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Früchte des Zorns

Aktion gegen das Oberverwaltungsgericht Lüneburg

(September 86)

Der 11. Senat des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Lüneburg steht in einem legendären Ruf: nicht nur, weil er bis heute noch jeden Asylantrag mit Erfolg und gleichgültig gegen jeden Inhalt abgeschmettert hat, sondern auch, weil er sich dabei durch Einfallsreichtum und Pioniergeist hervorgetan hat.

In der Abwägung zwischen Staatsraison und Menschenrecht hat er sich unbestechlich von der Devise leiten lassen, daß menschliches Leid hinter dem Wohl des Staates zurückzustehen habe.

  • Folter - so der Senat - ist kein Asylgrund, wenn körperliche Mißhandlung zum Arsenal des Strafvollzuges eines Staates, wie zu dessen traditionellen Kulturgütern gehörten.
  • Eine drohende Todesstrafe schützt nicht vor Abschiebung, weil deutsche Behörden schon aus Eigenschutz die Hoheitsgewalt fremder Staaten respektieren müssen.
  • Ein Ausländer, der hier Asyl beantragt hat, sollte sich jeder politischen Aktivität enthalten, da sonst unterstellt werden muß, daß er mit Absicht im nachhinein "asylrelevante" Gründe provozieren will.

JuristAuch wenn sich dieser "Horrorsenat" mit derlei Entscheidungen und Begründungen in den Vordergrund gespielt hat - der Vorwurf der "Mißachtung" oder gar "Aushöhlung" der Verfassung geht ins Leere. Er schöpft nur die Möglichkeiten aus, die darin enthalten sind. Das Grundrecht auf Asyl ist so vorbehaltlos in die Verfassung hineinformuliert worden, daß ihm jede beliebige Auslegung übergestülpt werden kann. Ein Ausländerrecht, das den Begriff des politischen Asyls nicht definiert, überläßt implizit den Behörden die Entscheidung, ob jemand aufgenommen wird oder nicht. Die Freizügigkeit und vermeintliche Generosität des Artikel 16 GG ist gewissermaßen die Bedingung, daß das Asylrecht administrativ und nach Maßgabe der politischen Opportunität exektuiert werden kann.

Das Paradox, daß sich die BRD einerseits mit einem äußerst liberalen Asylrecht schmückt und andererseits federführend ist, wenn es um die Abschottung der Grenzen Westeuropas geht, erklärt sich aus dieser Unbestimmheit des Artikel 16 GG. Der scheinbare Gegensatz von hohen Werten und brutalen Fakten, von Anspruch und gleichzeitiger Verweigerung ist nicht anderes als das Strickmuster, nach dem die bürgerliche Demokratie funktioniert.

Gradmesser für die Auslegung des Asylrechts ist deshalb nicht etwa, worüber schon 1949 im Parlamentarischen Rat [15] gestritten wurde und was als fauler Kompromiß dabei herausgekommen ist. Gradmesser ist vielmehr das aktuelle politische Programm und dessen Quintessenz lautet schlicht und einfach: "Wir haben nichts gegen Ausländer, aber sie sind zu viele." (Kohl)

Es ist nur folgerichtig, daß das Asylrecht in dem Maße zu bloßer Makulatur wird, wie es von den falschen Leuten in Anspruch genommen wird. Seine faktische Außerkraftsetzung steht in unmittelbarer Relation zu der interkontinentalen Dimension der heutigen Migration. Es ist ein Privileg für einzelne und kein Rechtsanpruch für Massen, es wird aufrecht erhalten für Weiße und für null und nichtig erklärt, wenn Flüchtlinge aus Asien, Afrika oder Lateinamerika kommen.

Dies ist die Lektion, die zu erteilen die Behörden angetreten sind. Ausgestattet mit der Macht, die ihnen das Grundgesetz einräumt, kommt der Apparat in Schwung, wird jeder Beamte zum funktionierenden Scharnier dieser gewaltigen Maschinerie. Die rassistische Mobilisierung der letzten Wochen hat nicht nur den Mob erreicht, sondern auch die inneren Reihen der Administration geschlossen. Vorstöße wie die des OVG Lüneburg müssen zur Regel werden. Nicht kleinliche Klauseln, Dienstanweisungen, Verordnungen bieten die Gewähr für eine "sachgerechte Abwicklung", sondern die Gewißheit, daß die staatlichen Organe ihren Auftrag und jeder Beamte seine Mission begriffen haben: um die BRD vor der drohenden "Überfremdung " zu schützen, ist jedes Mittel Recht. Die Politik der Abschreckung schließt Tote ein.

Am 30. September 1983 flüchtete Cemal Altun selbst in den Tod, bevor ihn die deutsche Justiz an die Henker des türkischen Regimes ausliefern konnte.


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