www.freilassung.de
Zurück zur Startseite  
Früchte des Zorns Revolutionärer Zorn 1

Revolutionärer Zorn Nr. 1

Mai 1975

Stockholm [1]: wie geht es weiter?

Unsere Genossen Ulrich Wessel [2] und Siegfried Hausner [3] sind tot. Die anderen des Kommandos Holger Meins sitzen im Gefängnis, die Liste ist noch länger geworden. Partei- und Regierungsvertreter, die Bullen jubeln über ihren "Sieg". Was ist los mit dieser Niederlage? Was soll jetzt überhaupt geschehen, um die Gefangenen rauszuholen, um weiterzukämpfen? Läßt uns, die revolutionäre Linke, der Tod der beiden - und inzwischen auch der Tod des Genossen Werner Sauber [4] - so unberührt, wie es Holgers Tod für große Teile der Linken doch letztendlich gewesen ist?

Verschiedene Umstände haben bewirkt, daß die Herrschenden nach Stockholm sich in einem triumphalistischen Geschrei ergehen konnten, wie es schon längere Zeit nicht mehr zu hören war. Die Genossen vom Kommando Holger Meins haben versucht, die Bedingungen zu schaffen für eine Befreiung der politischen Gefangenen.

Deutsche Botschaft in StockholmKlar war, daß eine Aktion ähnlich der Lorenzentführung [5] nicht ausgereicht hätte; "wichtigere" und mehr Leute zu entführen, ist jedoch mit den gegenwärtig zur Verfügung stehenden Mitteln kaum möglich, so daß ihre offene Besetzung der deutschen Botschaft eine richtige Aktion war. Dennoch ist der Versuch mißglückt. Der Druck hat nicht ausgereicht. Gefangengenommen waren nur deutsche Beamte, nur "kleine Lichter" (bis auf den Botschafter selbst vielleicht) und alles spielte sich im Ausland, nicht im direkten Verantwortungsbereich der BRD- Regierung ab. Es war also leichter für diese Regierung, den Forderungen nicht nachzugeben, als es hätte sein müssen. Der Umstand, daß zudem alle Geiseln nach der Sprengung entkamen, paßte in dieses Konzept, es konnte als Erfolg der eingeschlagenen Taktik ausgegeben werden. Und Maihofer [6] und Konsorten brüsten sich damit, daß sie diesmal nicht den Kürzeren gezogen haben: Der Trick, Hubschrauber bei den deutschen Knästen in Wartestellung zu bringen, habe die Terroristen via Fernsehen getäuscht und den Stockholmer Behörden Zeit gegeben für ihre Vorbereitungen zum Sturm auf das Gebäude; die Terroristen seien Randfiguren gewesen, unerfahren, unsicher, Dilettanten.

Nun gut, Herr Maihofer, nicht nur aus Fürstenfeldbruck [7] haben wir gelernt, wir lernen auch aus der Bullentaktik im Fall Lorenz und aus Stockholm! Die Bande Großer Krisenstab (GKS) [8] hat keinen Anlaß zu triumphieren!

Klar ist, daß jetzt ein anderer Druck erzeugt werden muß, um unsere Genossen rauszuholen, klar ist, daß nicht die Sorge um Menschenleben die Handlungen der Politiker bestimmt, sondern ganz andere taktische und strategische Überlegungen, genau wie sie auf unsere Kampfformen, - orte und - zeitpunkte gezwungen werden zu reagieren.

Wie nach der Ermordung von Holger Meins [9] kann die GKS- Bande sicher sein: wir ziehen die Konsequenzen. Die Stadtguerilla wird wie den Tod Holgers auch die Genossen Ulrich Wessel, Siegfried Hausner, Werner Sauber rächen, sie wird jeden Versuch machen, die Gefangenen zu befreien, weil das ein von ihrer Existenz untrennbarer Teil ist:

  • Nicht zulassen, daß das heuchlerische Mordgeschrei anhalten kann, angesichts der massiven und tödlichen Gewalt, die in allen denkbaren Formen täglich gegen Menschen angewandt wird.
  • Nicht zulassen, daß die Vertreter dieser Ordnung unsere Genossen ermorden und sich dann in ihren Villen und Bungalows zufrieden schlafen legen können.
  • Nicht zulassen, daß die gefangenen Kämpfer jahrelang mit schweinischen Methoden, die sich nur ein Ärztestand wie in diesem Land und eine solche Justiz ausdenken können, kaputtgemacht werden.

Die Verantwortlichen, die Nutznießer dieses Systems überall angreifen, zur Rechenschaft ziehen, die Mechanismen ihres Unterdrückungsinstrumentariums überall unterbrechen und zerstören. Ihrer erdrückenden Übermacht setzen wir den revolutionären Guerillakrieg entgegen: seine Taktik und Strategie werden für unsere Verhältnisse und von unseren Verhältnissen weiterentwickelt, aufbauend auf der Praxis und Theorie der Genossen in vielen Ländern der Welt.

Die Vorgehensweise des Staates wird von manchen Leuten, die vor Zeiten selbst den Anspruch hatten, linke Radikale zu sein, inzwischen nahezu gebilligt. Das geht von DKP- SEW- Kreisen inzwischen über Wallraff [10] bis zu den Führern des Sozialistischen Büros [11], die schon mehr oder minder offen selbst nach den Bullen rufen. Von denen soll hier allerdings nicht die Rede sein, sondern von "den anderen", die sich zwar auf der gleichen Seite fühlen wie wir, aber ihre Probleme sich nicht klarmachen und mit Mauern und Abwehrtricks sich in eine vermeintliche Sicherheit bringen. Ihr Verhältnis zu Aktionen wie der Lorenzentführung oder der Stockholmer Besetzung unterscheidet sich zudem nicht prinzipiell davon, wie sie andere radikale Widerstandsaktionen erleben: als etwas ihnen äußerliches, sie nicht betreffendes; da wird gewertet, klassifiziert, Zensuren werden ausgeteilt, wie bei einem Fußballspiel im Fernsehen. Gewinnt der "Favorit", entwickelt sich eine Art sportlicher Begeisterung für die Besseren, an Niederlagen wird - man kann es kaum anders nennen - "herumgemäkelt", selbst wenn es sich dabei um den Tod von Genossen handelt. Sie begreifen nicht, daß es ihre Genossen sind, sie haben immer noch nicht den endgültigen Trennungsstrich gezogen zwischen sich und dem in tausenderlei Formen auftretenden und sie vereinnahmenden Herrschaftssystem.

Deshalb fehlen die Betroffenheit, der Haß auf diese Verhältnisse, ein Gefühl dafür, was der Guerillero eigentlich macht, wenn er solche Aktionen durchführt. Dieses Unberührtsein hängt auch zusammen mit ihrer gefühlstötenden, untätigen Ratlosigkeit. Sie sehen zwar auch, was ist, "wissen" aber angeblich aus ihren bisherigen Erfahrungen, daß sie "nichts machen können"; sie verbrämen das in der Regel, bringen z.B. Kritik, die einen nur staunen lassen kann ("das SPK [12] war schon immer etwas verrückt!" oder sagen, wie die Aktion viel besser und richtiger hätte gemacht werden können! - Dann macht es doch bitte, Genossen!) oder sie flüchten sich in verschiedenste Auswege von Freiraum- Gebilden [13] für sich und ihre insider- groups bis zur Scheinpoiltik in ihren Parteien und Büros. Oder ganz ohne Ausweg: Sie verdrängen die Reste in sich, die aufgrund eines diffusen Betroffenseins noch rebellieren wollen, mit vielerlei Tricks, um ihr Selbstverständnis noch aufrecht erhalten zu können. Dieses "Linkssein" täuscht jedoch nur noch einige Zeit darüber hinweg, daß man darüberhinaus nichts mehr am Hut hat.

Warum "können" sie nichts machen? Weil sich in vielen Arbeitsansätzen zeigt, daß die Trennung zwischen "Politik" und einem selbst nicht läuft, daß das Politikmachen immer wieder hinauslief auf: andere auffordern, agitieren, belehren, daß sie doch was machen sollten. Agitation, Information ist natürlich richtig, aber warum versuchen alle, sich selbst rauszuhalten? Haben Angst, sich selbst als Teil des vom System kaputt gemachten Volkes zu betrachten?

Horst Mahler [14] (der frühe natürlich) hat es vor Gericht mal so gesagt: "... Die einzige Anklage, die ich gelten lasse, ist die, daß wir dafür zuwenig getan haben; daß wir zulange gezögert und nicht unser Bestes gegeben haben; daß wir zuviel geredet und zuwenig gehandelt haben; daß wir zulange versucht haben, die Falschen vom Richtigen zu überzeugen, statt das Richtige selbst zu tun."

Es wird geredet und gewartet: daß andere das Richtige tun. Widerstand, Kampf gegen das Herrschaftssystem sind jedoch Prozesse, in den vielfältigen Bereichen entwickeln sich Inhalte, Methoden, Bewußtsein vielfältig, ungleichzeitig usw.

Doch warum sollen wir warten? Oder Ihr? Und worauf? Der schöne Satz "Wer seine Lage erkannt hat, wie soll der aufzuhalten sein?" gilt nämlich! Gilt für uns wie für alle, die aus ihren Einsichten, Erfahrungen, bewußt erlebten Veränderungen beginnen, Konsequenzen für's Verhalten, für's Handeln zu ziehen.

Die Stadtguerilla bei uns ist jetzt und auf absehbare Zeit eine Minderheit und ihr Kampf ist äußerst langwierig und schwierig, die Entwicklung zur Stadtteilguerilla, Schul- und Universitätsguerilla, zur autonomen Guerilla von Frauen - zur Guerilla also als Massenperspektive - geht nicht von heute auf morgen. Doch deshalb ist sie nicht falsch!

Wir können natürlich nicht im Rahmen dieses Beitrages die ganze Vielfalt in Theorie und Praxis der ganzen Linken umfassend behandeln, das kann nur durch weitere Beiträge von uns im Laufe der Diskussion und durch unser Verhalten und unsere Praxis geschehen. Doch unabhängig von allen Differenzierungen ist eines klar:

An der Frage der bewaffneten Aktion, der subjektiven Teilnahme am revolutionären Kampf, der umfassenden Verwirklichung des Konzepts Guerillakrieg werden immer wieder und deutlicher Polarisierungen stattfinden zwischen denen, die erst mal abwarten wollen, die ein bißchen wollen statt alles, die den Weg des Reformismus gehen, die den Schritt nicht riskieren, tatsächlich zu kämpfen und die Revolution zu wollen und den anderen, die sehen, daß ihnen nichts freiwillig gegeben wird, daß "Geschenke" immer neue, raffiniertere Unterdrückung und Entfremdung mit sich bringen, die erleben, wie das System der Herrschaft die Menschen immer mehr kaputtmacht, wie es seinen menschenverachtenden täglichen Terror ausübt, eiskalt und ohne zu zögern, wenn es um die Absicherung ihrer Herrschaft geht und die daraus lernen:

Sich selbst zur Wehr zu setzen! Zusammen mit allen anderen, die ihre Lage zu erkennen beginnen, die Beseitigung dieser Verhältnisse mit aller Phantasie, Liebe und Gewalt in die eigenen Hände zu nehmen.


[Zurück zum Inhaltsverzeichnis]   [weiter]

MAIL
http://www.freilassung.de/div/texte/rz/zorn/Zorn10.htm