Übersicht
Aktuelle Meldung
Meldungen
Berichte
Vorschau
Hintergrund
Mailingliste
Mail
Suche
|
58. Prozesstag: 1. März 2002
Dem Kronzeugen ging es heute schlecht
Magenprobleme, Durchfall und Kopfschmerzen plagten den Kronzeugen
heute und führten zu einem denkbar kurzem Verhandlungstag von
lediglich zwei Stunden. Zuvor wollte Rechtsanwalt Euler etwas
über die von Mousli behauptete Genese der Decknamen von Rudolf
Sch. ('Jon') und Sabine E. ('Judith') wissen. Rechtsanwältin
Studzinsky ging ein weiteres Mal auf den Anschlag auf die Zentrale
Sozialhilfestelle für Asylbewerber (ZSA) ein.
Herr Mousli,
können Sie das so bestätigen?
Rechtsanwalt Euler knüpfte an den gestrigen Verhandlungstag
an und fuhr damit fort, Mousli Vorhalte aus seinen umfangreichen
polizeilichen Aussagen zu machen, um sie sich dann von dem Zeugen
bestätigen zu lassen. Dieses zwar umständliche und ermüdende
Verfahren scheint zumindest den Vorteil zu bieten, den in Verhörsituationen
geschulten und bei direkter Befragung immer wieder ausweichenden
Kronzeugen auf seine Aussagen festzulegen. So lies sich Euler von
Mousli einen Teil seiner am 4.7.2000 gemachten Aussagen bestätigen.
Mousli, der sich damals schon seit Monaten auf freiem Fuß
befand, hatte auf die Frage, ob ihm denn zum Komplex RZ noch irgend
etwas eingefallen sei, folgendes geantwortet: Rudolf Sch. habe unter
dem Decknamen 'Horst' schon 1980/81 einige Zeit auf der "Insel"
(Berlin) verbracht. Diesen Decknamen habe er bis 1987 beibehalten.
Im Zuge der am 18.12.1987 in Westdeutschland durchgeführten
Hausdurchsuchungen und des damit verbundenen Verfolgungsdrucks habe
es verschiedene Umbenennungen gegeben. So habe sich auch Rudolf
Sch. den neuen Decknamen 'Jon' zugelegt. Sabine E. hätte sich
fortan 'Judith' genannt. Allerdings konnte er sich im Falle von
Frau E. nicht mehr an den zuvor benutzen Decknamen erinnern. Rechtsanwalt
Euler hatte sich von dem Zeugen schon am gestrigen Tage darüber
aufklären lassen, wie oft er die Angeklagten Rudolf Sch. und
Sabine E. während der von ihm zugegeben aktiven RZ-Zeit gesehen
haben will. Mousli hatte dazu ausgeführt, dass er in der Phase
von Ende 1985 ("Einstiegsgespräch") bis Oktober 1986
(Anschlag auf Harald Hollenberg) 'Jon' und 'Judith' mindestens bei
fünf bis sechs Treffen gesehen haben will. Zwischen Oktober
1986 und Februar 1987 (Anschlag auf ZSA), habe man sich mindestens
zu vier bis fünf Gelegenheiten getroffen. Zwischen Februar
1987 und September 1987 (Anschlag auf Korbmacher) seien es zwölf
bis 15 Treffen gewesen. Dazu käme bis Ende 1987 mindestens
ein weiteres und im Jahre 1988 vier bis fünf weitere Treffen.
Das letzte Mal habe man sich dann irgendwann in der zweiten Jahreshälfte
1989 ("Es war warm") bei dem ominösen "Waldspaziergang"
gesehen.
Herr Mousli,
wie war der frühere Deckname von "Judith"?
Nach diesem
langen Vorlauf ergab sich heute die Frage, warum Mousli erst
bei seiner Aussage am 4.7.2000 "eingefallen" war,
dass Rudolf Sch. und Sabine E. Ende 1987 ihre Decknamen gewechselt
haben sollen. Immerhin will Mousli beide mindestens zwei Dutzend
mal zwischen Ende 1985 und Ende 1987 getroffen haben, also in
einer Phase, in der sich beide noch anders genannt haben sollen.
Warum hatte der Zeuge in allen bis zum 4.7.2000 genannten Aussagen
immer nur von 'Jon' und 'Judith' gesprochen? Warum fiel diese
Namensänderung dem Kronzeugen erst so spät ein, war er doch
- wie Euler heute aus den Akten verlas - schon bei einer Befragung
am 18.12.1999 u.a. zu einer Person mit dem Decknamen 'Horst'
befragt worden, ohne dass ihm damals etwas dazu eingefallen
war. Und warum will ihm bis heute der frühere Deckname von 'Judith'
partout nicht mehr einfallen? Der Frau, die ihn so oft geärgert
und gar schlecht behandelt haben soll. Erneut Fragen über Fragen,
für die der Zeuge auch heute wieder keine Antwort parat hatte.
Herr Mousli, was passierte am 6. Februar 1987
Bis Mousli dann
gänzlich schlecht wurde und der Verhandlungstag vorzeitig abgebrochen
werden musste, übernahm die Rechtsanwältin Studzinsky die Befragung
des Zeugen. Sie wollte es noch mal genau wissen. Thema war erneut
der Anschlag auf die ZSA. Wir erinnern uns: Die Aktion fand
in der Nacht vom 5.2. auf 6.2.1987 statt. Laut Mousli sei er
selbst, 'Jon' und 'Sebastian' (laut Mousli Deckname von Lothar
E.) sowie die zweite RZ-Gruppe - die er aber nicht gesehen haben
will ("vom Hörensagen") - an Vorbereitung, Durchführung
und Nachbereitung beteiligt gewesen. 'Sigi' (laut Mousli Deckname
von Harald G.) soll zwar an der Vorbereitung beteiligt gewesen
sein, jedoch nicht an der Tatausführung, da dieser am Tage vor
der Tat verhaftet worden war. Schon letzte Woche hatte Mousli
dazu ausgeführt, dass ihm die Verhaftung von Harald G. entgangen
war und er sich auch nicht mehr daran erinnern könne, ob dieser
Sachverhalt zumindest beim Nachbreitungstreffen eine Rolle gespielt
habe. Heute zeigte sich darüber hinaus, dass ihm auch die Details
seines eigenen Tatbeitrages nur noch sehr verschwommen in Erinnerung
sind. Seine Aufgabe sei es gewesen vom gegenüberliegenden Ufer
das Gelände zu beobachten und eventuell über ein mitgeführtes
Funkgerät eine Warnung abzugeben. Allerdings konnte er auf genaue
Nachfrage keine Angabe darüber machen, wer das zweite Funkgerät
mitgeführt hatte, wo er sich genau befand, als die Aktion losging
und wer das O.K. für den Beginn der Aktion gegeben hatte. Eine
Antwort blieb er auch schuldig auf die Fragen, wie lange er
sich insgesamt dort aufgehalten hatte und von welchem U-Bahnhof
er schließlich nach Hause gefahren sei.
Herr Mousli ist krank
Dies alles blieb
offen - ein ausgesprochen schlechter Tag für den Kronzeugen.
Mousli kam denn auch nicht wieder. Nach einer kurzen Pause meldete
er sich über seinen Zeugenbeistand krank - Kopf, Magen, Darm
- wie schon zu Beginn des Tages angekündigt. Eine ärztliche
Krankschreibung und eine frühzeitige Benachrichtigung erbat
die Vorsitzende Richterin für den Fall, dass es Mousli ernsthaft
erwischt hat und er nächste Woche nicht kommen kann.
Angekündigt
wurde für den nächsten Verhandlungstag noch das Video von der
zweiten Durchsuchung des Mehringhofs vom Mai 2000. Man darf
gespannt sein, ob der Bildschirm im Saal 500 so gestellt wird,
dass die Aufnahmen auch der interessierten Öffentlichkeit zugänglich
werden.
Ganz zum Schluss stellte die Verteidigung von Harald G. noch einen
Antrag. Darin beantragten
sie die Verlesung umfangreichen behördlichen Aktenmaterials
zur Inhaftierung ihres Mandanten in der Zeit vom 5.2.1987 bis 17.2.1987.
Die Einführung dieser Akten in die Verhandlung - so die Anwältinnen
Studzinsky und Würdinger - würden deutlich machen, dass
gegen Harald G. im Vorfeld seiner damaligen Inhaftierung von der
Staatsanwaltschaft "heftig" ermittelt wurde. Aus diesem
Grund wäre Harald G. für eine Mitarbeit in einer RZ- Gruppe
ein "Sicherheitsrisiko" gewesen, daher könne weder
von einer Einbindung noch einer Tatbeteiligung ausgegangen werden.
|