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Erklärungen

Datum:
17.05.2001

VerfasserIn:
Harald Glöde

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Um den Druck auf TM zu erhöhen, wird er erst einmal in die JVA Moabit eingeliefert, gleichzeitig werden aber die bei 129a-Verfahren üblichen Haftverschärfungen bei TM durch die BAW außer Kraft gesetzt, was durch die Sicherheitsleitung der JVA Moabit offensichtlich mit Verwunderung zur Kenntnis genommen wird und offensichtlich auch vom Ermittlungsrichter des BGH anders erwartet worden war.

Zum Zeichen der weiterhin angestrebten Zusammenarbeit mit ihm werden TM von der BAW mit dem Tag seiner Verhaftung "die bislang vorliegenden Ermittlungsakten" zugesandt. Mit seiner Vernehmung zu den Vorwürfen wird dann allerdings großzügigerweise gewartet, bis er sich in die bisherigen Ermittlungsergebnisse eingearbeitet hat. Das gibt TM nicht nur die Gelegenheit, seine Aussagen danach auszurichten, sondern er erhält auch die Möglichkeit, etwas für sein Glaubwürdigkeitsimage zu tun. So dreht er dann auch in seinen späteren Vernehmungen den eigentlichen Zusammenhang um und betont häufiger, dass seine Angaben ja durch die Ermittlungsergebnisse bestätigt würden, während es in Wahrheit so ist, dass er sich seine Aussagen anhand der Ermittlungsergebnisse überlegt hat. Auch dieses Vorgehen der BAW, die gesetzlich eigentlich vorgesehene frühzeitige Herausgabe der Ermittlungsakten, wird man wohl in keinem anderen 129a-Verfahren wiederfinden können.

Während der Untersuchungshaft wird ihm das Kronzeugenangebot von Schulzke erneut unterbreitet, diesmal allerdings mit der Aufforderung, "er möge jedoch als ehemaliger Besitzer des aus seinem Keller stammenden Sprengstoffs keine Leiche präsentieren. Damit wäre gemeint, er möge keine Person namentlich benennen, die zwischenzeitlich verstorben sei." Auch dieses Gespräch ist nicht protokolliert, sondern findet sich nur als zusammengefasster Bericht von Schulzke in den Akten. So lässt sich daraus nicht erkennen, ob diese angebliche Mahnung nicht vielleicht doch mehr als ein Tipp gemeint war, und einen Hinweis auf die Wahrheitspflicht gerade auch als Kronzeuge sucht man in diesem Bericht vergeblich. Der Verlauf des Gesprächs zwischen diesen beiden erweckt sehr deutlich den Eindruck, als wenn TM diese Aufforderung durchaus als Tipp begriffen hätte. Spontan versucht er nämlich, Michael Wittmann, der Anfang 1997 verstorben ist, als den eigentlichen Eigentümer des Sprengstoffs zu verkaufen, verbunden damit, dass dieser unter dem Decknamen Roger auch RZ-Mitglied gewesen sei. Allerdings wird natürlich auch TM sehr schnell klar, dass eine Person, die seit einem Unfall 1990 an den Rollstuhl gefesselt und auf eine 24-Stunden-Betreuung angewiesen war, nicht sehr glaubhaft als vermeintliches RZ-Mitglied angenommen werden würde. Ganz abgesehen davon, dass Michael Wittmann sicherlich bei weitaus mehr Leuten unter seinem Spitznamen und nun angeblichen RZ-Decknamen Roger bekannt war als unter seinem bürgerlichen Namen. So wird dann dieser erste spontane Anlauf, eine Leiche zu präsentieren, von TM auch sehr schnell zu einem Test umfunktioniert, und er verschafft sich einen Eindruck davon, wie das BKA darauf reagiert. Wenn er dann in der Folgezeit überraschend zu etwas befragt wird und er in Erklärungsnotstände gerät, greift er auf diese für ihn positiven Erfahrung zurück und präsentiert erst einmal Roger als eigentlich Schuldigen. Damit verschafft er sich die notwendige Bedenkzeit, um dann in späteren Vernehmungen diese erste Aussage wieder zurückzunehmen und eine besser durchdachte zu präsentieren.

Da TM sich grundsätzlich kooperationsbereit zeigt und nach dem Studium der Ermittlungsakten auch Einlassungen zu einzelnen Komplexen macht, beantragt wiederum die BAW einen mündlichen Haftprüfungstermin, un zwar am 25.6.99, d.h. nur ca. einen Monat nach seiner Verhaftung und ca. eine Woche, nachdem sich herausgestellt hatte, dass TMs Angaben über den Ort, an dem er persönlich den Sprengstoff deponiert haben will, falsch waren. Der Haftprüfungstermin findet am 7.7.99 statt, mit dem Ergebnis, dass die BAW beantragt, T.M. von der U-Haft zu verschonen. Dies geschieht, obwohl er zu diesem Zeitpunkt angibt, den Sprengstoff für einen ungenannt bleibenden alten Freund aufbewahrt zu haben, obwohl der von ihm entsorgte Teil des Sprengstoffes trotz intensiver Suche der Polizei immer noch nicht gefunden worden war und obwohl er bei der für ihn überraschenden Vorlage des Briefes "Lieber Luka" wieder einmal Michael Wittmann als den eigentlichen Besitzer des Briefes präsentiert. Auch in diesem Fall würde ein Vergleich mit dem Auftreten des BAW in anderen 129a-Verfahren das absolut Außergewöhnliche dieses Vorgehens zeigen. Nicht einmal einen Monat später, am 2.8., weitet die BAW das Ermittlungsverfahren gegen TM auf den Vorwurf der Rädelsführerschaft aus, ein entsprechend erweiterter neuer Haftbefehl wird dagegen erst weitere zwei Monate später, am 9.11.99, von der BAW beantragt, vollstreckt wird dieser Haftbefehl am 23.11.99.

Was das BKA in diesen dreieinhalb Monaten, die sich TM wieder auf freiem Fuß befand, an Ermittlungstätigkeiten durchführte, lässt sich aus den Akten wiederum nur sehr begrenzt erschließen. Auch hier sind die Akten nachweislich sehr lückenhaft. Allerdings scheint dem BKA und der BAW bei der "Neusortierung" der Akten eine für sie peinliche Panne unterlaufen zu sein, denn es finden sich einzelne Belege in den Akten, die beweisen, dass das BKA während dieser Zeit das Telefon von TM ohne richterliche Genehmigung abgehört hat.

Bei seiner erneuten Verhaftung am 23.11.99 hat sich die Situation für TM erheblich verschlechtert. Durch den Vorwurf der Rädelsführerschaft wurde das ihm angedrohte Strafmaß drastisch erhöht. Aber auch durch die seit April gegen ihn fast schon öffentlich demonstrativ durchgeführten Ermittlungen, insbesondere auch beim Berliner Karate Verband, waren seine Anstellungen als Trainer auf Honorarbasis sowohl beim Berliner als auch beim Deutschen Karate Verband gekündigt worden. Die polizeibekannten finanziellen Schwierigkeiten, in denen sich TM quasi ununterbrochen befand, hatten sich dadurch erheblich zugespitzt. In genauer Kenntnis dieser Situation seitens des BKA wurde TM erneut das Angebot der Kronzeugenregelung mit einer anschließenden auch finanziellen Versorgung im Rahmen des Zeugenschutzprogrammes unterbreitet. Dabei wurde TM sehr deutlich gemacht, dass er eine lange Inhaftierung wegen der langen Ermittlungsdauer und der langen Hauptverhandlung sowie eine mehrjährige Freiheitsstrafe nur vermeiden könne, wenn er den Ermittlungsbehörden "Knüller", d.h. weitere Täter, liefern würde. Für diesen Fall wurde ihm dann auch schon die später dann tatsächlich ausgesprochene Strafe von zwei Jahren auf Bewährung angekündigt.

Hier sind die Ermittlungsbehörden an ihr lange verfolgtes Ziel gelangt, TM ist in eine schier auswegslose Lage gebracht worden, er hat mit einer sehr hohen Strafandrohung zu rechnen, und selbst wenn die wider Erwarten nicht eintreffen sollte, sind auch seine finanziellen Lebensgrundlagen zerstört. In dieser auswegslosen Situation bietet ihm die BAW sozusagen einen "goldenen Ausweg" an, Freiheitsstrafe auf Bewährung und anschließende finanzielle Versorgung im Rahmen des Zeugenschutzprogramms. Inwieweit er zu diesem Zeitpunkt auch schon mit den später zu beobachtenden Vergünstigungen während seiner U-Haft geködert wurde, z.B. erhielt er wöchentlich Besuch von seiner Freundin, geht aus den Akten nicht hervor. Nach einem Telefongespräch mit seiner Freundin lässt sich TM sofort auf dieses Angebot ein und präsentiert gleich am Anfang seiner Aussagen mal wieder einen Verstorbenen, in diesem Fall Gerd Albartus, der ihn für die RZ angeworben haben soll, mit dem er gemeinsam in einer RZ gewesen sein will und auf den TM immer wieder zurückgreift, wenn er eine Erklärung für sein vermeintliches Insiderwissen braucht, oder aber, wenn er Geschichten erzählt, um sich wichtig zu machen und seinen Wert als Kronzeugen für das BKA hervorzuheben. Im Zweifelsfall weis er seine Geschichten aus Erzählungen von Gerd Albartus. Ab diesem Zeitpunkt erzählt TM, geleitet und geführt von seinem väterlichen Freund Schulzke, das, was dieser zu hören wünscht. Die nun folgenden Gespräche zwischen diesen beiden sind, wie schon fast üblich, nur zu einem Teil als Vernehmungen protokolliert. Diese mehr als fragwürdigen Praktiken sind ja zum Teil auch schon in dem Antrag von Rechtsanwalt Kaleck zur Einstellung des Verfahrens erwähnt worden und auch in der von meinen Rechtsanwältinnen vorgetragenen Erklärung am 29.3. Dies will ich jetzt nicht alles wiederholen, zumal die diversen Widersprüche und nach Aktenlage widerlegten Behauptungen des Kronzeugen im Laufe des Verfahrens und insbesondere durch die Befragung von TM noch recht ausführlich zur Sprache kommen werden.

Auf jeden Fall zeigte sich TM in diesem Zusammenspiel und -wirken mit Schulzke als so willig und gelehrig, dass das BKA so nach und nach die Ermittlungen gegen ihn auslaufen lässt und zum Teil sogar ganz einstellt. So sind z.B. auch heute noch Anträge auf eine kriminaltechnische Untersuchung nicht bearbeitet, die sich auf Gegenstände beziehen, die bei der ersten Hausdurchsuchung im April 1999 bei TM beschlagnahmt wurden. Andere Anträge sind einfach zurückgezogen worden. Das Gerichtsverfahren gegen TM wurde dann im Dezember 2000 durchgeführt, ohne dass die Ermittlungen vollständig abgeschlossen waren. Aber da an einem ernsthaften Gerichtsverfahren sowieso niemand der unmittelbar Beteiligten ein richtiges Interesse hatte und es nur noch darum ging, das vorher abgesprochene Ergebnis auch formal bestätigen zu lassen, konnte diese Frage auch problemlos vernachlässigt werden. Verteidiger der von dem Kronzeugen Beschuldigten waren für diesen Prozess nicht offiziell zugelassen, sie hätten wohl auch nur die Inszenierung gestört. Dass für dieses Gerichtsverfahren der gegen TM erhobene Vorwurf der Rädelführerschaft wieder auf den der einfachen Mitgliedschaft reduziert wurde, sei hier nur am Rande erwähnt. Für mich drängt sich die Vermutung auf, dass die Ermittlungen zu TM gerade deswegen nicht weitergeführt worden sind, um nicht noch weitere Widersprüche zu den Angaben des Kronzeugen aktenkundig werden zu lassen, es sind schließlich schon viel zu viele vorhanden. Im Zusammenspiel zwischen TM und Schulzke gewinnt der Kronzeuge, zumindest nach den Akten, eine fast schon bestechend zu nennende Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft. Bei genauem Hinsehen wird aber sehr schnell deutlich, dass dies nur gelingt, weil Schulzke ganz gezielt darauf hinwirkt, dass TM dieses Image aufbauen kann. In den Gesprächen und Vernehmungen geht Schulzke ganz konsequent über jegliche Widersprüche hinweg und erwähnt diese nicht einmal. Und selbst wenn er aufgrund eigener früherer Ermittlungstätigkeiten genau weiss oder wissen müsste, dass TM gerade falsche Dinge behauptet oder auch Lügengeschichten erzählt, wird dies von Schulzke konsequent ignoriert und mit keiner Silbe in den Akten erwähnt. Vermutlich baut Schulzke dieses Bild des absolut glaubwürdigen Kronzeugen auch gegenüber einem Teil der anderen BKA-Beamten auf, die TM dann letztendlich fast blind vertrauen. Dies lässt sich an unzähligen Fragen und Antworten nachlesen, wenn der Kronzeuge erklärt, dies oder jenes habe keine Relevanz für das Verfahren, dann ist der entsprechende Komplex für die vernehmenden Beamten abgehakt. Das drückt sich aber auch aus in dem vertrauten Verhältnis, das zwischen TM und den BKA'lern während der zweiten Durchsuchung des MehringHofes zu beobachten war, als der Kronzeuge die BKA'ler per Videoschaltung dirigierte. Bei den kriminaltechnischen Untersuchungen, die sich an diese Durchsuchung anschließen, geht es dann auch nicht mehr um die Frage, ob sich die Angaben des Kronzeugen bestätigen lassen, dass an diesem Ort Sprengstoff gelagert worden sei, sondern es wird gleich der Untersuchungsauftrag erteilt, "welche Sprengstoffe können in den Proben festgestellt werden?" Aber auch dass in diesen Wischproben keinerlei Spuren von Sprengstoff nachgewiesen werden können, beeinträchtigt das wachsende Vertrauens- und Zusammenarbeitsverhältnis zwischen dem BKA und TM in keinster Weise. Im Gegenteil, mit zunehmender Dauer der Gespräche wird TM immer stärker zum vermeintlichen Experten für diverse linksradikale Zusammenhänge aufgebaut und letztendlich vom BKA sogar als Gutachter beauftragt und benutzt. Zu den Qualitäten seines schauspielerischen Talents gehört sicherlich auch seine Fähigkeit, schon sehr schnell und frühzeitig erkennen zu können, was denn seine jeweiligen Gegenüber gerade hören wollen, und die entsprechende Geschichte dazu auch umgehend liefern zu können. Man könnte den Kronzeugen fast mit einer music-box vergleichen, bei dieser ertönt der gewünschte Titel nach Geldeinwurf und Knopfdruck, bei TM reicht ein Stichwort, und die gewünschte Melodie erklingt.

In dieser Konstellation ist aber wohl auch das subjektive Interesse des Ermittlungsführers Schulzke nicht zu vernachlässigen, ermittelt dieser doch schon mindestens seit Mitte der 80er Jahre gegen die Rote Zora und die Revolutionären Zellen, und wollte sich offensichtlich gerade noch rechtzeitig zu seiner Pensionierung noch einmal einen richtig großen Ermittlungserfolg organisieren, und dafür hat er vieles unternommen.

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