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27. Prozesstag: 11. Oktober 2001
Gericht lehnt ab und wirkt befangen
Lang hat sich das Gericht Zeit genommen, um über den Antrag
der Verteidigung auf Aussetzung des Verfahrens zu entscheiden.
Bereits am 13. September hatten die Rechtsanwältinnen Studzinsky
und Würdinger einen entsprechenden Antrag gestellt. Diesen
hatten sie am 27. September
ergänzt, nachdem sie einen Teil der zuvor aufgetauchten
955 Bänder aus der Telefonüberwachung von Anschlüssen
des Kronzeugen abgehört hatten.
Die knappe begründete Entscheidung
des Gerichts von heute lässt nicht erkennen, warum
der Senat sich dafür vier Wochen Zeit ließ. Weil anscheinend
keine inhaltlichen Gründe vorlagen, begründete das Gericht
die lange Dauer damit, dass zuletzt am 4. Oktober, dem vorletzten
Verhandlungstag, durch Rechtsanwalt König ein weiterer Ergänzungsantrag
von Rechtsanwalt Euler eingebracht worden war, den das Gericht in
seinem Beschluss berücksichtigen musste.
Der Senat schließt sich der Bewertung des Bundeskriminalamtes
an
Die Tatsache, dass die Bundesanwaltschaft (BAW) dem Kammergericht
und der Verteidigung bis vor kurzem 955 Tonbänder der Telefonüberwachung
Mouslis vorenthalten hatte und eine Aufarbeitung des neu aufgetauchten
Beweismaterials mehrere Monate in Anspruch nimmt, ließ das
Gericht unberührt. Der Senat lehnte den Antrag auf Aussetzung
des Verfahrens ab. Weder die "gerichtliche Sorgfaltspflicht"
noch die "Rücksichtnahme auf Belange der Verteidigung"
ständen dieser Entscheidung entgegen, so das Gericht. Obwohl
dem Senat nur ein Teil der 955 Bänder vorlag, schloss es sich
bei der Bewertung des Materials dem Bundeskriminalamt (BKA) an,
bei den Bändern handele es sich um Material, das für das
Verfahren keinerlei Bedeutung habe. Zudem bescheinigte der Senat
den Verteidigerinnen Studzinsky und Würdinger, sie hätten
in ihrem Ergänzungsantrag
vom 27. September für eine gegenteilige Bewertung "nichts
Wesentliches" vorgetragen. In diesem Antrag hatten die beiden
Anwältinnen allerdings nachgewiesen, dass das bisher unterschlagene
Beweismaterial wesentliche Informationen enthält, die relevant
für das Entstehen der Aussagen Mouslis sind.
Auch wenn der Senat die Relevanz des Materials für gering
hält, so zeigte er sich dennoch generös. Das Gericht ist
gewillt, der Verteidigung die Möglichkeit zu geben, die Bänder
abzuhören und mit den entsprechenden Protokolle zu vergleichen.
Um den Belangen der Verteidigung gerecht zu werden, wird deshalb
die Vernehmung des Kronzeugen so lange unterbrochen, bis die VerteidigerInnen
das Material auf seine "Beweisrelevanz" prüfen konnten.
Obwohl alle VerteidigerInnen darauf hin gewiesen hatten, dass eine
gründliche Sichtung des Materials auf Grund ihrer Arbeitsbelastung
nicht bei laufender Hauptverhandlung möglich sei - immerhin
handelt es bei den Tonbändern um eine reine Abhörzeit
von 716,25 Stunden -, konnte der Senat keine unzumutbare Belastung
oder Einschränkung der Verteidigung erkennen. Den Angeklagten
seien je zwei Pflichtverteidiger beigeordnet wurden, insofern sei
es der Verteidigung zuzumuten, die Bänder parallel zur Hauptverhandlung
abzuhören.
Befangenheitsantrag der Verteidigung
Nach einer Prozessunterbrechung reagierten die Verteidigung und
die Angeklagten auf diesen Beschluss mit einem Befangenheitsantrag
gegen die RichterInnen des Senats. Die Rechtsanwältinnen
Studzinsky und Würdinger führten in ihrem Antragaus,
dass der Senat mit seinem Beschluss die Beweiswürdigung vorweggenommen
und eine Beweislastumkehr zu Lasten der Angeklagten vorgenommen
habe. Obwohl der Senat nur auszugsweise und stichprobenartig das
umfangreiche Material sichten konnte, habe er sich "offensichtlich
ohne wesentliche eigene Prüfung" der Bewertung des BKA
angeschlossen. Die Prüfung, ob das Material doch Beweisrelevanz
habe, sei so an die Verteidigung delegiert worden, und dass obwohl
in einem Strafverfahren der Verteidigung eigentlich vor Beginn der
Hauptverhandlung die Würdigung der Beweismittel ermöglicht
werden müsste.
Des weiteren kritisierten die Verteidigerinnen, dass der Senat
mit seiner Entscheidung sowohl gegen das Prinzip der Wahrheitsermittlung,
wie auch gegen das Prinzip der Verfahrensbeschleunigung verstieße.
"Für die Wahrheitsermittlung ist die Überprüfung
des neuen Beweismaterial erforderlich. Für eine Verfahrensbeschleunigung
die Erstreckung der Beweisaufnahme auf die für die Schuldfrage
bedeutsamen Beweismittel", so führten die beiden Anwältinnen
aus. Da das einzige Beweismittel in diesem Verfahren jedoch der
Kronzeuge sei, könne bei der geplanten Behandlung von "in
der Anklageschrift benannten weiterer wesentlicher Beweismittel"
(O-Ton Senatsbeschluss) von Verfahrensbeschleunigung nicht die Rede
sein.
Rechtsanwalt Dr. König gab in einer Stellungnahme zu bedenken,
dass das Gericht mit seiner Entscheidung in einen Kernbereich des
Strafprozesses eingegriffen habe, nämlich in das System der
gegenseitigen Kontrolle aller Verfahrensbeteiligten, das dem Schutz
der Angeklagten diene. Der Grundsatz "Alle müssen alles
wissen" sei durch die "peinliche Panne mit den Bändern"
und der Entscheidung des Gerichts, wie damit umzugehen sei, durchbrochen
worden. Das Material - so Rechtsanwalt Eisenberg - sei in der "Phase
der Bereitmachung des Kronzeugen" durch das BKA entstanden.
Da es in dem Verfahren vor allem um die Glaubwürdigkeit des
Kronzeugen ginge, sei die Frage der Beweisrelevanz der Tonbänder
und der Wortprotokolle vor vorneherein gegeben. Das Motiv des Gerichts
sei "nicht Sachverhaltsaufklärung, sondern die Beendigung
des Verfahrens so schnell wie möglich" auf Kosten der
Angeklagten, schlussfolgerte er.
Für die Bundesanwaltschaft nahm Staatsanwalt Bruns zum Befangenheitsantrag
Stellung. Mit dem Gerichtsbeschluss werde "nichts im voraus
festgeschrieben. Es geht hier lediglich um die Frage des Termin-
Managements", so Bruns. Auch wenn die BAW den Antrag für
offensichtlich unbegründet hält, sei er dennoch zulässig,
"weil wir nicht ausschließen können, dass die Angeklagten
meinen, so die Befangenheit begründen zu können."
Neue Zeugen zur zeitlichen Überbrückung
So dann ordnete die Vorsitzende Richterin - gänzlich unberührt
vom zuvor gestellten Befangenheitsantrag - die Fortsetzung der Hauptverhandlung
mit der Vernehmung der geladenen Zeugen an. Die Vernehmung der Zeugen
konnte nach einem von der Verteidigung erzwungenen Gerichtsbeschluss,
der die Anordnung der Vorsitzenden Richterin bestätigte, kurz
darauf beginnen.
Heute wurden der Kraftfahrer Bernd D. (51) und der Philologe Roger
M. (41) zu Vorgängen rund um den Anschlag auf Harald Hollenberg
befragt. Bernd G. hatte Ende September 1986 in der Nähe des
Tatorts eine Gruppe von Verdächtigen beobachtet. Gegenüber
seiner damaligen Arbeitsstelle habe eine Woche lang immer wieder
ein PKW Passat Kombi gestanden. Darin hätten zwei Männer
und eine Frau gesessen und die Gegend observiert. Dann war noch
die Rede von einem Pärchen, dass mit Fahrrädern in einer
angrenzenden Laubenkolonie unterwegs gewesen wäre und die,
nach Ansicht des Zeugen, offensichtlich zu den Fahrzeuginsassen
gehört hätten. Dass der Zeuge heute von fünf Personen
sprach, die sich damals in der Gegend zu schaffen machte, bei seiner
polizeilichen Vernehmung nach dem Anschlag 1986 jedoch nur von einem
Mann und einer Frau gesprochen hatte, sorgte für einige Irritation.
"Wie gesagt, legen sie mich da bitte nicht fest", versuchte
Bernd D. die Wogen zu glätten. Fünfzehn Jahre seien eine
lange Zeit, wer könne sich da noch genau erinnern.
Auch die Befragung des Zeugen Roger M. war von gleicher Bedeutung
für die Beweisaufnahme. Roger M. hatte am 28. Oktober 1986
den brennenden Tatwagen am Teltowufer entdeckt. Seine Befragung
dauerte keine zehn Minuten, in denen er schilderte, dass der durch
Brandgeruch auf das im Innenraum brennende Fahrzeug aufmerksam geworden
sei und sofort die Feuerwehr verständigt habe.
Der Prozess wird mit der Vernehmung weiterer (Überbrückungs-)
Zeugen am 12. Oktober um 9.15 Uhr fortgesetzt.
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