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Früchte des Zorns

Anschlag auf die ITT- Tochter SEL, Düsseldorf

(Februar 83)

Wir haben in der Nacht vom 27.2.1983 auf den 28.2.1983 den Elektronikkonzern Standart Elektrik Lorenz (SEL) in Düsseldorf mit einem Sprengsatz angegriffen.

SEL gehört zum ITT- Verband und ist einer der großen Weltkonzerne, der direkt Profit schlägt aus der militärischen Hochrüstung des imperialistischen Staatensystems und aus dem Triumphzug der Elektronik und Mikroelektronik in der Rüstungsindustrie und allen anderen Produktionsbereichen.

In den dreißiger Jahren hat ITT die Standart Elektrik Gesellschaft und das Unternehmen Lorenz erworben und zu seinem Tochterunternehmen SEL zusammengefaßt. Diese hat z.B. für die Luftwaffe des Nazi- Faschismus die erste Fluglandehilfe (eine Form von Radarsystem) entwickelt und produziert.[...]

ITT gehört zu den 10 größten Konzernen der Welt überhaupt, ist bekannt nicht nur für seine speziellen Beziehungen zur CIA, sondern auch für die direkte Unterstützung faschistischer Regimes in der 3. Welt - wie z.B. Südafrika und Chile - wo er seine Finger in der blutigen Niederschlagung des Aufstandes von Soweto 1976 genauso wie im faschistischen Militärputsch gegen die Unidad Popular [21] in Chile 1973 im Spiel hatte. ITT hat seine Finger ganz besonders nah am Puls der Aufstandsbekämpfung und ist in der finanziellen Unterstützung konterrevolutionärer Bewegungen nicht gerade zurückhaltend - in einer offziellen Untersuchung waren es 13 Millionen Dollar, die ITT für "politische Zwecke" an einzelne Persönlichkeiten oder reaktionäre Institutionen und Parteien in den Jahren 1971- 1975 bezahlt hat.

SEL hat deutsche Mitarbeiter, deutsches Management und nach eigenem Selbstverständnis ein hohes Maß an Autonomie in der Firmenpolitik. Von ITT kommt das know- how eines großen Teils der Grundlagenforschung, die weltweite Vertriebsorganisation und das Kapital. ITT kassiert die Profite., [...]

1976 gingen 40 Prozent des Inlands- Umsatzes von SEL aus Aufträgen der "Öffentlichen Hand" für Polizei, Militär, Bahn und Post hervor. SEL produziert in den Unternehmensbereichen: Nachrichtentechnik, Elektronische Bauelemente, Private Nachrichten- und Datensysteme, Rundfunk, Fernsehen, Video, Phono, Fernschreibtechnik, Satellitenelektronik, Übertragungstechnik, Funkanlagen, Mobilfunk, Aufklärungs- und Radarsystems, Navigationssysteme, Bordelektronik.

Glasfaser: SEL hat gemeinsam mit einem englischen Parallelunternehmen, auch ITT- Tochter, die Glasfaser entwickelt. Glasfaser hat im Vergleich zum Kupferkabel eine um 1 Million höhere Übertragungskapazität. Solche Leitungen sind abhörsicher, da Informationen auf Laserlicht übertragen werden, die im Gegensatz zu herkömmlichen Übertragungstechniken keine elektromagnetischen Felder aufbaut. Glasfaser ist gegen elektromagnetische Impulse von außen störsicher.

Außerdem ist das Glasfaserkabel der entscheidende technologische Fortschritt, der das NATO- Projekt "NICS" (NATO integrated communication system) möglich macht. Dieses System sieht die Zusammenführung sämtlicher militärischer und ziviler Fernmeldeeinrichtungen in einem NATO- weiten Informationssystem vor.

Zitat von Vorstandsmitglied Ludwig zum Zusammenhang ziviler und militärischer Forschung: "Die Grundlagenentwicklung kann man zivil wie militärisch nutzen, beispielsweise auf dem elektrooptischen Sektor, wo wir von der zivilen Seite herkommen mit digitalen Übertragungsstrecken mit Glasfasern ... Wir haben ganz erhebliche Nutzeffekte aus der Wehrtechnik gezogen, insbesondere für die zivilen Funkgeräte für Polizei bis hin zu Taxis ... Die Fertigung unserer militärischen Produkte haben wir in unserem Werk in Mannheim konzentriert, das jedoch auch zivile Produkte herstellt."

AWACS: SEL ist mit Siemens, AEG, Dornier und Elektronik System Gesellschaft (die SEL zu 25% gehört) in einer Arbeitsgemeinschaft, welche von der NATO und dem AWACS- Generalunternehmen Boeing in den Bau des AWACS- Systems einbezogen wird. Diese Unternehmen sind zusammen mit ITT und Westinghouse für die elektronische Ausrüstung der AWACS zuständig. SEL liefert einen großen Teil des zentralen Bordrechners: Auftragsvolumen einschließlich Wartung nach Inbetriebnahme: ca. 1 Milliarde DM.

Die AWACS- Flugzeuge sind das erste völlig transnational gebaute, gemanagte und betriebene Waffensystem der NATO: Sie werden vor allem in der BRD und in der Türkei stationiert. Ihr Hauptquartier ist Geilenkirchen am Niederrhein. Sie haben für die Kriegspläne und Kriege der Imperialisten wichtige Funktionen: ihr Radarschirm erfaßt in einem Umkreis über 500 km alle militärischen und sonstigen Bewegungen. Sie liefern den Bodenstationen der NATO- Streikkräfte ohne Zeitverzögerung genaue Standortbestimmungen und ermöglichen so gezielte Angriffe. Sie werden eingesetzt in allen "Spannungsgebieten" in der 3. Welt, in Marokko gegen die Polisario, in der Karibik und in Mittelamerika gegen die starken Befreiungsbewegungen, von der Türkei, Saudi- Arabien und Ägypten aus gegen die revolutionären Kräfte im Nahen Osten.

Und sie werden eingesetzt an den Grenzen zu den Warschauer Pakt- Staaten, zu ständigen Patrouillenflügen; AWACS sind Teil im Projekt der Stationierung der neuen Mittelstreckenraketen: sie sind die Kommandostände für den Abschuß und das Steuerungssystem für die Flugbahnen der Cruise Missiles.

Die Multis repräsentieren heute die herrschende Elite der Bourgoisie und bestimmen und planen das Weltgeschehen über alle nationalen Grenzen hinweg. Sie benutzen ihre Mutterländer, die abhängig von ihrer wirtschaftlichen Macht sind, als Wahrer ihrer jeweiligen Interessen. Im schnell voranschreitenden Prozeß der Konzentration des Kapitals erwachsen immer wenigere, dafür umso mächtigere und stärkere, multinationale Konzerne, allen voran - insgesamt gesehen - die US- amerikanischen. Dazu sind viele der westeuropäischen Großkonzerne, die transnational operieren, von nordamerikanischem Kapital durchdrungen oder sind ganz direkt Töchter amerikanischer Mütter. SEL ist da ein Beispiel. In der Regel arbeiten die großen Multis nicht nur in einem Produktionszweig, sondern versuchen durch ihr Engagement in verschiedenen Industriesektoren auf breitem Fuß zu stehen. Es lassen sich jedoch immer Schwerpunkte ihrer industriellen Aktivitäten festmachen. Ein gegenwärtig sehr starker Bereich ist der der Rüstungsproduktion.

ChipsSEL liefert viele Beispiele dafür, daß sich die zivile und militärische Forschung und Gebrauchswerte nicht mehr voneinander trennen lassen. Die Mikrochiptechnologie ist nur ein Beispiel davon. Sie ist eine technologische Errungenschaft, die in den Fabriken und Büros die Automation von ganzen Produktionsprozessen oder Arbeitsbereichen, die Rationalisierung und die Zergliederung von Arbeitsabläufen auf immer kleinere Einheiten ermöglicht. Für den Kapitalisten bedeutet es, die Produktion hier in den Metropolenfabriken auf hochtechnisierte Abläufe reduzieren zu können, höhere Arbeitsproduktivität und damit Profitraten zu erzwingen. Für die Menschen hier bedeutet es Massenarbeitslosigkeit und für die, die Arbeit haben, entvölkerte Arbeitsstätten, auf das Minimum reduzierte Arbeitsabläufe, die keine Chance haben sollen, auf den Produktionsprozeß Einfluß zu nehmen (was in der Vergangenheit die Macht der Arbeiter gewesen ist), dazu durch Videokameras überwachte Arbeitsplätze, die jeden Widerstand im Keim ersticken sollen. Um ihr System der Ausbeutung und Unterdrückung zu sichern, müssen sie die Welt in einen einzigen Markt umstrukturieren. In der 3. Welt haben die Imperialisten ihre Skrupellosigkeit in der brutalen und gewaltsamen Durchsetzung ihrer Interessen, in der Installierung von faschistischen Regimen, in der Militarisierung der von ihnen abhängigen Staaten tausendfach bewiesen. In den Jahren, in denen die Imperialisten die Menschen hier mit der psychologischen Kriegsführung und dem Angebot des "warmen Platz am Arsch" einkaufen konnten, haben sie gleichzeitig Vorbereitungen getroffen, die militärische Kontrollierbarkeit über sie zu erlangen. Der "zivile" Mikrochip in den Computerterminals des BKA ermöglicht ihnen die datenmäßige Erfassung all dessen, was zu erfassen ist und die Verarbeitung des Rohmaterials. Der Chip, das Video auf den Straßen und an den Treffpunkten und die hochentwickelten Nachrichtenübertragungssysteme von einem Großcomputer zum nächsten, vom KOB direkt in den BKA- Terminal, sind u.a. "zivile" SEL- Produkte, die die Kontrolle des Staatsschutzes, der Bullen neuerdings in allen Unis, über alle Bereiche, in denen wir leben und arbeiten, verbessert: Überschaubarkeit, Kontrollierbarkeit, schnelle Registrierung und schneller Zugriff.

Der Anfang von ihrem Ende ist, den Anschein ihrer Unbesiegbarkeit zu zerstören. Das vermittelt die Hoffnung, die den Anstoß für andere gibt, aufzustehen und zu brechen mit der Selbstzerstörung, der Droge, dem Konsum und der Lethargie, um für ein anderes, neues Leben den Kampf zu beginnen. Der Anfang ist gemacht, wenn wir in die Räder greifen, die das System am Laufen halten; auf Dauer, wenn immer wieder von neuem fundamentale Teile des Ganzen außer Kraft gesetzt werden, kann es das nicht verkraften. Das ist die Erkenntnis, die wir aus dem Kampf der Befreiungsbewegungen in der 3. Welt, deren Siegen und aus den Kämpfen hier ziehen können.

Jeder muß eigenständig und eigenverantwortlich das anfangen, wo er steht mit seinen Fähigkeiten und Möglichkeiten und er kann nicht auf die Bestätigung oder das Management anderer warten. Das kann nur ein vollkommen aktiver und selbstbestimmter Prozeß sein, sich zur Waffe für die Veränderung der Verhältnisse zu entwickeln, die Unversöhnlichkeit und Entschlossenheit zu festigen und handelnd seine Möglichkeiten zu verändern.

Wider den linken Antiamerikanismus

Daß diese Anfänge revolutionärer Mobilisierung noch auf politisch schwachen Füßen steht, zeigt u.a. der auch unter den Militanten verbreitete Anti- Amerikanismus, zu dem wir hier noch mal was sagen wollen: Anti- Amerikanismus ist eine Tendenz, die nicht zuletzt auch von den Herrschenden in die Welt gesetzt wird, um wegzudrücken, daß es uns um die internationalen Klassenwidersprüche zwischen imperialistischer Bourgoisie und den unterdrückten Menschen und Völkern der Welt geht, um die Auflösung dieses Widerspruchs zu unseren Gunsten durch den internationalen Befreiungskrieg, die Revolution im internationalen Rahmen. Anti- Amerikanismus verschleiert den Klassencharakter und führt in der Konsequenz zu einem platten Nationalismus und zu Rassimus gegen Amerika als Ganzes, wo die Differenzierung zwischen dem herrschenden Kapital und den Völkern in den USA nicht mehr gemacht wird. Dem Anti- Amerikanismus liegt eine immer noch unterentwickelte Analye der Rolle der BRD im imperialistischen Staatensystem zugrunde. Ein anderer wesentlicher Grund dafür, daß wir die hessischen Anschläge vom November und Dezember nicht schnell als von Staatsschutz und Faschisten initiiert erkannt haben, ist der, daß es wesentlich an Vorstellungen fehlt, wie wir unseren Kampf gegen dieses Herrschaftssystem auf die festen Füße einer langatmigen Konzeption stellen können und wenn wir es für möglich hielten, daß die Anschläge von Linken gemacht wurden, haben wir die Wichtigkeit der Kritik und der darin liegenden Möglichkeit der Auseinandersetzung nicht begriffen. In diesem Zusammenhang können wir vom Befreiungskampf des vietnamesischen und aktuell salvadorianischen Volkes lernen. Doch bestimmen sich die Angriffe auf Büttel in den Polizei- und Militärapparaten ausschließlich im Rahmen entscheidender strategischer Offensiven. Im Rahmen solcher militärischen Offensiven nimmt die Agitation in den feindlichen Gewaltapparat hinein, die Aufforderung zu desertieren, überzulaufen oder direkt die Gewehre umzudrehen, eine wichtige Rolle ein. In einer Situation, wo wir uns hier immer noch im Anfangsstadium des revolutionären Volkskrieges befinden, ist die Linie, militärisch x- beliebige Soldaten und Bullen anzugreifen, falsch und politisch schädlich. Angriffe in den homeareas der yanks leisten einem politisch zurückwerfenden Aktionsmus und Anti- Amerikanismus Vorschub und geben den Herrschenden Waffen in die Hand, die Bestimmung unseres Kampfes zu denunzieren. Sie ziehen weg von den anstehenden Auseinandersetzungen um die Stabilisierung anti- imperialistischen Bewußtseins und von der genauen Bestimmung unserer politischen und praktischen Aufgaben und Möglichkeiten in diesem wichtigen Jahr 1983. Dieses Jahr wird für die weitere Entwicklung, Verbreiterung und Festigung revolutionärer Politik eine entscheidende Phase sein. Unsere politische Praxis darin, vom Flugblatt bis zum materiellen Angriff, wird danach beurteilt werden müssen, ob wir denen, die angefangen haben zu kämpfen, Beispiele und Orientierungshilfe geben, die Ursachen der konkreten Widersprüche zu erklären und gleichzeitig praktische Alternativen für den Widerstand zu entwickeln. Wir müssen, weil wir hier als revolutionäre Kraft noch schwach sind, die Ansatzpunkte, an denen wir mit praktischen Initiativen angreifen, nach ihrer Bedeutung und Wichtigkeit für die imperialistische Herrschaftsstrategie und zwar aus dem internationalen Zusammenhang heraus, bestimmen.

Den politischen Preis hochtreiben

Das Ziel unserer Praxis an diesen Punkten ist, den Herrschenden den politischen Preis für die Durchsetzung ihrer Projekte so hoch wie möglich zu treiben. Der größte Verlust für die Imperialisten ist, daß hier Menschen die Notwendigkeit zu kämpfen erkennen und sich daran machen, die Frage zu lösen, wie dieser Kampf zu gewinnen ist. Dabei steht für uns fest, daß ein wesentlicher Teil unseres politischen Handelns der materielle Angriff ist. Wir müssen darin unser Wissen und unsere Möglichkeiten auf dieser Ebene so verändern, daß die materielle Schärfe des Angriffs zunimmt.

Wir finden es falsch, den Protestbewegungen missionarisch hinterherzurennen und da unsere Sachen reinzutragen. Es wird vielmehr darauf ankommen, daß wir unser politisches Ziel, im Widerstand gegen entscheidende Stützpfeiler und zentrale Projekte der imperialistischen Macht, verdeutlichen können und daß wir darin die Einheit zwischen Wort und Tat herstellen.

In den letzten Jahren ist es uns punktuell gelungen, nur hat es nach jedem Punkt Brüche gegeben, keine Festigkeit und Kontinuität. Als ein wesentliches Defizit sehen wir die fehlende Organisierung und das fehlende Bewußtsein über die Notwendigkeit der Organisierung. Die Lösung dieses Problems wird aber mit zeigen, ob wir hier eine revolutionäre Bewegung werden oder nicht. Organisierung kann nur auf der Basis eines gemeinsamen Ziels und Einigkeiten über den Weg dahin erfolgen. Es wird darauf ankommen, gerade unter diesen Kampfbedingungen in der Metropole, ohne breite Verankerung im Volk, wie jeder einzelne und dann mit anderen gemeinsam Ideen und Vorstellungen entwickelt, die mit der nötigen Entschlossenheit angegangen werden und das vor allem in schwierigen Phasen, wo es mehr Fragen als Antworten gibt.

Organisierung ist ein mühsamer Prozeß, der sich darin entwickeln muß, gemeinsame Erfahrungen im Kampf zu machen und daraus nächste Schritte zu entwickeln. Es gibt kein Rezept, nach dem es hier laufen kann. Eigene Entwicklung und Organisierung im Widerstand hängt davon ab, wie jeder mit der Reaktion des Feindes umzugehen lernt. Das setzt voraus, daß sich jeder eine Vorstellung davon macht, was Knast für ihn heißt, damit er - und das ist eine Bedingung für das Weiterkämpfen - die Angst vor einer möglichen Konsequenz überwinden kann.

Diese Angst wird nicht einfach verfliegen, aber sie schwindet, wenn unser Bewußtsein wächst, daß es für uns nichts anderes gibt, als zu kämpfen und daß der Kampf um Befreiung im Knast weitergehen kann und weitergehen wird. Das ist eine Erfahrung, die wir an den Gefangenen gemacht haben, als wir ihren Widerstand zu unserem gemacht haben und darüber die Vorstellung "drinnen und draußen ein Kampf" real faßbar wurde. Daß dies möglich ist, haben wir von ihnen gelernt und so ist es eine wichtige Aufgabe für uns, sie in unsere Auseinandersetzungen hier draußen miteinzubeziehen, die Einheit mit ihnen über Mauern und Gitter hinweg herzustellen.


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