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Übersicht: schriftliches
Urteil
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III. Einlassungen
1) Der Angeklagte Sch. hat sich, nachdem der Zeuge Mousli
zu den Tatvorwürfen vernommen worden war und die Angeklagten
im wesentlichen so, wie festgestellt, belastet hatte, und eine Vielzahl
von Zeugen zu den Anschlägen gehört worden waren, im Rahmen
einer Verfahrensabsprache durch seinen Verteidiger in einer schriftlich
abgefaßten Erklärung zu seiner Person und zu der der
Angeklagten E. eingelassen. Zu den Mitangeklagten und Lothar E.
hat er sich ausdrücklich nicht äußern wollen.
Er und die Angeklagte E., mit der er damals befreundet gewesen
sei, seien im August 1978 ins Ausland gegangen, weil sie observiert
worden seien. Seit 1978 hätten sie keine Verbindungen zum Frankfurter
Raum gehabt. In den Jahren 1986 bis 1987 sei er in Berlin wieder
"politisch aktiv" geworden. Sie seien an der Flüchtlingskampagne
der RZ interessiert gewesen. Er sei 1986 zweimal in Berlin gewesen,
um eine Wohnung zu finden, und die Angeklagte E. einmal; diese sei
Anfang 1987 nachgekommen. Tarek Mousli sei vor ihnen Mitglied der
RZ gewesen und nach ihnen ausgestiegen. Sie hätten mit ihm
keine Eingangsgespräche geführt: Gerd Albartus habe er,
Sch., seit 1976 nicht mehr gesehen. Albartus habe in dem Ruf gestanden,
ständig observiert zu werden. Er, Sch., habe in Berlin allein
den Decknamen "Jon", die Angeklagte E. den Decknamen "Judith"
geführt; eine Umbenennung habe es nicht gegeben. Sie seien
mit Tarek Mousli nicht in einer Gruppe gewesen; man könne allenfalls
von der Gruppe der "Legalen" und ihnen, den "Illegalen",
sprechen. In den RZ habe es egalitäre Strukturen gegeben. Deshalb
habe er anderen keine Aufgaben zugewiesen und habe auch keine überregionalen
Kontakte unterhalten. Die Gruppen seien vielmehr autonom gewesen.
Warum Tarek Mousli Leute als Mitglieder angegeben habe. die keine
gewesen seien, und andere dafür herausgelassen habe, sei ihm
ein Rätsel. Sie hätten sich zu klandestiner Arbeit nicht
in Kneipen und Cafes der TU getroffen.
a) Zu dem Anschlag auf Harald Hollenberg hat sich der Angeklagte
Sch. dahin eingelassen, bei seinem zweiten Berlinbesuch hätten
sie über den Chef der Ausländerpolizei Hollenberg, den
sie für den Verbrennungstod von sechs Menschen in Abschiebehaft
verantwortlich gemacht hätten, diskutiert. Alle seien sich
einig gewesen, ihm in die Knie zu schießen. Eine Frau habe
die Schützin sein sollen, dies sei aber nicht die Angeklagte
E. gewesen, die zu dieser Zeit noch gar nicht in Berlin gewesen
sei. Um jede Eskalation zu vermeiden, habe eine zweite Person Hollenberg
in Schach halten sollen. Tarek Mousli habe diesen und seine Wohngegend
ausgekundschaftet. Die Tat sei so. wie von Hollenberg beobachtet,
ausgeführt worden. Die Frau habe ihm mit einer Pistole mit
aufgesetztem Schalldämpfer in die Beine geschossen und er,
Sch., habe ihn mit einer Pistole in Schach gehalten, aber nicht
geschossen. Dann seien sie zu dem zuvor gekauften und in der Nähe
geparkten Fluchtfahrzeug gelaufen, hätten das Klappfahrrad
verstaut und seien weggefahren. Später sei das Fahrzeug in
Brand gesetzt worden. Er. Sch., habe den Brandsatz gebaut. Es seien
keine Funkgeräte im Einsatz gewesen, Tarek Mousli habe auch
nicht mit einem Scanner am S- Bahnhof- Zehlendorf gestanden; er
habe sich bei seiner Arbeitsstelle aufhalten wollen, um ein Alibi
zu haben, falls er beim Auskundschaften jemandem aufgefallen sei.
Sie hätten sich wohl noch am Tattag in einer Wohnung getroffen.
Tarek Mousli sei begeistert gewesen und habe vor allem der Frau
gratuliert.
Später hat der der Angeklagte Sch. als Schützin die Zeugin
Barbara W. benannt und sich zu deren Aussage ergänzend eingelassen.
b) Zu dem Anschlag auf die ZSA hat der Angeklagte Sch. angegeben,
dieser sei ein Projekt des Tarek Mousli gewesen. Gegen dessen Vorschlag
seien Bedenken erhoben worden. da seine Information, dort stehe
ein zentraler Computer, nicht überprüfbar gewesen sei.
Für den Sprengsatz, den Tarek Mousli an der ZSA abgelegt habe,
habe er, Mousli. einen neuen Zündmechanismus entwickelt. Seine
präzise Schilderung der Konstruktion des Sprengsatzes beweise,
daß er ihn selbst gebaut haben müsse. An der nächtlichen
Aktion an einem nicht bewachten Tatort und menschenleerer Gegend
hätten nicht sieben Leute teilnehmen müssen. Auf Bitten
des Tarek Mousli habe er, Sch., sich bereit erklärt, auf der
anderen Seite des angrenzenden Kanals zu sichern. Tarek Mousli habe
wochenlang alles ausgekundschaftet. Eine Woche zuvor hätten
sie die Funkgeräte auf ihre Brauchbarkeit getestet und den
Zeitablauf festgelegt. Ihm, Sch.. sei es darum gegangen, die letzte
U- Bahn zu erreichen. Tarek Mousli habe das Bekennerschreiben verfaßt,
nicht die Angeklagte E..
c) Der Angeklagte Sch. hat seine Beteiligung an dem Anschlag auf
Dr. Korbmacher eingeräumt und behauptet, die Tat sei nicht
umstritten gewesen. Die Angeklagte E. habe sich an den vorbereitenden
Diskussionen beteiligt. Tarek Mousli habe das Motorrad, das aus
Nordrhein-Westfalen gewesen sei, gefahren und er, Sch., die Schüsse
mit der Waffe, die bei dem Anschlag auf Hollenberg verwendet worden
sei, abgeben wollen. Sie hätten beide Probefahrten unternommen.
Nicht Tarek Mousli, sondern er, Sch., sei an dem Diebstahl des Fluchtfahrzeugs
beteiligt gewesen. Der Anschlag sei so, wie von Dr. Korbmacher geschildert,
verlaufen. Tarek Mousli habe das Motorrad gefahren und er, Sch.,
habe auf die Unterschenkel von Dr. Korbmacher geschossen. Sie seien
dann zum Fluchtauto gefahren. Später habe er nach dem Verlassen
des Fahrzeugs die Zeitschaltuhr des von ihm gebastelten Brandsatzes
in Gang gesetzt. Danach müsse Tarek Mousli seinen Helm so auf
die Abdeckung des Drehweckers gelegt haben, daß er stehen
geblieben sei. Die Angeklagte E. habe die Selbstbezichtigungserklärung
alleine geschrieben. Weder der Anschlag noch die Erklärung
dazu seien von einem angeblich überregionalen Gremium geplant
bzw. entworfen worden; vielmehr seien die Gruppen autonom gewesen.
Andere Gruppen hätten die Pläne einer Region aus Sicherheitsgründen
nicht gekannt.
d) Von einer Lieferung von Sprengstoff nach Berlin und Lagerung
im Mehringhof wisse er nichts.
e) Der Anschlag auf Dr. Korbmacher sei für sie, Sch. und E.,
das Ende der Flüchtlingskampagne und das Ende ihrer Arbeit
in den RZ gewesen, Sie hätten schon seit längerer Zeit
das Gefühl gehabt, daß die RZ politisch wie praktisch
in der Luft gehangen hätten. Die Verankerung in einem sozialrevolutionären
Milieu sei seit langem nicht mehr gegeben gewesen, weil dieses Milieu
zusehends ausgetrocknet gewesen sei, und von einer kulturrevolutionären
Bewegung habe im Grunde schon seit Mitte der 70er Jahre nicht mehr
die Rede sein können. Sie seien der Meinung gewesen, man könne
nicht gut als Zuspitzung einer gesellschaftlichen Bewegung agieren,
die ihre Substanz verloren habe und seit langem nicht mehr virulent
gewesen sei. Die Flüchtlingskampagne sei insofern eine Ausnahme
gewesen, als sie nicht ein sozialrevolutionäres Projekt im
eigentlichen Sinne darstellte, sondern vielmehr eine klassische
Verteidigungs- und Schutzlinie für verfolgte und bedrohte Menschen
aufzubauen versuchte, die sich selbst nicht hätten helfen können.
Sie sei eine Bemühung um praktische Solidarität und schützende
Parteinahme gewesen. Deshalb hätten sie an der Flüchtlingskampagne
mitarbeiten wollen. Die Flüchtlingskampagne sei eine Ausnahme
gewesen, mit ihrem Ende seien die Gründe für eine weitere
Arbeit in den RZ weggefallen. Die Angeklagte E. habe 1987 einen
später unter dem Titel "Was ist das Patriarchat?"
veröffentlichten Text mit dem Titel: "Das Spiel ist aus.
Anmerkungen zur Geschlechtsdifferenz." geschrieben. Es sei
kein Papier des bewaffneten Kampfes, sondern eines über dessen
Ende gewesen; sie hätten es als Auflösungserklärung
interpretiert. Anfang 1988 hätten sie mit mehreren legalen
Leuten einen philosophisch- literarischen Arbeitskreis gegründet,
um sich neue geistige Grundlagen zu erwerben.
Nachdem die Verteidigung des Angeklagten B. die Frage des strafbefreienden
Rücktritts angesprochen hatte, hat der Angeklagte Sch. in einer
weiteren Einlassung angegeben, die Lage der RZ hätten sie selbstverständlich
mit den weiteren Mitgliedern der RZ diskutiert und ihnen erklärt,
für weitere Aktionen der RZ gäbe es weder Anlaß
noch Legitimation, die Arbeit müsse daher eingestellt werden.
Das hätten sie für alle Beteiligten erkennbar umgesetzt,
und sie hätten diese aufgefordert, dieselben Konsequenzen zu
ziehen.
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