistischen Staaten riskanter macht. Trotzdem ist die Neutralisierung der Sowjetunion unserer Meinung nach nicht der Hauptzweck der "Nachrüstung". Ob "angeschlagen" oder "führungsschwach", die wirtschaftliche, politische und militärische Potenz des imperialistischen Lagers gibt ihm auch ohne "Nachrüstung" die Macht, den Völkern Asiens, Afrikas und Lateinamerikas seine zerstörerischen Ausbeutungs- und Vernutzungsbedingungen aufzuherrschen bzw. die Früchte ihrer schwer erkämpften Siege so bitter zu machen und zu vergiften - ein Erbe, mit dem z.B. Vietnam auf Generationen zu kämpfen hat.

Die überwiegende Mehrheit der Länder der 3. Welt ist heute durch die Metropolen in einem Ausmaß ruiniert, das zur Verzweiflung treiben kann. Meist ist die Selbstversorgung dieser Völker so umfassend zerstört worden, daß sie zu ihrem physischen Überleben auf Nahrungsmittelimporte aus den Zentren angewiesen sind. Die Zerstörung der Subsistenzwirtschaft war von Anfang an erklärtes Ziel der imperialistischen Entwicklungsstrategie. So beklagt die Trilaterale auf ihren Weltwirtschaftsgipfeln unter dem Stichwort "Welthungerkatastrophe" keine Fehlentwicklung, sondern kann sich bescheinigen, auf ganzer Linie erfolgreich gewesen zu sein. Ebenso wenig hatten die verschiedenen nationalen Entwicklungsmodelle jemals eine Chance. Beschränken wir uns auf die wichtigsten, das Model "Handelsnation", das vornehmlich Afrika beherrscht und das Modell "Schwellenland", von dem sich die AKP- Staaten (Asien/Karibik/Pazifik [18]) einen Ausweg aus der Misere versprochen haben.

Die afrikanischen Handelsnationen - als Erben monokultureller Zurichtung während der Kolonialzeit - forcieren bekanntlich den Export landeseigener Naturalien und Rohstoffe auf Kosten der nationalen Selbstversorgung in der Hoffnung, auf diese Weise an Devisen als Voraussetzung nationaler Reichtumsakkumulation zu kommen. Da ihre Exporte jedoch keinem nationalen Überschuß entspringen, können sie auf dem Weltmarkt dafür keine Preise verlangen, die den Gestehungskosten entsprechen. Der Preis wird ihnen demnach von den Abnehmern diktiert, also auf den Spekulationsmärkten der Warenbörsen in den imperialistischen Zentren festgesetzt. Die afrikanischen Länder haben von sich aus keinerlei Druckmittel in der Hand. Sie können nicht mit Boykott drohen, sondern müssen im Gegenteil um die Abnehmer ihrer Naturalien noch untereinander konkurrieren. Daß auf diese Weise ihre Handelsbilanzen ins Bodenlose versinken und die Länder mit ihnen, ist - wie gesagt - keine beklagenswerte Fehlentwicklung, sondern das Ziel der "Entwicklung zur Unterentwicklung" (Amin/Frank). Vor allem lateinamerikanische Staaten wie Mexiko, Argentinien und Brasilien haben versucht, als sogenannte Schwellenländer aus der monokulturellen Zurichtung für den Imperialismus durch eine eigenständige Industrialisierung herauszukommen (darauf gründet sich der Mythos des "Peronismus" [19] und daran scheiterte er auch). Die Erfahrung, daß das Nachholen der ursprünglichen Akkumulation im Rahmen eines durchkapitalisierten Weltmarktes nicht möglich ist bzw. nicht zugelassen wird, bezahlen diese Länder heute mit ihrem realen - wenn auch nicht formellen - Bankrott. Da sie eine einheimische Industrie nicht mit akkumuliertem Kapital, sondern nur über Verschuldung aufbauen konnten, war der ganze Rattenschwanz von Inflation, Spekulantentum und letztendlich ihre Kolonisierung unter das imperialistische Kreditsystem bereits vorprogrammiert. Schon längst sehen sie sich wieder gezwungen - in Konkurrenz mit den "Habenichtsen" dieser Welt - ihren Gläubigern Land und Leute als "freie Produktionszonen" [20] zum Ausverkauf anzudienen bzw. sich als Militärbasen und "Stabilisierungsfaktoren" in ihrer Region anzubieten.

Es scheint so, als seien diese ruinösen Formen postkolonialer Zurichtung und Auspressung der 3. Welt für den Imperialismus unter dem Gesichtspunkt der Kapitalverwertung nicht mehr wesentlich steigerbar. Ein erstes Fazit daraus hat der Wirtschaftsgipfel in Cancun gezogen, auf dem die westlichen Staaten mit der ihrer Macht eigenen Zynik an die Adresse der 3. Welt erklärten, daß sie von nun an nichts mehr zu verschenken haben, daß keine übergebührlichen Rücksichten mehr genommen werden können und eine grundsätzliche Revision und Limitierung ihres- viel zu großzügig vergebenen - Kreditvolumens anstehe.

Die Daumenschrauben werden immer enger angezogen und die brutalen Auswirkungen dieser endgültigen wirtschaftlichen Ruinierung sind in ihrem Ausmaß überhaupt nicht absehbar. Hungerrevolten wie in Brasilien sind sicherlich erste Vorboten. Der forcierte Nationalismus, dieses zweischneidige Erbe der Entkolonialisierung, der so lange nationale Eliten und Unterklassen zusammengeschmiedet hat, wird als Klammer offensichtlich brüchig. Dies beschwört einerseits die Gefahr von Kriegen herauf; der Krieg am Golf und das Malvinenabenteuer der argentinischen Generäle müssen auch als Versuch verstanden werden, die jeweiligen Nationen hinter sich zusammenzubringen. Auch die neuerdings hervorgebrachte Kritik der einheimischen Eliten am "mörderischen Diktat des IWF" entspringt sicher nicht nur lauter Empörung, sondern auch der Absicht, sich selbst als Beteiligte und Nutznießer an der Ruinierung ihrer Völker aus der Schußlinie zu bringen.

BrixtonViel wichtiger ist jedoch, daß in den neuen Revolten [21], die in den Slums und Elendsquartieren der 3. Welt gären, die Frage anders gestellt wird. Es geht nicht mehr um trügerische nationale Souveränität, an die sich so viele Hoffnungen knüpften, die den Massen aber meist nichts einbrachte außer einem Staat, der nur kostete und den sie nicht brauchen, einer Armee, Verwaltung, Wahlen, Kleinfamilie usw. - alles Dinge, die kein Mensch braucht und eine Bäuerin oder ein Arbeiter in der 3. Welt schon gar nicht. Was sie brauchen, nämlich die stofflichen Grundlagen für ein menschenwürdiges und gutes Leben, hat ihnen die nationale Befreiung allein nirgends gebracht. Die von den nationalen Eliten betriebenen Entwicklungsmodelle sind auf ihrem Rücken und auf ihre Kosten organisiert worden. Die Massenaufstände und Hungerrevolten machen neue Fronten auf: interne Klassenfronten gegen die einheimischen Eliten um menschenwürdige Lebensbedingungen und soziale Gerechtigkeit.

Der Bankrott der "Schwellenländer" - jenes verheißungsvollen und trügerischen Entwicklungsmodells, mit dem der Imperialismus die "fortgeschrittenen" Länder der 3. Welt ködern konnte, weil sie sich davon die Aufnahme in den Reigen der Industrienationen versprachen - wird weitreichende Konsequenzen haben. Vor dem Hintergrund ihres Ruins wird eine ganz neue Attraktivität von Ländern wie Kuba, Nicaragua oder Vietnam ausstrahlen, Länder, wo nationale mit sozialer Befreiung verknüpft wurde, wo niemand mehr hungert, ärztliche Versorgung für alle gewährleistet ist, die Menschen lesen und schreiben lernen. Gemessen an den ruinösen Lebensbedingungen der Massen in der 3. Welt sind dies äußerst erstrebenswerte Verhältnisse. Der militärische Überfall auf Grenada22, der Abnutzungskrieg an den Grenzen Nicaraguas, die eskalierenden Interventionen in Salvador sind Indiz dafür, daß der Imperialismus um diese Dynamik weiß und sie mit aller Macht zu zerschlagen versucht.

Es zeichnet sich ab, daß die Konsolidierung sozialer Befreiungen in den Ländern der 3. Welt immer aktueller an die Bedingungen des Kampfes gegen den Imperialismus in den Metropolen gebunden ist. Nur in der Gleichzeitigkeit der Kämpfe in den Zentren wie in den Ländern der 3. Welt begründet sich die Hoffnung, daß der erreichte Stand sozialer Befreiung in Nicaragua, in Kuba usw. nicht einem neuerlichen Vernichtungsfeldzug des Imperialismus zum Opfer fällt, sondern zum Orientierungspunkt der Befreiungsbewegungen der ganzen Welt wird.


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