Die
Bewegung gegen die Startbahn West - August 1983
Die BIs und die Neue Deutsche Welle
Die
BI ist die offizielle politische Organisation und damit auch das
Sprachrohr der Bewegung gewesen. Dies, obwohl große Teile
weder politisch noch personell dort repräsentiert waren und
sind. Auch die aktive lokale und regionale Bevölkerung nicht
in dem Maße, wie das Wort Bürgerinitiative vermuten läßt.
Ihr Führungskreis behielt in entscheidenden Situationen die
Federführung der Anti- Startbahn- Politik weitgehend in der
Hand. Demgegenüber war die Bewegung trotz der Verselbständigung
ihrer Aktivitäten nicht in der Lage, die politischen und praktischen
Schritte selbst zu bestimmen, vor allem, weil es ihr an Organisierung
und der dazugehörigen zumindest punktuellen Klarheit und Erfahrung
mangelte.
Wenn auch in BIs generell Angehörige nahezu aller Gesellschaftsschichten
vertreten sind, werden sie - auch die BIs gegen die Startbahn -
öffentlich von besser gebildeten Teilen der Mittelklasse dominiert.
Die verschiedenen Gruppen der Mittelschichten (mittlere Angestellte,
Beamte, Selbständige und freiberuflich Tätige) sind in
den letzten Jahrzehnten von der wachsenden Kapitalkonzentration
sowie der "reelen Subsumtion" weiter Lebensbereiche unter
die Logik des Kapitals direkt getroffen worden. Dem "alten"
Mittelstand wurde durch die industrielle Großproduktion von
Gebrauchsgütern zunehmend die Existenzgrundlage entzogen, viele
Selbständige wurden und werden lohnabhängig.
Verwaltungs- und Bürotätigkeiten sind permantenter Standarisierung
und Rationalisierung unterworfen und durch diese Entqualifizierung
mehr und mehr austauschbar. Die Angleichung des Angestelltenstatus
an den des Arbeiters bringt steigende Entfremdung und gleichzeitig
die Bedrohung durch Arbeitslosigkeit mit sich.
Akademische Berufsstände (Lehrer, Pfarrer, Rechtsanwälte
usw.) haben zusätzlich durch die Verbreitung von "Bildung"
und akademischer Ausbildung an gesellschaftlicher Anerkennung eingebüßt.
Diese Deklassierungsprozesse der Mittelschichten sind begleitet
vom Verlust traditioneller Privilegien sowie dem Entzug von Identifizierungsmöglichkeiten,
deren zwangsläufige Folge die Infragestellung des gesellschaftlichen
Wertesystems ist.
Diesen wachsenden Identitätsverlusten wird durch die Suche
nach neuen Betätigungsfeldern entgegenzuwirken versucht. In
ihnen muß einerseits die entstandenen Kritik an den gesellschaftlichen
Spielregeln und Auswüchsen zum Ausdruck kommen (Von der Startbahn-
BI im Frühjahr 82 formuliertes Selbstverständnis: über
den Umweltschutz/ Startbahn hinausgehend "Kampf um Demokratie
- gegen Staats- und Behördenwillkür"). Gleichzeitig
wird hier die Möglichkeit erblickt, dem verlorengegangenen
Selbstbild von der eigenen gesellschaftlichen Rolle wieder Inhalt
und Wert zu verleihen.
Charakteristisch für den "alten" Mittelstand war
eine ausgeprägt konservative Grundhaltung, die den sog. Fortschritt
zu Recht als Angriff auf den eigenen Status wertete. Nachdem die
Deklassierung in Form ökonomischer und technologischer Umwälzung
weit fortgeschritten ist, ist die Grundeinstellung der "neuen
Mittelschichten" notgedrungen kritischer Natur.
Diese Kritik ist - aus der Klassenlage erklärbar - nicht grundlegend.
Sie stellt also nicht die Grundlagen und die Daseinsberechtigung
des Systems überhaupt in Frage, sondern ist in ihren Prinzipien
eher konservativ geblieben. Letztlich zielt sie auf die Restrukturierung
gesellschaftlicher Verhältnisse ab, unter denen der Mittelklasse
wieder Funktion und Einfluß zukommt. Technologiefeindlichkeit
ist ein Element ihrer Politik, weil mit der technologischen Entwicklung
der Zerfall des individuellen Status vorprogrammiert ist. Dementsprechend
sind ihr Terrain die "oppositionellen" alternativen Umweltschutzinitiativen,
- parteien etc. (Zwei zusätzliche Aspekte für das Umweltschutzengagement
der Mittelklasse:
- Die Konsumbedürfnisse der Mittelklasse sind (über)befriedigt.
- Die technologischen Umwälzungen im Angestelltensektor,
die damit verbundene Monotonisierung und Standardisierung der
Arbeitsbedingungen haben die Belastungen in den psychischen Bereich
verlagert. Der Reproduktionsbereich Natur wird damit wieder interessanter
und wichtiger.)
Daß die Antwort auf die überall in den Metropolen stattfindenden
Deklassierungsprozesse speziell in den deutschen Mittelschichten
in dieser Form und Breite ausfallen, dürfte zweierlei zum Hintergrund
haben:
Zum einen das niedrige Niveau der Klassenkämpfe in der BRD,
das keine Anknüpfungspunkte bietet, die real erfahrene Deklassierung
vom Klassenstandpunkt aus zu begreifen und anzugehen.
Wesentlicher aber dürfte in diesem Zusammenhang die politische
Liquidierung des "Arbeiterreformismus" in den 50er Jahren
sein (KPD- Verbot). So existiert hier im Gegensatz v.a. zu Frankreich
und Italien keine derartige politische und gewerkschaftliche Organisation,
die Bezugspunkt und Sammelbecken der deklassierten Mittelschichten
sein könnte.
Im
Gegenteil gibt es mittlerweile jede Menge ehemaliger K- Grüppler,
die in der grünen Umweltschutz- und Friedensbewegung - auch
in der Startbahnbewegung - eine neue Heimstatt gefunden haben, nachdem
sich die Träume einer neuen Perspektive als Arbeiterführer
als Luftschlösser erwiesen hatten. Daß die Kritik der
Fabrikgesellschaft eigentlich nicht zu ihrem ideologischen Inventar
gehört (AKWs und Fabriken in Arbeiterhand!) ist dafür
kein Hinderungsgrund.
Reden, Erklären und Belehren sind Fähigkeiten, die Angehörige
der "neuen Mittelschichten" in der Regel erlernt haben.
Gleichzeitig sind es Fähigkeiten, die in der Arbeit politischer
Gruppen gefragt sind, nicht zuletzt, weil die meisten Leute nicht
ohne weiteres darüber verfügen. Eine andere erlernte Fähigkeit
ist die des "Triebaufschubs". Das heißt, Denk- und
Verhaltensweisen zu entwickeln, die den persönlichen Einsatz
nicht an kurzfristig erreich- und sichtbaren Ergebnissen orientieren,
sondern langfristig kalkuliert auf ein Ziel hinarbeiten.
Damit sind jene geradezu prädestiniert, profilierte oder profilierende
Positionen innerhalb von Gruppen, Initiativen, Bewegungen einzunehmen
- nicht nur wegen der ihnen eigenen Dynamik, sondern auch aufgrund
der Ängste und Bequemlichkeit der "anderen".
Entsprechend den gesellschaftlichen Normen und Kriterien ist die
Identitätsfindung gekoppelt an aus der Masse herausragenden
Positionen und Funktionen. Es ist also keinesfalls damit getan,
anonymes Mitglied einer x- beliebigen Bewegung zu werden.
Dem beschriebenen Selbstverständnis folgend sind Bewegungen
und BIs - platt ausgedrückt - mehr oder weniger Mittel zum
persönlichen Zweck. Die Initiativen sind die Basis, auf der
eine Profilierung erst möglich wird, die erstarkte Bewegung
ist Verhandlungsmasse gegenüber den Herrschenden.
Um als Verhandlungspartner und damit als Machtfaktor - mit dem
Druckmittel "Masse" in der Hinterhand - anerkannt zu werden,
muß der Beweis für die Ausübung der "Kontrolle"
über die Bewegung angetreten werden. Denn nur wer sie in der
Hand hat, ist in der Lage, sie am "Überkochen" zu
hindern und später zu integrieren. (Ein Beispiel war das von
Grünen und SPD betriebene Landtagshearing zum Startbahnkonflikt,
das - wie's ganz unverblümt hieß - der "Befriedung
der Region" dienen sollte. Das war im übrigen auch eine
realpolitische Version der von den Grünen im Wahlkampf aufgestellten
Forderung nach "Zurücknahme der Startbahn", die sich
mittlerweile "Überdenken der Startbahn" schreibt.)
In diesem Sinne gehört die Propagierung des "gewaltfreien
Widerstands" zum taktischen Handwerkszeug, das notwendig gewordene
oder von der Bewegung geforderte praktische Schritte im symbolischen
und (quasi-)legalen Bereich ansiedelt und eingrenzt.
Dieser politische Hintergrund ist nahezu allen Bewegungspolitikern
gemeinsam, wiewohl es Unterschiede in den individuellen Perspektiven
der einzelnen Figuren gibt. Unterschiedliches Engagement und Formen,
Vorgehensweisen, (in bestimmten Situationen) voneinander abweichende
Positionen und Äußerungen sind Ausdruck ihrer verschiedenen
Ambitionen.
Und damit konkret zum Startbahnkonflikt. Da sind auf der einen
Seite der sicher auch überregional bekannte Leo Spahn sowie
der mehr intern agierende Jürgen Martin, auf der anderen Alexander
Schubart und Dirk Treber.
Treber und Schubart gehörten beide zu den Hauptbetreibern
des VB. Als Jurist und "Radikaldemokrat" hatte Schubart
diese Möglichkeit ausgegraben und war dessen Initiator.
Wie sich im Nachhinein beweist, war das VB als langfristige Mobilisierungskampagne
für die Landtagswahlen angelegt. Wäre das VB nicht vom
Staatsgerichtshof abgelehnt worden, hätte die "2. Stufe",
in der die Unterschriften von 20% der Wahlberechtigten nötig
sind, im unmittelbaren Vorfeld der Landtagwahlen stattgefunden.
Selbst um nur einen Teil der erforderlichen 800.000 Unterschriften,
die dann nicht mehr gesammelt, sondern binnen 2 Wochen individuell
auf den kommunalen Ämtern geleistet werden müssen, zusammenzubekommen,
wäre eine wahnsinnige Mobilisierung notwendig gewesen. Dies
hätte anschließend in eine Stimmabgabe für eine
Grüne, Bunte oder Alternative Liste münden sollen. Nachdem
durch das Urteil des Staatsgerichtshofs ein dicker Strich durch
diese Rechnung gemacht worden war, ging unverzüglich das Hick-
Hack um die Form der "aktiven" Wahlbeteiligung los. Daß
am Ende der Soziologe Treber, eine eher farblose Figur, Spitzenkandidat
der Grünen wurde, hatte er sicherlich seinem Wohnsitz Mörfelden
und der Parteimitgliedschaft, aber auch der Taktiererei Schubarts
bezüglich der Gründung einer Alternativen Liste, in der
alle oppositionellen Parteien und Organisationen eine Heimstatt
finden sollten, zu verdanken. Die Weigerung der Grünen, sich
an einer Alternativen/ Bunten Liste zu beteiligen, macht ihren mittlerweile
entwickelten Machtanspruch deutlich, ihren Alleinvertretungsanspruch,
Bewegungen für sich zu vereinnahmen und damit - jedenfalls
versuchsweise - auch zu integrieren und befrieden.
Daß es Schubart letztlich um mehr als die eigene Kandidatur
auf einer von den Grünen bestimmten und angebotenen "offenen
Liste" ging, hat vielerlei Gründe. Einerseits ist es natürlich
eine Machtfrage. Andererseits spricht seine eigene politische Herkunft
und Geschichte gegen eine Reduzierung auf Umweltschutz und Raketenstationierung.
Er war langjähriges SPD- Mitglied und Juso- Vorsitzender und
wurde seinerzeit dort rausgeschmissen, weil er bei den Landtagswahlen
78 für die GLH, die noch ein breiteres politisches Spektrum
repräsentierte, kandidiert hatte. Zudem dürfte darüberhinaus
ein solcher Schritt bei seinen Freunden vom KB, die mit ihm das
VB betrieben, auf wenig Gegenliebe gestoßen sein.
Genauso vehement wie sich die beiden für's sog. parlamentarische
Bein einsetzten, warfen sich die beiden anderen gegen eine Wahlaussage,
die durch die Hintertür doch zustande kam ("Wählt
keine Startbahn- Parteien"!), ins Zeug. Was im Dämmerlicht
noch wie ein Eintreten für eine gestandene - ausschließlich
außerparlamentarische - Widerstandbewegung aussehen kann,
entpuppt sich bei besserer Beleuchtung als Fehleinschätzung.
Spahn war früher Gewerkschafter und an der Akademie der Arbeit
beschäftigt gewesen. Seither betreibt er eine Kneipe in Kelsterbach.
Auffallend an seinem Verhalten war, daß er mit Distanzierungen
von Militanz immer sehr schnell bei der Hand war. Im Gegensatz dazu
aber in Situationen, in denen sich die "Bürger" radikalisierten
- mit denen er "die Erfahrung gemacht hat, daß sie nicht
doof sind" (Spahn) - es immer verstanden hat, öffentlich
dafür Verständnis zu heucheln. Er sah sich selbst wohl
als Sprecher der gemäßigten Teile der regionalen Bewegung,
was auf dem Hintergrund kommunalpolitischer Ambitionen verständlich
ist (es wurde das Gerücht gehandelt, er wolle Bürgermeister
seiner Gemeinde werden). Heute hat er sich weitgehend zurückgezogen.
Anders als Jürgen Martin, Lehrer von Beruf und ein so eingefleischter
Sozialdemokrat, daß er sich nicht nur nicht dazu durchringen
konnte, die SPD zu verlassen, sondern das Verbleiben in der Partei
auch als politische Position bezieht. Was eine selbstredende Erklärung
für die Ablehnung einer Wahlteilnahme in Grün oder Alternativ
ist. Als im März 83 die Wiederwahl des Bürgermeisters
von Mörfelden- Walldorf Brehl (SPD) auf der Kippe stand, da
er auf die Stimmen der Grünen- Bürger- Liste angewiesen
war, war Martin derjenige, der erfolgreich vermittelte. Die GBL
hatte Brehl zuvor wegen dessen Zustimmung zur "Kleinen Trasse"
die Unterstützung verweigert.
Martin war so gut wie bei jeder Schweinerei dabei und war und ist
in den Gremien der BI stark engagiert. Er versteht sich darauf,
in hektischer Aktivität Probleme zu benennen und aufzugreifen,
was seine Reden und Schritte mit einem Hauch der Vertrauenswürdigkeit
umgibt, um sie dann gnadenlos zu verdrehen und mit seinen reformistischen
Inhalten zu verrühren.
Der Lohn der Partei für diesen selbstlosen Einsatz steht bislang
noch aus.
Die Startbahn- Bewegung steht und fällt mit dem Protest und
Widerstand der unmittelbar ansässigen Bevölkerung. (Grundsätzlich
ist es eine Überlegung wert, inwieweit dies eine Voraussetzung
für die Stabilität und Kontinuität des Kampfes gegen
- technologische - Großprojekte ist).
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