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Mili's Tanz auf dem Eis

Frauen- Macht?

Unsere Entstehungsgeschichte ist nicht zu trennen von linken organisatorischen Vorgaben und vom politischen Klima der 70er Jahre, in denen die Befreiungsbewegungen und die Umwälzungen in der hiesigen Gesellschaft Hoffnungen auf gesellschaftliche Umbrüche greifbarer erscheinen ließen. Unsere damalige Verbundenheit mit den weltweiten revolutionären Kämpfen einerseits und mit der Frauenbewegung andererseits spiegelte sich in unserem widersprüchlichen Selbstverständnis: Sind wir eine Frauenbande, oder verstehen wir uns als Teil einer zukünftigen Frauenguerilla?

Diese beiden Pole - Orientierung auf ein Konzept von Frauenguerilla, die sich als Teil der antiimperialistischen Befreiungsbewegungen und Guerillagruppen versteht, und die Vorstellung, militanter Teil der Frauenbewegung sein und bleiben zu wollen, mit allen Beschränkungen, die das z.B. im Hinblick auf die logistischen Mittel und Möglichkeiten mit sich brachte - verkörperte sich in den verschiedenen politischen Selbstverständnissen einzelner Frauen (natürlich nicht in Reinform, sondern mehr als Schwerpunktsetzung). An diesen unterschiedlichen Ansprüchen konnten wir uns reiben, manchmal auch unfruchtbar streiten, konnten sie aber theoretisch nicht lösen. Es war gerade die Existenz zwischen diesen beiden Polen, die die Grundlage unseres Zusammenhalts und unserer Entwicklung als Rote Zora ausmachte. Praktisch durchgesetzt hat sich darin ein eigener Weg militanter Politik, der unsere Realität als Metropolenfrauen einbezieht, immer wieder hinterfragt und an der Suche nach einer Strategie von internationaler Frauenbefreiung festhält.

Einige von uns gingen Ende der 70er/ Anfang der 80er Jahre einen anderen politischen Weg in ihrem Kontakt zu einer internationalen Gruppierung. die sich dem palästinensischen Befreiungskampf zuordnete und am Aufbau bewaffneter Gruppen in Westeuropa interessiert war, begaben sie sich in große Widersprüche zu unserem feministischen Selbstverständnis, die dann zur Loslösung der Frauen aus unserem Zusammenhang führten. Dieser Prozeß wurde aus Gründen absoluter Geheimhaltung damals auch unter uns nicht offen gemacht und konnte so erst im Nachhinein zu unserer verspäteten Auseinandersetzung führen. (In diesem Papier erschient der Begriff Antiimperialismus als Ausdruck der Beschäftigung auch mit diesem Teil unserer Geschichte und unseres veränderten und noch nicht abgeschlossenen Verständnis davon.) Die Konsequenzen aus den Kontakten waren Angelegenheit der einzelnen Frauen und hatten keinerlei Einfluß auf unsere Politik Daß sich hinter dem Geheimhaltungsprinzip auch hierarchische und Macht- Strukturen verbargen, politische Entwicklungen nicht als politische Entscheidungen diskutiert wurden, ist uns erst seit Mitte der 80er Jahre deutlich geworden.

Weiter oben haben wir schon beschrieben, wie wir uns von Kleingruppen unterscheiden. Das Guerillakonzept ist insofern für uns heute keine Orientierung, als es darauf ausgerichtet ist, mit militärischen Formationen die Macht zu erobern. Wir wollen die patriarchale Macht nicht erobern, sondern zerstören. Machtübernahme, durchgesetzt und abgesichert mittels eigenständiger militärischer Formationen, kennen wir in der Geschichte nur als patriarchalen Herrschaftswechsel. Ebenso war und ist Machtabsicherung an Organe gebunden, die Herrschaft gegenüber den Unterdrückten gewaltsam und mit Waffen durchsetzen (können).

Militärische Bünde tragen bereits den Kern von Herrschaft in sich. Militärische Macht wird selbst dadurch nicht legitim, daß Menschen behaupten, sie zum Wohl anderer einzusetzen.

Militär ist von der Struktur her durch und durch patriarchal, ein zentraler Ort, an dem Männermacht und Unterwerfung in Reinform aufgebaut, Männeridentität und -herrschaft nach innen und außen gestärkt und praktiziert wird.

Macht ist für uns untrennbar mit Herrschaft verknüpft. Die patriarchale Herrschaft wollen wir bekämpfen, der Macht Grenzen setzen ("Wir wollen die Macht zerstören"), uns durchsetzen/stärker werden und drücken das z.B. mit der Parole "Frauen an die Macht" aus. An dem Punkt blenden wir aus, daß Macht (haben) eben auch immer Herrschaft (ausüben) bedeutet. Die sprachliche Gleichsetzung ("Macht der Herrschenden" - "Macht der Frauen") ist einmal Ausdruck dafür, wie wenig genau von uns verwendete Begriffe inhaltlich gefüllt bzw. reflektiert sind. Darüber hinaus spiegelt sich darin unser Verhaftetsein in patriarchalen Denkmustern.

In Abgrenzung von herrschender Macht haben wir den Begriff "Gegenmacht" benutzt, der den Kampf gegen die patriarchale Macht meint. Aber auch damit lösen wir uns letztlich nicht aus dem Denk- und Handlungsschema. Wir können nicht gleichzeitig Macht abschaffen und Macht erkämpfert, auch wenn wir weibliche Macht als anders, positiv begreifen: als Uberwindung von Ohn-Macht. Auch dieser Machtbegriff ist einholbar von dem, was Macht in dieser Gesellschaft heißt, nämlich Herrschaft.

In vielen Befreiungsprozessen/-kämpfen hat sich gezeigt, daß Gegenmacht faktisch die Vertreibung der Mächtigen bedeutet, um sich selbst an die Stelle im Machtapparat zu setzen. Dabei werden Machtstrukturen nicht zerstört, eher neue Herrschaftsverhältnisse eingeführt, natürlich mit der Idee, die Macht zum Wohle der Gesellschaft einzusetzen. [5]

Deshalb halten wir den Machtbegriff zur Beschreibung unserer Politik und Ziele für unbrauchbar. Das heißt in der Konsequenz, ihn nur noch in bezug auf die (be-)herrschenden Verhältnisse anzuwenden. Wir wollen weder die Machtübernahme noch unsere Kräfte mit denen des Gegners auf seiner Ebene messen. Einen Frauenhändler anzugreifen, einen Vergewaltiger zu bestrafen, ein Forschungsinstitut zu zerstören ist nicht Ausdruck unserer Macht, sondern unseres Willens, die Macht zu begrenzen.

Diese prinzipiellen Uberlegungen lösen aber nicht das Dilemma, daß wir zwar Machteroberung von uns weisen, aber Macht besitzen, d.h. an struktureller Macht teilhaben, die Weiße aufgrund ihrer ökonomischen, militärischen, sozialen und politischen Herrschaft auf dieser Welt durchgesetzt haben.

Auf diese Macht können wir nicht über eine Willensentscheidung verzichten. Unser einfacherer/gesicherterer Zugang zu Geld/Einkommensquellen, Arbeitsplätzen, sozialen Leistungen und Wohnungen kann nicht "abgelegt" werden, denn er ist Ausdruck des gesellschaftlichen Gewaltverhältnisses gegen die "anderen"; wir können/müssen aber bewußt damit umgehen. Ein Festhalten an unseren Privilegien macht uns zu Gegnerinnen der Befreiung.

Anfangen können wir schon damit, Schwarzen Frauen den Job oder den Wohnraum zu überlassen; ihnen unsere Strukturen und Mittel von Öffentlichkeit und Gegenöffentlichkeit zur Verfügung zu stellen; unsere sozialen Bedingungen im Sinne einer gemeinsamen Perspektive von Befreiung zu nutzen. Wichtig ist, uns nicht abspalten zu lassen von den Erfahrungen anderer Frauen. Das bedeutet, raus aus den FrauenLesben- Ghettos, in denen wir gesellschaftliche Realitäten nur dosiert und gefiltert wahrnehmen und uns deshalb zu Vielem nicht verhalten (müssen). Wir brauchen Kontakte zu anderen Frauen, um die gesellschaftlich gewollte Distanz und Abtrennung zwischen uns bewußt und selbstverständlich zu durchbrechen.

Nicht nur als machthabende, sondern auch als unterdrückte Frauen werden wir dem widersprüchlichen Umgang mit Macht nicht entkommen", weil z.B. kurzfristige Ziele oft nur unter Ausnutzung der bzw. dem Einlassen auf die patriarchalen Rahmenbedingungen zu erreichen sind.

Nicht nur Macht ist an Herrschaft gekoppelt, sondern auch Ohnmacht, nicht nur Sieg, sondern auch Niederlage, nicht nur Krieg, sondern auch "Frieden", nicht nur Reichtum, sondern auch Armut etc. Diese Begriffspaare definieren sich jeweils über ihren immanenten Gegensatz, d.h. Macht existiert nur, weil Ohnmacht existiert und umgekehrt. Mit der Zielvorstellung, Macht zu überwinden, überwinden wir auch Ohnmacht, wenn Sieg keine Orientierung ist, kann auch die Niederlage nicht unser Denken und Handeln fesseln.

Wir wollen dieses patriarchale, immanent gegensätzliche und die Verhältnisse aus sich heraus immer wieder neu stabilisierende Begriffsdenken durchbrechen. Darin liegt vielleicht die Chance, Schritt für Schritt eine persönliche und kollektive Stärke zu entwickeln, die keine Verbindung zu Herrschaft hat.

In unserem Interesse liegt die Stärkung von politisch- sozialen Prozessen, die staatliche und andere patriarchale Macht- und Zwangsverhältnisse bekämpfen und das Leben feministischer (d.h. nicht nur antisexistischer und antirassistischer) Ideen permanent erweitern. Dabei meinen wir nicht die von staatlicher Seite geduldete Nischenpolitik, sondern den Prozeß, im Wechselverhältnis von gesellschaftlich - wie persönlich- patriarchaler Machtbeschneidung die Entwicklung, Festigung und Verteidigung von uns bestimmter Lebensverhältnisse als - Ziel zu verfolgen.

Auf diesem Weg gibt es sowohl bewaffnete Angriffe zur Blockierung des Machtapparates als auch die Notwendigkeit, erkämpfte Strukturen militant- bewaffnet zu verteidigen, aber nicht in arbeitsteiliger Form, in der etwa eine unter Waffen stehende Frauenarmee zuständig ist. Welche Struktur wir Uns geben, erwächst aus dem Prozeß Unserer Kämpfe.

Diese Vorstellungen scheinen, gemessen an der Gegenwart, so unreal zu sein, sind aber für uns eine wichtige Orientierung, weil Machtzersetzung statt -eroberung schon für hier und heute konkrete Konsequenzen hat, u.a.:

  • Angriffsziele nicht nach politisch- militärischen Kategorien zu wählen;
  • eigene interne Machtstrukturen zu bekämpfen,
  • hierarchische Strukturen aufgrund sogenannter "politischen Notwendigkeiten" nicht zu akzeptieren.

Militante Organisierung nur im Zusammenhang mit sozialen/politischen Widerstandsprozessen legitim zu finden, heißt auch, der Hierarchisierung unserer Kampfformen entschieden entgegenzutreten. Sie geschieht leicht wegen des existentiellen Einsatzes im militanten illegalen Kampf und der Entschlossenheit, die darin zum Ausdruck kommt. Dieser Einsatz, verbunden mit der Entscheidung für "bewaffneten Kampf" wird oft als revolutionäres Handeln per se mystifiziert. Die Kampfform an sich als besonders radikal zu sehen. losgelöst vom Inhalt, arbeitet einer Mystifizierung von Gewalt zu, die mit der herrschenden Definition von Gewalt nicht bricht. Diese Erfahrung haben viele ErauenLesben gemacht, die sich von Mackermilitanz umgeben oder sie gar gegen sich gerichtet sehen.

Im herrschenden Gewaltbegriff wird nicht die strukturelle, subtile und direkte Gewalt, die das Patriarchat ausmacht und stützt. als Gewalt definiert, sondern verschleiert und legitimiert. Vielmehr werden das Überschreiten dieses "Gewaltrahmens" und die Gegenwehr gegen Unterdrückung als Gewalt denunziert. Dieser Gewaltbegriff ist nicht unserer. Die Frage "Gewalt ja oder nein" weisen wir als Ideologie zur Legitimierung und Akzeptanz der herrschenden, die Gesellschaft durchziehenden Gewalt zurück. Die HERRschenden versuchen mit dem Aufzwingen ihres Gewaltbegriffs, den Widerstand zur Gewaltfreiheit zu verpflichten, und meinen damit vor allem die Respektierung der herrschenden Ordnung.

Sie benutzen die massive Zunahme sexistischer, rassistischer und antisemitischer Angriffe von Rechten und Neonazis und die Brutalisierung der Gesellschaft, um von der zunehmenden eigenen Gewaltsamkeit (z.B. Anti- "Sozial- Paket"; gesetzlich festgeschriebener Rassismus) und der gewollten patriarchalen und rassistischen Alltagsgewalt abzulenken und sie letztlich durchzusetzen oder Normalität bleiben zu lassen. Die heutige gesellschaftliche Realität ist stark von rechter Gewalt bestimmt. Die brutalsten rechten Terroraktionen (und nur diese) werden erst als Bild/Definition von politischer Gewalt "an sich" herausgestellt, um im nächsten Schritt die Gleichsetzung von rechts und links zu behaupten. Damit wird versucht, militantem Widerstand die Legitimation zu nehmen und ihn besonders zu verfolgen. [6] Vor diesem Hintergrund ist jede "Gegengewalt" mit einem negativen Nimbus umgeben. In dieser Situation müssen wir uns noch genauer damit auseinandersetzen und bestimmen, was und wie wir angreifen.

Gegen die Verbreitung der Parole "Keine Gewalt" betonen wir, daß wir unter militanter illegaler Politik zuerst vom Inhalt her unversöhnliche Gegnerinnenschaft zu diesem patriarchalen System meinen, die sich in der Praxis ausdrücken muß.

Mit unseren Handlungen wollen wir diese Definitionsmacht durchbrechen und Gesetze, die zur Aufrechterhaltung dieses Systems geschaffen wurden, bewußt nicht achten, um darin unsere Option auf ein anderes Leben zu behaupten. Der Angriff auf und die Zerstörung von Institutionen, die die Gewaltverhältnisse organisieren und reproduzieren, und die Bestrafung von Tätern ist unabdingbar für die Entwicklung eines (Selbst-)Bewußtseins gegen die Akzeptanz und Verinnerlichung der herrschenden Normalgewalt - gerade auch gegen uns Frauen.

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http://www.freilassung.de/div/texte/rz/milis/frmacht.htm