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Die Palästinenser
Internationale Kontakte entsprachen einem praktischem
Bedürfnis und einem politischem Selbstverständnis
gleichermaßen. Die Beziehungen zu anderen, erfahreneren
Organisationen galten als eine unverzichtbare Vorbedingung, um den eigenen
Ansprüchen gerecht werden zu können. Denn viel mehr als die
eigene Radikalität und die Erfahrung der Straßenmilitanz hatte
man ja zunächst nicht einzubringen. Wollte man sich also nicht
unnötig aufreiben in Beschaffungsaktionen und der Organisierung von
Logistik und womöglich schon dabei teures Lehrgeld zahlen, musste man
nach Kontakten suchen. Die Kontakte zu anderen bewaffneten Gruppen sollten
dem Austausch von Erfahrungen, der Vermittlung von Kenntnissen und
Fähigkeiten sowie der materiellen Hilfestellung dienen.
Aber auch eine operative Zusammenarbeit galt als erstrebenswert, und
zwar aus prinzipiellen Gründen und nicht etwa nur aus
Opportunitätserwägungen. Schließlich begriff man die
BRD nur als Teilabschnitt einer weltweiten Front und die Kämpfe in
den Metropolen und in den drei Kontinenten bedingten und ergänzten
einander. Die Schwächung des Imperialismus an der Peripherie war eine
Voraussetzung für den Kampf in den Zentren. Und umgekehrt konnten die
trikontinentalen Befreiungsbewegungen ohne den Angriff im Herzen der Bestie
nicht gewinnen. Die Beteiligung an internationalen Kommandos, in die jede
Gruppe ihre Fähigkeiten und Möglichkeiten einbrachte, entsprach
der festen Überzeugung, dass ein nationaler Weg der Befreiung
völlig undenkbar war. Und vielleicht ist es schon allein diese
Überzeugung, welche die Guerillagruppen der frühen 70er Jahre vor
allen anderen linken Strömungen der frühen 70er Jahre
auszeichnet. Insofern gab es damals nicht die geringsten Vorbehalte gegen
internationale Kontakte. Sie wurden gesucht, weil man sie brauchte, aber
vor allem weil in ihnen der Begriff des Internationalismus eine konkrete
Gestalt annahm.
Schwieriger
war es dagegen, die angestrebten Kontakte auch zu finden. Bei weitem
nicht alle Organisationen, denen man sich verbunden fühlte,
waren erreichbar. Zu vielen gab es keinen Zugang, andere bekundeten
wenig Interesse, manche existierten viel zu kurz. Mit wem man also
zusammenarbeitete, richtete sich letztlich auch danach, welche Kontakte
überhaupt möglich waren. Und es war Anfang der 70er Jahre
um vieles leichter, sich mit palästinensischen Gruppen zusammenzusetzen
als mit den Tupamaros, dem MIR, den Brigaden oder der Gauche Proletarienne,
auch wenn sich deren Praxis vielleicht eher mit den eigenen Vorstellungen
deckte.
Politische Differenzen wurden in den internationalen Beziehungen ohnehin
selten wahrgenommen und schon gar nicht ausgetragen -ganz anders als im
Verhältnis zu den anderen westdeutschen Gruppen. Wo sie dennoch
auftauchten, wurden sie eher den unterschiedlichen Bedingungen des Kampfes
als unterschiedlichen Zielen zugeschrieben. Mittel und Methoden schienen
begründet zu sein in der Ungleichzeitigkeit und
Ungleichmäßigkeit der globalen Entwicklung und durch die
Besonderheit der jeweiligen Bedingungen. Waren die Palästinenser nicht
allein schon deshalb die Avantgarde eines praktischen Internationalismus,
weil sie über den ganzen Erdball verstreut waren? Mussten sie nach dem
Schwarzen September nicht notgedrungen zu "exterritorialen"
Kampfformen wie Flugzeugentführungen und Anschlägen in Europa
greifen, weil sie über kein eigenes Territorium verfügten? Ein
Erklärungsmuster, das aus heutiger Sicht und mit dem Wissen um die
Intifada vielleicht trivial erscheint, das damals aber keineswegs nur in
der kleinen Welt der bewaffneten Gruppen verbreitet war, auch wenn die
Solidarität mit dem "Kampf des palästinensischen
Volkes" dort schon aus praktischen Gründen am stärksten
war.
Zurecht wurden die Antiimperialisten der 70er Jahre gelegentlich als die großen
Vereinfacher bezeichnet. Im bipolaren Weltbild war kein Platz für
Widersprüche diesseits der Barrikade. Man verständigte
sich über den gemeinsamen Feind, sprach aber nicht darüber,
worauf diese Feindschaft beruhte und was man statt dessen wollte.
Die Begriffe, die an Vietnam entwickelt waren, wurden bedenkenlos
auf den Nahen Osten übertragen. Inzwischen sind wir alle etwas
schlauer und haben die sprichwörtlichen blinden Flecken in
der Theorie ein wenig aufpoliert. Dennoch lässt sich die Indifferenz
gegenüber den politischen Inhalten von befreundeten Gruppen
nicht völlig mit theoretischer Unbeschlagenheit oder mangelnder
Selbstreflexion begründen. In der direkten Begegnung mit den
Palästinensern kamen ganz andere Einflüsse zum Tragen,
die in einem internen RZ- Papier 1983 anschaulich beschrieben wurden:
"Wir sind erpressbar und wir sind korrumpierbar. Erpressbar,
weil wir Kritik an den P's als Kopfgeburten eines metropolitanen
Bewusstseins unterdrücken. Korrumpierbar, weil wir uns nur
allzu gerne in den befreiten Zonen des mächtigen Freundes ausruhen
vom Schattendasein in den eigenen Gefilden. Dies ist kein Vorwurf
an die P's oder andere Organisationen. Es ist ein Appell an uns
selbst. Bevor wir nicht fester in den eigenen Schuhen stehen, sollten
wir fremdes Parkett nur mit Zurückhaltung betreten."
Gegenüber
solchen Faktoren war das Konstrukt der Arbeitsteilung von vornherein
chancenlos. In der Praxis durchmischten sich die Ebenen viel stärker,
als man es ursprünglich für richtig gehalten hatte. Dies
betraf in gewisser Weise Logistik, Infrastruktur und Personen, in
weit stärkerem Maße aber Inhalte. Die Tatsache, dass
die RZ schon im 1. Zorn "Aktionen gegen die Filialen und Komplizen
des Zionismus in der BRD" gleichberechtigt neben antiimperialistischen
und sozialrevolutionären Aktionen gestellt hat, liest sich
aus der Rückschau als verklausulierte Bekanntgabe, dass es
zu einer gelungenen Kooperation mit der PFLP gekommen war. Die Preisgabe
eigener Zielvorstellungen war der Tribut, den die RZ für diese
Kooperation bezahlt hat. Mit der Teilnahme von drei Mitgliedern
der RZ an internationalen Kommandos, so an dem Überfall auf
die Wiener OPEC-Konferenz im Dezember 1975 und an der Entführung
einer Air- France- Maschine nach Entebbe im Juni 1976 und dem Scheitern
dieser Kommandos wurde dies auch nach außen hin offenkundig.
Im Rückblick erscheint es absurd, dass keiner der damals Beteiligten
auf die Idee kam, dass wie auch immer begründete Aktionen gegen
Israel für die Kinder der willigen Vollstrecker ein Tabu hätten
sein müssen. Man meinte, sich als internationale Revolutionäre
vor der eigenen Herkunft abkoppeln zu können, und scheute sich
nicht, auch "zionistische" Einrichtungen - und wohl auch
Personen - auf deutschem Boden als Angriffsziel zu definieren. Zitat
Schnepel: "Für uns hatte der gemeinsame Kampf mit den
Palästinensern überhaupt nichts mit Antisemitismus zu
tun. Wir wollten uns nicht die Augen vernebeln lassen..." Erst
als Mitglieder neonazistischer Gruppen in den gleichen Ausbildungslagern
im Jemen geschult wurden, wurde man nachdenklich. Dass der Vorwurf
eines immanenten Antisemitismus gegen sehr breite Teile der damaligen
radikalen Linken zu erheben ist und dass dieDiskussion darüber
erst Jahre später in Gang kam, ist keine Entschuldigung. Die
Frage, warum diese Vorgänge innerhalb der RZ erst so spät,
und dann scheibchenweise, bearbeitet wurden, bleibt offen.
Zu Entebbe gibt es ein ausführliches Papier, in dem die RZ das
Ausmaß an historischer Amnesie und moralischer Desintegrität,
das im Verlauf der Aktion zum Ausdruck kommt, als schwerste Hypothek ihrer
Geschichte bezeichnen. Vermutlich könnte man heute vieles konkreter
schreiben, als es damals möglich schien, und damit manche falsche
Generalisierung vermeiden. Von den Kernaussagen ist allerdings nichts
zurückzunehmen.
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