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Urteil
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6) Sprengstoffanschlag auf die Siegessäule
Der Angeklagte H. hat sich, wie oben unter 111.3) e) ausgeführt,
zum Anschlag auf die Siegessäule eingelassen und bestritten,
hieran beteiligt gewesen zu sein.
Der Zeuge Mousli hat ausgesagt, 1989 sei im Rahmen der Anti-Patriarchats-
und Rassismusdiskussion in beiden Gruppen der Berliner RZ die Idee
eines Sprengstoffanschlags auf die Siegessäule diskutiert worden.
Diese sei ein Symbol für die Verherrlichung von Krieg und Männergewalt
gewesen. Noch vor dem Abschluß des Diskussionsprozesses habe
er 1990 seine Mitgliedschaft in den RZ beendet. Er habe sich aber
bereit erklärt, weiterhin "strukturell zur Verfügung
zu stehen", "Jon" und "Judith" seien im
selben Jahr ausgeschieden. Danach hätten sich die verbliebenen
Mitglieder seiner Gruppe, "Sigi" und "Sebastian",
der Gruppe von "Heiner" und "Anton" angeschlossen.
Nach dem Anschlag auf die Siegessäule habe er bei einer Autofahrt
Lothar E. gefragt: "Habt ihr das gemacht?". E. habe dies
bejaht und erzählt, daß bei dem Anschlag er, "Heiner",
"Anton" und "Sigi" dabei gewesen seien. Es seien
zwei Sprengsätze angebracht worden, einer am Fuß und
ein anderer an der Stützstange der Viktoria. Einer dieser Sprengsätze
habe nicht gezündet. Es seien Nachschlüssel gefertigt
worden. Man sei über einen unterirdischen Zugang zur Siegessäule
gelangt. Bei einem Gespräch im Jahr 1994 habe ihm "Sigi"
die Beteiligung von ihm, "Heiner", "Anton" und
"Sebastian" bestätigt. Auf Vorhalt hat der Zeuge
seine weiteren im Ermittlungsverfahren gemachten Angaben wiederholt.
Danach habe er von dem Anschlag zunächst aus der Zeitung erfahren
und daraufhin mit Lothar darüber gesprochen. Dessen Angaben
zufolge sei man in das Denkmal mit einem Nachschlüssel nur
den im Erdgeschoß gelegenen Besuchereingang gelangt. Während
der Durchführung des Anschlages sei das Gelände abgesichert
gewesen.
Die Bekundungen des Zeugen Mousli sind glaubhaft.
a) Es ist bereits dargelegt worden, daß Ende der achtziger
Jahre in der Berliner RZ eine grundsätzliche Diskussion über
neue ideologische Inhalte für eine Kampagne stattfand. Daß
bei diesen Überlegungen auch der Anschlag auf die Siegessäule
eine Rolle spielte, wie der Zeuge Mousli bekundet hat. wird dadurch
gestützt, daß für die spätere argumentative
Begründung der Aktion ausweislich des Bekennerschreibens tatsächlich
auch die Gesichtspunkte des Patriarchats, Sexismus und Rassismus
herangezogen wurden.
b) Die Angaben des Zeugen Mousli zum äußeren Tathergang
decken sich ebenfalls mit dem Ergebnis der Beweisaufnahme.
Die Zeugin Barth hat ausgesagt, sie sei mit ihrem Taxi in der Tatnacht
gegen 3.00 Uhr an der Siegessäule vorbeigefahren und habe dabei
eine Explosion wahrgenommen. Deren Wucht hat sie eindrucksvoll dahin
beschrieben, daß sie einen "Riesenknall" gehört
und das Gefühl gehabt habe, ihr Wagen sei "ein paar Zentimeter
in die Luft abgehoben". An der Glaubhaftigkeit dieser Bekundungen,
die sich mit den später durchgeführten polizeilichen Ermittlungen
decken, bestehen keine Zweifel. Die Zeugen Marter und Fischer, Kriminalbeamte
der Berliner Polizei, die nach dem Zugang des Bekennerschreibens
am 16. Januar 1991 den Tatort sichteten, haben ausgesagt, daß
sie im Treppenhaus der Siegessäule die aufgesprühten Buchstaben
"RZ" und mehrere "RZ-Sterne" vorgefunden hätten.
Spuren eines gewaltsamen Eindringens an der Eingangstür zu
dem Denkmal und an deren Schloß seien nicht festgestellt worden,
so daß davon auszugehen sei, daß die Täter einen
Nachschlüssel oder ein anderes schließfremdes Werkzeug
benutzt hätten. Am Ende der Wendeltreppe zu der Aussichtsplattform
seien Teile einer Sprengvorrichtung sichergestellt worden, zwei
Batterien und ein Wecker in einer Plastikschüssel, von der
eine etwa 10m lange Zündleitung über einen Sockel an die
Figur der Viktoria geführt habe. Reste eines Klebebandes an
einem Stützpfeiler der Figur hätten darauf hingedeutet,
daß dort ein Sprengsatz angebracht worden sei. Am Fuße
der Siegessäule seien ein zylindrischer Körper aus Pappe
und eine ebenso geformte Sprengstoffmasse entdeckt worden. Diese
unversehrt aufgefundene Sprengladung sei wahrscheinlich bei der
Explosion der ersten Sprengladung weggeschleudert worden. Der Zeuge
KOK Roitsch hat bei seiner Tatortbesichtigung am Rocksaum der Figur
Risse und am Stützpfeiler eine Delle von etwa 10 cm Durchmesser
festgestellt, die nach seinen Bekundungen durch die Explosion verursacht
wurden. Die Gefahr eines Absturzes der Viktoria oder größerer
Teile der Bronzeplatten, aus denen die Figur zusammengesetzt ist,
bestand nach seinen Ermittlungen nicht. Die Aussagen der Zeugen
sind glaubhaft. Sie waren widerspruchsfrei und deckten sich mit
den vom Tatort gefertigten Lichtbildern.
Der Sachverständige Dr. Kolla hat die unversehrt aufgefundene
Sprengladung untersucht und ist in seinem überzeugenden Gutachten,
wie bereits oben unter 4)a) cc) (4) dargelegt, zu dem Ergebnis gekommen,
daß es sich hierbei um Gelamon 40 handelte. Es wurde also
eine Sprengstoffart verwendet, die den Berliner RZ zur Verfügung
stand. Auch dieser Zusammenhang stützt, wie ebenfalls bereits
dargelegt, die Angaben des Zeugen Mousli.
c) Der Senat ist davon überzeugt, daß Lothar E. und
später auch der Angeklagte G. dem Zeugen Mousli die Beteiligung
der Angeklagten B., H. und G. sowie des Lothar E. an dem Anschlag
offenbarten und diese Angaben der Wahrheit entsprachen. Der Zeuge
Mousli war für beide ein langjähriger politischer Weggefährte
und ehemaliger Tatgenosse, mit Lothar E. war er zudem seit vielen
Jahren eng befreundet. Er hatte sich bereit erklärt, auch nach
seinem Ausscheiden aus den RZ "strukturell" zur Verfügung
zu stehen. Diese Bereitschaft zur Unterstützung - die von dem
Angeklagten G. später auch in Anspruch genommen wurde, als
er mit Hilfe des Zeugen Mousli 60.000 DM für die RZ beschaffte
und ihm Sprengstoff zur vorübergehenden Verwahrung übergab
- hat zur Gewißheit des Senats den Ausschlag dafür gegeben,
daß sich Lothar E. und der Angeklagte G. dem Zeugen Mousli
anvertrauten. Es ist auch ohne weiteres glaubhaft und nachvollziehbar,
daß der Zeuge als früheres Mitglied und Teilnehmer an
den Diskussionen über einen solchen Anschlag daran interessiert
war, Näheres darüber zu erfahren.
d) Lothar E. und der Angeklagte G. teilten dem Zeugen Mousli zwar
nicht mit, welche Tatbeiträge sie und die Angeklagten B. und
H. bei der Vorbereitung und Durchführung der Tat im einzelnen
geleistet hatten. Es steht jedoch fest, daß die Angeklagten
bei allen drei vorangegangenen Anschlägen umsichtig, sorgfältig
und arbeitsteilig gehandelt hatten. Der Anschlag auf die Siegessäule
bedurfte ebenfalls - schon aufgrund der Lage des Objekts auf einer
Verkehrsinsel in der Mitte Berlins und des weitläufigen Geländes
- einer gründlichen Vorbereitung und der Absicherung während
der unmittelbaren Tatausführung, um eine mögliche Entdeckung
und Festnahme durch die Polizei und eine Gefährdung Unbeteiligter
zu vermeiden. Bei dieser Sachlage hat der Senat keine Zweifel, daß
die Angeklagten B., H. und G. und Lothar E., wie festgestellt, sowohl
bei der Tatvorbereitung als auch der Tatdurchführung arbeitsteilig
vorgingen. Der Senat ist davon überzeugt, daß der Angeklagte
B. aufgrund seiner herausgehobenen Stellung und seiner Tatbeiträge
bei den früheren Anschlägen das Vorgehen seiner Tatgenossen
koordinierte. die gesammelten Informationen auswertete und das Bekennerschreiben
entwarf. Seine Ausbildung in der Schlosserlehre und im Studium der
Elektrotechnik legen es nahe, daß dieser Angeklagte es war,
der die Sprengvorrichtungen herstellte. Das ist jedoch lediglich
wahrscheinlich und nicht gewiß.
e) Der Angeklagte H. mag aufgrund seiner Meniskusverletzung. die
im Februar 1991 zu einer Operation führte, bei der ihm ein
Teil des Meniskus entfernt wurde, zwar gehbehindert gewesen sein,
daß er sich aber überhaupt nicht bewegen konnte, behauptet
er selbst nicht. Der Senat ist davon überzeugt, daß der
Angeklagte an der Beschaffung der Informationen über das Objekt
mitwirkte und in der Tatnacht zwar nicht "im Brennpunkt",
d.h. in und auf der Siegessäule aktiv war, jedoch Aufpasserdienste
leistete.
1) Die Glaubhaftigkeit der Aussage des Zeugen Mousli wird nicht
dadurch in Frage gestellt, daß er bei der Vernehmung vom 30.
Dezember 1999, in der er sich erstmals detailliert zu dem Anschlag
auf die Siegessäule äußerte, den Angeklagten H.
bei der Aufzählung der Täter nicht erwähnte. Denn
der Zeuge hat in seinen handschriftlichen "Angaben zu Axel
H.", die er im Anschluß an diese Vernehmung fertigte
und in der Vernehmung vom 4. Januar 2000 vorlegte, aber auch in
der Vernehmung vom 4. Januar 2000 selbst und in den weiteren Vernehmungen
klar und eindeutig geäußert, daß auch der Angeklagte
H. bei diesem Anschlag dabei gewesen sei. Der Zeuge hatte, wie bereits
dargelegt, zunächst versucht, neben Lothar E. auch den Angeklagten
H. aus der Strafverfolgung "herauszuhalten", hatte dies
jedoch zum Jahreswechsel 1999/2000 aufgegeben. Anlaß zu einer
"Schonung" des Angeklagten bestand daher für ihn
nicht mehr. Der Senat ist überzeugt. daß der Zeuge den
Angeklagten bei der Vernehmung vom 30. Dezember 1999 versehentlich
nicht erwähnte, zumal er ihm als einfaches Mitglied der anderen
Gruppe, wie andernorts bereits erörtert, fern stand und er
ihm daher auch bei späteren Vernehmungen nicht präsent
war. Auch hier gilt, daß er ihn in Anbetracht seiner - bereits
beschriebenen - Konfliktlage (s. oben unter VI. 3)) nicht über
Gebühr belastete.
g) Die Beweisaufnahme hat ergeben, daß in der Tagespresse
teilweise recht ausführlich über den Anschlag berichtet
wurde. So enthielt ein Artikel der auflagenstarken Berliner Boulevardzeitung
"BZ" vom 17. Januar 1991 die Information, daß Mitglieder
der Revolutionären Zellen versucht hätten, die Siegesgöttin
mit zwei Sprengsätzen und zwei Kilo Sprengstoff von der Säule
zu sprengen, wobei die Polizei davon ausgegangen sei, (daß
die Täter beide Sprengsätze hätten gleichzeitig zünden
wollen. Einer dieser Sprengsätze sei an einem Stützpfeiler
befestigt gewesen und habe bei der Explosion den zweiten zur Seite
gedrückt, so daß dieser heruntergefallen sei. Die Täter
seien vermutlich mit Nachschlüsseln auf die oberste Plattform
des Monuments gelangt.
Der Umstand, daß diese Erkenntnisse der Polizei seinerzeit
veröffentlicht wurden, spricht nicht gegen die Glaubhaftigkeit
der Angaben des Zeugen Mousli, wonach er diese Details von Lothar
E. erfahren habe. Denn der Zeuge berichtete von Anfang an davon,
daß er von dem Anschlag zuerst aus der Zeitung erfahren hatte
- wenn er sein Wissen allein durch Zeitungslektüre und nicht
durch Auskunft des Tatbeteiligten Lothar E. erworben hätte
und wenn er tatsächlich nur "angelesenes" Wissen
zur Grundlage einer Falschbelastung hätte machen wollen, wäre
zu erwarten gewesen, daß er nicht auf die Zeitungslektüre
hingewiesen hätte. Denn auf diese Weise hätte er seiner
Aussage ein besonderes Gewicht verliehen. So verhielt er sich jedoch
nicht.
In seiner richterlichen Vernehmung vor dem Ermittlungsrichter des
Bundesgerichtshofs am 7. April 2000 hat der Zeuge Mousli bekundet,
daß Lothar E. ihm auf Nachfragen auch von Einzelheiten erzählt
habe, die nicht in der Zeitung gestanden hätten, so vom Nachschlüssel
zum Besucheraufgang und dem Anbringen zweier Sprengstoffportionen.
Letzteres trifft zwar objektiv nicht zu, denn die "BZ"
hatte darüber berichtet. Dies belegt jedoch nicht eine Falschaussage
des Zeugen. Welchen Zeitungsartikel der Zeuge seinerzeit gelesen
hatte - den ihm vorgehaltenen "BZ"- Artikel kannte er
seinen Bekundungen zufolge nicht, weil er Zeitungen der Springerpresse
nicht lese - ließ sich nicht mehr feststellen. Nach dem Ergebnis
der Beweisaufnahme haben nicht alle Zeitungen so eingehend wie das
genannte Boulevardblatt über die Erkenntnisse der Polizei berichtet.
Die politisch links und damit dem Zeugen sicher näher als die
"BZ" stehende "taz" etwa erwähnte den Einsatz
zweier Sprengstoffmengen und eines Nachschlüssels nicht. Hätte
der Zeuge aber entgegen seiner Bemerkung vor dem Ermittlungsrichter
gewußt, daß diese bei den Details in der Tagespresse
veröffentlicht waren, wäre es nicht nachvollziehbar, warum
er - wenn er denn die Unwahrheit hätte sagen wollen - eine
derart leicht zu widerlegende Behauptung aufgestellt hätte.
h) Die Glaubhaftigkeit der Aussage des Zeugen Mousli ist schließlich
auch nicht dadurch erschüttert, daß er angegeben hat,
von "Sebastian" erfahren zu haben, daß man über
einen unterirdischen Zugang zur Siegessäule gelangt sei. Die
Siegessäule liegt auf einer Verkehrsinsel, zu der zwei unterirdische
Fußgängertunnel führen. Wie der seinerzeit für
die Bauunterhaltung zuständig gewesene Zeuge Kalaß bekundet
hat, ist der Zugang in das Denkmal ausschließlich über
die Besuchereingangstür im Erdgeschoß, nicht aber unterirdisch
möglich. Letzteres hat der Zeuge Mousli aber auch nicht behauptet.
Er hat vielmehr stets ausgesagt, daß Lothar E. ihm von einem
Nachschlüssel zur Besuchereingangstür erzählt habe,
durch die man in die Siegessäule gelangt sei. Es steht nicht
ihm Widerspruch zu der Aussage des Zeugen Mousli, sondern ist ohne
weiteres möglich und steht zur Überzeugung des Senats
fest, daß die beteiligten Angeklagten in der Tatnacht nicht
über die Straße zu dem Denkmal liefen, was leicht zu
beobachten gewesen wäre und unter Umständen Verdacht erregt
hätte, sondern aus Sicherheitsgründen den Weg über
einen der Fußgängertunnel wählten. Diese waren zwar
nach den Bekundungen des Zeugen Hofmann nachts verschlossen, jedoch
nur mit ganz einfachen Buntbartkastenschlössern. Es liegt auf
der Hand, daß ein derartiges Hindernis leicht mit einem sog.
Dietrich überwunden werden konnte. Dessen Herstellung und Handhabung
ist im "Revolutionären Zorn" Nr. 5 anschaulich beschrieben.
Es heißt dort einleitend: "Ein "Dietrich" ist
das ideale Werkzeug, um eine Tür mit normalem Schloß,
also keinem Sicherheitsschloß, in Sekundenschnelle zu öffnen.
So einfach wie seine Anwendung ist auch seine Herstellung."
weiter
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