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Der Berliner Prozess
Im anstehenden Berliner Prozess werden Aktionen der RZ aus den 80er
Jahren verhandelt - ganz unabhängig davon, ob die Angeklagten wirklich
"die Richtigen" sind. Diese Aktionen sind durchaus nicht heroisch
gewesen, die messbaren Erfolge waren begrenzt, und so vieles hätte
besser gemacht werden können. Aber doch: in diesen Jahren ging es
immer um den Versuch, ein sozialrevolutionäres Konzept vom bewaffnetem
Kampf zu entwickeln und zu verankern; um den Versuch, den konkreten Nutzen
dieses Konzepts unter Beweis zu stellen und sich dabei auch persönlich
weiterzuentwickeln. Antirassistisch und in einer antipatriarchalen
Richtung.
 Die
sozialrevolutionäre Begründung und die prekäre Verankerung
dieses Konzepts wirkte auf manche kleinkrämerisch und voller
Halbheiten im Vergleich mit dem existenziellen Commitment der RAF,
der realen Verankerung der Brigate oder dem fernen Heldentum der
Tupas. Und wir neigen gewiss nicht dazu, den Beitrag der Zora und
der Zellen für die Entwicklung eines Widerstands gegen die
mörderische Flüchtlingspolitik, gegen Gentechnik und Bevölkerungspolitik,
gegen den rassistischen deutschen Imperialismus, gegen Frauenhandel
und gegen die HERRschaft über Frauen überzubewerten. Man
könnte die alten Geschichten insofern auch auf sich beruhen
lassen, wäre da nicht dieser Prozess, in dem jetzt einzelne,
zufällig betroffene Personen abgeurteilt werden sollen. Also
geht es jetzt um die Erinnerung einer bestimmten biographischen
Phase in der Entwicklung von Personen, die in jenen Jahren viel
investiert haben und die das Beste wollten, auch wenn sie letztlich
viel zu wenig bewirken konnten. Diese Phase war Frucht und Resultat
schmerzhafter Auseinandersetzungen und langer Debatten. Sie hatte
die tiefen Risse innerhalb der RZ nach 1976 ebenso zur Voraussetzung
wie die Erweiterung des Zusammenhangs um neu Beteiligte, die aus
den Bewegungen der späten 70er und der frühen 80er Jahre
kamen und denen die "Leichen im Keller" nichts bedeuteten,
die nach vorn diskutierten und die gegenüber den alten Platzhirschen
nach und nach in einen Zustand gleichgewichtigen Austausches und
gemeinsamer Weiterentwicklung hineinwuchsen.
Das Fehlen von Gruppen wie den RZ wird uns heute immer wieder
schmerzlich bewusst, wenn wir Abschiebungen nicht aufhalten können
wenn wir Migrantinnen grober Willkür ausgesetzt sehen, wenn es
scheint, als könne das wiedererstandene Deutschland sich im globalen
Kontext zum dritten Mal hervortun, wenn wir sehen, wie ungeniert sich der
neue Reichtum zur Schau stellt, oder wenn wir sehen, wie die Gentechnik
neue Blüten treibt, Bevölkerungen ausradiert werden und
Ansätze zu einem internationalistischen Feminismus in NGOs und
Konferenzen aufgehen. Die soziale Konfliktualität wird sich auch in
den Metropolen selbst wieder zuspitzen, und auch die Frage der Gewaltmittel
wird sich neu akzentuieren. Aber es gibt hier keine
Kontinuitätslinien, und diese Fragen werden völlig neu diskutiert
werden müssen.
Worum
es in diesem Aufsatz geht, ist also nicht, Propaganda für einen
neuen aktionistischen Zyklus zu machen. Sondern in erster Linie
wollen wir die Geschichte der 80er Jahre dagegen verteidigen, dass
sie zugeschüttet wird mit alten Horrorgeschichten - OPEC, Entebbe,
dem Mord an Gerd Albartus - und dass sie aus der Darstellung der
Verräter rekonstruiert wird. Um den zweifelhaften Wahrheitsgehalt
derartiger Aussagen geht es hier nicht. Man könnte meinen,
so viel Dreck könne nur aus bescheuerten, skrupellosen, entmenschlichten
Verhältnissen stammen. Aber dem ist nicht so. Natürlich
gab es viel Scheiße, unter dem Druck der Bedingungen vielleicht
auch mehr als in anderen Zusammenhängen jener Zeit.
Und dennoch: die Beteiligten bemühten sich ehrlich um Freundschaft
und Solidarität, sie diskutierten endlos über die Entwicklung in
"kämpfenden Kollektiven" und versuchten, zugleich der oder
dem Einzelnen gerecht zu werden. All das wurde damals wiederholt mit
schmalzigen Worten beschrieben, aber dahinter stand durchaus ein
ernsthafter Versuch der Erneuerung. Und es war ein Versuch, in der
Geschichte Spuren zu hinterlassen.
Der Druck der Bedingungen: es wird gelegentlich darauf verwiesen, dass
es gegenüber den RZ nur wenige Fahndungserfolge gegeben hat. Aber die
andere Seite war: es wurde immer schwieriger, Freundschaften und
Beziehungen aufrecht zu halten, wenn man sich 5 Stunden absetzte, um 2
Stunden zu diskutieren und wenn die Kontakte unter Sicherheitsaspekten auf
ein Minimum reduziert wurden. Die Gründergeneration hatte den
längsten Teil ihrer Zeit miteinander in den Gruppen verbracht, und die
Personen, die die RZ insbesondere in den späten 70er Jahren
verließen, taten dies allermeist nicht aus Angst oder aufgrund eines
Sinneswandels, sondern weil sie ihren Traum von einem besseren Leben in
kollektiven Zusammenhängen unter dem Fahndungsdruck dahinschwinden
sahen.
Chronologien und Erklärungen können andernorts nachgelesen
werden. Wir wollen hier damit beginnen, die Debatten und strategischen
Konzepte aufzuarbeiten, die in den RZ ihrer Zeit lebendig waren, und die
zuerst in den einzelnen Zellen und auf den überregionalen Treffen der
Delegierten, in den späteren 8Oer Jahren dann aber auch auf
größeren Treffen der Frauen und denen der gemischten
Zusammenhänge, unter Inkaufnahme erheblicher Sicherheitsrisiken,
diskutiert wurden. Dabei blieb man stets dem Prinzip treu, dass auf diesen
Treffen keine Namen genannt und keine konkreten Aktionen besprochen
wurden.
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