87. Prozesstag: 11. Juli 2002
Die zweite Zeugin der Verteidigung
Die Verteidigung von Rudolf Sch. präsentierte heute eine zweite
Zeugin, nachdem bereits am vorletzten Verhandlungstag mit Barbara
W. eine erste Entlastungszeugin vor das Kammergericht geladen war.
Das Rahmenprogramm der letzten Vorstellung vor der Sommerpause gestalteten
ein wackerer Kriminalhauptkommissar, diverse Rechtliche Stellungnahmen
zur bisherigen Beweiserhebung, ein paar der üblichen Ablehnungsbeschlüsse
des Kammergerichtes, verschiedene Beweisanträge der Verteidigung
und eine dringende Leseempfehlung durch die Vorsitzende Richterin.
Nicht mal richtig schießen
Den Auftakt der Beweiswürdigung
machte RAin Studzinsky. Der am letzten Freitag vernommene Sprengstoff-Sachverständige
des Bundeskriminalamtes (BKA) hätte alle bisherigen Angaben
des Kronzeugen zumindest an einem Punkt widerlegt. Die von Mousli
mehrfach abgegebene Beschreibung, des beim Anschlag auf die Zentrale
Sozialhilfestelle für AsylbewerberInnen (ZSA) verwendeten Sprengstoffes,
träfen komplett nicht zu. Nach den Ermittlungen der dort vorgefundenen
Spuren durch den Experten der Polizei ähnelten weder das Gemisch
der chemischen Substanzen oder die Ummantelung, noch der verwendete
Zünder den Angaben des Kronzeugen. Da schwiegen selbst die
Bundesanwälte.
RA Euler bezeichnete
anschließend die Angaben der Entlastungszeugin am 85.
Verhandlungstag für schlüssig und glaubwürdig.
Die detailreichen Aussagen bezüglich der Vorbereitung, Durchführung
und dem Abschluss des 'Hollenberg- Anschlages' hätten von Kenntnissen
gezeugt, die nur der Täterin selbst bekannt sein konnten. Zusammen
mit der Selbstbezichtigung, die Schüsse auf die Beine des Beamten
abgegeben zu haben, würden so fast alle Aussagen des Kronzeugen
und besonders die zu seiner Eigenbeteiligung widerlegt. Bestätigung
hätten hingegen die damalige Täterbeschreibung des Opfers
selber und die Einlassung seines Mandanten Rudolf Sch. dazu erfahren.
Trauer bei den Bundesanwälten
Jetzt wachten auch die Bundesanwälte auf. Zwar nicht vorbereitet,
aber immer ausreichend ausgestattet mit der Arroganz ihrer Macht,
hielten sie den Auftritt der Zeugin für eine ganz 'traurige
Veranstaltung'. Sie wäre plötzlich von 'irgendwoher' gekommen,
kenne nicht mal die Funktion des Opfers, hätte kein anständiges
Motiv benannt und könne ja gar nicht vernünftig schießen,
wie mensch ja vor Gericht hätte sehen können.
Abschließend erfolgten die Bekanntgabe der heutigen Ablehnungsbechlüsse
des Gerichtes, diesmal zu den verschiedenen Versionen eines BKA-Sachstandsberichtes
der Ermittlungen des BKA zu den RZ. Dabei waren auch Anträge
aus dem Oktober 2001 .... die sich wohl inzwischen von alleine erledigt
hätten.
Der BKA - Beamte Thomas Dürr, 37, machte seinem Namen alle
Ehre. Mit dürren Worten beschrieb er, wie er gemeinsam mit
mehreren Kollegen einen ca. 20 qm großen Kellerraum vier bis
fünf Stunden lang nach Sprengstoff durchsuchte....Berlin ist
doch immer eine Reise wert!
Die Zeugin der Verteidigung
Elisabeth E., 54jährige Erzieherin aus Berlin, wurde dann
als Zeugin der Verteidigung vernommen und erschien mit einem Zeugenbeistand.
Da gegen sie ein Ermittlungsverfahren der Bundesanwaltschaft läuft,
wurde sie auf das Recht zur Verweigerung von sie selbst belastenden
Aussagen hingewiesen. Fr. E. sei seit vielen Jahren mit dem Angeklagten
Axel H. befreundet. Nach einem mehrjährigen Arbeitseinsatz
in Nicaragua sei sie im September 1988 endgültig nach Berlin
zurück gekehrt. Durch ihre dortigen (Kriegs-) Erfahrungen politisch
radikalisiert erwog sie hier den Anschluss an eine militante Gruppe.
Axel H. hätte ihr damals allerdings beschieden, dass es in
Berlin keine derartigen Gruppen mehr geben würde, da keine
politische Basis dafür vorhanden sei. Seine eigene mögliche
Mitgliedschaft habe er ihr gegenüber nie bestätigt, aber
Kontakte zur RZ- Beteiligten hätte er vermutlich gehabt. Sie
habe sich dann einem Literaturarbeitskreis angeschlossen, dem neben
Axel H., Barbara W. (ebenfalls Zeugin der Verteidigung), auch die
beiden Angeklagten Sabine E. und Rudolf Sch. angehörten. Sie
will dort die beiden Letztgenannten erst kennen gelernt und über
Axel H. - später von ihnen selber - von ihrem illegalen Status
als RZ- Mitglied erfahren haben. Der Arbeitskreis beschäftigte
sich mit Philosophie und Feministischer Theorie und soll sich in
der 2. Hälfte des Jahres 1990 wieder aufgelöst haben,
kurz nach Legalisierung der beiden Mitglieder. Durch die Mitarbeit
in einer im MeringHof beheimateten politischen Initiative und der
Mitgliedschaft in einem dortigen Sportverein habe sie auch die anderen
Angeklagten, Harald G. und Matthias B., anlässlich von Besuchen
der selben Kneipe kennen gelernt.
Kronzeuge leicht überfordert
Den Kronzeugen Mousli will sie während eines zwischenzeitlichen
sechswöchigen Kurzaufenthaltes in Berlin im Sommer 1988 kurzzeitig
näher kennen gelernt, später aber keinen Kontakt und die
Begegnung mit ihm bald wieder vergessen haben. Er sei wohl damals
mit ihren aktuellen Erfahrungen und Erlebnissen in Mittelamerika
überfordert gewesen.
Weiterhin sei sie mit der Zeugin Barbara W. seit langer Zeit befreundet.
Ihr gegenüber habe diese die Tatbeteiligung am Hollenberg-Anschlag
im letzten Herbst zugegeben und danach sei monatelang über
eine mögliche Aussage in diesem Verfahren widersprüchlich
und wiederholt zwischen ihnen debattiert worden. In Kenntnis der
langwierigen Entscheidungsfindung bei Barbara W. könne sie
äußeren Druck als Beweggrund für ihren Schritt vollkommen
ausschließen. Das gelte im übrigen für das Zustandekommen
ihrer eigenen heutigen Angaben auch, betonte sie. Im Vorfeld sei
sie mit den Verteidigern Becker und Euler einmal zusammengetroffen
und habe dort lediglich das Aussagethema besprochen. Mehrfach befragt
betonte sie, selbst zu keinem Zeitpunkt etwa Mitglied der Roten
Zora gewesen zu sein, noch sich an Anschlägen beteiligt zu
haben. Die Entscheidung über eine Vereidigung ihrer Aussage
wurde vom Gericht nach einer erneuten Beratungspause verschoben.
Leseempfehlung für die Hängematte
Um dem Kammergericht die Sommerfrische anzureichern, stellte die
Verteidigung heute mehrere Beweisanträge. Große Vorfreude
bereitete dabei RA Kaleck unter den ca. 10 ProzessbesucherInnen,
denn sein Antrag würde einen Ausflug ans Wasser bedeuten. Das
Picknick solle dann am Seegraben stattfinden, um bei der Gelegenheit
den angeblichen Fundort des entsorgten Sprengstoffes in Augenschein
zu nehmen. Die Besichtigung der Staustufe, die Wassertiefe und die
Zugänglichkeit werden beweisen, dass die große Entfernung
zur vom Kronzeugen genau bezeichnete Einwurfstelle keine 'natürliche'
Erklärung haben kann. RA Schlieffen hält ein Vortrag über
das Grundwasserverhalten unterhalb des MehringHofes für interessant.
Ein entsprechender Experte
soll nachweisen, dass der vom Kronzeugen beschriebene Wasserpegel
in dem angeblichen schachtartigen Sprengstofflager zumindest nicht
von Wassereinsickerungen stammen kann: die Gebäudeunterkante
des MehringHofes wäre viel zu hoch. Abschließend soll
ein Prüfingenieur des TÜV bestätigen, dass die damals
im Fahrstuhlschacht durchgeführten Putzarbeiten Teil einer
Auflage für die Betriebsgenehmigung waren. Leider nicht die
heimtückische Vermauerung eines gefährlichen umfassenden
Waffen- und Sprengstofflagers wie es die Bundesanwaltschaft so liebend
gerne gesehen hätte.
Die Vorsitzende Richterin ließ aber die Verteidigung im Gegenzug
auch nicht ungeschoren. Sie ordnete im Selbstleseverfahren die stille
Beschäftigung mit umfassender Literatur an: Revolutionärer
Zorn - die Ausgaben 1 bis 7, dazu den Extra-Band, [siehe: Die
Früchte des Zorn] sowie u.a. die Druckschriften 'Das
Ende unserer Politik', 'Gerd
Albartus ist tod', 'Der Weg zum Erfolg' und 'Die
rote Zora'. Da wird interessante Strandlektüre an Europas
Stränden auftauchen.
Wer immer diesen Lesestoff noch nie oder nicht mehr nötig
hat, die online-Redaktion wünscht den treuen LeserInnen dieser
Seiten jedenfalls eine erholsame Zeit.
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