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Früchte des Zorns

TitelbildDie Bewegung gegen die Startbahn West - August 1983


Weil dies nur im Zusammenhang mit der Situation und den Bedingungen sowie dem Ausmaß an Betroffenheit zu verstehen ist, nun folgend ein Abriß über

regionale Voraussetzungen und Folgen.

Die Mitte der 70er Jahre fusionierte Doppelstadt Mörfelden- Walldorf war und ist bis heute das Zentrum des Widerstands (von allen Anliegergemeinden ist M.-W. die am nächsten zur Startbahn liegende).

Die Struktur der Stadt ist geprägt von ihrer Lage im industriellen Ballungsraum Rhein- Main: zentral gelegen, aber dennoch im Grünen, ist sie in den letzten beiden Jahrzehnten Wohnstadt für die Stadtflüchtigen bzw. die, wegen der in der Rhein- Main- Region konzentrierten Unternehmen, hier Zugezogenen geworden. In beiden Orten zusammen hat sich die Einwohnerzahl zwischen 1960 und 1980 nahezu verdoppelt.

In beiden Orten, insbesondere in Mörfelden, können die Einheimischen trotz des massiven Zuzugs und der damit verbundenen Veränderung der lokalen Strukturen auf gewachsene soziale Bindungen zurückgreifen, wegen der durch die Verwurzelung gegebenen Immobilität, eine wichtige Voraussetzung des lokalen Widerstands.

Mörfelden- Walldorf befindet sich im Einzugsgebiet der Metropolen Frankfurt, des Rhein- Main- Flughafens (20% der hier lebenden Erwerbstätigen sind dort beschäftigt), der Opel- Werke Rüsselsheim, der Caltex- Raffinerie Raunheim (die in der Einflugschneise des Flughafens liegt und demnächst geschlossen wird) und bedingt auch der Farbwerke Hoechst. Dies soll nicht nur der Information halber gesagt sein, sondern auch im Zusammenhang mit der von FAG und Landesregierung benutzten Argumentation der "Arbeitsplatzbeschaffung" bzw. der Drohung mit der Vernichtung von Arbeitsplätzen in Fall einer Verhinderung der Startbahn. Besonders die Verbindung zu den Opel- Werken und zum Flughafen selbst dürfte die Ablehnung dieser Argumente begründen. So haben einerseits die Arbeiter der Automobilindustrie ausgeprägte persönliche Erfahrungen mit der Rationalisierung von und an Arbeitsplätzen; andererseits die am Flughafen Beschäftigten genügend Einblick in den Arbeitsablauf im Flugbetrieb/ Abfertigung etc., um sich davon wenig beeindrucken zu lassen.

KerosinUmso tiefgreifender sind die jahrzehntelangen Erfahrungen der Alteingesessenen mit den Begleiterscheinungen und Belastungen des Flughafens. Dabei steht, was die alltäglichen Lebensbedingungen angeht, der höllische Lärm - mit der zu Beginn der 60er Jahre losgehenden Umrüstung der Zivilflugzeuge auf Strahlantrieb - an erster Stelle, denn er bestimmt jegliche Lebensäußerung.

Eine andere Begleiterscheinung ist der von den startenden und landenden Maschinen über Wald- und Wohngebieten abgegebene Kerosinregen.

Darüberhinaus ist der Flughafen permanenter Auslöser von Grundwasserverseuchungen. Um nur zwei - bekanntgewordene - Fälle herauszugreifen:

  1. Leck in den Kerosinleitungen am Flughafen, das erst sehr spät bemerkt wurde und aus dem mehrere Millionen Liter ins Erdreich versickerten. Spuren von Kerosin wurden daraufhin in Grundwasserbrunnen von Frankfurt gefunden.
  2. Die Lufthansa verwendet (giftiges) Tri- und Tetrachloräthylen zum Reinigen ihrer Motorenteile. Das Gift wurde über die Kanalisation abgelassen und gelangte wiederum durch ein Leck ins Erdreich. Das Zeug ist allerdings nicht nur hochgiftig, sondern auch wasserunlöslich! Die "natürliche Auswaschung" dauert laut Gutachten 420 Jahre (FR vom 1.12.82). Lebensgefährliche Konzentrationen befinden sich demnach heute und auch weiterhin im Grundwasser.

Die Startbahn West ist nur eine Fortsetzung der seit dem 2. Weltkrieg permanenten Ausdehung des Flughafens, die Stück für Stück die Lebensgrundlagen in der Umgebung angreift und allmählich zerstört. Seit 1945 sind im Rhein- Main- Gebiet 4.300 Hektar (= 8.600 Fußballfelder) Wald gerodet worden; 1.500 ha hat davon allein der Flughafen in Beschlag genommen und zwar ohne Startbahn, die nochmal 300 ha gefressen hat.

Die Startbahn West war somit für die Anwohner schon im Planungsstadium nicht nur abstrakt, sondern sinnlich vorstellbar. Die Erweiterungspläne der FAG, die vorläufig in der Startbahn enden, wurden nach ihrem Bekanntwerden 1961 von den Gemeindevertretern aller betroffenen Ortschaften abgelehnt. Diese waren sozusagen der Anfang der nun 20 Jahre währenden Kontroverse. Der Protest gegen diese Pläne wurde lange Zeit von honorigen Bürgern wie dem berühmt- berüchtigten Pfarrer Oeser getragen und betrieben. Er bewegte sich bekanntlich bis Ende der 70er auch ausschließlich auf juristischer und gemeindeparlamentarischer Petitionsebene. Die Ablehnung durch sämtliche lokalen Parteienverbände, Gemeinde- und Kreisparlamente, die Kirche und die Vereine bot einen Legitimationsansatz für nahezu jeden Bürger.

Weniger bekannt, aber dafür umso wichtiger für Entwicklung und Ausdauer des Widerstands, ist die im "Roten Mörfelden" überlieferte und bestehende Tradition von Widerstand.

Das Problem dabei ist, - wie immer, wenn es um Widerstandsgeschichte geht - daß es darüber kaum eine Geschichtsschreibung gibt. So existierten auch hier kaum authentische Überlieferungen, abgesehen von solchen Darstellungen, die - vor allem den Nazi- Faschismus betreffend - vom fragwürdigen KPD/ DKP- Parteistandpunkt geprägt und zensiert sind. Wir wollen trotzdem ein paar Fakten zur Parteigeschichte angeben, weil sie zumindst Indiz für die lokalen politischen Verhältnisse und Kämpfe sind.

Seit Gründung der KPD im Jahr 1919 war Mörfelden eine Domäne dieser Partei. Ein Grund dafür, warum die Nazis - bis 1933 - hier keine öffentlichen Auftritte wagten. 1931 wählten die Einwohner Mörfeldens einen kommunistischen Bürgermeister, dessen Sozialpolitik (Umverteilung der Gemeindegelder auf die Armen) zu massivem Eingreifen der übergeordneten Behörden (Kreis- und Landesregierung) führte. Sie endete schließlich mit der Absetzung dieses Bürgermeisters, die nur unter massiver Bullenbesetzung des Ortes gegen den tatkräftigen Widerstand der Einwohner durchgesetzt werden konnte.

Mit dem Verbot von KPD und SPD 1933 waren auch die Mörfeldener verstärkt der Verfolgung durch die Nazis ausgesetzt. Über 100 landeten im KZ oder Zuchthaus.

Neben dem illegalen Weiterbestehen der KPD gab es - auch im eher nazistischen Walldorf - Ansätze zur Organisierung eines Massenselbstschutzes, einer antifaschistischen Vereinigung, die sich zum Schutz vor Angriffen der Nazis bildete. Es kam des öfteren zu handgreiflichen Auseinandersetzungen mit der SA [19], teilweise auch zu Entwaffnungen.

Dieser Tradition gemäß war in den 50er Jahren die Bewegung gegen Remilitarisierung und Atomwaffen auch in Mörfelden präsent. Die heutige DKP verfügt dort über eine relativ große Anhängerschaft (sie hatte z.B. bei den Kommunalwahlen 1981 einen Stimmenanteil von 13,8%).


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