www.freilassung.de
Zurück zur Startseite  

Übersicht

Aktuelle Meldung
Meldungen
Berichte
Vorschau
Hintergrund

 

Mailingliste
Mail
Suche

Presse Archiv Erklärung Hintergrund

Die Welt, 03.11.1986

Jetzt fahndet die Polizei verstärkt nach der Terrorgruppe "2 Juni"

Verübte "aufgeIöste" Organisation Anschlag auf Hollenberg? / "The Blues goes on"

Tatort Berlin: "The Blues goes on", erzählten sich Gäste linker Kneipen am Wochenende nach den Schüssen auf den Leiter der Berliner Ausländerbehörde, Harald Hollenberg, durch bisher nicht gefaßte Terroristen. Im Verdacht,den Anschlag verübt zu haben, stehen plötzlich auch Anhänger der früheren Gruppierung "Bewegung 2. Juni", die sich angeblich 1980 auflöste und mit der "Rote Armee Fraktion" (RAF) vereinigte.

Bei den Ermittlungen nach dem Täterkreis suchen die Sicherheitsbehörden in West-Berlin und im übrigen Bundesgebiet nach früheren Angehörigen dieser Gruppierung, die in den sechziger Jahren als "Blues" antiautoritär auftrat, bis dieses Etikett zum Synonym für den Weg in den Linksextremismus wurde. In Erinnerung an den Tod des Demonstranten Benno Ohnsorg bei einer Anti- Schah-Kundgebung am 2. Juni 1967 in West-Berlin bemühten sich Anführer der Bewegung seit Anfang der siebziger Jahre unter diesem Todesdatum als Gruppennamen "Widerstand auf die Straße" zu tragen. Reizthemen sollten unabhängig von der RAF durch spontane Anschläge "vermittelbar" werden. "Durch entscheidende Aktionen müssen wir das Volk auf unsere Seite bringen", sagte der wegen terroristischer Aktivitäten verurteilte Klaus Viehmann vor Gericht unter Anspielung auf die Entführung des Berliner CDU-Politikers Peter Lorenz. Der "Bewegung 2. Juni" werden außerdem die Ermordung des Kammergerichtspräsidenten Günter von Drenkmann und die Inszenierung der Entführung des Wiener Textilkaufmannes Palmers zur Last gelegt, von dem Inge Viett, eine der Anführerinnen im Jahre 1977 rund 4,3 Millionen Mark als Lösegeld erpreßte.

Inge Viett, frühere Berliner Kindergärtnerin aus Stenwarde in Norddeutschland, wird verstärkt als Nummer eins der alten "Bewegung 2. Juni" gesucht. Die 42jährige, die 1976 aus dem Berliner Frauengefängnis ausbrach und seitdem gesucht wird, schloß sich nach der Flucht der RAF an. Im kommunistischen Südjemen wurde sie in einem Palästinenserlager militärisch ausgebildet. Ihr wird eine Reorganisation des militanten Untergrundes nach mehrjähriger verhältnismäßig ruhiger terroristischer Phase in der Stadt zugetraut.

In früheren Jahren hielten sich weitere Mitglieder des "2. Juni" zur Ausbildung in Lagern palästinensischer Organisationen im Nahen Osten auf. Eine der ersten war Ingrid Siepmann, eine aus Marienberg (Sachsen) stammende Frau, die den Spitznamen "Banklady" trug. In knapp eineinhalb Jahren verübte sie mit Komplizen sechs Überfälle auf Westberliner Geldinstitute. Nach ihrer Verurteilung 1974 zu zwölf Jahren Haft war sie bereits im März 1975 im Austausch gegen den entführten damaligen Berliner CDU-Landesvorsitzenden Peter Lorenz freigepreßt worden. Seit einigen Jahren ist Ingrid Siepmann in Libanon verschollen. Es wird angenommen, daß sie bei den Kämpfen in Südlibanon auf seiten der PLO gegen die Israelis während eines Bombenangriffes verschüttet wurde.

Einige Anhänger des "2. Juni" versuchten in den siebziger Jahren in Nordrhein-Westfalen eine "Rote Ruhr- Armee" zu bilden. Zu den mutmaßlichen Initiatoren wurde Gabriele Kröcher-Tiedemann gerechnet, die später mit dem Venezolaner Ilich Ramirez- Sanchos, genannt "Carlos" , die Konferenz der Opec- Ministerrunde in Wien überfiel. Der damalige Ehemann der Terroristin wurde 1977 in

Stockholm unter dem Verdacht der geplanten Entführung eines schwedischen Regierungsmitgliedes verhaftet.

Festnahmen durch die in- und ausländische Polizei, der Tod des Professorensohnes Georg von Rauch bei einer Schießerei und der "Ausstieg" des früheren "2. Juni"-Anhängers Michael "Bommi" Baumann bedeuteten eine Zäsur für die Gruppierung. In einem Reorganisationspapier im Jahre 1975 hieß es über diese Phase der Bewegung und über die Bedingungen eines weiteren Agierens unter anderem: "Georg von Rauch wurde erschossen, viele Genossen wurden verhaftet, andere gaben auf, einige versuchten sich durch Verrat freizukaufen (es handelte sich um erfolgreiche Regelungen einer Art Kronzeugenpraxis, wie sie heute als gesetzliche Regelung diskutiert wird - die Red.)."

Die Verfasser betonten in ihrem Rundschreiben an Anhänger und Unterstützer der Terrororganisation, es sei "trotz dieser folgenschweren Rückschläge - die Infrastruktur der Gruppe wurde von den Bullen mehr als einmal durch Verrat zerschlagen § " der Polizei nicht gelungen, "die Bewegung aufzureiben oder sie aus der Stadt zu vertreiben".

Daraus erklären sich Zweifel, ob die ,"Bewegung 2. Juni" tatsächlich aufgelöst wurde. Bei den Sicherheitsbehörden gibt es Hinweise, daß in der Bundesrepublik in den letzten Jahren einige militante frühere "2. Juni"- Anhänger Mini- Gruppen von der Art "Revolutionärer Zellen" gebildet haben. Diese werden als selbständige "Untergruppen der Bewegung 2. Juni" oder zumindest dieser nahestehend eingeschätzt. The Blues goes on?

In dem Anschlag auf den Berliner Behördenchef sehen Sicherheitsexperten durchaus eine Aktion, um sich bei anderen deutschen Extremisten, insbesondere aber auch bei arabischen Gruppierungen, ins Gespräch zu bringen. Für diese Anknüpfung können die Gewalttäter die "Revolutionären Zellen" gewählt haben.

MAIL
http://www.freilassung.de/prozess/ticker/history/hollenb/pressewelt/031186.htm