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Revolutionärer
Zorn Nr. 6 - Januar 1981
Jedes Herz ist eine Zeitbombe
Frauen haben zu jeder Zeit in bewaffneten Gruppen gekämpft,
ihr Anteil am Kampf wurde aber meistens unterschlagen.
Aber die Zeiten ändern sich, inzwischen ist der Anteil der
Frauen in der Guerilla so groß geworden, daß dieser
Mechanismus nicht mehr funktioniert.
Aufgehoben ist auch die Arbeitsteilung, daß Frauen die Aufgaben
der Infrastruktur übernehmen, Männer die Aktionen machen.
Subversive Frauengruppen wie die Rote Zora gibt es zwar noch wenige,
aber auch das wird sich ändern!
Wir wollen aber nicht nur eigene Aktionen machen, sondern auch
unsere Sichtweise der versteinerten Verhältnisse, in denen
wir leben müssen, beschreiben - auch wenn uns dies nicht leicht
fällt.
Klarheit wollen wir uns vor allem über zwei Punkte verschaffen:
1)
Wie funktioniert der Mechanismus der imperialistischen Frauenunterdrückung
hier und in den Ländern der 3. Welt? Bei dieser Frage mußten
wir feststellen, daß Analysen des Imperialismus sich meist
darauf beschränkten, die politischen, ökonomischen und
militärischen Machtstrukturen des Imperialismus zu untersuchen,
vernachlässigt wird die Analyse der Strategie gegenüber
den Frauen hier und in der 3. Welt.
Uns
reicht es nicht aus zu sagen: Aus der Analyse des Imperialismus
ergibt sich das Angriffsziel Nato und indem wir Frauen die Nato
angreifen, bekommt der Frauenkampf seine revolutionäre Stoßrichtung.
Der Befreiungskampf besteht bei dieser Sichtweise wieder nur im
Angriff auf die zentralen Machtstrukturen des Imperialismus; die
alltäglichen Gewaltverhältnise, in denen Zerstörung,
Unterdrückung und Ausbeutung erfahrbar wird, werden ausgeklammert.
Für uns ist es auch ein Stück Befreiung, ein Gefühl
von Lebendigkeit und Stärke, wenn wir einem schweinischen Hausbesitzer
oder seinen Handlangern, der Atommafia usw. ein bißchen Feuer
unterm Arsch machen. Probleme haben wir damit, daß wir mehr
wollen, als wir im Moment praktisch machen können.
Aber auch das wird sich ändern!!
Dazu kommt, daß die Aktionen gegen die Alltagsgewalt schon
jetzt verständlich sind, zwar nicht von der Mehrheit, aber
all denen, die sich das Gehirn nicht haben klauen lassen. Angriffe
gegen zentrale/staatliche Machtstrukturen haben es da schwerer.
Sie müssen genau geplant und überlegt werden, damit die
politische Richtung klar wird.
Grundsätzlich denken wir, daß es nicht das "Angriffsziel"
gibt, das den Staat "kippen" kann. Die Chance einer revolutionären
Bewegung liegt vielmehr im Angriff auf die gesamten staatlich verordneten
Lebensverhältnisse, der Angriff auf zentrale/staatliche Institutionen
ist nur ein Teil davon. Es ist auch illusionär - besser dogmatisch
- alle revolutionären Ansprüche in eine Aktion, ein Angriffsziel
zu packen. Vielmehr ist die Organisierung einer Kontinuität
in bewaffneten Gruppen der Weg, der eine Perspektive von Hoffnung
und Sieg eröffnet.
Ein anderer Punkt, über den wir nachgedacht haben, ist die
Frauenbewegung. Wir wollen genauer herausfinden, warum die Frauenbewegung
ihre revolutionäre Sprengkraft verloren hat und ihren Weg in
die "neue Innerlichkeit" gegangen ist.
"Es gibt nicht den einen und reinen Frauenkampf, sondern viele
Formen von Frauenkämpfen und in jedem einzelnen sind immer
mehrere Elemente in Bewegung, neben der Geschlechterfrage die Klassenlage,
die Nationalität, die konkrete Situation."
Auch wenn es heute in Vergessenheit geraten ist, hat die Anschauung
des US- Rassismus der Frauenbewegung geholfen, ihre eigene Unterdrückung
als Sexismus zu identifizieren.
Stokley Carmichael [33]
hat einmal von der Bedeutung der Definitionen gesprochen. [34]
Er hat dazu " Alice im Wunderland" [35]
zitiert; in diesem Buch gibt es eine Diskussion zwischen Humpty
Dumpty und Alice über Definitionen:
"Wenn ich ein Wort verwende," sagte Humpty Dumpty, ziemlich
von oben herab, "dann hat es genau die Bedeutung, die ich ihm
gebe. Nicht mehr und nicht weniger." "Die Frage ist",
sagt Alice, "ob du den Wörtern die Bedeutung von so vielen
verschiedenen Dingen geben kannst." "Die Frage ist",
sagte Humpty Dumpty, "wer der Herr sein soll. Das ist alles."
Es ist tatsächlich die entscheidende Frage, wer der Herr sein
soll. Schon, daß es unmöglich erscheint zu sagen, "wer
die Frau sein soll", zeigt, daß die weißen Herren
es waren und sind, die den Menschen und Dingen ihre Bedeutung geben.
So ist die Geschichte Europas und Amerikas von weißen Männern
geschrieben. Sie haben definiert, was die Farbigen und Frauen dieser
Welt sind. Die Bedeutung, die sie sowohl Frauen als auch Farbigen
gaben, war die von "ungebildeten Naturwesen". Damit wurde
die Herrschaft der weißen Männer legitimiert. Frauen
und Farbige müssen "zivilisiert" werden, was nichts
anderes heißt, als Zerstörung aller Formen eines eigenständigen
Bewußtseins, das sich zum Beispiel in einer eigenen Geschichte
und Kultur ausdrückt. Und wenn die Frauen und Farbigen die
"Segnungen" der westlichen Männerkultur nicht akzeptieren
wollten, sich wehrten, wurden sie erbarmungslos abgeschlachtet.
So in Europa die Frauen zur Zeit der Hexenverfolgung und heute die
Indianer in Südamerika.
Sexismus und Rassismus als integralen Bestandteil des patriarchalen
Herrschaftssystems zu begreifen, verbleibt oft im Stadium des "frommen
Lippenbekenntnisses". So wird in den gängigen Imperialismusanalysen
der Sexismus als Herrschaft- und Spaltungsmittel kaum erwähnt.
Wenn wir jetzt über Sexismus und - als Teil davon - über
die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung schreiben, dann nicht,
um uns als Frauen auch zu Wort zu melden, sondern aus der Erkenntnis
heraus, daß ohne die konkrete Untersuchung des Sexismus die
Verhältnisse in der 3. Welt und in den Metropolen und auch
die Frauenbewegung nicht begriffen werden können.
Die Frauenunterdrückung ist älter als der Kapitalismus,
das ist nichts "Neues". Eine ihrer Wurzeln liegt darin,
daß die Fähigkeit der Frauen, Kinder zu bekommen, als
eine Funktion ihrer Physiologie, ihrer Natur gesehen wurde und wird.
Kinder zu bekommen oder nicht, wird nicht als bewußter Akt
verstanden - als Interaktion mit der Natur - sondern als Natur selber.
Als bewußte Auseinandersetzung mit der Natur - und damit als
Arbeit - werden nur die Tätigkeiten des Kopfes und der Hände
gesehen und nicht die der Brust und des Uterus der Frau.
Diese Sichtweise hat auch die marxistische Theorie nicht aufgehoben.
Entsprechend dieser Sichtweise wird mit der sogenannten biologischen
Natur der Frau umgegangen wie mit einer Naturressource. Sie wird
je nach ökonomischen Bedürfnissen unterschiedlich ausgebeutet.
In der 3. Welt werden die Frauen zwangssterilisiert, in den Metropolen
werden ihnen materielle Versprechungen gemacht, um sie zum Kinderkriegen
zu animieren. Abtreibung wird als Massenmord bezeichnet. Das ökonomische
Moment der Ausbeutung der Gebärfähgikeit der Frauen wird
ergänzt durch das rassistische. Das Gejammer und Geschrei in
den Medien über sinkende Geburtenzahlen und die Gefahr des
Aussterbens des "deutschen Volkes" zeigt klar, um was
es geht: Nur "deutsche Frauen" sollen Kinder gebären,
Frauen aus der Türkei, Spanien, Griechenland usw. wird Verhütung
und Sterilisation empfohlen oder sogar verordnet.
Aber auch das reicht den HERR-schenden noch nicht, die Forschungen
auf dem Gebiet der Retortenbabies und Genmanipulationen signalisieren
den Versuch, den Frauen endgültig die alleinige Verfügung
über die Fähigkeit, Kinder zu gebären, zu entreißen.
Die ausbeuterische, nicht reziproke Beziehung zur Natur, nach der
zuerst Frauen, später andere Klassen und Völker zu Natur
gemacht wurden, ist das Charakteristikum aller männlichen Produktionsweisen
- einschließlich des Kapitalismus. Diese ausbeuterische Beziehung
zur Natur hat uns heute nahe an die ökologische Katastrophe
gebracht.
Hierauf aufbauend hat sich die geschlechtliche und rassistische
Arbeitsteilung entwickelt, die die Prodkutionsverhältnisse
gefestigt hat, in denen Zuckerrohrpflanzen und Reispflanzen keine
Arbeit für Weiße, Hausarbeit keine Arbeit für Männer
ist und wenn Frauen und Kinder geschlagen werden, so ist das keine
Gewalt.
Diese Arbeitsteilung ist aber auch kein Überbauphänomen,
sie gründet sich nicht auf falschen Ideen und Gedanken, die
frau/mann nur erkennen muß, um sie dann zu verändern,
sie ist ökonomische Grundlage der Überausbeutung durch
den Kapitalismus.
In allen ernsthaften Imperialismusanalysen haben wir gelesen, daß
es in der 3. Welt ein Nebeneinander von rückständigen,
nur vorkapitalistischen Produktionsweisen und hochmonopolisierten
gibt. Anhand der konkreten Entwicklung wurde herausgefunden, daß
mit zunehmender kapitalistischer Entwicklung diese "rückständigen"
Produktionsweisen nicht verschwinden. Genau das Gegenteil ist passiert,
sie wurden und werden ständig neu produziert. Aufgefallen ist
uns, daß das Problem der Heterogenität von Produktionsweisen
fast nur für die 3. Welt untersucht wurde, in den Metropolen
aber homogene Produktionsweisen angenommen werden.
"Von der anderen Seite her gesehen verwundert auch, warum
die Frage der Heterogenität für die erste Welt nicht gestellt
wird. Hier herrschen angeblich nur homogene Produktionsverhältnisse.
Diese Behauptung ist nicht nur eurozentristisch und kapitalismusverherrlichend
... sie ist auch sexistisch, weil sie verschleiert, ja geradezu
leugnet, daß auch bei uns Arbeitskraft überausgebeutet,
also unter ihren Reproduktionskosten entlohnt wird, ja die Hälfte
aller geleisteten Arbeitsstunden - Hausarbeit - überhaupt nicht
entlohnt wird." (C. von Werlhoff [36]).
Hier wird schon angesprochen, wer die nichtkapitalistischen Produzenten
sind, die Waren nicht für Lohn produzieren,
- es sind dies die Hausfrauen der ganzen Welt,
- die Subsistenzbauern in der 3. Welt
- männliche und weibliche Marginalisierte, vornehmlich in
der 3. Welt.
Sie
sind ist, die den Mehrwert realisieren, wie Rosa Luxemburg schreibt:
"Das Entscheidende ist, daß der Mehrwert weder durch
Arbeiter noch durch Kapitalisten realisiert werden kann, sondern
durch Gesellschaftsschichten, die selbst nichtkapitalistisch produzieren".
Uns ist an diesen Fakten klar geworden, daß Sexismus und
Rassismus keine Sache des Kopfes, des falschen Bewußtseins
ist, das sich durch Aufklärung und guten Willen verändern
läßt. Es sind die ökonomischen Verhältnisse,
die Sexismus und Rassismus immer wieder neu produzieren. Sie sind
notwendig, damit Imperialismus überhaupt funktionieren kann.
Daß sie auf der anderen Seite auch als politisches Instrument
der Spaltung der Unterdrückten benutzt werden, spricht nicht
dagegen. Imperialismus ist das Stadium des Kapitalismus, in dem
die "Rationalität" der kapitalistischen Produktionsweise
- Menschen zu brauchen, um ihre Arbeitskraft ausbeuten zu können
- nur noch für wenige in der 3. Welt Geltung hat. Die Mehrheit
der Menschen dort wird ausgepresst, ohne Rücksicht auf Gesundheit
und Lebensdauer - und wenn es zuviele sind, ist die Strategie: Vernichtung.
Die Barbarei ist keine Zukunftsvision, wir befinden uns bereits
in diesem Stadium.
In den Metropolen sind die Gewaltverhältnisse verschleierter.
Bestimmend ist hier noch die ökonomische Zwangsgewalt des Kapitalismus,
die sich als verrechtliche Gewalt bereits in den Köpfen der
Menschen festgesetzt hat. Die direkte physische Zwangsgewalt durch
den Staat mit seinen Repressionsorganen gewinnt aber bei den sich
abzeichnenden sozialen Konflikten an Bedeutung. Allgemein ist festzustellen,
daß die Ausbreitung des Kapitalismus auch in den Metropolen
nicht zu einer Ersetzung der direkten Gewaltformen durch eine andere,
sondern zu einer Zunahme von Gewalt überhaupt geführt
hat.
Die Frauen sind allen Ebenen der Gewalt ausgesetzt, der indirekten,
strukturellen Gewaltförmigkeit dieses Gesellschaftssystems,
das alle Lebensmöglichkeiten erstarren läßt und
dem brutalen direkten persönlichen Gewaltverhältnis durch
den Mann. In den letzten Jahren ist ein Ansteigen von Gewaltdelikten
gegen Frauen in den Ländern festgestellt worden, wo formal,
sozial und rechtlich Gleichberechtigung vertreten wird.
Offene Gewaltanwendung von Männern gegenüber Frauen ist
durch die Arbeit der Frauenhäuser und Notrufgruppen in den
letzten Jahren in ihrem Ausmaß öffentlicher geworden.
Frauen erfahren ist Gewalt tagtäglich, in den verschiedenen
Formen und Abstufungen, sie werden gedemütigt, erniedrigt,
geschlagen, vergewaltigt. In der BRD wird alle 15 Minuten eine Frau
vergewaltigt! 50% der Frauen werden von Männern vergewaltigt,
die sie kennen. Jedes Jahr werden in der BRD 4 Millionen Frauen
von ihren Männern mißhandelt! Bestimmendes Moment der
Gewaltstrukturen sind die Frauenmißhandlungen in der Familie,
Vergewaltigung, Vergewaltigungsdrohung und die Ästhetisierung
von Gewalt gegen Frauen in Medien, Werbung und Kulturindustrie.
Gewalt gegen Frauen nicht als Ausnahme, sondern als durchgängiges
HERR- schaftsprinzip zu begreifen, hat zu der Erkenntnis geführt,
daß der Kampf gegen persönlich erfahrene sexistische
Gewalt nicht zu trennen ist vom Kampf gegen jede Gewalt des Systems.
Die Zunahme physischer Gewalttätigkeit ist allgemein gesellschaftlich
festzustellen, mit zunehmendem Sinnverlust des Lebens und der Anonymität
der Verhältnisse und findet in der gesellschaftlichen Rolle
der Frau ihr Opfer. Die Deckung dieser Gewalt durch Polizei und
Justiz verdeutlicht die Einbettung dieses Gewaltverhältnisses
zwischen Mann und Frau über Ehe und Familie in das System patriarchaler
Herrschaftssicherung. Gleichzeitig wird die Instabilität des
Systems durch die Zunahme offener Gewalt signalisiert. Der Widerspruch
zwischen dem Anspruch der völligen Gleichstellung der Frau
und der Notwendigkeit ihrer handgreiflichen Unterdrückung zur
Sicherung der HERR- schaft ist für dieses System ein unlösbarer
Widerspruch.
Frauen leben im "Exil", denn die gesellschaftsorganisierenden
Institutionen wie Regierungssystem, Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur,
Medien, Kirche, Polizei und Militär werden von Männern
beherrscht und geprägt. Sie sind vom Prinzip der Hierarchie,
der Macht und des Kampfes um die Macht bestimmt. Folglich sind auch
die Männer von Herrschaft, Gewalt und Unterdrückung betroffen.
Sie müssen sich diesen Prinzipien unterordnen, wenn die Vorherrschaft
des "HERR- lichen" erhalten werden soll. Unsere Unterdrückung
geht darüber hinaus. Frauen werden in einer patriarchalen Gesellschaft
immer und überall unterdrückt und mit Gewalt konfrontiert,
offen oder verschleiert.
Frauen neigen dazu, einer offenen Konfrontation mit der Macht und
der Gewalt auszuweichen, solange es geht - im Exil bleibend. Eine
Überlebenstechnik - aber auch eine Opferhaltung. Diese Opferhaltung
führt dazu, sich der Verantwortung für gesellschaftliche
Zustände zu entziehen, daran mitschuldig zu werden. So ist
die Tatsache, daß Frauen Gewalt erfahren, keine Entschuldigung
dafür, daß sie diese Gewalt weitergeben an ihre Kinder.
Die Verinnerlichung des Frauseins als effektivste Form der Herrschaftssicherung
läuft über subtile Formen der Verhinderung von Selbstbewußtwerdung
durch Erziehung, Moral, Liebe, die Normen setzen und Anpassung erzwingen.
Macht wird gesicherter ausgeübt über nichtoffene Formen,
so daß Frauen auch ohne Anwendung äußerer Gewalt
ihre gesellschaftlichen Funktionen übernehmen und ertragen,
sich mit ihnen identifizieren. So führt die Situation der Frau
eher zur Aufgabe der Identität, zur Selbstzerstörung als
zum Kampf gegen ihre Unterdrückung.
Die Frauenbewegung machte die persönliche Unterdrückungssituation
zum Ausgangspunkt ihrer politischen Praxis. Die Trennung zwischen
Privat und Politik konnte aufgehoben werden. Persönliches war
politisch und das Politische wurde persönlich umgesetzt. Revolutionäre
Sprengkraft lag in dem Bewußtsein der direkten Verbindung
zwischen der Abschaffung des persönlichen Leidens und der Notwendigkeit
einer sozialen Umwälzung. Die Vorstellung einer radikalen sozialen
Veränderung - viel radikaler in ihrem Angriff auf die grundlegenden
Institutionen dieser Gesellschaft und viel umwälzender in der
Veränderung des Bewußtseins aller Menschen als alle vorhergehenden
Revolutionen - erzeugte eine starke Kraft bei den Frauen.
Neue Formen und Inhalte führten zur Ablösung von der
allgemeinen linken Bewegung, zur organisatorischen Autonomie der
Frauenbewegung.
Die Autonomie hat wichtige Prozesse eingeleitet, Wertstrukturen
der Männergesellschaft in Frage zu stellen, keine Perspektive
innerhalb gesellschaftlicher Machtgefüge zu suchen, nicht über
Partizipation an der Macht Einfluß ausüben zu wollen,
Frauenbefreiung nicht über die Männerrolle zu definieren.
Das hat dazu geführt, sich Freiräume zu schaffen, um patriarchalen
Strukturen zu entfliehen. Das war und ist wichtig, weil keine Bewegung
so sehr gegen die eigenen Identifizierung mit dem Unterdrücker
ankämpfen muß wie die Frauenbewegung!
Im Angriff auf alle Strukturen entstand die Hoffnung, nicht integrierbar
zu sein und schon im Kern den revolutionären Umsturz in sich
zu tragen und zu entwickeln. Aufgrund der Überbetonung der
subjektiven Erfahrung, die auch Folge der Tabuisierung in den linken
Gruppen war und der Schwierigkeit, die Erkenntnis der persönlichen
Unterdrückung in direkte Widerstandshandlungen umzusetzen,
wurde aus der Politik der Subjektivität eine "Innerlichkeit":
persönliche Veränderung ohne Änderung der Gesellschaft.
Begünstigt wurde der Weg in eine neue "Innerlichkeit"
durch die Klassenlage vieler Frauen in der Frauenbewegung. Für
Frauen mit einer "guten" Berufsausbildung gab und gibt
es reale Möglichkeiten, eine Nische in dieser Gesellschaft
zu finden und das kleine subjektive "Glück" zu suchen.
Da die Ohnmacht gegenüber den gesellschaftlichen Verhältnissen
aber nicht aufgehoben wird, erweist sich dieser Weg als Sackgasse.
Der Sehnsucht nach "Glück" wird hinterher gejagt,
ohne es zu erreichen.
Nach der Kampagne gegen den § 218 entwickelte sich Widerstand
in der Frauenbewegung fast ausschließlich an dem Punkt der
Konfrontation mit dem einzelnen Mann. Es bildeten sich Selbstverteidigungsgruppen,
Notrufgruppen gegen Vergewaltigung und vor allem die Frauenhäuser.
Die staatliche Repression wurde zwar analysiert und beschrieben,
es wurde sich aber kaum politisch zu ihr verhalten.
Die beiden Frauenkongresse 1978 "Frauen und Repression"
in Frankfurt und "Gewalt gegen Frauen" in Köln verdeutlichten
das Dilemma der Frauenbewegung. Das Nebeneinander von zwei Erfahrungen
- Gewalt als alltäglicher Angriff
- Gewalt als zielgerichtete Unterdrückung durch den Staat
wurden
nicht miteinander vermittelt. Der Verzicht auf die Herstellung des
Zusammenhangs zwischen kapitalistischer und geschlechtlicher Unterdrückung,
der Verzicht zu analysieren, wer der HERR ist, führte dazu,
daß in den "Selbsthilfeprojekten" (Frauenhaus, Notrufgruppen,
Frauenzentren) eine Tendenz entstand, nur noch die Not der Frauen
zu lindern. In dem Moment, wo Frauen sich darauf beschränken,
das Elend der Frauen zu beheben, ohne die gesellschaftlichen Ursachen
auf- und anzugreifen, entfällt die Gegnerschaft zum Staat,
gibt es keine Garantie für Unbestechlichkeit, passiert es,
daß die Radikalität gegenüber dem männlichen
Geschlecht bei der Polizei aufhört. Verhandlungen mit den Bullen,
dem Justizapparat, um der geschlagenen Frau zu helfen und den Vergewaltiger
zu strafen, können die mangelnde Stärke nicht ersetzen
und verkommen zur Komplizenschaft mit dem Staat. Und genau an diesem
Punkt konnten die massiven Integrationsversuche des Staates ihre
Wirksamkeit entfalten. Ziel der Integrationsversuche war und ist
die Zerstörung der revolutionären Sprengkraft der Frauenbewegung,
indem Frauen zu schlecht bezahlten Verwalterinnen des Elends funktionalisiert
werden sollen.
Eine ähnliche Widersprüchlichkeit stellt sich im Bereich
der Frauen/Lesbenkultur. Die persönliche Radikalität,
mit der viele lesbische Frauen mit dem männlichen Geschlecht
gebrochen haben - was sich auch in einer neuen blühenden Kreativität
im Bereich des Theaters, Musik, Literatur und Malerei, in einer
neu beginnenden Frauenkultur niederschlug - hat sie nicht davor
bewahrt, Teil einer staatlich geduldeten Subkultur zu werden. Lesbische
Träume sind zwar radikale Träume, finden aber hier in
der Metropole einen Platz.
Für eine priviligierte Minderheit, die den Willen zum gesellschaften
Handeln und damit die Hoffnung auf Befreiung für alle Frauen
aufgibt, wird das autonome Frauenprojekt zur Illusion der Erreichung
des persönlichen Glücks.
Die inhaltliche und organisatorische Autonomie der Frauenbewegung
ist heute da festzustellen, wo ihre gesellschaftliche "Ausgrenzung"
erfolgt ist. Es gibt keinen ursächlichen Zusammenhang zwischen
Autonomie und Ausgrenzung. Die Autonomie der Bewegung kann und muß
entwickelt werden, ohne Frauenpolitik auf frauenspezifische Probleme
zu reduzieren, mit Selbsthilfeprojekten, die aber Provokation und
nicht Vermeidung der Konfrontation zum Ziel haben, die gesellschaftliche
Spielregeln brechen und keine funktionierenden Rädchen werden.
In der letzten Zeit äußern immer mehr Frauen ihre Unzufriedenheit
über das politische Exil der Frauen/Lesben- Bewegung, durchbrechen
die "Glasglocken" der Fraueninseln und versuchen, feministische
Positionen und eine Praxis zu den Fragen der ökologischen Zerstörung
z.B. durch Atomkraft, Chemie usw., gegen die Militarisierung und
zum Problem des Internationalismus/ 3. Welt zu entwickeln.
Für uns ist es klar, daß der Frauenkampf nicht auf die
Organisierung von Subversivität und Gegengewalt verzichten
kann. Die Frauenbewegung hat schon allzu lange Analysen darüber
geschrieben, daß Frauen dazu erzogen werden, Gewalt zu erleiden,
aber nicht, sich zu wehren. Frauen werden darauf abgerichtet, sich
in ihrer Ohnmacht einzurichten und die psychischen Zerstörungen,
die dieses System anrichtet, mit ihrer Emotionalität zuzukleistern.
Das Mitgefühl von Frauen gegenüber den Unterdrückten
ist stark entwickelt, nicht entwickelt ist der Haß auf die
Unterdrücker, die Feinde. Haß hat etwas mit Zerstörung
zu tun und Zerstörung macht Frauen Angst. Bei der Beschreibung
dieses Zustandes stehenzubleiben, heißt nichts anderes, als
den Zustand der Ohnmacht zu akzeptieren, die Frauenrolle anzunehmen,
die diese Gesellschaft anbietet. Die These von den "friedliebenden
Frauen" ist dann Legitimation für das Verharren im Zustand
des Opfers.
Ohnmacht ist die Tarnkappe der Feigheit
Aber jede Frau, die schon einen Stein geworfen hat, die auf Anmache
von Männern nicht mit Rückzug reagiert, sondern zurückgeschlagen
hat, wird unser Gefühl von Befreiung nachvollziehen können,
daß wir hatten, als wir Sexshops zerstörten oder eine
Bombe anläßlich des Urteils zum § 218 vor dem Bundesverfassungsgericht
zündeten.
Befreiung hat in unserer Gesellschaft etwas mit Zerstörung
zu tun. Zerstörung der Strukturen, die uns an die Frauenrolle
ketten wollen. Und diese Strukturen lassen sich nur zerstören,
wenn wir die Verhältnisse, die uns kaputtmachen wollen, angreifen.
Angreifen in den vielfältigsten Formen, aber immer verbunden
mit unserem unversöhnlichen Haß auf diese Gesellschaft.
Die bewaffnete Form des Angriffs ist für uns ein unverzichtbarer
Teil des Frauenkampfes. Diese Position ist - wie wir beschrieben
haben - in der Frauenbewegung kaum entwickelt. Deshalb haben wir
uns gemeinsam mit Männern in der Guerilla organisiert. Aber
auch hier kommt es nicht zu einer Auflösung des Widerspruchs
zwischen Geschlechterkampf und Klassenkampf. Unser Status als autonome
Frauengruppe in den RZ ist bestimmt von der jetzigen politischen
Situation der Frauen, die gekennzeichnet ist durch eine inhaltliche
Schwäche der Frauenbewegung und eine sich mehr am Anfang befindende
Organisierung von Militanz durch Frauen.
Wir sind keine zusätzliche Kampffront, mit der sich Organisationen
schmücken können; wir sind nicht die Lösung des grundsätzlichen
Problems, sondern ein Weg. Unser feministischer Weg bestimmt sich
aus den politischen Perspektiven der Frauenbewegung, den internationalen
revolutionären Kämpfen und nicht nur aus uns heraus.
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