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Früchte des Zorns

TitelblattRevolutionärer Zorn Nr. 6 - Januar 1981


Antiimperialistischer Kampf bleibt notwendig!

Das System der weltweiten imperialistischen Machtstrukturen ist schon oft - auch von uns - analysiert worden. Wir wissen um die Macht der supranationalen ökonomischen und militärischen Organisationen, die unter Vorherrschaft des US- Imperialismus und seines Juniorpartners BRD die Ausplünderung der 3. Welt immer weiter treibt.

An erster Stelle steht hier der IWF (Internationaler Währungs- Fond), der nach dem "Spiegel" zum "internationalen Wirtschaftspolizisten" geworden ist. Es entscheiden nicht mehr die nationalen Parlamente über die ökonomische Entwicklung eines Landes, sondern der IWF.

So sitzen in Zaire [37] IWF- Kontrolleure mit umfassenden Vollmachten in der Zentralbank und im Finanzministerium. Die Türkei wurde durch Verweigerung von IWF- Krediten an den Rand des wirtschaftlichen Ruins getrieben und so dem Militärputsch [38] der Weg geebnet.

Die räuberischen Brüder des IWF sind nicht besser: Die Weltbank mit Ex- US- Verteidigungsminister McNamara an der Spitze, die ICR (Internationale Entwicklungs- Assoziation) und die IDR (Internationale Finanz- Vereinigung), die Kredite nur an Privatunternehmen vergibt. Die IDR ist unmittelbar verantworlich für die Hungerkatastrophe in Äthiopien (1973), die 100.000 Menschen umbrachte.

Wir kennen die Methoden, die dem transnationalen Kapital nach der Krise 1973 wieder neue, optimale Verwertungsbedingungen schaffen sollen: die neue internationale Arbeitsteilung. Die 3. Welt wird nicht mehr nur als billiger Rohstofflieferant eingeschätzt, sondern als Reservoir billiger, disponibler Arbeitskräfte. Arbeitsintensive Produktionsanlagen - vor allem Chemie, Elektronik, Texil und Automobil - werden in sogenannte Billiglohnländer verlegt, um so dem Kapital Maximalprofite zu ermöglichen. Diese neue Arbeitsteilung ist nicht nur international, sie ist gleichzeitig geschlechtsspezifisch und rassistisch. So sind in den multinationalen Unternehmen mindestens die Hälfte der Arbeiter Frauen.

"Wenn die Waren in unserem Alltag eine Stimme hätten und ihre Geschichte berichten würden, würden wir nichts Märchenhaftes hören, sondern etwa folgendes:

Indienhemd: eine Hausfrau in Indien hat in Heimarbeit 2 Tage an mir gestickt und dafür 2 Mark bekommen.

Fernseher: meine Einzelteile sind von Frauen in Südkorea zusammengesetzt worden. Für einen 10- bis 12- Stundentag und dies 6 oder 7 Tage die Woche, bekommen sie einen Lohn von 9 bis höchstens 18 Mark. Aber schon nach drei, vier Jahren können sie nur noch schlecht sehen. In Hongkong grüßt frau/mann in der Elektroindustrie Arbeiterinnen unter 25 Jahren mit Hallo Oma, wo hast du deine Brille gelassen?"

Wir wissen um den Versuch es US- Imperialismus, sich mit der Trilateralen Kommmission ein neues politisches Instrument zu schaffen, das keiner nationalen Kontrolle mehr unterliegt. Aufgabe dieser Kommission ist es, zu einer abgestimmten Politik zwischen den USA, Japan und Europa gegenüber der OPEC, den Befreiungsbewegungen in der 3. Welt und den sich zuspitzenden Widersprüchen in den Metropolen zu kommen.

Wir konnten in der letzten Zeit sehr genau beobachten, daß die Strategie der "Grünen Revolution" [40] (Entwicklung in Abhängigkeit) wieder ersetzt wurde durch die Vorbereitung von Angriffskriegen - vor allem gegen die Länder im Nahen Osten.

Wir wissen um die mörderische Macht der NATO, die unter Vorherrschaft der USA dieses Land mit Atomsprengköpfen gespickt hat und so die totale Vernichtung jederzeit möglich macht.

Unterdrückte und Komplizen

Wir erleben in der BRD täglich den fortschreitenden Prozeß der Einkreisung und Vernichtung aller Formen von Widerstand. Die Überwachung der Bevölkerung ist heute schon gegeben. Gegen die Liquidierung der Gefangenen aus den bewaffneten Gruppen ist nur noch vereinzelt Protest zu hören.

Die freiwillige Gleichschaltung der Medien ist seit 1977 ein fester Bestandteil einer Strategie, die in diesem Land jedem Widerstand den Garaus machen will.

Die überwältigende Macht der imperialistischen Kultur wird deutlich, wenn Menschen meinen, nicht mehr ohne Fernseher leben zu können.

" Ich kenne die Macht des Fernsehens, aber ich nehme sie gern auf mich­ , sagte eine Frau in einem Film, der den Versuch zeigt, wie es zwei Familien geht, die vier Wochen ohne Fernsehen leben. Die andere Frau weinte in der 3. Woche ohne Fernsehen, weil sie meinte, ein Leben ohne Fernsehen nicht mehr ertragen zu können."

Aber auch ohne daß frau/mann die Verflechtung der internationalen Machtstrukturen kennt, ist die Unmenschlichkeit dieses Systems identifizierbar. So ist in den Zeitungen zu lesen, daß rund eine Milliarde Menschen in Asien, Afrika, Lateinamerika hungern, daß 450 Millionen ständig an der Grenze zum Tode vegetieren. Allein ein Viertel der Bevölkerung Afrikas wird nicht satt. In der gleichen Zeitung gibt es dann sicher auch ein Rezept, wie der fettgewordene Westeuropäer seine überflüssigen Pfunde durch eine "Hunger- Diät" wieder verlieren kann.

Es drängt sich die Frage auf, warum diese Tatsachen keine mobilisierende Wirkung mehr haben wie zur Zeit des Vietnamkrieges. Ist die einzige Erklärung die Enttäuschung über die zum Staat gewordenen Befreiungsbewegungen in Cuba, Vietnam, Angola und heute Nicaragua [41], die die Träume einer "reinen" Revolution nicht erfüllten?

Wir denken, daß dieser Erklärungsversuch es sich sehr einfach macht. Gleiches ist zu einer Geschichtsschreibung zu sagen, die die Studentenbewegung posthum zu einer kulturrevolutionären Bewegung macht und den Antiimperialismus zur Nebensache erklärt.

Nicht mehr erinnert wird, was Antiimperialismus damals bedeutet hat; vergessen ist, daß wir einen Begriff der sublimen Unterdrückung in den Metropolen gerade an den Schandtaten des Imperialismus in der 3. Welt entwickelt haben.

Verdrängt wird, daß es einmal um mehr ging, als um "alternatives Leben" und "neue Sinnlichkeit".

"Das Ziel ist nicht mehr die Abschaffung von Ausbeutung und Unterdrückung im Weltmaßstab, nicht also die militante und aggressive Konfrontation mit als falsch erkannten gesellschaftlichen Verhältnissen, sondern das Ziel ist ein Schonraum, eine Zuflucht, ein Reservat, gewissermaßen ein selbstgewähltes Ghetto, worin die Gesetze der Ökonomie dadurch außer Kraft gesetzt sind, daß es sich durch Subventionen, Unterstützungen, Schenkungen, Bettelei erhält." (Pohrt)

Tabuisiert wird die Erkenntnis, daß wir auf der einen Seite Unterdrückte sind, aber gleichzeitig auch Komplizen der Unterdrückung in der 3. Welt. Daß jeder konkrete Kampf in den Metropolen immer in Gefahr steht, ein Kampf um Privilegien zu sein, die auf Kosten der 3. Welt gehen.

So läßt die politischen Ausrichtung der Anti- AKW- Bewegung sowohl auf die Bauplätze als auch auf die Gewaltlosigkeit die Vermutung zu, daß auch hier Privilegien im Spiel sind: die reine Umwelt für die Metropolen und den Dreck für die Länder der 3. Welt (vgl. zu unserer Einschätzung der Anti- AKW- Bewegung auch unseren Beitrag in der Autonomie Nr. 4/5).

Auch die Frauenbewegung bildet da keine Ausnahme: So ist in der westlichen Frauenbewegung eine breite Kampagne gegen die Beschneidung [42] der Frauen in der 3. Welt gelaufen. Überheblich und eurozentristisch war diese Kampagne dadurch, daß sie darauf verzichtete, die Lebensbedingungen der Frauen dort als imperialistische Herrschaft zu analysieren, die neben sexistischer Unterdrückung den Hunger als gezielte Methode der Vernichtung einsetzt. Die Klitoris- Beschneidung - die ohne Zweifel die brutalste Form sexistischer Unterdrückung ist - wird als Relikt einer "barbarischen Kultur" bekämpft, die es europäisch zu zivilisieren gilt.

Zweck der Analyse der imperialistischen Machtstrukturen ist, die Strategie des Imperialismus zu erkennen als das, was sie ist:

  • physische Vernichtung in der 3. Welt durch Hunger, Ausbeutung und Militärintervention,
  • psychische Verelendung und Ausbeutung in den Metropolen.

Ziel kann nicht sein, diese Analyse ohne Rückvermittlung auf die konkreten Widersprüche dieses Prozesses als revolutionäre Handlungsperspektive zu verstehen. Wir müssen uns statt dessen die Mühe machen, von der Abstraktion wieder zurückzugehen auf die konkreten Erscheinungen, auf die Besonderheiten der regionalen und nationalen Widersprüche, auf die nationalen und sozialen Kämpfe. Es ist deshalb ein verhängnisvoller Irrtum, wenn die RAF meint, sie bräuchte diesen Schritt zurück (vom Abstrakten wieder zum Konkreten) nicht zu machen, sondern statt dessen davon ausgeht, es sei ausreichend, den Menschen nur immer wieder zu erklären, daß physische und psychische Vernichtung der Inhalt des Imperialismus ist.

Jeder Angriff auf imperialistische Machtstrukturen findet nicht irgendwo im transnationalen Raum statt, sondern immer in einem konkreten Land mit seinen spezifischen Bedingungen.

Wenn Ziel der Aktion sein soll, "den Riß zwischen Gesellschaft und Staat zum Bruch zu machen", dann ist zu fragen: welche Gesellschaft, mit welchen Menschen in dieser Gesellschaft, an welchen Widersprüchen soll das geschehen?

Das Beharren auf einem zentralen Widerspruch, der Hauptangriffspunkt ist, orientiert sich an einer dogmatischen Sichtweise, die z.B. nicht zur Kenntnis nehmen will, daß neben dem Klassenkampf zwischen Proletariat - das allerdings schon damals mehr zu verlieren hatte, als seine Ketten - und Kapital weitere Widersprüche sichtbar und zu lösen sind, die damals auch schon bestanden: wie die Befreiungsbewegungen und der Imperialismus als Überausbeutung der 3. Welt; die Frauenbewegung und die Überausbeutung und sexistische Unterdrückung der Frauen; die Ökologie- Bewegung und die Zerstörung der Lebensgrundlagen durch industrielle Technologie u.a.m.

Auch der Hinweis auf die Völker der 3. Welt bleibt abstrakt: welche Völker sind gemeint und wie führen die Menschen z.B. heute in El Salvador ihren Kampf?

Führen sie ihn nicht unter konkreten historischen und ökonomischen Bedingungen? Menschen machen ihre Geschichte nicht abstrakt in einem imaginären transnationalen Raum.

Gemeinsam ist der Feind, der in jedem radikal bis zum Ende durchgehaltenen Kampf sichtbar wird, das mörderische System des Imperialismus! Gemeinsam ist auch das Ziel: die weltweite Abschaffung der Herrschaft von Menschen über Menschen!

Dies schließt Aktionen ein, in denen unsere Unterstützung der Befreiungsbewegungen zum Ausdruck kommt: Entscheidend aber ist, ob es uns gelingt, die 3. Welt in verstehbarer Weise anwesend zu machen, in den sozialen Auseinandersetzungen hier.


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