Erklärung zum Anschlag auf das Ausländeramt Böblingen
(August 91)
Morgens hörst du die Nachrichten: "Bundesinnenminister
Schäuble schlägt vor, daß die west- und osteuropäischen
Länder eine abgestimmte und umfassende Abwehrstrategie gegen
die Einreise von Flüchtlingen entwickeln sollen.
Du gehst beim Bäcker vorbei. Im Laden hörst du, wie die
Verkäuferin zur Kundin sagt: "Da muß man aufpassen,
die klauen doch immer." Sie meint einen Mann mit schwarzer
Hautfarbe, der vor dem Ladenregal steht.
Mittags schlägst du die Zeitung auf und liest die Überschrift:
"Brandanschlag auf Flüchtlingswohnheim. Einige BewohnerInnen
wurden mit Rauchverletzungen ins Krankenhaus eingeliefert."
Du fährst in die Stadt. Unterwegs triffst du eine kurdische
Genossin. Sie erzählt dir, daß ihre vor einer Woche abgeschobene
Freundin in der Türkei festgenommen wurde. Sie haben sie mehrere
Tage gefoltert. Abends gehst du in deine Szene- Kneipe. Dort hängt
ein Plakat:"Internationales Fest für Völkerverständigung
mit ausländischem Essen und afrikanischer Trommelmusik."
Das ist sicherlich nur ein Ausschnitt von dem, was wir täglich
hören, lesen und sehen. Beispiele für den alltäglichen
Rassismus und Vernichtungswillen, dem die hier lebenden Flüchtlinge
und ImmigrantInnen permanent ausgesetzt sind. Situationen, die auch
bei uns Wut und Haß gegen die dafür Verantwortlichen
hervorrufen.
Doch durch unsere politische Arbeit wissen wir, daß Betroffenheit
alleine keine ausreichende Grundlage für kontinuierliches politisches
Handeln ist. Denn erst das Analysieren der Herrschaftsverhältnisse,
daß z.B. Rassismus ein integraler Bestandteil der imperialistischen
Ausbeutung ist und daß diese durch die rassistische Sozialisation
jeder und jedes einzelnen gesellschaftlich abgesichert wird, macht
es uns möglich, Ansatzpunkte für einen revolutionären
Widerstand zu finden. Hinzu kommt, daß Betroffenheit allein
dazu führen kann, in Flüchtlingen und Immigrant/inn/en
nur die Opfer zu sehen, anstatt auch ihren tagtäglichen Widerstand
gegen die hier bestehenden Herrschafts- und Unterdrückungsverhältnisse
wahrzunehmen.
Es ist notwendig, daß wir unsere rassistische Sichtweise
ablegen und unseren Blickwinkel erweitern: Ob in überfüllten
Sammellagern oder auf Dörfern in der Ex- DDR, ob auf Ämtern
oder auf der Straße - überall kämpfen sie gegen
ihre Diskriminierung und für ein menschenwürdiges Leben.
Sie organisieren sich und machen Demonstrationen, Besetzungen, Hungerstreiks
und andere Protestaktionen.
Herrschaftsabsicherung auf unterster Ebene
Die Ausländerbehörde spielt für Flüchtlinge
und Immigrant/inn/en eine zentrale Rolle. Permanent sind sie mit
dem institutionalisierten Rassismus dieser Behörde konfrontiert.
Auf der Grundlage des Ausländergesetzes und anderer Sondergesetze
wird hier über Aufenthaltsstatus, Arbeitserlaubnis oder Ausweisung
entschieden. Neben diesem in Gesetze gegossenen Rassismus treffen
Flüchtlinge und Immigrant/inn/en auf den Rassismus der Schreibtischtäter/innen
und müssen sich gegen deren Willkür, Schikanen und Erniedrigungen
zur Wehr setzen. Die Beamt/inn/en spielen in vielen Fällen
ihre Macht aus, z.B. wenn sie Flüchtlingen die notwendige Erlaubnis
zum Besuch von Familienangehörigen in einem anderen Landkreis
verwehren. Immer bleibt Flüchtlingen und Immigrant/inn/en das
Gefühl, hier nicht erwünscht zu sein, den herrschenden
Normen in den Metropolen nicht zu entsprechen, weil sie bestimmte
Kriterien nicht erfüllen: sei es die richtige Hautfarbe oder
das richtige Geschlecht, sei es ausreichender Wohnraum oder die
angepaßte politische Überzeugung, sei es die falsche
Kultur oder Religion, sei es die unbrauchbare Arbeitskraft oder
die Herkunft aus dem Trikont. Die Mechanismen zur Absicherung der
imperialistischen, rassistischen, patriarchalen Herrschaft greifen
auf unterster Ebene: Die Beamt/inn/en selektieren Flüchtlinge
und Immigrant/inn/en nach deren Verwertbarkeit. Die Beamt/inn/en
kontrollieren deren Alltag und politische Aktivitäten. Die
Beamt/inn/en leiten die Abschiebung ein, wenn Flüchtlinge und
Immigrant/inn/en nicht oder nicht mehr verwertbar sind. Auch einzelne,
sozial eingestellte Beamt/inn/en ändern nichts an der Tatsache,
daß sie Handlanger/innen der imperialistischen Migrationspolitik
sind.
Das Unrecht ist nicht anonym. Es hat einen Namen und eine Adresse
(Brecht)
Zum Beispiel das Ausländeramt in der Steinbeisstraße
in Böblingen. Am 22.8.91 haben wir bei diesem Amt einen Sprengsatz
gezündet.
Mit
der Einführung des neuen Ausländergesetzes am 1.1.91 eröffneten
die Herrschenden in der BRD eine neue Etappe gegen die Menschen
aus Nicht- EG- Ländern. Es ist die Grundlage für die am
3. Mai auf der Innenministerkonferenz beschlossene Abschiebung von
De-Facto- Flüchtlingen. Über 50.000 Menschen, die bisher
"wegen der besonderen Lage im Heimatland" aus humanitären
Gründen in der BRD geduldet wurden, sollen jetzt wieder der
Verfolgung und Vernichtung ausgesetzt werden. Gegen die angekündigten
Massenabschiebungen regte sich überwiegend aus dem humanistisch-
christlichen Spektrum Protest, der dazu beigetragen hat, daß
es am 15. Juli zu einer erneuten Innenministerkonferenz kam. Die
Herrschenden änderten die Modalitäten der Abschiebungen
und einigten sich auf eine Salami- Taktik. Der bisher praktizierte
generelle Abschiebstopp für Flüchtlinge aus bestimmten
Ländern wurde beseitigt. Flüchtlinge sollen, je nach Herkunftsland,
zeitlich versetzt abgeschoben werden. Daß diese Politik jetzt
nur noch die ab dem 1.1.89 eingereisten De-Facto- Flüchtlinge
betreffen soll, ändert nichts am Zynismus der BRD, Menschen
überhaupt in Krisen- und Kriegsgebiete abzuschieben. Diese
aktuelle Regelung entspricht voll und ganz den bürokratischen
und organisatorischen Möglichkeiten der Abschiebebehörden.
Wir sehen dahinter das Ziel, das reformistische und christliche
Spektrum zu beruhigen und den gemeinsamen solidarischen Widerstand
der Betroffenen zu spalten und isolieren. Den von Abschiebung bedrohten
De- Facto- Flüchtlingen bleibt nur noch die Möglichkeit
der Einzelfallprüfung. Etliche wissen, daß dieser Weg
aussichtslos ist und reisen statt dessen "freiwillig"
aus, bzw. versuchen, illegal in ein anderes Land zu kommen.
Krieg gegen die Immigrant/inn/en und Flüchtlinge - Abschottung
und Selektion
Innerhalb der EG wird es für Flüchtlinge und Immigrant/inn/en
schon vor dem Inkrafttreten des Schengener Abkommens zunehmend schwerer,
sicher zu leben. So will z.B. Frankreich rigoros gegen legale und
illegale Flüchtlinge vorgehen und über 70.000 von ihnen
abschieben. Ein französischer Regierungssprecher nennt diese
Politik gegen die illegalen Immigrant/inn/en konsequenterweise "Krieg".
Es ist ein Krieg in Italien, der mit brutalster Härte gegen
albanische Flüchtlinge geführt wird. Die italienischen
Behörden schrecken nicht davor zurück, tausende von Menschen
im Stadion von Bari zu internieren, um sie dann zu deportieren.
Durch die absichtlich ungenügende Versorgung mit Lebensmitteln,
die miserable ärztliche Betreuung und den Einsatz von Waffen,
haben sie Verletzte und Tote in Kauf genommen.
Es ist ein Krieg, der Flüchtlinge oft schon umbringt, wenn
sie z.B. aus dem Maghreb unter lebensgefährlichen Bedingungen
übers Meer nach Spanien fliehen müssen. An den Grenzlinien
zwischen Nord und Süd wird der Krieg bald die Form des Krieges
der USA annehmen, die schon jahrelang am Rio Grande auf die Immigrant/inn/en
aus dem Süden schießen.
Inzwischen ist überall in den Metropolenstaaten offensichtlich,
wie dieser Spezialkrieg aussieht und sich entwickeln wird. Die bürgerlichen
Medien verbreiten im Sinn der Herrschenden das Schreckensszenario
von einer "Flüchtlingsflut", als ob nicht bekannt
wäre, daß die Mehrheit der Migrant/inn/en (80% davon
sind Frauen und Kinder) innerhalb des Trikonts selbst flüchten.
Nur ein geringer Teil der Menschen, die auf der Flucht sind, kommen
bis nach Europa. Genauso bekannt ist, daß die imperialistische,
patriarchale und rassistische Ausbeutungspolitik der Metropolenländer
zur massiven Zerstörung der Subsistenzwirtschaft im Trikont
beiträgt. Das ist eine der Hauptursachen für die weltweite
Migrationsbewegung.
Die Folgen dieser Zerstörung treffen Frauen und Männer
unterschiedlich. Frauen haben im Gegensatz zu Männern weit
weniger die Möglichkeit zu Lohnarbeit in weiter entfernten
Ländern oder anderen Kontinenten. Sie sind weniger mobil, weil
sie die Versorgung der Familie leisten müssen. Wenn sie flüchten,
flüchten sie zumeist in Nachbarregionen oder in angrenzende
Länder, vegetieren in Flüchtlingslagern dahin oder versuchen
ihr nacktes Überleben in den Großstadtslums zu organisieren.
"Bestenfalls" werden die jüngsten und gesündesten
von ihnen in den Weltmarktfabriken vernutzt. Vielen Frauen bleibt
nichts anderes übrig, als sich als Prostituierte über
Wasser zu halten. Nicht selten müssen sie sich an weiße
Sextouristen verkaufen.
Erst in den letzten Jahren kommen aus bestimmten Trikontländern
und Osteuropa mehr Frauen als früher in die reichen Metropolen.
Hier erwartet sie eine patriarchale Gesetzgebung, die sie zum rechtlosen
Anhängels der (Ehe-) Männer macht und ein sexistisches
Klima, das sie zwingt, sich und ihren Körper für die rassistisch-
sexistischen Interessen weißer Männer zu prostituieren.
Die Frauen haben auch in den Metropolen die Aufgabe, "ihre"
Männer zu reproduzieren. Frauenspezifische Fluchtgründe
werden im Asylverfahren nicht anerkannt. Als Ehefrauen erhalten
sie kein eigenständiges, gesichertes Aufenthaltsrecht.
Nur wenige Frauen und Männer haben das oft zweifelhafte Glück,
den Weg in den reichen Norden zu schaffen. Sie sind die sinnlich
erfahrbare Rückwirkung der Folgen der imperialistischen Ausplünderung,
der ökologischen Zerstörung und der dadurch entstehenden
Kriege und Befreiungskämpfe.
Dazu schreiben Immmigrant/inn/en: "Heute, wo fast 20 Millionen
ImmigrantInnen in den europäischen Staaten leben, kann niemand
mehr die Realität verdrängen, daß aus der Armut
eine Völkerwanderung stattfindet: zu dem Reichtum.
Ursachen für diese Völkerwanderung sind 500jährige
Kolonialgeschichte, neue kolonialistische und gegenwärtige
Export- und Kriegswirtschaft. Aufgrund dieser jahrhundertelangen
kolonialistischen und imperialistischen Ausbeutungspolitik herrscht
im größten Teil der Welt Hunger und Armut. Und aufgrund
dieser Politik sind die in den Metropolen lebenden Menschen privilegiert
und leben im Wohlstand. Deshalb sind die Menschen, die aus der Armut
zu dem Reichtum immigrieren, berechtigt, hierzubleiben. Egal, aus
welchem Grund sie da sind. Diese Migration ist als eine Art Kriegsführung
zu verstehen. Gegenüber den Armutsverursachern und als eine
Art Manöver, um vorzuzeigen, daß sie berechtigterweise
Anspruch auf die jahrhundertelang geraubten Güter geltend machen
werden." (aus: radikal 142)
Diese alte "neue" Weltordnung, die jetzt gegenüber
den Flüchtlingen und Immigrant/inn/en die letzten Masken fallen
läßt, zeigt offenkundig für jede/n, die und der
es sehen will, wie der imperialistische Weg als globales Modell
faktisch funktioniert. Der Status quo kann in den reichen, relativ
befriedeten Metropolen nur abgesichert werden, wenn 3/4 der Welt
abgehängt werden. Systematische Verelendung und Vernichtung
sind das Prinzip. Daß hierbei inzwischen etliche Länder
und halbe Kontinente als Ausschuß betrachtet und abgeschrieben
werden, juckt die wenigsten Metropolenbürger/innen.
In Europa setzt die BRD- Politik den Maßstab für den
Abwehrkrieg, den andere europäische Staaten übernehmen
müssen. Die Herrschenden bereiten sich darauf vor: rechtlich,
politisch, ideologisch, militärisch. Sie werden sich die menschlichen
Rosinen sprich: (aus-)gebildete, leicht integrierbare Menschen
aus dem Trikont und zukünftig auch aus der Sowjetunion und
Osteuropa herauspicken und den Rest - sofern nicht kurzfristig verwertbar
- abschieben.
Reuter von Daimler- Benz und Geißler von der CDU sind sich
gegenüber der deutschen und europäischen Rechten einig:
"Einwanderung im richtigen Maß" ist die Zukunftsparole.
Welches Maß das ist, können wir uns denken. Flüchtlinge
und Immigrant/inn/en sind dann kein Problem, wenn sie sich kontrolliert
für die Absicherung des "beutemachenden Lebensstils"
einsetzen lassen. Ob als billige, nicht aufmuckende Hamburgerproduzent/inn/en
bei MacDonalds ob als tschechoslowakische oder polnische Saisonarbeiter/inn/en
in Bauwesen, Landwirtschaft oder Gastronomie, ob als zwangsarbeitende
Flüchtlinge für 2,50 DM die Stunde im bayrischen Wald,
ob als erotisch- exotische Prostituierte und/ oder Hausfrauen oder
ob sie als Unterhaltungskünstler/innen den öden deutschen
Alltag bereichern, so sind sie willkommen.
Der
Selektionskatalog ist ein unverzichtbarer Bestandteil der Abschottungs-
und Abschiebepolitik. Europaweit werden Flüchtlinge und Immigrant/inn/en
aussortiert, gezielt eingesetzt, geschlechtsspezifisch vernutzt,
ausgetauscht und kontrolliert. Es ist wichtig, daß ihre potentielle
Verwertbarkeit schnell genug herausgefunden werden kann - die europäischen
Selektionsexpert/inn/en stehen schon bereit.
Wer aussortiert wird - wie z.B. die Roma - gelangt in Zukunft kaum
wieder in die reichen europäischen Metropolenländer. Roma
sind immer die letzten, die hier gebraucht werden und erwünscht
sind, und sie sind immer die ersten, die abgeschoben werden.
So funktioniert neben dem Sexismus ein sich multikulturell gebender,
aber knallhart kalkulierender Rassismus als Herrschaftsinstrument.
Die Hilflosigkeit der Linken
Immigrant/inn/en und Flüchtlinge, die hierher kommen, handeln
im Sinne der Wiederaneignung ihrer Lebenschancen, ihrer Gesundheit
und ihrer Würde. Das ist den Herrschenden - im Gegensatz zur
metropolitanen Linken - längst klar. Dazu schreiben die Immigrant/inn/en:
"Aber leider kann der größte Teil der antiimperialistisch
und antikapitalistisch gesinnten Linken in diesem Land diesen antiimperialistischen
Ansatz nicht verstehen. Dieser Migrationsprozeß, der aus der
Vertreibung und Entwurzelung von Millionen resultiert, der auch
als Rache der Enterbten und als Kampfansage gegen das Kapital verstanden
werden soll, läßt die deutsche Linke in Hilflosigkeit
und Lähmung fallen." (aus: radikal Nr. 142)
Wenn sich die Linke "nur" über die Abschiebeseite
der Migrationspolitik entrüstet und die Seite der selektiven
Verwertung in ihrem postmodernen Lebensstil ausblendet, trägt
sie damit ihren Teil zur Zementierung der globalen Ausbeutungsverhältnisse
bei. Der "Gewinn", der immer noch abfällt, korrumpiert
und vernebelt den Blick gegenüber den patriarchalen, rassistischen
und imperialistischen Interessen. Er läßt den Protest
gegen Abschiebungen als Krokodilstränen daherkullern und lähmt
die Entwicklung eigener radikaler Handlungsansätze.
Was tun? Was tun!
Die Entscheidung, der herrschenden imperialistischen Flüchtlingspolitik
Widerstand entgegenzusetzen, ist eine praktische Konsequenz aus
unserem antiimperialistischen Verständnis. Denn die Solidarität
endet nicht bei der Unterstützung von Befreiungsbewegungen,
sondern zeigt sich auch in unserer praktischen Solidarität
mit den Flüchtlingen und Immigrant/inn/en hier. Sie findet
ihren notwendigen Ausdruck im Angriff auf die Verantwortlichen für
die Ausländergesetze, auf die Schreibtischtäter/inn/en,
Abschiebeschweine und Gesetzesvollstrecker/innen mit weißen
Kragen.
Antiimperialismus hat zwar immer eine wesentliche Rolle in linker
Theorie und Praxis gespielt, aber die patriarchalen und rassistischen
Grundlagen der weltweiten Ausbeutungsverhältnisse sind erst
in den letzten Jahren ansatzweise Bestandteil im linksradikalen
Spektrum geworden.
Wir kämpfen für eine herrschaftsfreie Gesellschaft. Dazu
müssen wir die verschiedenen Unterdrückungformen und die
gesellschaftlichen Widersprüche benennen, die wir abschaffen
wollen. Mit Freiheit verbinden wir die Beseitigung der Ausbeutung
des Menschen durch den Menschen weltweit und das Ende aller patriarchalen
und rassistischen Gewaltverhältnisse.
Wir werden hier als weißer Zusammenhang für antirassistische
Lebensvorstellungen kämpfen und das in einer eigenständigen
Auseinandersetzung und politischen Praxis umsetzen. Dabei gibt es
für uns nach wie vor mehr Fragen als fertige Antworten. Unser
Ausgangspunkt unser politisches Ziel und unsere politische (Alltags-
) Praxis müssen sich deshalb immer wieder der Diskussion stellen
und hinterfragen lassen. Unsere Glaubwürdigkeit ergibt sich
nicht nur aus Schreibtischanalysen, sondern entscheidend auch aus
unserer Praxis.
Wir solidarisieren uns mit Flüchtlingen und Immmigrant/inn/en
und beziehen dabei Position. Fehler und Widersprüche werden
sich immer wieder herausstellen.
Wir kämpfen nicht stellvertretend für Flüchtlinge
und Immigrant/inn/en, doch wir haben die Hoffnung, daß wir
perspektivisch eine politische Kraft entwickeln, gemeinsam mit ihnen
genauso wie mit anderen gesellschaftlichen Gruppen.
Eigenständige Organisierung und Praxis sehen wir als Basis
für diese Perspektive. Wie die Zusammenarbeit aussehen kann,
ob in Bündnissen oder in gemischten Zusammenhängen, wird
sich zeigen. Für uns stellt sich die Frage, was wir dazu beitragen
können und welche Voraussetzungen wir von unserer Seite aus
schaffen müssen. Als weiße Linke und als weiße
Feministinnen profitieren wir von rassistischer Unterdrückung
und wissen, daß es nicht ausreicht, die Vorteile, die uns
dieses System bietet, zurückzuweisen und so zu tun, als ob
wir uns einfach auf die andere Seite stellen könnten. Als weiße
Männer und Frauen müssen wir uns bewußt machen,
daß wir in einer langen Geschichte von kolonialistischer und
imperialistischer Ausplünderung der Welt und dem vielfältigen
Widerstand der Menschen dagegen stehen.
Wir sehen die schwierige, aber unumgängliche Aufgabe, dieses
historische Erbe genau aus unserer Situation als metropolitane Linke
aufzuarbeiten und uns kritisch anzueignen.
Es ist ein theoretischer und praktischer Prozeß, der nicht
individuell, glatt und platt gelingen kann, sondern mit Menschen
aus dem antiimperialistischen Widerstand, mit Flüchtlingen
und Immigrant/inn/en allmählich erarbeitet werden muß.
So kann internationale Solidarität lebendig werden und indem
sie praktisch wird, können wir sie gegen die Verantwortlichen
für die imperialistische Zerstörung richten, ohne unsere
metropolitane Geschichte zu verleugnen.
Aus diesem internationalistischen Verständnis heraus verstehen
und erleben wir die Abschaffung rassistischer Spaltungs- , Ausbeutungs-
und Herrschaftsmechanismen als Teil unserer eigenen Befreiung und
als Teil der Befreiung von sämtlichen Machtstrukturen. Es wird
ein langer widerspruchsvoller Weg sein, zu dem es keine Alternative
gibt.
Es geht darum, die alltägliche Gewöhnung an rassistische
und sexistische Übergriffe zu durchbrechen, uns zu sensibilisieren
und schlagkräftig zu werden auf allen politischen Ebenen. Das
bedeutet auch, die ausländerbehördliche Praxis vor Ort
aus dem Schatten der Anonymität zu reißen, die Orte des
rassistischen Alltags, der vielen Flüchtlingen und Immigrant/inn/en
gerade dort begegnet, ans Licht zu bringen und anzugreifen. Die
Arbeit der Abschiebeschweine muß be- und verhindert werden,
wo es uns möglich ist. Wir wissen, daß sich im Moment
nur wenige Menschen hier in den Metropolen mit Flüchtlingen
und Immigrant/inn/en solidarisieren.
Doch unser Kampf hat zum Ziel, genau diese Solidariät zu entwickeln,
um damit den Herrschenden ihre Spaltungs- und Ausbeutungswerkzeuge
zu entreißen.
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