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59. Prozesstag: 7. März 2002
Klare Worte zur Haftfrage, weniger Deutliches vom Kronzeugen
Der 59. Tag der Hauptverhandlung begann mit klaren, eindeutigen
und bezeichnenden Worten. Bei der üblichen Anwesenheitsfeststellung
der Prozessbeteiligten begrüßte die Vorsitzende Richterin
Hennig den Zeugenbeistand des Kronzeugen heute als Nebenklagevertreter
- ein Fauxpas ihrerseits, der die Situation vor Gericht treffend
beschreibt.
Verkehrte Welt
Tiefen Einblick in die Art und Weise, wie vor dem Berliner Kammergericht
der Prozess gegen die fünf Angeklagten, und hier speziell gegen
Harald G. geführt wird, zeigt der Befangenheitsantrag
der Verteidigung von Harald G., der im Anschluss daran gestellt
wurde. Hintergrund war die Entscheidung
der Vorsitzenden Richterin Hennig sowie der Richter Hanschke, Alban,
Genthe und Lechner, Harald G. weiterhin in U-Haft sitzen zu lassen.
Unmittelbar nach der Haftentlassung von Axel H. am 28. Februar hatte
die Verteidigung auch für ihren Mandanten die "Aufhebung, hilfsweise
Außervollzugsetzung des Haftbefehls" gefordert. In seinem
Beschluss vom 4. März hat der 1. Strafsenat des Kammergericht
Berlin diesen Antrag allerdings abgelehnt, denn der "dringende Tatverdacht
ist nach wie vor gegeben", ja sogar "erhärtet worden". So als
hätten die Mitangeklagten Rudolf Sch., Sabine E. und Axel H.
mit ihren Einlassungen nicht der Version des Kronzeugen glaubwürdige
Gegendarstellungen entgegengehalten, interpretiert das Gericht die
Einlassungen genau entgegengesetzt: Mit ihren Teilgeständnissen
hätten sie "die im Ermittlungsverfahren und in der laufenden
Hauptverhandlung gemachten Angaben des Kronzeugen bestätigt".
Auch aus Gründen der Gleichbehandlung könne ihm keine
Haftverschonung gewährt werden, denn mit ihren Aussagen hätten
die drei zumindest "zu erkennen gegeben, dass sie bereit sind, die
Verantwortung jedenfalls für einen Teil der ihnen gemachten
Vorwürfe zu übernehmen und sich dem Verfahren zu stellen".
Dass Sabine E. dabei lediglich die verjährte Mitgliedschaft
in einer "terroristischen Vereinigung" eingestanden hat, und Axel
H. nur Unterstützungshandlungen "im rechtsverjährtem Zeitraum"
einräumte, spielt dabei keine Rolle. Rechtsanwältin Studzinski
kam angesichts dessen zu dem Schluß: Der weitere Vollzug der
U-Haft dient einzig und allein der Erpressung von Aussagen. "Schweigen
darf nicht anders bewertet werden wie bestreitende Einlassungen."
Nach einstündiger Prozessunterbrechung schlossen sich die
übrigen VerteidigerInnen, außer Rechtsanwalt Euler, diesem
Antrag zwar nicht an, verurteilen aber durch eine Erklärung
von Rechtsanwalt Becker die Verfahrensweise des Gerichts massiv.
"Ich bedauere vor einem Senat verhandeln zu müssen, der keine
Scham empfindet, Harald G. weiterhin in U-Haft zu halten." Er warf
dem Senat mangelndes und selektives Aufklärungsinteresse vor.
"Die Methode des Rosinenpickens wird besonders augenfällig,
da aus den Einlassungen nur solche Elemente geglaubt werden, die
mit den Aussagen Mouslis im Einklang zu bringen sind." Dieses Herangehen
habe sich bereits bei der Bewertung der Zeugenaussage von Karmen
T. gezeigt, die während der Hauptverhandlung den Kronzeugen
schwer belastete. Die Erklärung schloss mit den Worten: "Ich
finde das, was jetzt mit Herrn G. passiert, unerträglich."
Sprengstoff und alte Bekannte
Niveaulos und lediglich für das Publikum bestimmt sei diese
Erklärung, wetterte für die Bundesanwaltschaft (BAW) der
Sitzungsvertreter des Generalbundesanwaltes Bruns. So einmal in
Fahrt gekommen, konnte er sich dann auch bei der anschließenden
Befragung des Kronzeugen durch die Verteidigung von Harald G. des
einen oder anderen Wutausbruchs nicht enthalten. Dabei ging es erneut
um den Sprengstoffdiebstahl aus dem Keller von Mousli im März
1995. Die Verteidigung war daran interessiert, in welchem Zustand
er den Keller nach dem Diebstahl vorgefunden habe und was gestohlen
worden sei. Arrogant, sich seines Schutzes durch BAW und Gericht
gewiss, gab er selten konkrete Antworten auf konkret gestellte Fragen.
Gleichwohl lässt sich als Ergebnis festhalten:
- Es sei nur ein Teil des dort gelagerten Sprengstoffes gestohlen
worden;
- blaue Plastikfetzen, Reste der Verpackung des Sprengstoffes,
seien in den Kellerräumen verteilt gewesen.
- er habe den im Keller verbliebenen Sprengstoff erneut mit blauen
Plastikmüllsäcken verpackt, bevor er ihn im "Seegraben"
"versenkte".
In einem zweiten Fragekomplex ging es darum, ob er von Anfang an
Harald G. als denjenigen beschrieben habe, der den Sprengstoff in
seinem Keller deponiert haben soll. Mousli hatte zu Beginn der Ermittlungen
gegen ihn im Frühjahr 1999 noch keinen Namen genannt und lediglich
von einem "alten Bekannten" gesprochen. Hatte er während der
Befragung zuerst noch verneint, dass er mit dritten über diesen
"alten Bekannten" gesprochen habe, musste er nach entsprechenden
Vorhaltungen zugeben, dass dies doch der Fall war. Ein enger Karatefreund,
selbst Polizist, hat in diesem Zusammenhang jedenfalls einmal gegenüber
der Polizei den Namen von Michael Wittmann fallen gelassen. Michael
Wittmann war ein alter Bekannter von Mousli, der von ihm bis zu
seinem Tod gepflegt wurde.
Mit Daniel S. fing alles an
Am Nachmittag war dann der Zeuge Daniel S. (26) geladen. Daniel
S. war im März 1995 mit einem Kollegen auf der Suche nach Fahrrädern
in Mouslis Keller in der Schönhauser Allee im Prenzlauer Berg
eingebrochen. Dabei fanden die beiden eine Tasche mit Sprengstoff,
die Daniel S. mit nach Hause genommen haben will. Nachdem er - wie
er heute berichtete - "jedem davon erzählt hatte, war
die Polizei schon da". Der Zeuge gab damals an, den Sprengstoff
in einem Park gefunden zu haben und wurde wegen vorsätzlichen
Umgang mit Sprengstoff zu sechs Stunden Freizeitarbeit verurteilt.
Der BKA-Beamte Trede hatte am 43.
Verhandlungstag (13.12.2001) ausgesagt, er sei im November 1997
vom BKA und der BAW beauftragt worden, die Verwendung von in Salzhemmendorf
1987 entwendeten Sprengstoffs nachzuzeichnen. In Zuge dieser Ermittlungen
sei der auf den 1995 in Berlin gemachten Sprengstofffund und dadurch
auch auf den Zeugen Daniel S. aufmerksam geworden. Gemeinsam mit
seinem Kollegen Schulzke sei er deshalb nach Berlin gefahren, um
bei dem schon verurteilten Zeugen weitere "Überzeugungsarbeit"
zu leisten.
Daniel S. konnte sich heute an das erste Zusammentreffen mit einem
jüngeren und einem älteren Polizisten nur noch ungenau
erinnern. "Der alte Herr mit dem grauen Haar", offensichtlich
hatte er KOK Schulzke vor Augen, hätte bei den verschiedenen
Treffen immer geredet. Man habe sich mehrmals getroffen, das erste
Mal nach einem Fußballspiel, als er sehr betrunken gewesen
sei. Einmal seien die beiden auch bei ihm in der Wohnung gewesen.
Sie hätten ihm deutlich gemacht, dass ihm nicht geschehen würde,
wenn er die Wahrheit über die Herkunft des Sprengstoffes sagen
würde. Er hätte dann auch den Namen seines am Einbruch
beteiligten Kollegen preisgegeben und ihnen von dem Einbruch in
einen Keller in Prenzlauer Berg berichtet. Auch an den Einbruch
selbst konnte sich der Zeuge heute nur noch zögerlich erinnern.
Er und sein Kollege seien "spontan" in das Haus gegangen
und hätten eine Kellertür aufgebrochen. Darin hätten
sie u.a. eine Sporttasche mit "Dynamistangen" entdeckt
und mitgenommen. Später - so berichtete Daniel S. weiter -
hätte er den Sprengstoff in einen Plastiksack umgepackt und
die Tasche in der Nähe seiner Wohnung in einen Müllcontainer
geschmissen. Lediglich einmal hätte er eine Stange mit nach
draußen in einen Park genommen und sie zerbrochen.
Am 6.3.1998 hatten die beiden Kriminalbeamten Trede und Schulzke
einen Polizeibericht verfaßt, in dem sie schilderten, wie
sie der Zeuge S., nach gelungener "Überzeugungsarbeit",
zu einem Haus in der Schönhauser Allee geführt habe, um
ihnen dort den Keller zu zeigen, aus dem er und sein Kollege den
Sprengstoff entwendet haben will. Ob nun dabei der Zeuge die Ermittlungsbeamten
führte oder die Ermittlungsbeamten den Zeugen, konnte auch
heute - auf Grund der schlechten Erinnerungsleistung von Daniel
S. - nicht eindeutig geklärt werden.
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