www.freilassung.de
Zurück zur Startseite  
Früchte des Zorns

Revolutionärer Zorn 1Revolutionärer Zorn Nr. 1

Mai 1975

Politische und wirtschaftliche Krise in Europa ...

Pariser MaiSPD/ FDP in der Regierungsverantwortung [21] organisierten die Gewalt, als sie begriffen, daß Teile der revolutionären Bewegung nicht in die "Dynamik" des Reformismus einzuspannen waren. Sie verstanden besser als die CDU, daß zunehmend gesellschaftliche Widersprüche auftreten und bewußt werden würden, daß ein Überschwappen der Arbeiterkämpfe in anderen europäischen Ländern auf die BRD nicht zu verhindern sei. Wenn schon wirtschaftliche und politische Krisen, soll ihnen zumindest die revolutionäre Spitze abgebrochen werden, bei gleichzeitigen Zugeständnissen, Reformen und Verbesserungen.

Die Situation in anderen europäischen Ländern: in Italien, Frankreich, Spanien, Portugal, Griechenland, Irland, England, der Pariser Mai [22] waren Lehrstücke für die Bourgeoisie. Sie lernte, daß man nicht zögern darf, die Guerilla, die revolutionäre Bewegung bereits im Anfangsstadium zu zersetzen, zu infiltrieren, zu zerstören. Das heißt: die spezifische Taktik des Staatsapparates leitet sich nicht allein aus der BRD- Situation ab, sondern aus der Entwicklung im übrigen Europa.

Die Kräfteverschiebungen im Jahr 1974: der Sturz des Faschismus in Griechenland [23], die Dauerkrise in Italien, eine in den nächsten Jahren abzusehende Ablösung des Faschismus in Spanien, der Sieg des Volkes in Portugal [24] mit einer radikal- reformistischen Regierung, die drohende Regierungsübernahme in Frankreich durch Sozialisten/Kommunisten, die Niederlage des englischen Imperialismus in Nord- Irland [25] müssen SPD/ FDP in ihrer Repressionspolitik bestärken. Sie sehen ihre Felle davonschwimmen!

Im Gefolge der Machtverschiebung in Europa und der Welt hat sich die ökonomische Krise des Imperialismus vertieft und ergreift beschleunigt auch die sog. "stabilen" Länder wie z.B. die BRD. Immer schneller folgen Konjunkturzyklen, Auf- und Abschwung aufeinander. Die Arbeitslosigkeit nimmt zu und pendelt sich bei 1 Million ein, einer noch vor kurzem unfaßbaren Höhe. Die Geldinflation frißt die Lohnzugeständnisse an die Arbeiter auf: sie ist die Folge der staatlichen Versuche, mit Subventionen die Krise des Kapitalismus nicht in Form von noch mehr Konkursen, noch mehr Stillegungen, noch mehr Arbeitslosigkeit auftreten zu lassen. Die steigenden Rohstoffkosten in der Folge nationalistischer (meist nationalistisch- reaktionärer) Veränderungen in der "Dritten Welt" setzen die Konzerne zusätzlich unter Druck, auch wenn im Moment etwa an der sog. "Ölkrise" [26] noch kräftig verdient wird.

Insgesamt verengen die ökonomischen Schwierigkeiten den reformistischen Spielraum, vermindern die Möglichkeit der Befriedung der Arbeiterbewegung durch wirkliche Zugeständnisse und damit der Isolierung revolutionärer Politik.

In dieser Periode der Instabilität und Krise, des Zerfalls der NATO [27], eines Zuwachses der revolutionären Kräfte im Mittelmeerraum, aber auch im übrigen Europa, gewinnt die politische, wirtschaftliche und militärische Stärke des westdeutschen Imperialismus besondere Bedeutung. Die BRD ist in Europa das stärkste Glied in der Kette. Instabilität, politische Krise in Westdeutschland könnten verheerende Folgewirkungen für den Kapitalismus im Westen haben. Der bundesrepublikanische Imperialismus kann seine Ordnungs- und Leitfunktion nur erfüllen, wenn er sich den Rücken freihält von sozialen Unruhen im eigenen Land. Das erklärt die unverhältnismäßige Reaktion und Repression gegenüber der Linken!

... sind die Ursachen der Repression in der BRD!

Unsere Aktionen liefern keinen Vorwand für diese Repressionen, erst die Hetze des Staates und der Meinungskonzerne bewerkstelligen das. Notfalls benutzt der Staat beliebige Situationen und schafft sich selbst die Vorwände. Es müssen nicht Bomben sein oder Entführungen, es kann auch der Fordstreik [28] sein oder die Bewegung in Wyhl [29], die Bonner Rathausbesetzung [30] der KPD, die 3,7% des KBW im Rathaus zu Heidelberg, die Chile- Veranstaltung des Sozialistischen Büros.

1951 wurde die Bereitschaftspolizei der BRD aufgestellt wegen der "ständigen Drohungen" der KPD. Die Notstandsgesetze [31] wurden erlassen, ohne Vorwand, weil man für den Notfall vorsorgen muß. Verfassungsschutz, Polizei, Bundesgrenzschutz wurden seit 1969 erheblich verstärkt, der Etat des Bundeskriminalamtes (BKA) zwischen 1969 und 1974 verzehnfacht, als Reaktion auf die antiimperialistische Bewegung, die seit 1969 wieder aufgeflammten Arbeiterkämpfe und die Stadtguerilla- Gruppen.

Die chilenische Organisation MIR hat diese Situation als "anhaltende Krise" bezeichnet. Eine anhaltende Krise, weil sie weder in die eine noch in die andere Richtung schnell lösbar wäre. Der Franzose Poulantzas [32] sagt: "Aber ich glaube nicht, daß das Problem heute in Westeuropa heißt: Faschismus oder Revolution. Das Dilemma besteht vielmehr - und das sieht man ganz klar hier in Frankreich - in der Alternative zwischen einer neuen Form des autoritären Staates ­ oder einer sozialdemokratischen Lösung ­. Die politische Krise ist noch nicht so reif und so weit fortgeschritten, daß die Alternative Faschismus oder Revolution lautet." Poulantzas nimmt unter den gegenwärtigen Bedingungen eine ausgedehnte Periode der Instabilität mit aufeinanderfolgenden bürgerlichen Regierungen, mit wechselnden Koalitionen und wechselnden innerparteilichen Kräfteverhältnissen zwischen "links" und "rechts" an usw. Das Hauptcharakteristikum des Faschismus, eine militante Massenbewegung, ist nirgends in Sicht, auch nicht in Italien. [33] Das schließt staatsfaschistische Entwicklungen nicht aus und die Anwendung polizeistaatlicher und faschistischer Methoden. Dies kann jedoch nie zur Niederlage einer entfalteten revolutionären Bewegung führen, wohl zu ihrer Schwächung, Defensive, zeitweiligen Zurückdrängung.

Die "anhaltende Krise" drückt sich in der BRD bisher politisch in einer für uns nicht günstigen Weise aus (z.B. Wahlen). Aber die scheinbar festgefügte Parteienstruktur, in der sich 25 Jahre lang nichts tat, ist in Bewegung geraten. Die Identifikation der "Bürger" mit "ihrer" Partei, sei es SPD, FDP, CDU/ CSU, ist geringer geworden. Für sie ist die revolutionäre Linke noch keine Alternative, aber in gewissem Maße haben sie das Vertrauen in die bürgerlichen Parteien verloren. Die Fortentwicklung des Vertrauensverlustes zum revolutionären Bruch ist möglich. Gerade in der wirtschaftlichen Krise, ohne eine wirklich bedeutende revolutionäre Kraft, haben die Kämpfe in den Betrieben erheblich zugenommen, wenn auch noch nicht allgemein.

Die internationale Situation und die besondere Notwendigkeit einer politisch und auch wirtschaftlich stabilen BRD deuten darauf hin, daß die "anhaltende Krise" mit einer autoritären Lösung beantwortet wird. In diesem Zusammenhang ist die starke Repression zu verstehen, die sich noch vorrangig gegen die Linke richtet und nicht gegen das gesamte Volk.

Die Kämpfe der Arbeiter in der BRD sind noch sehr vereinzelt, wenn sie auch zunehmen. Die Aktionen der Stadtguerilla und der übrigen revolutionären Linken sind ein Versuch, diese Krise aufrecht zu erhalten, eine Alternative aufzubauen, die ökonomische Krise in eine politische zu verwandeln. Wir machen uns keine Illusionen über die Dauer dieses Prozesses, aber wir müssen und können ihn beschleunigen, nur gewaltsam kann er aufgelöst werden.

Stockholm: wie geht es weiter?
RZ Anschlagstafel 1973 - 1975
Stockholm ... führt zum Faschismus?


[Zurück zum Inhaltsverzeichnis]   [weiter]

MAIL
http://www.freilassung.de/div/texte/rz/zorn/Zorn10c.htm