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Früchte des Zorns

TitelblattRevolutionärer Zorn Nr. 4 - Januar 1978


Leben und sterben lassen

"Verbesserte Lebensbedingungen sind zu einer Grundhaltung aller Menschen auf der Welt geworden, der ärmsten eingeschlossen. Solche Erwartungen müssen heute offensichtlich enttäuscht werden." (Business International, Januar 1977)

Für die Massen der 3.Welt bedeutet die Entwicklung eines Weltmarktes für Arbeitskräfte und Produktionsstandorte nicht weniger Elend, weniger Hunger. Ebensowenig ist die Entwicklung einer eigenen Industrie als Voraussetzung für nationale Eigenständigkeit zu erwarten. Im Gegenteil, in der "Entwicklung zur Unterentwicklung" (A.G. Frank) wird nur ein neues Kapitel aufgeschlagen.

1.

Die neue internationale Arbeitsteilung führt zu einer weiteren Integration der 3.Welt in den kapitalistischen Weltmarkt, "denn die partielle exportorientierte Industrialisierung Asiens, Afrikas und Lateinamerikas hält diese Länder hinsichtlich Technologie, Ausrüstung, Mangagement- Techniken, vor allem jedoch bezüglich Verfügungsgewalt in einem nie gekannten Ausmaß abhängig." (Fröbel/Heinrichs/Kreye).

LateinamerikaWas es bedeutet, vom internationalen Kapital partiell industrialisiert zu werden, belegen folgende Daten: zwischen 1961 und 1970 investierten z.B. die USA 3,2 Milliarden Dollar in Lateinamerika, zogen aber 10,6 Milliarden Dollar an Gewinn ab. Von den gesamten Gewinnen blieb noch ein gehöriger Batzen, nämlich 3 Milliarden Dollar, um reinvestiert zu werden. Die US- Konzernmütter entzogen in diesem Zeitraum allein den in Entwicklungsländern produzierenden Töchtern durchschnittlich 70% der Nettogewinne.

Noch deutlicher wird die Funktion des kapitalistischen Weltmarktes, wenn wir uns vor Augen halten, was aus der 3.Welt herausgepreßt wird und was als "Entwicklungshilfe" zurückfließt.

Terms of Trade: [35] Die Industriegüter steigen ständig im Preis, während die Erlöse für Rohstoffe niedrig gehalten werden, bzw. so stark schwanken, daß der internationale Spekulantensumpf dabei jährlich Milliarden herausschlägt. Ein Beispiel aus Tansania: Der Kostenvoranschlag für eine Fleischfabrik stieg in den letzten 2 Jahren von 1,8 auf 7,1 Millionen Dollar. Präsident Nyerere: [36] "Für uns heißt das real - also unter Berücksichtigung der damaligen und jetzigen Sisalpreise - daß eine Fabrik, die ursprünglich 7.000 t Sisal kosten sollte, jetzt fast 24.000 t Sisal kostet."

2.

Durch die weltweite Kapitalisierung der Landwirtschaft werden die letzten Bereiche der Selbstversorgung zerstört, das hungernde Landproletariat wird in die Städte getrieben. Eine gigantische Verslumung der 3.Welt ist die Folge. Mexiko- City wird z.B. in 20 Jahren 30 Millionen Einwohner haben, 80% davon werden in Slums vegetieren. Doch Slumbewohner rechnen noch nicht zu den Ärmsten. Das sind die 250 Millionen Obdachlosen in der 3.Welt.

Indio BrasilDie damit einhergehende Zerstörung von Kultur- und Sozialzusammenhängen ganzer Völker und Stämme ist so verheerend und irreparabel, daß z.B. Indianerstämme in Brasilien sich angesichts einer solchen Zukunft entschlossen haben, lieber zu sterben, als solchermaßen zwangs- "zivilisiert" zu leben. Sie töten alle Neugeborenen. Am eindringlichsten berichtet Frantz Fanon [37] über die schweren psychischen Deformationen der "Verdammten dieser Erde". Darüberhinaus bedeuten die erzwungenen "zivilisatorischen" Lebensbedingungen Tod und Krankheit für viele Menschen in der 3.Welt:

"Nestle tötet Babies" oder die Zerstörung der psycho- somatischen Heilkunde der alten Kulturen, die zu einer neuen, zusätzlichen, krankmachenden Abhängigkeit von den Pharmakonzernen führt.

3.

Hunger- und Durstkatastrophen wie in den Sahelländern Biafra, Äthiopien etc. werden durch die Ver- Wüstung der Welt immer häufiger. Dabei handelt es sich nicht um "Naturereignisse", sondern um ökonomisch bedingte ökologische Krisen, verursacht durch den Raubbau an der Natur, der Forcierung der Monokulturen. So leben heute mehr Menschen denn je, nämlich 1,7 Milliarden, ohne ausreichendes Trinkwasser, 2 Milliarden Menschen sind unterernährt.

Susan George spricht vom "Hunger als Bombengeschäft", das vor allem die USA, als das größte Zentrum von Agrarmacht in der Welt beherrschen: "Manche ihrer weniger behutsamen Sprecher, wie z.B. der frühere Landwirtschaftsminister Butz, zögern nicht, die Nahrung als Waffe­, als mächtiges Werkzeug in unserem Verhandlungskoffer­ zu bezeichnen. Inzwischen erklärt der CIA (insgeheim gegenüber seinem amtlichen Publikum), daß eine zunehmende Getreideverknappung "Washington in Bezug auf das Schicksal der bedürftigen Massen buchstäblich eine Macht über Leben und Tod in die Hand geben könnte. Genau das ist aus Nahrung geworden: eine Profitquelle, ein Werkzeug zur wirtschaftlichen und politischen Beherrschung und ein Mittel, eine wirksame Vorherrschaft über die Welt insgesamt zu gewährleisten." (Susan George, "Wie die andren sterben. Die wahren Ursachen des Welthungers.") [38]

Das Max- Planck- Institut kommt deshalb in seiner Untersuchung über die "neue internationale Arbeitsteilung" zu dem Schluß: "Unter diesen Umständen kann man sich kaum der Schlußfolgerung entziehen, daß nicht organisierte politische Aktion auf der Tagesordnung einer Welt steht, die vom Prozeß weltweiter Verwertung und Akkumulation des Kapitals bestimmt ist, sondern Hungerrevolten, soziales Aufbegehren und Krieg in vielen Teilen der Welt." Rolf Pohle bringt dies in seiner Rede vor dem Athener Areopag [39] auf den Begriff: "Wir befinden uns mitten im 3.Weltkrieg."

4.

IMFEin anderes Integrationsinstrument ist die Kreditvergabe durch den Internationalen Währungsfond. Eine frühere Mitarbeiterin dieser Organisation, Ceryl Payer, schreibt in ihrem Buch "The Dept Trap" (Die Schuldenfalle): "Der IWF ist heutzutage die mächtigste supranationale Regierung. Die Reserven, die er kontrolliert und die Macht, sich in die inneren Angelegenheiten eines Landes zu mischen, geben ihm einen Einfluß, von dem die Vereinigten Staaten nur träumen können."

Durch die ständige Auspowerung der unterentwickelt gehaltenen Länder müssen diese immer neue Kredite zur Tilgung der alten aufnehmen. Ihre Verschuldung bei den imperialistischen Staaten wächst ins Unermessliche. 1980 werden Länder wie Ägypten, Indien, Brasilien, Mexiko, Peru die Hälfte ihrer Exporterlöse allein zur Schuldentilgung aufbringen müssen. Das bedeutet aber die absolute Ruinierung der Volkswirtschaften dieser Länder, von den damit verbundenen politischen Pressionen ganz zu schweigen. Chile und Portugal sind als Erinnerung noch frisch. Das Alltagsgeschäft der wirtschaftlichen Erpressung ist es jedoch, solchen Entwicklungen schon im Vorfeld die Luft abzuschnüren.

5.

Die gigantische Verschuldung der 3.Welt ist auch eine Bedrohung für den Weltmarkt und damit für die imperialistischen Staaten selbst: "Der nächsten Finanzkrise vom Typ des New Yorker Debakels werden wir in diesem Jahr in den Entwicklungsländern gegenüberstehen, die ihre riesigen, kurzfristig fälligen Kredite nicht mehr zurückzahlen können." (Der "Spiegel", 1976). Um dieses Debakel zu vermeiden, werden ständig neue Konferenzen und Kommissionen von den OPEC- Staaten ins Leben gerufen, zuletzt der "Nord- Süd- Dialog" und die "Brandt- Kommission". [40] Gerade diese Konferenzen belegen jedoch am deutlichsten, daß es keine Lösungen gibt. Die unterentwickelt gehaltenen Völker brauchen ein Moratorium, d.h. eine Stundung bzw. Tilgung ihrer Schulden, um sich zumindest vorübergehend von den Folgen ihrer Ausbeutung zu erholen, eine Ausbeutung, die ständig droht zu einem Kollaps des Weltmarktes zu führen. Doch das transnationale Kapital muß "wachsen, um nicht unterzugehen". Es kann auch nicht vorübergehend das Wachstum drosseln - also auf Schuldeneintreibung verzichten. Das ist ein antagonistischer, ein unlösbarer Widerspruch. So "erläßt" es 3 Milliarden Dollar der 200 Millarden Verschuldung, um sie 1980 auf 250 Milliarden zu treiben. Der dem Kapital innewohnende Verwertungszwang produziert ständig und in immer größerem Ausmaß die Bedingungen für den unausweichlichen Zusammenbruch dieses Systems.

Die heftigen Auseinandersetzungen innerhalb der Nationen und zwischen den Nationen aufgrund der enttäuschten Erwartungen der Massen können Revolution und Krieg zur Folge haben. (Business International, Januar 1977)

Die Möglichkeit, auf dem Rücken der 3.Welt eine nie gekannte Kapitalverwertung zu realisieren, treibt das transnationale Kapital auf der Jagd nach den jeweils profitabelsten Standorten um die ganze Welt. "Standorte ... werden mit einer bislang unbekannten Geschwindigkeit entstehen und niedergehen. Das Kapital, das heute von einer Region angezogen wird, mag morgen wieder verschwinden, um möglicherweise übermorgen wieder zurückzukehren." (Fröbel/Heinrichs/Kreye, S. 39).

Ein Beispiel dafür ist im europäischen Raum Irland. Ursprünglich angelockt durch gewaltige staatliche Vergünstigungen, niedrigste Löhne und eine große industrielle Reservearmee, beginnt das transnationale Kapital, das in Irland 80% der Produktion beherrschte, bereits wieder abzuwandern. "Eine Heuschreckenplage, die über ein Land herfällt, um es kahl zu fressen", nannte das Murteira, der Wirtschaftsminister des portugiesischen Revolutionsrates. Eine Region ist ausgeschöpft, die nächste steht auf der Tagesordnung. Für die Nationen, insbesondere für die 3. Welt, entsteht ein irrsinniger Zwang zur Konkurrenz, um dem transnationalen Kapital die jeweils besten Verwertungsbedingungen zu garantieren.


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