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Früchte des Zorns

TitelblattRevolutionärer Zorn Nr. 6 - Januar 1981


Wahlkampf mit Toten

Nur wenige Wochen nach dem Münchner Attentat vom 26.9.80 muß daran erinnert werden: es fand ein Anschlag statt, bei dem 13 Menschen ums Leben gekommen sind und 200 verletzt wurden. Niemand will so recht darüber nachdenken, es werden keine öffentlichen Diskussionen über Motive, Hintergründe oder Ziel des Anschlages geführt. Niemand fragt oder ist neugierig. Fast ist es so, als ob dieser Anschlag nicht stattgefunden habe.

Jedenfalls wissen wir nun, wie es passieren kann, daß niemand etwas von den Konzentrationslagern wußte. Es ist nachvollziehbar geworden, daß sich Leute beim Anblick von Güterzügen mit Menschen nichts Böses denken wollten.

Dabei ist nicht zu klagen über die Propaganda, die vielen Lügen und Halbwahrheiten. Wer wissen und klären will, d.h. wer sich aus der Verantwortung für gesellschaftliche Entwicklungen nicht hinausbegeben will, kann sich aus der bruchstückhaften Darstellung in den bürgerlichen Zeitungen ein Bild zusammensetzen oder die Fragen stellen, auf die es bisher noch keine Antworten gibt.

Die Haltung des Verdrängens und Nichtwissenwollens macht aus dem Münchner Anschlag Schicksal. Es ist aber unsere Aufgabe, Geschichte zu machen, es nicht als unbegreiflich abzuhaken, sondern seine Strukturen zu begreifen, das Münchner Attentat nicht als monströs zu mystifizieren, wo es neue Fragen auf die Tagesordnung setzt.

Wenn wir Fragen stellen und Vermutungen äußern, haben wir damit noch nicht eine Antwort gefunden. Aber wir schaffen uns die Möglichkeit, nicht nur zu erstarren, zu verdrängen, zu vergessen, sondern zu begreifen und zu handeln.

Der Anschlag wurde benutzt, um eine Stimmung zu erzeugen, in der Strauß noch die Bundestagswahlen gewinnen sollte. Anders als bei den Aktionen revolutionärer Gruppen in den letzten zehn Jahren war dieser Anschlag darauf gerichtet, eine Kräfteverschiebung innerhalb des herrschenden Machtblocks zu bewirken. Die CDU/CSU nutzte diesen Anschlag für ihren Wahlkampf, der bereits vorher mit dem Schwerpunkt Innen- und Sicherheitspolitik geführt worden war. Strauß nur wenige Stunden nach dem Anschlag: "Ja, Herr Baum [48] hat schwere Schuld in zweierlei Hinsicht auf sich geladen. Erstens durch die ständige Verunsicherung der Sicherheitsdienste, die sich ja heute nicht mehr trauen, im Vorfeld aufzuklären und den potentiellen Täterkreis festzustellen. Zweitens durch die Verharmlosung des Terrorismus." Der "Spiegel" zitiert Strauß mit dem Vorschlag: "Man muß jetzt ein Flugblatt verfassen, was nur zeigt: Baum im Gespräch mit Mahler." Strauß, Tandler [49] und die anderen Figuren reagieren genau in der Logik des Anschlages. Dies begründet keine Verantwortlichkeit, ist aber allein bereits ein neues Phänomen der bundesdeutschen Geschichte. Die vielbeschworene "Solidarität der Demokraten", die bislang gegenüber dem "Terrorismus" galt, meinte zunächst nichts anderes, als daß die bürgerlichen Parteien auf die legalisierten und institutionalisierten, zumindest aber auf nachträglich legalisierbare Formen der Gewalt vertrauen und für sich darauf verzichten, aus der Auseinandersetzung mit dem revolutionären Widerstand politisches Kapital zu schlagen. Die Reaktion von CDU, vor allem aber der CSU, setzt diese Übereinstimmung zumindest im zweiten Teil außer Kraft. Die Defensive des Strauß- Flügels nach der Bundestagswahl, die Annäherung der CDU an SPD/FDP- Positionen, - selbst da, wo sie bis jetzt noch nicht übereingestimmt haben - soll nicht darüber hinwegtäuschen, daß dieses politische Potential in CDU/CSU groß ist, daß es starke Strömungen in diesen Parteien gibt, die an einen Wahlsieg nur bei einer außerordentlich zugespitzten Krisensituation glauben, in der die staatlichen Gewaltapparate nicht mehr funktionieren. Wer aber in dieser Art und Weise politische Leichenfledderei betreibt, hat grundsätzlich auch ein Interesse an solchen Situationen.

Tatsächlich finden sich aber auch zahlreiche Indizien, die gegen die öffentlich verbreiteten Tatversionen sprechen und eine Beteiligung/ Kontrolle/ Mitwissen von Teilen des Sicherheitsapparates und/ oder einzelnen Repräsentanten von CDU/CSU möglich erscheinen lassen.

Seit Monaten war besonders in der Springer- Presse auf einen bevorstehenden Anschlag der RAF "in den Dimensionen von Schleyer" hingewiesen worden. Seit Ende August "häuften sich die Hinweise". So wurde der Boden bereitet für Informationen über die Observation von Christian Klar [50] und Adelheid Schulz [51] und das "Versagen" der Sicherheitsorgane. [52] Einer der überführten Informanten der "Welt" war CSU- Zimmermann, immerhin ein Mitglied des Innenausschusses. Wenn also zusätzlich zu den Spekulationen über einen Anschlag solche hochwertigen Informationen verbreitet werden, werden dadurch nicht nur die spekulativen Teile der psychologischen Vorbereitung glaubwürdiger, sondern es wird eine Stimmung provoziert, in der bei einem tatsächlich erfolgten Anschlag jedem der Täter sofort klar sein muß. So kam der "Spiegel" drei Wochen vor dem Münchner Attentat zu der Einschätzung: "Was sich zunächst wie ein Zufallsvorteil der Unionsparteien im Wahlkampf ausnahm - jene erste Veröffentlichung in der "Welt" über eine angebliche "Fahndungspanne" - ist Teil einer von langer Hand vorbereiteten Kampagne."

Diese Kampagne gegen das "Sicherheitsrisiko" Baum (ein Euphemismus, der den Rechten wirklich nicht zusteht) konnte so nach dem Münchner Anschlag bruchlos fortgesetzt werden. Der wochenlangen Hysterisierung folgte das Attentat. Nicht nur die Reaktionen von Strauß und Tandler - zufälligerweise inmitten der heißen Wahlkampfphase schnell erreichbar und in München - gingen in die psychologisch so lange vorbereitete Richtung. Samstag morgen war in französischen und italienischen Zeitungen zu lesen: "München: Baader- Meinhof?".

Wir haben uns abgewöhnt, so etwas für Zufall zu halten. Eine über Wochen andauernde Propaganda von rechts warnte vor einem blutigen Anschlag vor der Wahl, unkte über "Tote im Wahlkampf" und versuchte, durch die Veröffentlichung wichtiger Informationen glaubwürdig zu werden. Auch das "timing" der Aktion war so angelegt, daß in der kurzen Zeit bis zur Bundestagswahl eine Aufklärung kaum möglich gewesen wäre. Nur der Tod Köhlers verhindert - wie es sonst sicher geschehen wäre - , daß der RAF oder einer anderen revolutionären Gruppe diese Aktion in die Schuhe geschoben wird. Der Tod und die rasche Identifizierung Köhlers bringen die bereits intensivierte Kampagne gegen Baum, die Sicherheitspolitik der SPD/ FDP- Regierung und Mutmaßungen über die Verantwortlichkeit linker Gruppen zu einem schnellen Ende.

Den Verantwortlichen im bayrischen Sicherheitsapparat, vollständig verflochten mit der CSU, ist ab Samstag mittag klar, daß durch den Tod und die Identifizierung Köhlers der Münchner Anschlag zu einem Bumerang für Strauß werden kann. Tandler legte sich so auf die Position fest, Köhler sei ein spinnerter Einzelgänger gewesen, eben ein Einzeltäter, der durch die allgemeine Verharmlosung des Terrorismus zu seiner Tat getrieben worden sei.

Tandler - und das heißt, die Verantwortlichen im bayrischen Innenministerium und Sicherheitsapparat - geht dabei so weit, die Ermittlungstätigkeit von Bundesanwaltschaft und BKA zu behindern. Der Justizminister am 9. Oktober (nach der Wahl!) in der "Frankfurter Rundschau": "Tandler habe die verantwortungsvolle Zusammenarbeit der für die innere Sicherheit zuständigen Organe gestört und auch die Ermittlungen im konkreten Fall erschwert."

Es ist naheliegend, daß Tandler die politische Motivation Köhlers und seine Zusammenhänge leugnen muß. Die in den nachfolgenden Tagen und Wochen verbreiteten Hinweise auf die Infiltration der faschistischen Gruppen und den Staatssicherheitsdienst der DDR bzw. auf Kontakte der Hoffmann- Gruppe [53] zur PLO sind durchsichtige Ablenkungsmanöver.

Die Bundesanwaltschaft sowie die der SPD/FDP nahestehende Presse vermuten dagegen einen Gruppenzusammenhang, aus dem heraus dieser Anschlag durchgeführt wurde, sowie Verbindungen Köhlers zu faschistischen Gruppen wie z.B. der Wehrsportgruppe Hoffmann.

Es gibt zahlreiche Hinweise und Zeugenaussagen über Personen, mit denen Köhler in der Nähe des Explosionsortes gesehen wurde:

  • Da ist die Rede von 2 kurzhaarigen jungen Männern mit Bundeswehrparka und aufgenähten deutschen Flaggen;
  • Ein schwarzhaariges junges Mädchen wird in der Nähe des Tatortes mit Köhler gesehen;
  • Zehn Minuten vor der Explosion wurde eine weiße Leuchtkugel und Sekunden vorher eine rote Leuchtkugel in unmittelbarer Nähe des Explosionsortes beobachtet;
  • Einige der Verletzten sagten aus, sie hätten unmittelbar vor der Explosion einen Mann sich mit Köhler über eine weiße Plastiktüte beugen sehen, der dann schnell weglief.

Trotz der Vielzahl von Zeugen ist bis heute keine dieser Person identifiziert. Zum Vergleich sei nur darauf hingewiesen, wen die Bundesanwaltschaft bei der Entführung Schleyers in Köln "einwandfrei identifiziert" haben will, obwohl es da nicht einen einzigen Zeugen gab.

Auf jeden Fall muß von einer Gruppe von Leuten ausgegangen werden, die für diese Aktion verantwortlich ist.

Bundesanwaltschaft, "Stern" und "Spiegel" dokumentieren schnell, materialreich und einleuchtend eine Vielzahl von Hinweisen, aus denen die Kontakte Köhlers zur Hoffmann- Gruppe, die Bewaffnung der Hoffmann- Gruppe, deren Vorstellungen und internationale Verbindungen hervorgehen. Es handelt sich hierbei nicht um eine falsche Spur, von den wesentlichen Fragen lenken diese Hinweise dennoch ab. Die publizierten Fakten sind im übrigen seit Jahren bekannt und immer wieder in Zeitungen der DKP und dem Arbeiterkampf veröffentlicht worden. Entscheidend ist z.B., daß ausländische faschistische Gruppen selbst vielfältig mit Teilen der staatlichen Sicherheitsapparate ihrer Länder verflochten sind und ihre Aktionen Teil von Strategien institutioneller Machtverschiebung oder geheimdienstlicher Mordaktionen gewesen sind. So sind 20% der französischen FANE Polizisten, die Identität der spanischen "Christkönigskrieger" mit den Kommandos des spanischen Geheimdienstes ist bekannt; die Zusammenarbeit der protestantischen Terrororganisationen in Nordirland mit der SAS und Polizei ist ebenso dokumentiert wie die Verwicklung italienischer Dienste in faschistische Aktivitäten. So lächerlich also die Einzeltäterthese Tandlers ist, so vordergründig ist der Versuch, die Verantwortlichkeit allein den faschistischen Gruppen zuzuschieben.

Die faschistischen Gruppen sind in großem Ausmaß von den Sicherheitsdiensten infiltriert und kontrolliert. In allen diesbezüglichen Prozessen der letzten Zeit erwiesen sich Angeklagte, Hauptbelastungszeugen oder Waffenlieferanten als Mitarbeiter des Verfassungsschutzes oder der Landeskriminalämter. So entpuppte sich bei einem Faschistenprozeß in Braunschweig der 37jährige Hans- Dieter Lepzien nicht nur als Bombenbauer, Sprengstoffeinkäufer und Initiator "größerer Dinge", sondern auch als Mitarbeiter des niedersächsischen Verfassungsschutzes. Erstaunlich genau und schnell - also informiert - wurde nach dem Hamburger Anschlag auf ein Ausländerheim die Gruppe von Roeder, immerhin verteilt auf mehrere Städte im gesamten Bundesgebiet, abgeräumt.

Es ist nicht übertrieben, davon auszugehen, daß im faschistischen Untergrund nichts Wesentliches passiert, ohne daß es die Bullen mitbekommen. Ausgerechnet nun, bei dem größten und folgenreichsten Anschlag, soll dies anders gewesen sein. Sollte diese Aktion tatsächlich von einer faschistischen Gruppe durchgeführt worden sein, so ist darüber zuvor geredet, diskutiert und entschieden worden. So etwas wird nicht von ein oder zwei Leuten gmeacht. Es muß davon ausgegangen werden, daß Sicherheitsdienste von solchen Diskussionen erfahren haben, als sie stattgefunden haben. Rebmann hat Mitte November verlauten lassen, daß ihnen nunmehr bekannt sei, daß "Köhler in einem nicht näher beschriebenen Kreis im Zusammenhang mit der Bundestagswahl Möglichkeiten für einen Anschlag - so unter anderem ein Attentat auf dem Oktoberfest - diskutiert habe." (Frankfurter Rundschau, 14.11.80).

Zweifel an der Verantworlichkeit der faschistischen Gruppen weckt für uns auch die Art des Anschlages. Die BRD ist nicht Italien, wo solchen Anschläge und die "Strategie der Spannung" eine ganz andere Tradition haben bzw. immer schon Mittel der Innenpolitik gewesen sind. Der Münchner Anschlag entspricht nicht dem, was die Faschisten im letzten Jahr gemacht haben. Sie haben sich an die ausländerfeindliche Stimmung angehängt und vereinzelt antisemitische Aktionen wie auch solche gegen Linke und die DDR gemacht. Der Münchner Anschlag steht jedenfalls in keinem erklärbaren Verhältnis zu den sonstigen Aktionen.

Aufschlußreich ist auch, daß zu wesentlichen Einzelpunkten der Ermittlungen bisher noch keine endgültigen Erklärungen abgegeben wurden. Während nach Aktionen von RAF oder RZ bis in die kleinsten Einzelheiten Waffen, Munition, Zündmechanismen, Vorgehensweisen erörtert wurden, fehlen im Fall des Münchner Attentats bisher plausible Erklärungen

  • zur Herkunft der Bombe bzw. Granate und ihre Beschaffenheit
  • zur Beschaffenheit des Zündmechanismus
  • zur vorzeitigen Explosion.

Bombe und Zünder: militärisches Material

Zur Beschaffenheit der Bombe wurde extrem Widersprüchliches verbreitet. Während im "Stern" vom 9.10. "Sprengstoffexperten des BKA" erklären: "Hier haben Fachleute den Sprengkörper vorher zerlegt und mit zusätzlichen Metallteilen gefüllt, um die Splitterwirkung bei der Explosion zu erhöhen", liest es sich in der "Zeit" ganz anders: "Der Typ der britischen Mörsergranate, die Köhler benutzte, wurde bis 1970 bei der Rheinarmee gelagert. Der Attentäter hatte einen eigenen Zünder eingebaut, die Granate in einen Feuerlöscher gesteckt, in den er Soll- Bruchstellen gefräst hatte, um damit die Sprengwirkung zu erhöhen."

Ebenfalls die "Zeit" hat in einer kleinen Notiz die bisher einzige halbwegs nachvollziehbare Erklärung zur Beschaffenheit und vorzeitigen Explosion des Zünders geliefert. Danach hat Köhler offensichtlich einen Handgranatenzünder mit einer Normalverzögerung von 20 Sekunden benutzt. Grund der vorzeitigen Explosion war nach Vermutungen der "Zeit", daß die Zündschnur brüchig war und dadurch ohne Verzögerung explodierte. Auch dies ist keine endgültige Erklärung, denn eine brüchige Zündschnur funktioniert im Normalfall überhaupt nicht. Völlig ungeklärt ist bis heute, wie Köhler an Granate und Zünder gekommen ist. In 2 Fällen wurden Nazis, bei denen typengleiche Mörsergranaten gefunden wurden, wieder freigelassen. Im ersten Fall handelt es sich um einen der zunächst festgenommenen Hoffmann- Leute. Im anderen um einen Karl- Heinz D. aus Düsseldorf, in dessen Wohnung ein umfangsreiches Waffenlager gefunden wurden, darunter sieben Granaten vom Kaliber 10,7 cm. Es ist nicht falsch, davon auszugehen, daß es sich bei diesem Menschen um einen bekannten Waffenlieferanten der faschistischen Szene, aber gleichzeitig um einen mit den Bullen kooperierenden Informanten handeln muß. Anders ist seine umgehende Freilassung nicht zu verstehen. Die Bestandteile der Bombe und der Zünder verraten eine deutlich militärische Prägung. Die durch den Zündmechanismus notwendige Art der Zündung ist die des heroischen militärischen Einzelkämpfers, bei dem es nicht darauf ankommt oder sogar gewünscht ist, daß der Bombenwerfer von Hunderten von Leuten gesehen wird.

Das militärische Material und die damit notwendige Form der Aktion passen ganz und gar nicht dazu, wie uns Köhler geschildert wird und was wir von seinem Leben erfahren haben. Köhler wird als Einzelgänger beschrieben, als kontaktarm, schüchtern, unselbständig. Als 21jähriger wohnt er noch bei seinen Eltern. Sein Vater, CSU- Mitglied und früherer Bürgermeister des Ortes, war Respektsperson.

In einer Erklärung wiesen seine Eltern im übrigen darauf hin, daß Köhler seit fünf Jahren keinen Kontakt mit Hoffmann gehabt habe.

Wie könnte es gewesen sein?

Wir halten es nicht für ausgeschlossen, daß Köhler gezielt von Mitarbeitern eines Sicherheitsdienstes angesprochen und geführt wurde. Dem MAD war bekannt, daß Köhler den Kontakt mit Hoffmann gesucht hatte, um eine eigene örtliche Wehrsportgruppe zu gründen und sich bei Sprengstoffexperimenten verletzt hatte. Die Isolation Köhlers und seine autoritäre Struktur, sein blinder Tatendrang machen ihn zu einer idealen Zielperson für eine nachrichtendienstliche Operation und anfällig für eine weitergehende Funktionalisierung. Es ist durchaus möglich, daß Köhler von einem Sicherheitsdienst angemacht und benutzt wurde, ohne daß er es bemerkte. Man kennt solche Fälle, wo auf der "Kameradenebene" mit staatlichen Mitarbeitern verkehrt wird.

Es mag sein, daß Köhler zunächst nur mit dem Ziel angesprochen wurde, über ihn einen weiteren Einstieg in die faschistische Szene zu haben. Eine Aktion wie das Münchner Attentat ist sicher nicht von dem gesamten Apparat eines Dienstes getragen worden. Vielleicht gibt es inzwischen beim BND, MAD oder Verfassungsschutz eine "Abteilung für unkonventielle Methoden" - wie die Mordabteilung früher bei der CIA genannt wurde.

Wir halten es jedoch für wahrscheinlicher, daß sich rechte und faschistoide Bullen von ihrem Apparat und der "rechtsstaatlichen Tour" eines Herold verselbständigen und Privatpolitik betreiben. Diese Sorte von Bullen hat sich besonders in dem in der Nähe von München ansässigen BND sowie dem sonstigen bayrischen Staatsschutz gesammelt.

Es ist nicht auszuschließen, daß auf einer informellen Ebene Kontakte zwischen Leuten aus dem Sicherheitsbereich und einzelnen Politikern stattgefunden haben, bei denen angedeutet wurde, daß "da was laufen wird". Das "Timing" der Hysteriekampagne, die Konzentrierung des Wahlkampfes auf Baum,. der Zeitpunkt des Anschlages und die ersten Reaktionen der Politgangster sprechen zumindest für eine gewisse Koordinierung. Das ausschlaggebende Motiv für Köhler, seine Kontaktleute, Bullen und Politiker wird die Einsicht gewesen sein, daß nur noch eine solche Aktion den Wahlsieg von Strauß möglich macht, daß darüber hinaus auch langfristig eine offen reaktionäre Position sich nur dann durchsetzen kann, wenn das innenpolitische Klima verändert wird.

Fassen wir zusammen:

  • Strauß und führende Mitglieder der CSU reagieren in der politischen Logik dieses Anschlages.
  • Von langer Hand war eine Kampagne geführt worden, die auf eine große Terroraktion vorbereitete.
  • Nur der Tod Köhlers und seine sofortige Identifizierung verhindern, daß dieser Anschlag linken Gruppen in die Schuhe geschoben wird, wie es geplant war.
  • Die bayrischen Behörden behindern die Ermittlungen und vertreten die These, Köhler sei ein Einzeltäter gewesen.
  • Es gibt erhebliche Zweifel an der alleinigen Verantwortlichkeit faschistischer Gruppen.
  • Herkunft von Bombe und Zünder sind nicht geklärt.
  • Köhler war eine Figur, die sich für eine nachrichtendienstliche Operation geradezu anbot; dies würde auch den Widerspruch von Köhlers Persönlichkeit und der Art der Aktion erklären helfen.

Natürlich sind ein großer Teil unserer Überlegungen spekulativ, aber die Wirklichkeit hat in den vergangenen Jahren regelmäßig unsere schlimmsten Vorstellungen übertroffen.

Die der CSU und Strauß nahestehenden Kräfte würden damit eine Entwicklung nachvollziehen, die es in fast allen anderen Ländern auch gegeben hat: die Verselbständigung staatlicher Politiker, die Strategie der Angst und Spannung, die Entwicklung von Terrorkommandos aus dem Polizeiapparat heraus. Wir halten eine solche Entwicklung nicht für ausgeschlossen, sie ist in den politischen Reaktionen auf den Münchner Anschlag bereits angelegt. Die Warnung vor einer solchen Entwicklung soll nicht zu voreiligen Schlüssen führen. Nach wie vor ist für die Entwicklung eines revolutionären Widerstandes die von SPD/FDP und großen Teilen der CDU betriebene Politik institutionalisierter Herrschaft und verrechtlicher Gewalt von vorrangiger Bedeutung. Die Entwicklung eines von Geheimdiensten organisierten und von parlamentarischen Rechten propagandistisch genutzten sowie der außerparlamentarischen Rechten konkret mitgetragenen Terrorismus würde sich in erster Linie direkt gegen Linke richten und die politischen Bedingungen weiter verschlechtern. Auch dies wäre jedoch eine Erscheinungsform des Zerfalls des "Modell Deutschland".

Die Linke zu München: no future

Die Reaktion der deutschen Linken war schlimm, aber bezeichnend. Während es in Italien und Frankreich zu breiten antifaschistischen Mobilisierungen gegen den Staat kam, hat es in der BRD praktisch keine Reaktionen gegeben. Wenn auch die Mobilierung in Italien und Frankreich kein Maßstab sein kann, so sind doch das vollkommene Schweigen hier, das Fehlen von wirklicher Betroffenheit, die Begriffslosigkeit, das Verdrängen und Wegschieben ein Vorgang ohne Beispiel. Die Taz - immer noch Ausdruck von vor allem Gefühlen, aber wenig Gedanken eines Großteils der Linken - sitzt völlig der Katastrophen- und Schicksalsstimmung, dem Gefühl teutscher Götterdämmerung auf. Die einst von frankfurter und berliner Spontikreisen geforderte Rückbesinnung auf den eigenen Bauch findet in dieser Sprachlosigkeit ihren Endpunkt, symbiotisch verbunden mit der Rückbesinnung auf die inneren Werte der Pornographie. [55] Das "Blatt" in München stand ehrlich, aber dennoch kokettierend mit unbedruckten Seiten zu seiner Ratlosigkeit. Schlimm ist es dennoch, wenn Peter Schult [57], der es wie die anderen besser wissen müßte, zunächst die RAF als Urheber des Anschlages befürchtet (Taz) und damit sicherlich nicht allein steht. Das völlige Versagen dieser Linken ist auch ein Resultat ihres wutschnaubenden Feldzuges der Jahre 76- 78 gegen RAF und RZ. In der Stunde des beginnenden wirklichen Terorismus sind sie stumm und durch die bürgerliche Propaganda konditioniert.

Wer sich so - wie es in der Linken, der Scene stattgefunden hat - Denken, Fragen und Protestieren verbietet, hätte sich vor 40 Jahren auch nur in die innere Emigration begeben und die Haustür den Antifaschisten, Juden, Schwulen und Zigeunern verschlossen. Die 68er- Generation hat endlich zu ihren Eltern und Großeltern aufgeschlossen.


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