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Früchte des Zorns

TitelbildDie Bewegung gegen die Startbahn West - August 1983


... sondern in Kämpfen, die wir nicht kämpfen

Dafür, daß der so mobilen und breiten Massenbewegung der ersten Novemberwoche nach dem "Nacktensamstag" der Atem stockte, sehen wir verschiedene Gründe als ausschlaggebend an:

1.

Startbahn WestKonkret: Der Ablauf des Samstag und dessen demoralisierende Wirkung. Wesentlich war dabei nicht, daß das eigentliche Ziel, die Platzbesetzung, nicht erreicht wurde, sondern was da und wie es ablief. Das Gefühl, total verarscht und verschaukelt worden zu sein, die Unfähigkeit und Hilflosigkeit, den Teufelskreis aus Verarschung auf der einen ("eigenen") und Verhöhnung auf der anderen (Bullen) Seite zu sprengen, erlebt zu haben, war den "Kids" und den "Alten", dem "Militanten" wie dem "Bürger" weitgehend gemeinsam. Das trifft ins Mark und lähmt, ist um ein Vielfaches schlimmer als es jede noch so harte - und körperlich schmerzhafte - Niederlage bei einem realen Besetzungsversuch hätte sein können.

Das ist der Unterschied zwischen militärischer und politischer Niederlage, der da zum Tragen gekommen ist. In den Tagen zuvor waren sowohl barbarische Prügel von den Bullen wie auch die schmerzliche, aber punktuelle Niederlage der Hüttendorfräumung, in deren Befestigungen und Verteidigungswällen immerhin wochenlange Arbeit und 'ne Menge Hoffnung steckte, ein- und weggepackt worden. Beides hatte nicht zu Resignation und Demobilisierung geführt, sondern das genaue Gegenteil zur Folge. Die für diesen Tag vorgesehene Platzbesetzung hatte nicht den Charakter einer Entscheidungsschlacht, mit der alles steht oder fällt. Es war aus der Entwicklung der vorherigen Tage klar, daß sie ansteht. Das Fatale war, daß aus den eigenen Reihen der Versuch, die gewonnene Stärke der Bewegung auf die Probe zu stellen, vereitelt wurde, ihr quasi von innen heraus die Spitze genommen wurde.

2.

Die Quantität der Bewegung ist nicht in Qualität umgeschlagen. Ihre einzige Stärke war ihre Größe und Mobilität. Eine darüber hinausgehende Zielgerichtetheit fehlte ihr. In der Woche vor dem 7.11. sind keine massenhaft durchführbaren Aktionsformen gegen die politischen und vor allem ökonomischen Strukturen der Betreiber gefunden und erprobt worden, die den Druck auf die Herrschenden insgesamt noch verstärkt hätten. Aktionen, die der Bewegung über das "Wir sind Zehntausende" hinaus ein eigenständiges politisches Gewicht und Selbstbewußtsein hätte geben können und als Folge dessen eine Perspektive aufgezeigt hätten, an die nach dem Einbruch vom Wochenende hätte angeknüpft werden können.

Die unzähligen Demos und Umzüge, für die die tägliche Frankfurter 17- Uhr- Demo exemplarisch war, blieben real darauf beschränkt, allein durch ihre Summe wie darüber, daß irgendwo, gleich welche Uhrzeit, immer was lief, die Bullen permanent auf Trab zu halten und so langsam aber sicher physisch zu verschleißen (was im übrigen so manchen amoklaufenden Bullen erklärt).

Darüberhinausgehende Aktionen wie z.B. Blockaden von FAG- freundlichen Zeitungen, in der Stadt ansässigen Startbahn- Baufirmen, Besuch von Fluggesellschaften, FAG- Aufsichtsräten etc. oder auch das Einbeziehen des Betriebsgeländes von Großbetrieben in Demorouten fanden dagegen so gut wie nicht statt.

An Vorschlägen in dieser Richtung hat es zwar nicht unbedingt gefehlt (FAZ- Blockade, Flughafenblockade, Hausbesuch bei Wallmann [14] usw.). Versuche, wie z.B. die Besetzung des Hessischen Rundfunk konnten jedoch vor allem von den zu diesen Anlässen in ausreichender Zahl anwesenden Alt- Spontis (u.a. ASTA) und immer mit Megaphonen ausgerüsteten KB'lern meist "erfolgreich" abgebogen werden.

Im Gegensatz dazu hat es unseres Wissens nicht mal Versuche gegeben, zeitlich parallel zu den Demos oder unabhängig davon größere Gruppenaktionen gegen die Betreiber- und Kapitalstrukturen in der Stadt zu unternehmen. Damit meinen wir weniger irgendwelche "hit and run"- Geschichten, sondern Aktionen wie beispielsweise die Holzfällerblockade in Eppertshausen während Baulos 2 (dort hatten etwa 70 Leute morgens die österreichischen Holzfäller für ca. 4 Stunden am Verlassen ihrer Unterkünfte gehindert).

Wir denken, daß es wichtig gewesen wäre, wenn seitens organisierter und bewußter größerer Gruppen solche Aktionen vorbereitet gewesen wären, um die Ratlosigkeit in bestimmten Situationen durch Benennung und Umsetzung eines konkreten Ziels aufzuheben. Bei einem guten "Timing" und der Bekanntgabe auf den Demos wären das gute Gelegenheiten gewesen, Impulse zu geben und große Teile der Demo dorthin zu mobilisieren. Die Bereitschaft eines Gutteils unterstellt, hätten so die Abwiegeleien unterlaufen werden können. Die haben nämlich nur dann eine Chance, wenn die Alternativen voller "wenns und abers" bzw. "vielleichts" stecken, nicht aber, wenn sie sich real anbieten.

Notwendig und sinnvoll wären auch vielfältige Gruppenaktionen in verschiedener Form zur Blockade des Flughafens gewesen - und zwar so oft wie möglich. Hier hätte die Bewegung Punkte auf ökonomischem Gebiet (Fluggesellschaften) gegen die FAG sammeln können.

Eine ganz anders gelagerte Kampfform wäre gewesen, den in den Großbetrieben der Region z.T. breit vorhandenen Protest gegen die Startbahn in Aktionen im Betrieb umzusetzen. Ein Beispiel, wo diese Voraussetzungen vorlagen und sich von hier hätten ausdehnen können, ist Opel/Rüsselsheim. Von den dort rund 35.000 Beschäftigten lebt ein gutes Drittel im direkten Umland des Flughafens. Während und nach der Räumung des Hüttendorfes gingen die spontanen Krankmeldungen und Urlaubsgesuche in die Tausende. Viele hatten, als sie von der Räumung erfuhren, Arbeit Arbeit sein lassen und sind raus in den Wald. Es wurde zwar von Streik geredet, initiativ wurde aber niemand - abgesehen davon, daß massenhaftes Krankfeiern auch 'ne Art von, allerdings passivem, Streik sind. Außerdem hätte es nicht unbedingt ein vielleicht zu riskanter Streik(versuch) sein müssen, denn mit massiver bzw. gut geplanter Sabotage hätte der Laden auch stillgestanden.

Dies als Beispiel für einen Ansatz, den wir als sehr wesentlich erachten und an dem weitergedacht werden müßte. Einerseits, um in aktuellen Konflikten den ökonomischen und politischen Druck zu erhöhen, andererseits, um die Kampfplätze zu verlagern und politisch- inhaltlich zu erweitern. Den Konflikt in die Produktionsstätten tragen.

Auch wenn die oben genannten Punkte nur angerissen und unvollständig sind, zeigen sie doch wo(ran) es "gehängt" hat, daß die Quantität der Bewegung nicht in eine ihr angemessenen Qualität umgeschlagen ist.

Die gebrochene Geschichte der Linken in der Region und, damit zusammenhängend, nicht vorhandene Strukturen bilden die wesentliche Ursache für diese Mängel. In vielen Situationen wäre es gerade auf die Existenz einer verbindlichen (nicht straffen) Organisierung der radikalen Linken angekommen, die bereit und in der Lage ist, zu intervenieren - so am 7.11., danach und überhaupt in den beschriebenen Situationen. Alles darauf zu reduzieren und damit auf sich beruhen lassen, wäre einfach, aber falsch. Es gibt eine Menge ausgebliebener Antworten auf die allzeit vorhandenen Schwierigkeiten und Probleme der Startbahn- Bewegung, die vielleicht oft gedacht, aber kaum ernsthaft und zielstrebig diskutiert, geschweige denn versucht worden sind.

1.

Ein Problem der Linken ist, daß ihre Politik von größeren Teilen der Bevölkerung isoliert ist, aus ihrem Ghetto nicht rauskommt und zum Teil auch wenig dafür tut.

Im Startbahn- Konflikt war es die Bevölkerung, die durch ihren Protest die Linke erst mobil machte. Anstatt hier aber die politische Initiative zu ergreifen, versteckte mensch sich hinter dem angeblich nicht genug entwickelten Bewußtsein der sog. Bürger (Beispiel: Air- Base- Demo 4.12. - die dann in der Frankfurter Innenstadt stattfand - : von den Veranstaltern wurde vorher absolute Gewaltlosigkeit festgelegt. Begründung: Gewalt könnte die Bürger abschrecken, sich mit dem Aspekt Nato- Startbahn zu beschäftigen). Von Anfang an wurde allzu ängstlich auf die vielschichtige Zusammensetzung der Bewegung gestarrt, ganz bestimmte Bürger mit "dem Bürger" - von dem erstere immerzu redeten - verwechselt; ein "Bürger", den es nie gab und auch heute nicht gibt. Orientiert wurde sich (deshalb?) zumeist an einem vorgegebenen "Minimalkonsens", der zwar nicht verbal, dafür aber praktisch als statischer und nicht permanent offensiv in Frage zu stellender und veränderbarer angegangen wurde.

2.

Der Begriff der "Gewaltfreiheit" ist nie politisch und offensiv diskutiert worden. Von den ideologischen Propagandisten der "Gewaltfreiheit" ist sie immer legalistisch begriffen und betrieben worden (was in der Friedensbewegung wieder deutlich wird). Das hätte frühzeitig Gegenstand von Auseinandersetzungen sein müssen unter den Parolen: Statt Minimalkonsens - gegenseitige Tolerierung der real unterschiedlichen Aktionsformen; gegen Vereinnahmung und Dominanz der Bewegung durch die legalistische Tendenz.

Damit hätten diejenigen, die Gewaltfreiheit als praktische Kampfform begreifen, von denen, die den Begriff benutzten, um die Bewegung symbolisch, gesetzestreu und kontrollierbar zu halten, getrennt und dazu gebracht werden können, sich selbst aktiv einzubringen.

3.

Die Frage der Spaltung wurde - ausgenommen die Führungsriege, die damit keimende Kontroversen einzudämmen suchte - nie thematisiert. Spaltung thematisieren heißt keineswegs, auf sie hinzuarbeiten. Es geht einfach um die Offenheit und Offensivität in der Diskussion.

So sind weder Worte und Taten der BI- Führung politisch angegriffen worden (und da hätte es eine Menge Punkte gegeben), noch sind Strategie und Praxis des Widerstands politisch offensiv angegangen worden - und wenn darüber eine Spaltung als Klärungsprozeß risikiert worden wäre. Das hätte allerdings genaue und inhaltlich klare Diskussionen, sowie die Übernahme von Verantwortung erfordert. Statt dessen wurde Verantwortlichkeit von den "Radikalen" zu weiten Teilen genauso delegiert wie vom "Bürger" und lieber der vorgegebene Platz im vorgegebenen Rahmen eingenommen (Diese fehlende Verantwortlichkeit setzt sich bis heute fort in der Verdrängung einer Auseinandersetzung und Aufarbeitung der gemachten Erfahrungen.).


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