|
Vorwort
Nach langer Zeit des öffentlichen Schweigens melden wir uns
wieder zu Wort. Um es gleich vorweg zu nehmen:
wir wollen nicht mit unserer Vergangenheit abrechnen; wir wollen
aus ihr lernen und andere Frauen an dieser Erfahrung teilhaben lassen;
wir wollen offen machen, welche alten und neuen Fragen sich uns
stellen und welche Chancen und Aufgaben wir aus unserer Sicht auch
in Zukunft sehen. Wir möchten, daß die Politik der Roten
Zora weitergeht; ob uns das gelingt, wissen wir nicht. Wir wollen
mit unseren Kräften dazu beitragen.
Die Kompliziertheit unserer Diskussionsstruktur bringt es mit sich,
daß unsere Diskussionsprozesse sehr langwierig und mühsam
sind. Der erste Entwurf für dieses Papier liegt schon über
zwei Jahre zurück, was sich u.U. auf die Aktualität der
Diskussion auswirkt. Wir präsentieren euch hiermit keine abgeschlossene
Diskussion, sondern einen Einblick in einen laufenden Klärungsprozeß.
Wir repräsentieren nicht die Sichtweise aller Roten Zoras.
Einige meldeten immense Widersprüche an - die sie aber zurückstellten,
um unsere Veröffentlichung nicht zu blockieren. Auch unter
uns existieren verschiedene politische Standpunkte und Schwerpunktsetzungen,
die im Papier nebeneinander stehen. Unserer Auseinandersetzung liegt
das Bestreben zugrunde, etwas Gemeinsames hinzukriegen.
In der Vergangenheit haben wir es oft nicht geschafft, unsere Diskussionen,
Positionen und Fragen zu vermitteln. So ist dieses Papier also geschrieben,
um unsere und eure Sprachlosigkeit zu durchbrechen.
Wir wünschen uns die Auseinandersetzung mit FrauenLesben,
die eine revolutionär- feministische Perspektive in Kopf, Bauch
und Herz haben und diese auf unterschiedlichen Ebenen umsetzen.
Wir begreifen uns als Teil dieses Kampfes, in den wir unsere Positionen,
unsere Erfahrungen, unsere besondere Form der Organisierung und
Praxis einbringen wollen. Vorankommen werden wir darin nur, wenn
wir die verschiedenen Ebenen des Widerstandes, der Entwicklung von
Frauenstärke und der Angriffe auf dieses System zusammenbringen
und wenn wir uns aufeinander beziehen, uns stützen, kritisieren
und (mit allen Unterschieden) als Einheit begreifen. Sicherlich
sind darin einige Neubestimmungen erforderlich, aber unser Handeln
wird nach wie vor getragen von unserer Wut und unserem Haß
auf die tagtäglichen, direkten und strukturellen Angriffe einer
patriarchalen Gesellschaft und von unserer Hoffnung, die rassistische,
antisemitische und sexistische Unterdrückung und Ausbeutung
Weltweit abzuschaffen.
Voraussetzung dafür ist, daß wir FrauenLesben wieder
zu einer frauenöffentlichen Diskussion über Ziele und
Wege militanten Frauenwiderstands und zu einer stärkeren Organisierung
finden, darin auch immer wieder die durch Angst vor Repression entstehenden
Grenzen aufbrechen und erweitern. In jüngerer Vergangenheit
haben wir von solch einer gemeinsamen Orientierung wenig gespürt
und selbst wenig dazu beitragen können. [1]
Wir hoffen auf viele Diskussionen - nicht nur im stillen Kämmerlein
- und neue Anläufe.
In den vergangenen 5 Jahren, in denen von uns praktisch
nichts zu hören war, waren wir auf unserer Ebene mit inhaltlichen
und organisatorischen Verunsicherungen, Aufgaben und Fragen beschäftigt.
Verschiedene Ereignisse und Entwicklungen führten zu dem Gefühl
bzw. der Einsicht, nicht einfach nahtlos weitermachen zu können:
Da waren der Repressionsangriff mit den Fahndungen, Hausdurchsuchungen,
Ermittlungsverfahren und Verhaftungen am 18.12.1987, der Niedergang
der Bewegung gegen Gen- und Reproduktionstechnologien, der Golfkrieg,
die Einverleibung der DDR, die Auflösung des Ostblocks, die
Verschärfung rassistisch / antisemitisch / faschistischer Angriffe
gegen Schwarze, gegen JüdInnen, Obdachlose, Lesben und Schwule,
gegen behinderte Frauen, Kinder, Männer und gegen Linke, die
Zunahme sexistischer Gewalt - öffentlich und 'privat' - und
die (wohl auch aus all diesen Ereignissen resultierende) Kraft-
und Orientierungslosigkeit um uns herum. Parallel dazu führte
die Kritik von Schwarzen und jüdischen Frauen an unserem weißen
feministischen Selbstverständnis zu Verunsicherungen, mit denen
wir jedoch oft nicht produktiv umgegangen sind.
Es stand (und steht) ein Nachdenken über neue/andere Welt-
und Frauenbilder an und darin auch eine Auseinandersetzung über
unsere Form der Organisierung und unsere politischen Mittel als
Bestandteil eines radikal- feministischen Frauenkampfes - was u.a.
heißt, die zu Worthülsen verkommenen Begriffe in ihrer
Bedeutung wieder lebendig werden zu lassen.
Im Laufe dieses Prozesses haben sich viele Mitstreiterinnen der
Roten Zora erstmal verabschiedet, in diesen Zeiten neue Schwerpunkte
für sich gesetzt. Eine personelle Kontinuität ist also
kaum gegeben. Wir "Alten" und "Neuen", die wir
uns hier zu Wort melden, knüpfen an der bisherigen Politik
an und wollen diese weiterentwickeln.
Entlang der Geschichte unserer Organisierung und unserer Praxis
wollen wir unsere Entwicklung, unsere Vorstellungen, Ziele und Praxis
von Frauenbefreiung mit all ihren Widersprüchen transparent
machen und aus dieser Reflexion Schlüsse für eine zukünftige
Politik ziehen.
|