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Presse

Datum:
16.08.2002

Zeitung:
ak - analyse & kritik

Titel:
Welche Karte sticht?

Welche Karte sticht?

RZ-Prozess: Zeuginnen versus Kronzeugen

Mit dem spektakulären Geständnis einer Zeugin sorgte der Berliner RZ-Prozess im Juli für Furore. Weniger Aufmerksamkeit weckte dagegen die beinahe zeitgleich zum ersten Mal in der Hauptverhandlung aufscheinende Chance, selbst in den Augen des Gerichts den Kronzeugen wegen seiner offensichtlichen Lügen zu Fall zu bringen.

Am 4. Juli platzte die Bombe. In der Berliner "Abendschau" des SFB sprach man sogar von einer "Wende im RZ-Prozess". 16 Jahre danach bekannte sich die 63-jährige Rentnerin Barbara W. überraschend zu dem Knieschussattentat auf den Chef der Berliner Ausländerbehörde Harald Hollenberg: "Ich habe die zwei Schüsse auf die Beine von Herrn Hollenberg abgegeben. Neben mir stand Rudolf Schindler, der die Aktion mit seiner Pistole abgesichert hat." Zu ihren Beweggründen, die Waffe auf die Beine von Hollenberg zu richten, sagte sie: "Das war auch eine Frage der Gleichberechtigung, normalerweise wird das Frauen nicht zu getraut, und ich wusste, ich kann das."

Am 11. Juli - genau eine Woche später - deutete sich an, dass der spektakuläre Auftritt der ehemaligen RZ-Militanten zum Rohrkrepierer mutieren könnte. Die Bundesanwaltschaft (BAW) sprach von einem "tragischen Auftritt" und bestritt die Glaubwürdigkeit der Aussage. Barbara W. habe weder die Funktion des Opfers nennen können, noch hätte sie ein anständiges Motiv benannt und überhaupt könne sie gar nicht vernünftig schießen, wie ihre anschauliche Schilderung zu diesem Punkt vor Gericht gezeigt hätte.

Spektakuläre Zeugenaussage

Der Verteidiger Wolfgang Euler hatte bereits zuvor - wohl ahnend, wie die BAW den Auftritt seiner Zeugin beurteilen würde - die Glaubwürdigkeit dieser Aussage betont. Barbara W. habe nicht nur mit zahlreichen Details aufgewartet, die bislang unbekannt waren, ihre Aussagen deckten sich auch mit damaligen polizeilichen Ermittlungsergebnissen. Bezugnehmend auf die Strafmaßzusicherung des Gerichts von drei Jahren und neun Monaten für die Aussage seines Mandanten, gab Euler zu bedenken: "Bei der aktuellen Prozesslage von Rudolf Schindler kann ich mir unter keinen Umständen vorstellen, dass eine jetzt 63-jährige Rentnerin eine Aussage über ein mehr als 15 Jahre zurückliegendes Ereignis erfindet, sich dabei bezichtigt, auf einen Menschen geschossen zu haben, in Gefahr gerät, damit nicht nur ihr jetziges bürgerliches Umfeld zu irritieren, sondern zudem eine Verurteilung wegen versuchter Strafvereitlung, Falschaussage und falscher Anschuldigungen zu riskieren."

Business as usual im Saal 500 des Kriminalgerichts Berlin-Moabit: Während der Kronzeuge Tarek Mousli sich eine Ungereimtheit nach der anderen leisten kann, ohne dass seine Glaubwürdigkeit davon betroffen wäre, wird Entlastendes entweder gar nicht zur Kenntnis genommen oder einfach bei Seite gewischt.

Barbara W. war von der Verteidigung Schindlers als Zeugin benannt worden. Deren Mandant hatte bereits in seiner Einlassung vom Januar angedeutet, was nun in der Aussage der ehemaligen Sozialarbeiterin seine Bestätigung fand. Nicht er - wie der Kronzeuge behauptet - hat die Schüsse auf die Beine des damaligen Chefs des Berliner Ausländerbehörde Hollenberg abgegeben, und auch seine jetzige Ehefrau Sabine Eckle war an diesem Anschlag nicht beteiligt. Deren Beteiligung müsste jetzt selbst in den Augen des Kammergerichts definitiv ausgeschlossen sein. Dass alle polizeilichen Ermittlungen nach dem Anschlag 1986 der Version des Kronzeugen widersprochen haben, hatte den Senat bislang nicht interessiert: Hollenberg selbst hatte ausgesagt, eine Frau habe die Schüsse abgegeben, und auch die Personenbeschreibungen von weiteren ZeugInnen passten offensichtlich nicht auf Sabine Eckle.

Lügen des Kronzeugen platzen

Noch einen weiteren Punkt der Einlassung Schindlers bestätigte Barbara W., nämlich: die Existenz eines Diskussionskreises, in dem sie, Schindler sowie Eckle nach ihrem Rückzug von der militanten Politik Ende der 80er Jahre aktiv gewesen seien. In der Anklage heißt es dagegen, Schindler und Eckle hätten diesen Schritt erst im Lauf des Jahres 1990 unternommen. An diesem Kreis, in dem feministische und philosophische Texte gemeinsam erarbeitet wurden, habe auch Axel Haug teilgenommen. Die Angaben zu diesem philosophisch-literarischem Kreis wurden am 11. Juli auch von Elisabeth E., der zweiten Zeugin der Verteidigung Schindlers, bekräftigt. Nach einem mehrjährigen Nicaragua-Aufenthalt war sie mit der Absicht zurückgekehrt, sich "militanten Zusammenhängen" anzuschließen, wie sie vor Gericht bekannte. Darüber habe sie auch mit Axel Haug gesprochen, einem alten und engen Freund. Bei diesen Gesprächen habe sie den Eindruck gewonnen, so die Zeugin, dass Haug mit den RZ in Kontakt gestanden habe. Von ihm habe sie außerdem erfahren, dass es keine solchen militanten Zusammenhänge in Berlin mehr gäbe.

Durch die Einlassungen von Axel Haug und Rudolf Schindler - seiner Aussage hat sich seine Ehefrau Sabine Eckle inhaltlich angeschlossen - sowie die beiden Zeuginnenaussagen ist nun folgende Situation entstanden: Weder was den Ablauf der Knieschuss-Aktionen auf Harald Hollenberg und Günther Korbmacher sowie den Anschlag auf die Berliner Zentrale Sozialhilfestelle für Asylbewerber (ZSA) anbelangt, noch was die Dauer und das Ausmaß der Mitgliedschaft der drei Angeklagten angeht oder das ominöse Waffen- und Sprengstoffdepot im Berliner Mehringhof, ist die Version des Kronzeugen unwidersprochen geblieben. Statt dies zum Anlass zu nehmen, grundsätzliche Zweifel an der Anklage zu erheben, ist das Gericht jedoch offensichtlich gewillt, diese Teilgeständnisse als "Schutzbehauptungen" abzutun.

Schon der Bundesgerichtshof (BGH) hat eine solche Wertung in einem Beschluss vom 25. April zur Haftfrage von Harald Glöde vorgenommen. "Der in den Vorentscheidungen näher begründete dringende Tatverdacht ist - wie das Kammergericht zu Recht ausführt - durch die zwischenzeitlich abgelegten Teilgeständnisse der Mitangeklagten Schindler, Eckle und Haug bekräftigt worden", so der 2. Strafsenat am BGH. "Der Umstand, dass diese Angeklagten nunmehr in einem Teilbereich die Angaben des Hauptbelastungszeugen Mousli bestätigt haben, erhärtet die Glaubhaftigkeit der Angaben des Zeugen nicht nur in dem übereinstimmenden Bereich, sondern grundsätzlich auch darüber hinaus. Umgekehrt ist allein der Umstand, dass diese Mitangeklagten in einem Teilbereich an ihren bestreitenden Einlassungen festhalten, für sich noch kein Beleg für die Unglaubhaftigkeit der Angaben des Zeugen Mousli." Alles weitere legt der BGH-Senat in die Hände des Kammergerichts: Es wird "letztlich Aufgabe der Beweiswürdigung durch das Tatgericht sein, die Angaben dieses Zeugen unter Berücksichtigung seines Interesses an einer Selbstentlastung und seiner besonderen Stellung als Kronzeuge einer kritischen Überprüfung zu unterziehen, um schließlich eine Überzeugung zu gewinnen, inwieweit die gegen die Angeklagten erhobenen Vorwürfe zutreffen."

Ein bequemer Ausweg für das Gericht

Wer in die "freie Beweiswürdigung" des Kammergerichts Berlin Hoffnung setzt und mit Aussagen die gesamte Anklage zu Fall zu bringen glaubt, wird also wahrscheinlich bitter enttäuscht werden. Jeder normale rechtsstaatliche Prozess wäre spätestens nach der Aussage von Barbara W. geplatzt. Nicht so das Berliner RZ-Verfahren, denn für das Gericht steht mit den Zeugenaussagen und Einlassungen lediglich Aussage gegen Aussage. Den Kronzeugen sieht es nicht demontiert. Weder die bislang bekannt gewordene einseitige und manipulative Ermittlungs- und Verfahrensführung, die massive Aktenmanipulation und -zurückhaltung noch die Indizien auf eine Verstrickung der Geheimdienste haben daran etwas ändern können. Ebenso wenig wie die an vielen Stellen entstandene Gewissheit, dass die Version des Kronzeugen erlogen ist.

Das Gericht ist offensichtlich nicht gewillt, sich aus der Umklammerung der Bundesanwaltschaft zu lösen. Dabei wäre der Strafsenat gar nicht dafür zu kritisieren, dass es sich nicht in der Lage sieht, dieses Dickicht zu lichten. Die Verfahrenseinstellung wäre aber das mindeste, was mensch erwarten könnte, würden die eigenen rechtsstaatlichen Grundsätze berücksichtigt. Mit der bisherigen Prozessstrategie eines Teils der Angeklagten wird dem Gericht dieser Schritt allerdings leicht gemacht. Durch die Einlassungen und Aussagen, die zwar einen Teil der Anklage bestätigen, gleichzeitig aber wichtige Teile widerlegen und vor allem nicht alle Angeklagten betreffen, wurde dem Gericht dieser bequeme Ausweg eröffnet. Der Strafsenat kann so ohne größeren Gesichtsverlust weiterhin so tun, als sei eine Verurteilung alleine auf Grund der Aussagen des Kronzeugen nach rechtsstaatlichen Grundsätzen möglich. Ebenso kann er behaupten, die zu Tage getretenen Verfahrensmanipulationen stünden einer Sachaufklärung nicht entgegen.

Problematisch ist das Verhalten des Gerichts auch, weil es damit an seiner Erpressungspolitik gegenüber den Angeklagten festhält, die bislang keine Aussagen machten. Die Zeuginnenaussage von Barbara W. hat zum wiederholten Male deutlich gemacht, dass die BAW Leute für Taten anklagt, die sie nicht begangen haben. Doch das Kammergericht zeigt sich davon unbeeindruckt. Stattdessen signalisiert es Matthias Borgmann und Harald Glöde unmissverständlich: Wenn sie weiterhin von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machen, laufen sie Gefahr, für Taten verurteilt zu werden, die sie nicht zu verantworten haben. Ganz so, als sei nicht in den letzten Wochen das ganze Ausmaß der Lügen Mouslis deutlich geworden.

Sprengstoff mit nachhaltiger Wirkung?

Da ist zum Beispiel die Geschichte mit dem Sprengstoff, den Mousli 1995 in einem Seegraben im Norden Berlins versenkt haben will. Ein Wissenschaftler des Fraunhofer-Instituts für Fertigungstechnik und Materialforschung in Bremen kommt allerdings nach einer Untersuchung des Klebebands, mit dem das Sprengstoffpaket umwickelt war, zu dem Ergebnis, dass das Paket höchstens einige Wochen im Wasser gelegen haben kann. Auch nach Ansicht eines BKA-Gutachters "hatte der Sprengstoff weniger als zwei Monate direkten Kontakt mit Wasser: Keinesfalls mehrere Jahre". Der selbe Gutachter kommt außerdem zu dem Ergebnis, dass das in einem blauen Plastikmüllsack verstaute Sprengstoffpaket gar nicht habe sinken können, wie es der Kronzeuge behauptet. Ist das der objektive Gegenbeweis, der die Geschichte Mouslis zum Einsturz bringt? Auffällig ist jedenfalls die Reaktion der Bundesanwaltschaft. Die Bundesanwälte, die ansonsten alle Versuche der Verteidigung gelassen über sich ergehen ließen, haben an diesem Punkt eine auffällige Geschäftigkeit an den Tag gelegt. Obwohl das Fraunhofer-Institut bereits selbst vom BKA mit Gutachten beauftragt worden war, ließen die Sitzungsvertreter des Generalbundesanwaltes nichts unversucht, Zweifel an der Wissenschaftlichkeit des vorläufigen Gutachtens des Instituts zu säen. Das Verhalten der BAW macht stutzig. Treibt sie etwa die Ahnung um, dass an diesem Punkt ihr Kronzeugenkonstrukt zu kippen droht?

mb., Berlin

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