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134. Prozesstag: 4. Juli 2003

Augen zu und durch - der Senat will zu Ende kommen

Vier Stellungnahmen der Bundesanwaltschaft (BAW) und zwei Beschlüsse der Kammer zu verschiedenen Anträgen der Verteidigung waren heute Gegenstand des rund 45-minütigen Prozesstages. Diese eher unübliche Betriebsamkeit der Ankläger und Richter verdeutlicht erneut die Absicht der Kammer, die Beweisaufnahme in Kürze beenden zu wollen. So hatten heute sowohl die vier Stellungnahmen der BAW, die von Staatsanwalt Wallenta mit wenig Elan verlesen wurden, als auch die zwei vom Senat verkündeten Beschlüsse ein und dieselbe Richtung: Sie sollten der Verteidigung und den Angeklagten verdeutlichen, dass ein Durchkommen in der Sache nicht mehr möglich ist.

Unzulässig, unbegründet, zusammenhangslos

Die BAW empfahl dem Gericht, alle drei Anträge der Verteidigung von Matthias B. vom 27.6.2003 (vgl. 133. Prozesstag) zurückzuweisen. So sei der Nachbau des Sprengstoffpakets als Beweismittel "völlig ungeeignet", da die exakte Größenordnung nicht zu rekonstruieren sei. Außerdem verfüge das Gericht über genügend "eigene Sachkunde", um sich über die Frage der Sinkbarkeit des Pakets ein Urteil bilden zu können. Auch der Antrag zur Ladung des Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV) sei zurückzuweisen, da es sich dabei um einen "nur zum Schein gestellten Beweisantrag" (!) handele, der auf einer "Art Verschwörungstheorie" beruhe. Ebenfalls zurückzuweisen, da "unbegründet" sei auch der dritten Antrag der Verteidigung von Matthias B., in dem gefordert worden war, weitere Zeugen zu vernehmen, um die Herkunft des 1995 aufgetauchten Sprengstoffs zu erhellen.

Nicht besser als diesen drei Beweisanträgen erging es dem Antrag der Verteidigung von Harald G. vom 27.6.2003, der die Herbeiziehung von Akten über einen bisher unbekannten Sprengstofffund gefordert hatte. Diese Akten böten keine Anhaltspunkte zur hiesigen Strafsache, so die BAW, die zumindest den Eindruck vermittelte, die Akten eingesehen zu haben. Einen eigenen Eindruck sollen sich - nach Ansicht der BAW - die übrigen Prozessbeteiligten jedoch nicht machen dürfen, denn, da ein "Sachzusammenhang" fehle, müssten die Akten auch nicht beigezogen werden.

Die Kammer ohne Interesse

Den bundesstaatsanwaltlichen Stellungnahmen folgten zwei gerichtliche Beschlüsse, die es bei genauerem Hinsehen in sich hatten. In Ersterem wurden zunächst mehrere Anträge der Verteidigung von Matthias B. und Harald G. aus den Jahren 2001, 2002 und 2003 zurückgewiesen, die darauf abgezielt hatten, die Rolle des Bundesamts für Verfassungsschutz und verschiedener Verfassungsschutzämter der Länder bei der Aussageentwicklung des Kronzeugen hin zu hinterfragen. So war in diesen Anträgen unter anderem gefordert worden, diejenigen Verfassungsschutzbeamten zu identifizieren und zu vernehmen, die Mousli nach seinem eigenen Bekunden (vgl. 60. Prozesstag, 8.3.2002) bei verschiedenen Gelegenheiten besucht und befragt hatten. Außerdem war gefordert worden, alle von den Verfassungsschutzämtern über diese Gespräche angefertigten Dokumente in ungeschwärzter Form den Prozessbeteiligten zur Verfügung zu stellen. Das Gericht zeigte sich heute davon überzeugt, dass der Sachaufklärung mit den inzwischen vorliegenden Unterlagen des BfV genüge getan sei. Abgesehen davon sei durch die "Sperrerklärung" des Bundesinnenministers eine vollständige Akteneinsicht sowieso "unerreichbar".

Otto Schily und seine Sperrerklärung

Wir erinnern uns: Sich um das Wohl des ganzen Landes sorgend, hatte im Juli 2002 Otto Schily erklärt, dass die aufgezeichneten Protokolle von Gesprächen zwischen Verfassungsschutzbeamten und Mousli nur in der vorliegenden, teilweise geschwärzten Form den Prozessbeteiligten zur Verfügung gestellt werden dürften. Gegen diese "Sperrerklärung" ist seitens der Verteidigung von Harald G. eine Klage vor dem Verwaltungsgericht Berlin anhängig. In einem Beschluss vom 17.3.2003 hat das Verwaltungsgericht der Klage "Aussicht auf Erfolg" eingeräumt. In der ausführlichen Begründung erklären die Verwaltungsrichter unter anderem, dass "hinsichtlich der Interessensabwägung" der Prozessbeteiligten und den Interessen des Bundes, die "Sperrerklärung" "nicht frei von Mängeln" sei. Weiter merkten sie an, dass die "ansonsten durchaus ausführlich begründete Sperrerklärung" hinsichtlich der Aussageentwicklung des Kronzeugen nur einen kurzen Absatz enthalte. "Dort [in der Sperrerklärung] heißt es, die Protokolle der einzelnen Vernehmungen seien auf Anhaltspunkte für eine Beeinflussung des Aussageverhaltens des Zeugen überprüft worden. Diese habe aber nicht stattgefunden; insoweit falle die Interessenabwägung daher zu Lasten des Antragstellers aus. Mit dieser Begründung ist die Sperrerklärung jedoch schon deswegen nicht tragfähig, weil sie bereits durch den Inhalt der nicht geschwärzten Protokollteile widerlegt wird. Diesen ist zu entnehmen, dass eine bestimmte Vernehmungsweise quasi Geschäftsgrundlage war, die naturgemäß zu einer Veränderung der Aussageinhalte geführt haben muss. Denn dem Erinnerungsvermögen des Zeugen Mousli wurde insofern unterstützende Hilfe zuteil, als ihm unter anderem Namen und Fotos seitens der Vernehmenden vorgehalten wurden."

Die Vorlage des "Generals"

Dieser Argumentation des Verwaltungsgerichts wollte das Kammergericht jedoch nicht folgen. Daher hatten die Verteidigungen der Angeklagten Harald G. und Matthias B. am 28.3.2003 die Aussetzung der Hauptverhandlung so lange beantragt, bis eine Entscheidung über die Klage am Verwaltungsgericht gefallen sei. Im heutigen Beschluss zu diesen Anträgen zeigte sich erneut, dass es seitens der Kammer keinerlei Interesse an einer tatsächlichen Sachaufklärung gibt. Prozessökonomische Gründe, aber auch "die Rücksicht auf die Belange der Angeklagten und der Verteidigung" - so die Argumentation der Kammer - stünden einer Aussetzung der Hauptverhandlung entgegen. Außerdem wird behauptet, dass die "Beweisbedeutung der geschwärzten Gesprächsniederschriften" gering sei. Offensichtlich dankbar für die Zuarbeit wird in dem Beschluss eine ausführliche Stellungnahme des Generalbundesanwaltes vom 1.4.2003 zitiert, in der unter anderem behauptet wird, dass "das Bundesamt für Verfassungsschutz keine Vernehmungen durchgeführt hat und die polizeilichen Vernehmungen weitestgehend abgeschlossen waren, so dass den Gesprächsprotokollen kein entscheidendes Aufklärungsinteresse mehr zukam." Ergänzend zur wiedergegebenen Ansicht des "Generals" setzt das Kammergericht noch eins drauf: So vertreten die Richter die Ansicht, dass die vom Verwaltungsgericht gerügte "Vernehmungsweise", insbesondere bei polizeilichen Vernehmungen zu "umfangreichen und lange zurückliegenden Vorgängen, durchaus üblich und nicht zu beanstanden" sei.

Es ist nur zu hoffen, dass sich diese "Rechtsauffassung" des Kammergerichts nicht durchsetzt und der Verteidigung adäquate Mittel einfallen, um die um die Vorsitzende Richterin Hennig versammelte Mannschaft in ihre Schranken zu weisen.

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