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Früchte des Zorns

TitelblattRevolutionärer Zorn Nr. 4 - Januar 1978


Jeder, der wissen will, weiß was das bedeutet

"Und wir, wir schrecken zurück vor der Mordthese, die - wie auch immer im Detail - eine verdammt ernste Konsequenz hätte. Denn es ist nicht egal - auch wenn wir wissen, daß Selbstmord eine Form von Mord ist - was geschah. Mord: das hieße, daß es in der BRD zumindest gegenüber bestimmten Gruppen offenen Faschismus gibt und das heißt, daß wir endgültig und absolut nicht so weiterleben können wie bisher." (Pflasterstrand)

Selten ist so ehrlich formuliert worden, daß die Wahrheit- wissen- wollen sich nach den Konsequenzen richtet, die dieses Wissen für einen selbst mit sich bringt. Anders gesagt: Es klammern sich deshalb so viele Linke und Liberale in der BRD (in gespenstischem Gegensatz zur ganzen übrigen Welt) an die staatlich verordnete Selbstmordthese, weil die Wahrheit von ihnen verlangen würde "endgültig und absolut nicht mehr so weiterzuleben wie bisher."

Dieser enge Zusammenhang von Wahrheit- wissen- wollen und Pflicht zum Widerstand scheint wieder einmal von vielen ganz in der verbrecherischen Tradition ihrer Väter gelöst zu werden, die auch von nichts was gewußt haben wollen und heute 50 Millionen Kriegstote und 6 Millionen KZ- Opfer mitzuverantworten haben.

StammheimWeiter ist in diesem Zitat von der Möglichkeit des offenen Faschismus zumindest bestimmten Gruppen gegenüber die Rede. Doch Faschismus ist nie punktuell, in Teilbereichen nur praktizierbar, sondern als grundsätzliche Lösungsstrategie gegenüber allen gesellschaftlichen Widersprüchen vorhanden. Stammheim und Mogadischu [17], das ist das Grundmuster, das den Alltag in der BRD strukturiert. Denn nach dem gleichen Muster, mit dem Mogadischu "erledigt" wurde, werden die Umweltkämpfer "erledigt" - mit Tricks, Lügen, Krisenstabsmethoden und Overkill- Programm, um den Weg in den Öko- Faschismus frei zu machen. Läßt sich auf diesem Weg keine Zwangsbefriedung erreichen, dann werden die Schweine weiter eskalieren, und das kalkuliert die physische und psychische Vernichtung der Widerstand Leistenden ein. Die Vernichtungsstrategie gegen die bewaffneten Kämpfer kann keiner mehr als Teilstrategie begreifen, das hieße, die Verfolgten und Ermordeten an anderen Fronten in diesem Land stillschweigend zu begraben.

Den Druck, was tun zu müssen, haben viele Genossen erfahren und ausgesprochen in den letzten Wochen - aber eine Antwort geben zu wollen, aus dem Re- agieren raus zu kommen, ist schon nicht mehr Sache von allen.

Da sind die Verzweiflungstrategen, die, je schlimmer es wird, sich umso verbissener an ihre bisherigen Zusammenhänge klammern. Das Festhalten an bisherigen Formen und Perspektiven politischer Arbeit muß da schon zum Rückzug werden, wo nur auf alten Positionen beharrt wird. Vielen Genossen geht das "Trotzdem" und "wie bisher Weitermachen" zu leicht, zu schnell über die Lippen. Es reicht nicht, das Weitermachen, das Nicht- Aufgeben zu beteuern, - weil keine Genossin und kein Genosse wie bisher weitermachen kann, weil wir jeden Tag so viel mehr und so viel neue, andere Phantasie, Kraft und Wut brauchen.

Die Bewegungen an anderen europäischen Ländern haben auf die Morde in Stammheim, Stadelheim, Mogadischu massenhaft geantwortet. Wer jedoch die Demonstrationen in Italien, Frankreich und Griechenland etc. zum Anlaß nimmt, um an ihnen zu beweisen, daß in der BRD nichts mehr laufen kann, also auch nichts möglich ist, der lügt, weil er die Brände bei Ford (250 Mill. Schaden), bei Merck und Adler, die Bomben in den Gerichten von Kaiserslautern und Hannover verschweigt. Die Haltung, in Italien jeden Molli zu zählen, in der BRD bei Großbrandstiftung in imperialistischen Konzernen die staatliche Selbstentzündungsversion zu kolportieren, hat die Funktion, sich damit selbst beweisen zu können, hier gehe nichts mehr und damit für die eigene Untätigkeit entschuldigt zu sein.

Doch diese Aktionen lassen sich nicht mit dem Geschwätz und der Beschwörung von der totalen Einkreisung vom Tisch wischen. Daß es relativ wenige waren, das liegt nicht ausschließlich an den Bedingungen, sondern vor allem an euch selber. Hört auf zu heulen, es hat doch gerade erst angefangen.

Dieser Artikel wurde vor der Schleyer- Entführung, vor den Massakern in Mogadischu und Stammheim geschrieben. Wir haben ihn absichtlich nicht mehr überarbeitet, da er - kaum 10 Wochen alt - eindringlich dokumentiert, daß wir in Zeiten leben, in denen die Schreckensnachrichten täglich, ja stündlich eintreffen. Ingrid Schubert ermordet - Klaus Croissant [18] in die deutsche Vernichtungsmacht ausgeliefert - Atomkraftwerke werden weitergebaut - die Schutzhaft der Nazis wieder eingeführt. So bewahrheitet sich bitter, "daß dies kein schleichender Prozeß ist, das war noch nie die Gangart des Faschismus" und ebenso bitter, daß wir in einem Land leben, in dem sich die Menschen mit antifaschistischem Widerstand schwerer tun als irgendwo sonst.


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