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Anmerkungen zur Gründungsphase der RZ
Bis heute gibt es keinen authentischen Rückblick auf die frühen
Jahre der RZ. Selbst nicht in der individualisierten Form einer
Autobiografie. Diejenigen, die etwas dazu sagen könnten, sind
entweder tot oder schweigen. Das Prinzip der Anonymität der
RZ- Mitglieder prägt auch die Auseinandersetzung mit ihrer
Geschichte. Solange sich daran nichts ändert, muss man sich
auf Texte und Erzählungen verlassen, um die Diskussionen jener
Zeit zu rekapitulieren. (Für die Zeit bis 1977 gibt es neuerdings
auch ein Interview mit
Gerd Schnepel, abgedruckt in Jungle World 49, 29.11.2000) .
Ort und Zeitpunkt der Entstehung der bewaffneten Gruppen in der
BRD sind oft genug beschrieben worden und brauchen hier nicht wiederholt
zu werden. Sie waren eine politische Antwort auf das Dilemma, das
sich Anfang der 70er Jahre vielen stellte, die an einer revolutionären
Perspektive noch festhalten wollten. Während die antikolonialen
und antiimperialistischen Bewegungen global, vor allem aber im Trikont,
zunehmend an Boden gewannen, schien die radikale BRD-Linke endgültig
an ihre Grenzen gestoßen zu sein. Bewaffnete Interventionen
sollten dem Zerfallsprozess der 68er-Revolte entgegenwirken und
der Dialektik von trikontinentaler Befreiung und metropolitanen
Klassenkämpfen eine neue, praktische Dimension verleihen. In
diesem Punkt unterschieden sich die RZ von der RAF oder dem 2. Juni
lediglich dadurch, dass sie etwas länger brauchten, um zur
gleichen Einsicht zu gelangen.
Der
Bezug auf das Konzept des Guerillakriegs war damals viel weniger
abwegig, als es aus heutiger Sicht erscheinen mag. Guerilla war
seit dem 2. Weltkrieg die vorherrschende Form des revolutionären
Kampfes gewesen, und sie hatte in China, Kuba, Algerien, Vietnam
und in vielen anderen Ländern erstaunliche Erfolge erzielt.
Die Tupamaros in Uruguay hatten dann bewiesen, dass die Strategie
auch in nicht agrarisch strukturierten Ländern Gültigkeit
beanspruchen konnte.
Dabei machte die operative Komponente des Konzepts nur die eine
Seite seiner Attraktivität aus. Die Focustheorie las sich wie
eine Begründung für die militante Intervention insgesamt
schwacher revolutionärer Kräfte auch in den Bastionen
des kapitalistischen Weltsystems und sie verlieh dieser eine Hoffnung
auf Sieg. Sie durchbrach das ideologisch- repressive Gewalttabu
und versprach einen Ausweg aus der Ohnmacht des Legalismus. Sie
bot damit zugleich eine Antwort auf die Repressionsmaßnahmen
des sozialliberalen Regimes, die von vielen als Ausdruck einer zunehmenden
Faschisierung erfahren und thematisiert wurden. Schon bald sollte
der Einsatz der eigenen Gewaltmittel eher mit dem Gewaltpotential
des Gegners als mit den eigenen Zielen legitimiert werden.
Weit mehr noch aber glich das Konzept der Guerilla einem Code,
der stellvertretend für ein ganzes Ensemble linksradikaler
Ideen und Lebensentwürfe stand. Es war eine reale Alternative
zur Aufstandsstrategie der Bolschewisten und zur Volksfrontpolitik
der Kommintern und eröffnete somit eine völlig andere
Dimension von Befreiung, als sie durch das verknöcherte Sowjetsystem
repräsentiert wurde. Es rehabilitierte den Aktivismus der Studentenbewegung
und verhalf dem handelnden Subjekt als Motor der Geschichte wieder
zu seinem Recht. Es stand für aufrechten Gang und kompromisslose
Moral und sprach damit den Existenzialismus einer Generation an,
die zu großen Teilen mit den Büchern von Camus und Sartre
aufgewachsen war. Und es war nicht zuletzt der lebendige Beweis
dafür, dass Widerstand auch aus einer aussichtslosen Lage heraus
möglich war, und erschein als Chance, sich von der nazistischen
Vergangenheit der Väter und Mütter radikal abzusetzen.
Dass etliche GenossInnen der RAF bereits im Knast saßen,
als sich die RZ Ende 1973 erstmals mit zwei Anschlägen gegen
ITT- Niederlassungen zu Wort meldeten, war kein Argument gegen bewaffnete
Politik, sondern allenfalls Anlass, einiges anders zu machen. Dabei
ging es im Grunde um zwei Positionen, die konstitutiv waren für
das Selbstverständnis der RZ und die bis zu ihrer Auflösung
in immer neuen Varianten thematisiert worden sind:
- Zwischen legalem und subversivern Kampf bestünde ein enges
Wechselverhältnis. Bewaffnete Interventionen könnten
nur in dem Maße politisch wirksam werden, wie sie sich auf
eine soziale Praxis bezogen und vermittelbar waren. Dadurch begaben
sich die RZ zwar bewusst in die Abhängigkeit von der Präsenz
und den Launen legaler Bewegungen, sie vermied es aber, sich zu
verselbständigen und von der sozialen Realität abzukoppeln.
- Damit korrespondierte das Konzept autonomer Zellen, die eher
einen losen Zusammenhang als eine zentralistische Organisationbildeten
und deren Militante aus einer legalen Lebenssituation heraus agierten.
Diese Struktur leistete bisweilen einer gewissen politischen Beliebigkeit
Vorschub und machte es den Mitgliedern, die faktisch gezwungen
waren, ein Doppelleben zu führen, alles andere als einfach.
Dennoch hatte es den nicht zu unterschätzenden Vorteil, dass
die RZ nicht von vornherein mit dem Rücken zur Wand standen,
weil die Sicherheitsorgane zunächst gar nicht wussten, mit
wem sie es zu tun hatten, und dass sie frei von den Sachzwängen
der Illegalität operieren konnten.
Allerdings stand die Knastfrage konträr zu diesem Selbstverständnis,
und sie beschäftigte die die RZ kaum minder intensiv als die
RAF oder den 2. Juni. Statements zum Problem der Befreiung der gefangenen
GenossInnen zogen sich wie ein roter Faden durch die verschiedenen
Ausgaben des Revolutionären
Zorn. In all diesen Statements spiegelte sich das Bewusstsein,
dass Gefangenenbefreiungen die Entwicklung einer erst in zarten
Ansätzen existenten Massenguerilla gefährden könnten,
weil sie eine direkte Konfrontation mit dem Staat, dort, wo er zweifellos
stark war, erforderte. Dennoch duldete die Frage keinen Zweifel:
"die politischen Gefangenen müssen befreit werden",
hieß es kategorisch im zweiten Klein-Papier.
Natürlich
war dieser entschlossene Gestus zunächst einmal der Situation
in den Gefängnissen geschuldet. Es hatte genügend Tote
gegeben und die mörderischen Bedingungen der Isolationshaft
drohten, weitere Opfer zu fordern. Außerdem war jede(r) Gefangene
natürlich ein potentielles Gegenargument gegen die Behauptung,
dass der bewaffnete Kampf eine Option für die revolutionäre
Linke in den Metropolen sein könnte, und je länger die
GenossInnen saßen, desto mehr ging es auch um die eigene Glaubwürdigkeit.
Es muss aber noch mehr im Spiel gewesen sein. Anders lässt
sich nicht erklären, warum man sich wider besseres Wissen auf
ein Terrain begab, auf dem man vielleicht einige Erfolge erzielen,
aber keinesfalls gewinnen konnte; und warum man -einmal in der Logik
der Konfrontation mit Staat und Justiz befangen- bereit war zu einer
Verhärtung und Brutalisierung der Politik, die im absoluten
Gegensatz stand zu dem befreienden Gehalt, den der Einsatz von Gewaltmitteln
in der sozialen Konfrontation hätte haben sollen. (Schnepel
berichtet, dass Brigitte Kuhlmann, eine der RZ- Gründerinnen,
ein persönliches Schuldgefühl gegenüber Ulrike Meinhof
gehabt habe. Der ungeheure moralische Druck, der davon ausging,
dass Holger Meins tot war und Ulrike im Weißen Trakt saß,
sitzt nicht wenigen, und nicht nur den ehemaligen Mitgliedern der
bewaffneten Gruppen, noch heute in den Knochen. Aber hier her gehört,
vorher noch, die Frage, welche politischen Argumente eigentlich
für die Baader-Befreiung gesprochen haben mögen. Von Isolationshaft
konnte zu dem betreffenden Zeitpunkt ja noch keine Rede sein und
der Zeitraum, den er noch zu sitzen hatte, war überschaubar.
Warum also alles in die Waagschale werfen und die Grundsätze
Maos, den Gegner an seiner schwächsten Stelle anzugreifen,
so krass ignorieren auch auf die Gefahr hin, dass man die Initiative
aus der Hand verlor? Der Stellenwert, der der Befreiung der Gefangenen
zugeschrieben wurde, lässt sich jedenfalls nicht ausschließlich
mit den Haftbedingungen begründen.)
Die RZ hatten die Falle zweifellos erkannt, in die sie zu laufen
drohten, wenn sie die Befreiung der Gefangenen zur obersten Maxime
erhoben. Der nebulöse Satz von jenem "Teil unserer Politik,
den viele Genossen nicht verstehen und nicht akzeptieren und den
auch die Massen nicht verstehen" ist nicht umsonst inzwischen
die meist zitierte Passage aus den Früchten des Zorns. Aber
anstatt nach besseren Lösungen zu suchen (Lehrter Straße
z.B.), entwickelte man einen Spagat, von dem man hoffte, dass er
das Spannungsverhältnis zwischen Orientierung an sozialen Konflikten
und "Angriff auf das Herz des Staates" aushalten würde.
Während die einzelnen Zellen mit einer Reihe von Aktionen ein
ganzes Spektrum von Themen absteckten und so ihr Verständnis
von einer "populären" Guerilla demonstrierten, konzentrierte
sich eine Gruppe auf die Bedingungen und Möglichkeiten einer
Gefangenenbefreiung. Dafür rekrutierten sie auch GenossInnen
von außen, wie z.B.: HJK (Hans Joachim Klein). Es erwies sich
allerdings bald, dass eine solche Arbeitsteilung nur so lange funktionieren
konnte, wie beide Seiten keine Einbrüche zu verzeichnen hatten.
Die Schussverletzung von HJK in Wien beendete nicht nur dessen Illusion,
dass sich die Entführung von Ölministern mit einem Szeneleben
vereinbaren ließ. Sie sorgte auch dafür, dass die Widersprüche,
die man arbeitsteilig gebannt zu haben meinte, schon bald mit voller
Wucht im Gesamtzusammenhang zum Tragen kamen.
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