|
Revolutionärer
Zorn Nr. 6 - Januar 1981
Wahlkampf mit Toten
Nur wenige Wochen nach dem Münchner Attentat vom 26.9.80 muß
daran erinnert werden: es fand ein Anschlag statt, bei dem 13 Menschen
ums Leben gekommen sind und 200 verletzt wurden. Niemand will so
recht darüber nachdenken, es werden keine öffentlichen
Diskussionen über Motive, Hintergründe oder Ziel des Anschlages
geführt. Niemand fragt oder ist neugierig. Fast ist es so,
als ob dieser Anschlag nicht stattgefunden habe.
Jedenfalls wissen wir nun, wie es passieren kann, daß niemand
etwas von den Konzentrationslagern wußte. Es ist nachvollziehbar
geworden, daß sich Leute beim Anblick von Güterzügen
mit Menschen nichts Böses denken wollten.
Dabei ist nicht zu klagen über die Propaganda, die vielen
Lügen und Halbwahrheiten. Wer wissen und klären will,
d.h. wer sich aus der Verantwortung für gesellschaftliche Entwicklungen
nicht hinausbegeben will, kann sich aus der bruchstückhaften
Darstellung in den bürgerlichen Zeitungen ein Bild zusammensetzen
oder die Fragen stellen, auf die es bisher noch keine Antworten
gibt.
Die Haltung des Verdrängens und Nichtwissenwollens macht aus
dem Münchner Anschlag Schicksal. Es ist aber unsere Aufgabe,
Geschichte zu machen, es nicht als unbegreiflich abzuhaken, sondern
seine Strukturen zu begreifen, das Münchner Attentat nicht
als monströs zu mystifizieren, wo es neue Fragen auf die Tagesordnung
setzt.
Wenn wir Fragen stellen und Vermutungen äußern, haben
wir damit noch nicht eine Antwort gefunden. Aber wir schaffen uns
die Möglichkeit, nicht nur zu erstarren, zu verdrängen,
zu vergessen, sondern zu begreifen und zu handeln.
Der Anschlag wurde benutzt, um eine Stimmung zu erzeugen, in der
Strauß noch die Bundestagswahlen gewinnen sollte. Anders als
bei den Aktionen revolutionärer Gruppen in den letzten zehn
Jahren war dieser Anschlag darauf gerichtet, eine Kräfteverschiebung
innerhalb des herrschenden Machtblocks zu bewirken. Die CDU/CSU
nutzte diesen Anschlag für ihren Wahlkampf, der bereits vorher
mit dem Schwerpunkt Innen- und Sicherheitspolitik geführt worden
war. Strauß nur wenige Stunden nach dem Anschlag: "Ja,
Herr Baum [48] hat
schwere Schuld in zweierlei Hinsicht auf sich geladen. Erstens durch
die ständige Verunsicherung der Sicherheitsdienste, die sich
ja heute nicht mehr trauen, im Vorfeld aufzuklären und den
potentiellen Täterkreis festzustellen. Zweitens durch die Verharmlosung
des Terrorismus." Der "Spiegel" zitiert Strauß
mit dem Vorschlag: "Man muß jetzt ein Flugblatt verfassen,
was nur zeigt: Baum im Gespräch mit Mahler." Strauß,
Tandler [49] und die
anderen Figuren reagieren genau in der Logik des Anschlages. Dies
begründet keine Verantwortlichkeit, ist aber allein bereits
ein neues Phänomen der bundesdeutschen Geschichte. Die vielbeschworene
"Solidarität der Demokraten", die bislang gegenüber
dem "Terrorismus" galt, meinte zunächst nichts anderes,
als daß die bürgerlichen Parteien auf die legalisierten
und institutionalisierten, zumindest aber auf nachträglich
legalisierbare Formen der Gewalt vertrauen und für sich darauf
verzichten, aus der Auseinandersetzung mit dem revolutionären
Widerstand politisches Kapital zu schlagen. Die Reaktion von CDU,
vor allem aber der CSU, setzt diese Übereinstimmung zumindest
im zweiten Teil außer Kraft. Die Defensive des Strauß-
Flügels nach der Bundestagswahl, die Annäherung der CDU
an SPD/FDP- Positionen, - selbst da, wo sie bis jetzt noch nicht
übereingestimmt haben - soll nicht darüber hinwegtäuschen,
daß dieses politische Potential in CDU/CSU groß ist,
daß es starke Strömungen in diesen Parteien gibt, die
an einen Wahlsieg nur bei einer außerordentlich zugespitzten
Krisensituation glauben, in der die staatlichen Gewaltapparate nicht
mehr funktionieren. Wer aber in dieser Art und Weise politische
Leichenfledderei betreibt, hat grundsätzlich auch ein Interesse
an solchen Situationen.
Tatsächlich finden sich aber auch zahlreiche Indizien, die
gegen die öffentlich verbreiteten Tatversionen sprechen und
eine Beteiligung/ Kontrolle/ Mitwissen von Teilen des Sicherheitsapparates
und/ oder einzelnen Repräsentanten von CDU/CSU möglich
erscheinen lassen.
Seit Monaten war besonders in der Springer- Presse auf einen bevorstehenden
Anschlag der RAF "in den Dimensionen von Schleyer" hingewiesen
worden. Seit Ende August "häuften sich die Hinweise".
So wurde der Boden bereitet für Informationen über die
Observation von Christian Klar [50]
und Adelheid Schulz [51]
und das "Versagen" der Sicherheitsorgane. [52]
Einer der überführten Informanten der "Welt"
war CSU- Zimmermann, immerhin ein Mitglied des Innenausschusses.
Wenn also zusätzlich zu den Spekulationen über einen Anschlag
solche hochwertigen Informationen verbreitet werden, werden dadurch
nicht nur die spekulativen Teile der psychologischen Vorbereitung
glaubwürdiger, sondern es wird eine Stimmung provoziert, in
der bei einem tatsächlich erfolgten Anschlag jedem der Täter
sofort klar sein muß. So kam der "Spiegel" drei
Wochen vor dem Münchner Attentat zu der Einschätzung:
"Was sich zunächst wie ein Zufallsvorteil der Unionsparteien
im Wahlkampf ausnahm - jene erste Veröffentlichung in der "Welt"
über eine angebliche "Fahndungspanne" - ist Teil
einer von langer Hand vorbereiteten Kampagne."
Diese Kampagne gegen das "Sicherheitsrisiko" Baum (ein
Euphemismus, der den Rechten wirklich nicht zusteht) konnte so nach
dem Münchner Anschlag bruchlos fortgesetzt werden. Der wochenlangen
Hysterisierung folgte das Attentat. Nicht nur die Reaktionen von
Strauß und Tandler - zufälligerweise inmitten der heißen
Wahlkampfphase schnell erreichbar und in München - gingen in
die psychologisch so lange vorbereitete Richtung. Samstag morgen
war in französischen und italienischen Zeitungen zu lesen:
"München: Baader- Meinhof?".
Wir haben uns abgewöhnt, so etwas für Zufall zu halten.
Eine über Wochen andauernde Propaganda von rechts warnte vor
einem blutigen Anschlag vor der Wahl, unkte über "Tote
im Wahlkampf" und versuchte, durch die Veröffentlichung
wichtiger Informationen glaubwürdig zu werden. Auch das "timing"
der Aktion war so angelegt, daß in der kurzen Zeit bis zur
Bundestagswahl eine Aufklärung kaum möglich gewesen wäre.
Nur der Tod Köhlers verhindert - wie es sonst sicher geschehen
wäre - , daß der RAF oder einer anderen revolutionären
Gruppe diese Aktion in die Schuhe geschoben wird. Der Tod und die
rasche Identifizierung Köhlers bringen die bereits intensivierte
Kampagne gegen Baum, die Sicherheitspolitik der SPD/ FDP- Regierung
und Mutmaßungen über die Verantwortlichkeit linker Gruppen
zu einem schnellen Ende.
Den Verantwortlichen im bayrischen Sicherheitsapparat, vollständig
verflochten mit der CSU, ist ab Samstag mittag klar, daß durch
den Tod und die Identifizierung Köhlers der Münchner Anschlag
zu einem Bumerang für Strauß werden kann. Tandler legte
sich so auf die Position fest, Köhler sei ein spinnerter Einzelgänger
gewesen, eben ein Einzeltäter, der durch die allgemeine Verharmlosung
des Terrorismus zu seiner Tat getrieben worden sei.
Tandler - und das heißt, die Verantwortlichen im bayrischen
Innenministerium und Sicherheitsapparat - geht dabei so weit, die
Ermittlungstätigkeit von Bundesanwaltschaft und BKA zu behindern.
Der Justizminister am 9. Oktober (nach der Wahl!) in der "Frankfurter
Rundschau": "Tandler habe die verantwortungsvolle Zusammenarbeit
der für die innere Sicherheit zuständigen Organe gestört
und auch die Ermittlungen im konkreten Fall erschwert."
Es ist naheliegend, daß Tandler die politische Motivation
Köhlers und seine Zusammenhänge leugnen muß. Die
in den nachfolgenden Tagen und Wochen verbreiteten Hinweise auf
die Infiltration der faschistischen Gruppen und den Staatssicherheitsdienst
der DDR bzw. auf Kontakte der Hoffmann- Gruppe [53]
zur PLO sind durchsichtige Ablenkungsmanöver.
Die Bundesanwaltschaft sowie die der SPD/FDP nahestehende Presse
vermuten dagegen einen Gruppenzusammenhang, aus dem heraus dieser
Anschlag durchgeführt wurde, sowie Verbindungen Köhlers
zu faschistischen Gruppen wie z.B. der Wehrsportgruppe Hoffmann.
Es gibt zahlreiche Hinweise und Zeugenaussagen über Personen,
mit denen Köhler in der Nähe des Explosionsortes gesehen
wurde:
- Da ist die Rede von 2 kurzhaarigen jungen Männern mit
Bundeswehrparka und aufgenähten deutschen Flaggen;
- Ein schwarzhaariges junges Mädchen wird in der Nähe
des Tatortes mit Köhler gesehen;
- Zehn Minuten vor der Explosion wurde eine weiße Leuchtkugel
und Sekunden vorher eine rote Leuchtkugel in unmittelbarer Nähe
des Explosionsortes beobachtet;
- Einige der Verletzten sagten aus, sie hätten unmittelbar
vor der Explosion einen Mann sich mit Köhler über eine
weiße Plastiktüte beugen sehen, der dann schnell weglief.
Trotz der Vielzahl von Zeugen ist bis heute keine dieser Person
identifiziert. Zum Vergleich sei nur darauf hingewiesen, wen die
Bundesanwaltschaft bei der Entführung Schleyers in Köln
"einwandfrei identifiziert" haben will, obwohl es da nicht
einen einzigen Zeugen gab.
Auf jeden Fall muß von einer Gruppe von Leuten ausgegangen
werden, die für diese Aktion verantwortlich ist.
Bundesanwaltschaft, "Stern" und "Spiegel" dokumentieren
schnell, materialreich und einleuchtend eine Vielzahl von Hinweisen,
aus denen die Kontakte Köhlers zur Hoffmann- Gruppe, die Bewaffnung
der Hoffmann- Gruppe, deren Vorstellungen und internationale Verbindungen
hervorgehen. Es handelt sich hierbei nicht um eine falsche Spur,
von den wesentlichen Fragen lenken diese Hinweise dennoch ab. Die
publizierten Fakten sind im übrigen seit Jahren bekannt und
immer wieder in Zeitungen der DKP und dem Arbeiterkampf veröffentlicht
worden. Entscheidend ist z.B., daß ausländische faschistische
Gruppen selbst vielfältig mit Teilen der staatlichen Sicherheitsapparate
ihrer Länder verflochten sind und ihre Aktionen Teil von Strategien
institutioneller Machtverschiebung oder geheimdienstlicher Mordaktionen
gewesen sind. So sind 20% der französischen FANE Polizisten,
die Identität der spanischen "Christkönigskrieger"
mit den Kommandos des spanischen Geheimdienstes ist bekannt; die
Zusammenarbeit der protestantischen Terrororganisationen in Nordirland
mit der SAS und Polizei ist ebenso dokumentiert wie die Verwicklung
italienischer Dienste in faschistische Aktivitäten. So lächerlich
also die Einzeltäterthese Tandlers ist, so vordergründig
ist der Versuch, die Verantwortlichkeit allein den faschistischen
Gruppen zuzuschieben.
Die faschistischen Gruppen sind in großem Ausmaß von
den Sicherheitsdiensten infiltriert und kontrolliert. In allen diesbezüglichen
Prozessen der letzten Zeit erwiesen sich Angeklagte, Hauptbelastungszeugen
oder Waffenlieferanten als Mitarbeiter des Verfassungsschutzes oder
der Landeskriminalämter. So entpuppte sich bei einem Faschistenprozeß
in Braunschweig der 37jährige Hans- Dieter Lepzien nicht nur
als Bombenbauer, Sprengstoffeinkäufer und Initiator "größerer
Dinge", sondern auch als Mitarbeiter des niedersächsischen
Verfassungsschutzes. Erstaunlich genau und schnell - also informiert
- wurde nach dem Hamburger Anschlag auf ein Ausländerheim die
Gruppe von Roeder, immerhin verteilt auf mehrere Städte im
gesamten Bundesgebiet, abgeräumt.
Es ist nicht übertrieben, davon auszugehen, daß im faschistischen
Untergrund nichts Wesentliches passiert, ohne daß es die Bullen
mitbekommen. Ausgerechnet nun, bei dem größten und folgenreichsten
Anschlag, soll dies anders gewesen sein. Sollte diese Aktion tatsächlich
von einer faschistischen Gruppe durchgeführt worden sein, so
ist darüber zuvor geredet, diskutiert und entschieden worden.
So etwas wird nicht von ein oder zwei Leuten gmeacht. Es muß
davon ausgegangen werden, daß Sicherheitsdienste von solchen
Diskussionen erfahren haben, als sie stattgefunden haben. Rebmann
hat Mitte November verlauten lassen, daß ihnen nunmehr bekannt
sei, daß "Köhler in einem nicht näher beschriebenen
Kreis im Zusammenhang mit der Bundestagswahl Möglichkeiten
für einen Anschlag - so unter anderem ein Attentat auf dem
Oktoberfest - diskutiert habe." (Frankfurter Rundschau, 14.11.80).
Zweifel an der Verantworlichkeit der faschistischen Gruppen weckt
für uns auch die Art des Anschlages. Die BRD ist nicht Italien,
wo solchen Anschläge und die "Strategie der Spannung"
eine ganz andere Tradition haben bzw. immer schon Mittel der Innenpolitik
gewesen sind. Der Münchner Anschlag entspricht nicht dem, was
die Faschisten im letzten Jahr gemacht haben. Sie haben sich an
die ausländerfeindliche Stimmung angehängt und vereinzelt
antisemitische Aktionen wie auch solche gegen Linke und die DDR
gemacht. Der Münchner Anschlag steht jedenfalls in keinem erklärbaren
Verhältnis zu den sonstigen Aktionen.
Aufschlußreich ist auch, daß zu wesentlichen Einzelpunkten
der Ermittlungen bisher noch keine endgültigen Erklärungen
abgegeben wurden. Während nach Aktionen von RAF oder RZ bis
in die kleinsten Einzelheiten Waffen, Munition, Zündmechanismen,
Vorgehensweisen erörtert wurden, fehlen im Fall des Münchner
Attentats bisher plausible Erklärungen
- zur Herkunft der Bombe bzw. Granate und ihre Beschaffenheit
- zur Beschaffenheit des Zündmechanismus
- zur vorzeitigen Explosion.
Bombe und Zünder: militärisches Material
Zur Beschaffenheit der Bombe wurde extrem Widersprüchliches
verbreitet. Während im "Stern" vom 9.10. "Sprengstoffexperten
des BKA" erklären: "Hier haben Fachleute den Sprengkörper
vorher zerlegt und mit zusätzlichen Metallteilen gefüllt,
um die Splitterwirkung bei der Explosion zu erhöhen",
liest es sich in der "Zeit" ganz anders: "Der Typ
der britischen Mörsergranate, die Köhler benutzte, wurde
bis 1970 bei der Rheinarmee gelagert. Der Attentäter hatte
einen eigenen Zünder eingebaut, die Granate in einen Feuerlöscher
gesteckt, in den er Soll- Bruchstellen gefräst hatte, um damit
die Sprengwirkung zu erhöhen."
Ebenfalls die "Zeit" hat in einer kleinen Notiz die bisher
einzige halbwegs nachvollziehbare Erklärung zur Beschaffenheit
und vorzeitigen Explosion des Zünders geliefert. Danach hat
Köhler offensichtlich einen Handgranatenzünder mit einer
Normalverzögerung von 20 Sekunden benutzt. Grund der vorzeitigen
Explosion war nach Vermutungen der "Zeit", daß die
Zündschnur brüchig war und dadurch ohne Verzögerung
explodierte. Auch dies ist keine endgültige Erklärung,
denn eine brüchige Zündschnur funktioniert im Normalfall
überhaupt nicht. Völlig ungeklärt ist bis heute,
wie Köhler an Granate und Zünder gekommen ist. In 2 Fällen
wurden Nazis, bei denen typengleiche Mörsergranaten gefunden
wurden, wieder freigelassen. Im ersten Fall handelt es sich um einen
der zunächst festgenommenen Hoffmann- Leute. Im anderen um
einen Karl- Heinz D. aus Düsseldorf, in dessen Wohnung ein
umfangsreiches Waffenlager gefunden wurden, darunter sieben Granaten
vom Kaliber 10,7 cm. Es ist nicht falsch, davon auszugehen, daß
es sich bei diesem Menschen um einen bekannten Waffenlieferanten
der faschistischen Szene, aber gleichzeitig um einen mit den Bullen
kooperierenden Informanten handeln muß. Anders ist seine umgehende
Freilassung nicht zu verstehen. Die Bestandteile der Bombe und der
Zünder verraten eine deutlich militärische Prägung.
Die durch den Zündmechanismus notwendige Art der Zündung
ist die des heroischen militärischen Einzelkämpfers, bei
dem es nicht darauf ankommt oder sogar gewünscht ist, daß
der Bombenwerfer von Hunderten von Leuten gesehen wird.
Das militärische Material und die damit notwendige Form der
Aktion passen ganz und gar nicht dazu, wie uns Köhler geschildert
wird und was wir von seinem Leben erfahren haben. Köhler wird
als Einzelgänger beschrieben, als kontaktarm, schüchtern,
unselbständig. Als 21jähriger wohnt er noch bei seinen
Eltern. Sein Vater, CSU- Mitglied und früherer Bürgermeister
des Ortes, war Respektsperson.
In einer Erklärung wiesen seine Eltern im übrigen darauf
hin, daß Köhler seit fünf Jahren keinen Kontakt
mit Hoffmann gehabt habe.
Wie könnte es gewesen sein?
Wir halten es nicht für ausgeschlossen, daß Köhler
gezielt von Mitarbeitern eines Sicherheitsdienstes angesprochen
und geführt wurde. Dem MAD war bekannt, daß Köhler
den Kontakt mit Hoffmann gesucht hatte, um eine eigene örtliche
Wehrsportgruppe zu gründen und sich bei Sprengstoffexperimenten
verletzt hatte. Die Isolation Köhlers und seine autoritäre
Struktur, sein blinder Tatendrang machen ihn zu einer idealen Zielperson
für eine nachrichtendienstliche Operation und anfällig
für eine weitergehende Funktionalisierung. Es ist durchaus
möglich, daß Köhler von einem Sicherheitsdienst
angemacht und benutzt wurde, ohne daß er es bemerkte. Man
kennt solche Fälle, wo auf der "Kameradenebene" mit
staatlichen Mitarbeitern verkehrt wird.
Es mag sein, daß Köhler zunächst nur mit dem Ziel
angesprochen wurde, über ihn einen weiteren Einstieg in die
faschistische Szene zu haben. Eine Aktion wie das Münchner
Attentat ist sicher nicht von dem gesamten Apparat eines Dienstes
getragen worden. Vielleicht gibt es inzwischen beim BND, MAD oder
Verfassungsschutz eine "Abteilung für unkonventielle Methoden"
- wie die Mordabteilung früher bei der CIA genannt wurde.
Wir halten es jedoch für wahrscheinlicher, daß sich
rechte und faschistoide Bullen von ihrem Apparat und der "rechtsstaatlichen
Tour" eines Herold verselbständigen und Privatpolitik
betreiben. Diese Sorte von Bullen hat sich besonders in dem in der
Nähe von München ansässigen BND sowie dem sonstigen
bayrischen Staatsschutz gesammelt.
Es ist nicht auszuschließen, daß auf einer informellen
Ebene Kontakte zwischen Leuten aus dem Sicherheitsbereich und einzelnen
Politikern stattgefunden haben, bei denen angedeutet wurde, daß
"da was laufen wird". Das "Timing" der Hysteriekampagne,
die Konzentrierung des Wahlkampfes auf Baum,. der Zeitpunkt des
Anschlages und die ersten Reaktionen der Politgangster sprechen
zumindest für eine gewisse Koordinierung. Das ausschlaggebende
Motiv für Köhler, seine Kontaktleute, Bullen und Politiker
wird die Einsicht gewesen sein, daß nur noch eine solche Aktion
den Wahlsieg von Strauß möglich macht, daß darüber
hinaus auch langfristig eine offen reaktionäre Position sich
nur dann durchsetzen kann, wenn das innenpolitische Klima verändert
wird.
Fassen wir zusammen:
- Strauß und führende Mitglieder der CSU reagieren
in der politischen Logik dieses Anschlages.
- Von langer Hand war eine Kampagne geführt worden, die auf
eine große Terroraktion vorbereitete.
- Nur der Tod Köhlers und seine sofortige Identifizierung
verhindern, daß dieser Anschlag linken Gruppen in die Schuhe
geschoben wird, wie es geplant war.
- Die bayrischen Behörden behindern die Ermittlungen und
vertreten die These, Köhler sei ein Einzeltäter gewesen.
- Es gibt erhebliche Zweifel an der alleinigen Verantwortlichkeit
faschistischer Gruppen.
- Herkunft von Bombe und Zünder sind nicht geklärt.
- Köhler war eine Figur, die sich für eine nachrichtendienstliche
Operation geradezu anbot; dies würde auch den Widerspruch
von Köhlers Persönlichkeit und der Art der Aktion erklären
helfen.
Natürlich sind ein großer Teil unserer Überlegungen
spekulativ, aber die Wirklichkeit hat in den vergangenen Jahren
regelmäßig unsere schlimmsten Vorstellungen übertroffen.
Die der CSU und Strauß nahestehenden Kräfte würden
damit eine Entwicklung nachvollziehen, die es in fast allen anderen
Ländern auch gegeben hat: die Verselbständigung staatlicher
Politiker, die Strategie der Angst und Spannung, die Entwicklung
von Terrorkommandos aus dem Polizeiapparat heraus. Wir halten eine
solche Entwicklung nicht für ausgeschlossen, sie ist in den
politischen Reaktionen auf den Münchner Anschlag bereits angelegt.
Die Warnung vor einer solchen Entwicklung soll nicht zu voreiligen
Schlüssen führen. Nach wie vor ist für die Entwicklung
eines revolutionären Widerstandes die von SPD/FDP und großen
Teilen der CDU betriebene Politik institutionalisierter Herrschaft
und verrechtlicher Gewalt von vorrangiger Bedeutung. Die Entwicklung
eines von Geheimdiensten organisierten und von parlamentarischen
Rechten propagandistisch genutzten sowie der außerparlamentarischen
Rechten konkret mitgetragenen Terrorismus würde sich in erster
Linie direkt gegen Linke richten und die politischen Bedingungen
weiter verschlechtern. Auch dies wäre jedoch eine Erscheinungsform
des Zerfalls des "Modell Deutschland".
Die Linke zu München: no future
Die Reaktion der deutschen Linken war schlimm, aber bezeichnend.
Während es in Italien und Frankreich zu breiten antifaschistischen
Mobilisierungen gegen den Staat kam, hat es in der BRD praktisch
keine Reaktionen gegeben. Wenn auch die Mobilierung in Italien und
Frankreich kein Maßstab sein kann, so sind doch das vollkommene
Schweigen hier, das Fehlen von wirklicher Betroffenheit, die Begriffslosigkeit,
das Verdrängen und Wegschieben ein Vorgang ohne Beispiel. Die
Taz - immer noch Ausdruck von vor allem Gefühlen, aber wenig
Gedanken eines Großteils der Linken - sitzt völlig der
Katastrophen- und Schicksalsstimmung, dem Gefühl teutscher
Götterdämmerung auf. Die einst von frankfurter und berliner
Spontikreisen geforderte Rückbesinnung auf den eigenen Bauch
findet in dieser Sprachlosigkeit ihren Endpunkt, symbiotisch verbunden
mit der Rückbesinnung auf die inneren Werte der Pornographie.
[55] Das "Blatt"
in München stand ehrlich, aber dennoch kokettierend mit unbedruckten
Seiten zu seiner Ratlosigkeit. Schlimm ist es dennoch, wenn Peter
Schult [57], der es
wie die anderen besser wissen müßte, zunächst die
RAF als Urheber des Anschlages befürchtet (Taz) und damit sicherlich
nicht allein steht. Das völlige Versagen dieser Linken ist
auch ein Resultat ihres wutschnaubenden Feldzuges der Jahre 76-
78 gegen RAF und RZ. In der Stunde des beginnenden wirklichen Terorismus
sind sie stumm und durch die bürgerliche Propaganda konditioniert.
Wer sich so - wie es in der Linken, der Scene stattgefunden hat
- Denken, Fragen und Protestieren verbietet, hätte sich vor
40 Jahren auch nur in die innere Emigration begeben und die Haustür
den Antifaschisten, Juden, Schwulen und Zigeunern verschlossen.
Die 68er- Generation hat endlich zu ihren Eltern und Großeltern
aufgeschlossen.
[Zurück zum Inhaltsverzeichnis] [weiter]
|