|
Revolutionärer
Zorn Nr. 6 - Januar 1981
Die BRD - eine US- Kolonie?
Im Zusammenhang mit der 1980 neu begonnen Diskussion über
antiimperialistische Solidarität wollen wir noch zu zwei Aspekten
Stellung nehmen: zu der Diskussion über das Verhältnis
USA/ BRD/ Europa und zu der Auseinandersetzung über die Gefahr
eines neuen Weltkrieges.
Die Einschätzung des Verhältnisses USA - BRD ist von
eminenter Konsequenz für die eigene Orientierung. Wenn tatsächlich
- wie es behauptet wird - die BRD nichts anders ist, als ein Satellit
der USA, vergleichbar mit Südkorea, so hat dies zur Folge,
daß entweder die Frage des Kampfes in der BRD beantwortet
wird mit einem transnationalen Konzept oder aber in einer langfristigen
Perspektive das Bündnis mit Teilen der einheimischen Bourgeoisie
gesucht werden muß.
In der Tat existiert eine imperialistische Globalpolitik unter
Hegemonie der USA, militärisch ausgedrückt durch die NATO,
ökonomisch und entwicklungspolitisch durch den IWF und die
Weltbank. Als stärkste imperialistische Macht sind die USA
in der Lage, ihre Verbündeten zur Solidarität zu zwingen,
wenn sie die Gesamtinteressen bedroht sehen: der Vietnamkrieg ist
ein Beispiel. Unterhalb der Ebene der Globalpolitik gibt es zahlreiche
Sonderinteressen, Konflikte, Bemühungen um eigenständige
politische Lösungen.
Der ehemaligen EG- Kommissar Ralf Dahrendorf [43]
nennt fünf wichtige Interessen der europäischen Außenpolitik
(Zeit, 25.4.80):
- "Das europäische Währungssystem, als ein auf
EG- Staaten beschränkter Ersatz für das mit der Krise
zusammengebrochene Weltwährungssystem;
- militärische Aufwertung der EG- Staten in der NATO zur
eigenständigen ízweiten Säule' neben den USA;
- die Abhängigkeit der EG- Staaten vom Rohstoffimport und
vom Export ihrer Industrieprodukte hat zur Folge, daß die
EG im Welthandel eine andere Position als die Supermächte
vertritt und ein Arrangement höchstens mit Japan vorstellbar
sei;
- die EG will die Nord- Süd- Entwicklungspolitik zwischen
den Industriestaaten und den Ländern der 3. Welt vorantreiben
und ihre Möglichkeiten ausnutzen, bevor eine stärkere
internationale Klasenkampfsituation entsteht;
- in Westeuropa selbst sollen kriegerische Auseinandersetzungen
vermieden werden."
Damit ist ein Programm eigenständiger Politik der BRD und
anderer europäischer Staaten angedeutet, das in vielen Fällen
auch schon Realität geworden ist.
- Die Weltbank wird inzwischen durch die BRD mit 28%, Schweiz
mit 16%, die USA mit 20%, Japan und die OPEC- Länder mit
jeweils 14% finanziert.
Mit der Zunahme des europäischen Anteils haben sich die Darlehens-
und Investitionsschwerpunkte verschoben: es sind nicht länger
nur die lateinamerikanischen Militärdiktaturen und einige
Länder, die sich in neokolonialer Abhängigkeit von den
USA befinden - zunehmend erhalten auch afrikanische und osteuropäische
Länder, mit denen die BRD und Frankreich kooperieren, Gelder
der Weltbank.
- Die BRD stabilisiert in Europa die an der Peripherie befindlichen
Länder mit finanziellen Krediten, Sozialdemokratisierung
der oppositionellen Kräfte, Integration der Arbeiterbewegung
in den Staat sowie den für die "innere Sicherheit"
notwendigen Technologien. Die BRD war daran beteiligt, die überfälligen
Diktaturen in Portugal, Spanien und Griechenland zu beseitigen
und gleichzeitig die Entwicklung eines revolutionären Prozesses
in diesen Ländern wie auch in Italien zu verhindern.
Ganz anders die Lateinamerika- Politik der USA. Sie vernachlässigt
nach wie vor die Stabilisierung gesellschaftlicher Organismen (wie
Parteien, Gewerkschaften usw.) und stützt sich im wesentlichen
auf die Militärapparate. Putsch, Folter, Militärdiktaturen
mit der Herrschaft der Geheimdienste, ökonomische Ausplünderung
und Profittransfer in die USA sind die Kennzeichen dieser Politik.
- Der von den USA nach dem sowjetischen Einmarsch in Afghanistan
[44] von der BRD
geforderte Wirtschaftsboykott war so nicht realisierbar. Der Verzicht
auf anstehende Großaufträge der UdSSR an die deutsche
Stahlindustrie hätte für das Ruhrgebiet Massenarbeitslosigkeit
und soziale Instabilität bedeutet. So war die Bundesregierung
zwar mit dem Olympiaboykott [45]
zu einer außenpolitischen Geste der Solidarität mit
den USA bereit, nicht aber zu blinder, folgenschwerer Vasallentreue.
- Auch am Beispiel des von BRD und USA inszenierten Putsches
in der Türkei läßt sich diese Linie in der BRD
verfolgen. Allein im Jahr 1980 pumpte die BRD 300 Millionen Dollar
(25% der gesamten westlichen Hilfe) in das ausgepowerte Land,
um die Demirel- Regierung zu stabilisieren und gleichzeitig Massenelend
zu vermeiden. Die inneren Widersprüche in der Türkei
eskalierten dennoch so schnell, daß die NATO putschen mußte,
um ihre Süd- Ost- Flanke nicht zu gefährden. Wenn auch
in diesem Fall nicht erfolgreich, zielt die BRD- Politik dennoch
darauf, mit Hilfe von materiellen Zugeständnissen sozialen
Konsens zu erreichen und möglichst diktatorische Lösungen
zu vermeiden. Diese gilt auch für die Außenpolitik
gegenüber Ländern der 3. Welt: "Dahinter steckt
die Einsicht, daß die deutsche Außenpolitik nicht
länger auf marode Regimes in der 3. Welt bauen darf, nur
weil diese einen ípro- westlichen' Anspruch haben. Vielmehr
setzen die Deutschen, anders als die Amerikaner, auf blockfreie
Regierungen, auch wenn diese dem Westen nicht wohlsonnen sind.
íWir erreichen', erläutert ein AA- Experte, ílangfristige
Stabilität auf Kosten kurzfristiger Instabilität.'"
(Spiegel, 4.8.80)
Krieg welchem Krieg?
Seit dem 6. Mai in Bremen [46]
wird wieder über die Notwendigkeit antimilitaristischer Politik
nachgedacht. Dabei werden teilweise aber wieder Fehler gemacht,
die schon bei der Bewegung gegen die Remilitarisierung in den 50er
Jahren und bei den Ostermärschen gegen den Atomtod in den 60ern
zutage getreten sind.
Dennoch
- schon damals traf diese Bewegung den Nerv. Der erste politische
Mord in der Geschichte der BRD wurde 1953 von der westdeutschen
Polizei an dem jungen Kommunisten Philipp Müller bei einer
antimilitaristischen Demonstration in Essen begangen.
Damals wie heute setzt die Argumentation gegen die Bundeswehr,
gegen die NATO an der diffusen Kriegsangst der Menschen an. Es ist
nicht nur so, daß diese Angst nach 50 Jahren nationalsozialistischer
und antikommunistischer Hetze allemal eine Angst vor den "Roten",
der Sowjetunion ist. Es ist auch eine lähmende, eine freiflutende
Angst , die sich nicht mehr der Strukturen bewußt ist, aus
denen sie entsteht.
In den Diskussionen dieses Jahres wurde immer wieder darauf hingewiesen,
daß in den NATO- Konzeptionen die BRD im Kriegsfall der Zerstörung
durch die Supermächte preisgegeben wird. An der Tatsache dieser
Planungen wurde versucht, die Angst vor dem Schlachtfeld BRD zu
mobilisieren.
Dies ist nicht nur problematisch, weil damit diffuse, antikommunistische
Paranoia beschworen wird. Es ist falsch, weil die aktuelle Kriegsgefahr
sich auf andere Regionen der Welt bezieht - vor allem Naher Osten,
Afrika, Vorderasien. Es wird so getan, als sei die BRD abstrakt
verfügbares Aufmarsch- und Raketenaufschlagsgebiet, wo es doch
viel mehr darauf ankommt, die aktive Beteiligung und Unterstützung
der BRD bei den Vorbereitungen zu neuen imperialistischen Raubkriegen
zu denunzieren.
In der Fixierung auf die Zunahme der "Spannungen" in
Europa und der Verhärtungen der Ost- West- Beziehungen erscheint
auf ein Neues der eurozentristische Kopf, der die dunklen Befürchtungen
vor dem möglichen Übermorgen immer noch wichtiger nimmt
als die Realität der Kriege, die heute bereits in der 3. Welt
geführt werden oder unmittelbar bevorstehen.
Eine ziellose Angstmacherei kann leicht zur Kehrseite der von oben
betriebenen ideologischen Militarisierung werden. Deshalb ist es
doppelt wichtig, die Ziele der Nachrüstungs- und Aufrüstungsbeschlüsse
der NATO zu begreifen, um daraus eigene Handlungsmöglichkeiten
abzuleiten.
Die dümmliche Halsstarrigkeit von SPD- Apel bei der Zelebrierung
der Vereidigungsrituale hat uns in diesem Jahr die willkommenen
Anlässe für die Auseinandersetzung präsentiert. Ein
wenigstens durchschnittlich intelligenter Minister, ohne Wahlkampf,
ohne Angst, sein Gesicht zu verlieren, hätte die Vereidigungen
abgesagt.
Damit wäre aber die Entstehung des neuen antimilitaristischen
Bewußtseins bei den Jugendlichen, in der Frauen- und der Öko-
Bewegung und den immer noch mitmarschierenden Altlinken sehr viel
schwieriger gewesen.
Die USA entwickelten seit 1978 eine neue "Eindämmungsstrategie"
gegenüber der UdSSR. Durch eine Veränderung des strategischen
Gleichgewichts soll die UdSSR in eine kostenintensive Rüstungspolitik
hineingetrieben werden. Politisch zielt dies auf zweierlei ab:
- im sowjetischen Machtbereich wird bei zunehmenden sozialen
und politischen Spannungen (z.B. Polen) der Spielraum für
materielle Zugeständnisse an die Bevölkerung eingeengt
und die Situation weiter eskaliert;
- außenpolitisch nehmen die Möglichkeiten der UdSSR,
unabhängige und blockfreie Länder zu unterstützen,
ab, was die Chancen des imperialistischen Blocks zur Ausdehnung
bzw. Restabilisierung eigenen Einflußsphären vergrößert
(z.B. Ägypten, Simbabwe in den letzten Jahren).
Militärisch soll die Situation zugunsten des imperialistischen
Blocks so verschoben werden, daß die UdSSR bei den bevorstehenden
Kriegen um Energien und Rohstoffe neutralisiert werden kann.
Der
Krieg zwischen Irak und Iran [47]
verdeutlicht dies. Der Irak - seit Jahren aufgerüstet und beliefert
von Frankreich und der BRD, aber auch der UdSSR - hat sich seit
dem Sturz des Schahs in die regionale Strategie der Amerikaner integrieren
lassen. Der Irak führt - mit massiver finanzieller und militärischer
Unterstützung der reaktionären arabischen Regimes - gegen
den Iran einen Abnutzungskrieg, der diesen in neue ökonomische
Abhängigkeiten von den europäischen Staaten hineintreiben
soll. Damit ist aber auch unsere Linie des Widerstandes klar. Es
geht nicht darum, daß die BRD Opfer sein kann, sondern daß
sie heute Täter ist.
Die BRD wird sich kaum an direkten militärischen Interventionen
beteiligen; das werden die USA, Frankreich, Großbritannien,
Israel, Ägypten, Südafrika u.a. besorgen, aber die BRD
wird weiterhin Waffen und Technologien exportieren, Materialien
zur Herstellung von Atom- Bomben bereitstellen, Militärs und
Bullen ausbilden, mit großen Geldern die amerikanischen, britischen
und französischen Truppen in der BRD finanzieren, den USA logistische,
technische und geheimdienstliche Unterstützung bereitstellen
und mit der Bundeswehr abrückende amerikanische Truppenverbände
ersetzen.
Die Mobilisierung muß der Tatsache gelten, daß die
BRD im Schatten der Nachrüstung aggressive Raubzüge um
Energien und Rohstoffe abdecken wird. Dagegen sind konkrete Widerstandsperspektiven
zu entwickeln und nicht nur Angst vor dem Atomtod.
[Zurück zum Inhaltsverzeichnis] [weiter]
|