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Mili's Tanz auf dem Eis

Frauenhandel

Mit unseren Angriffen auf die philippinische Botschaft und die Frauenhändler [9] wollten wir die in jedem Sinne grenzenlose sexistische Gewalt, die hinter dem Frauenhandel steckt, ans Licht der Öffentlichkeit zerren, sie intensiver in die Diskussion in FrauenLesbenzusammenhänge bringen und gesellschaftlich die Auseinandersetzung darüber erzwingen. Bis dahin waren es überwiegend kirchlich organisierte Frauen, die sich gegen die frauenverachtenden Praktiken wandten und auch konkrete Hilfe leisteten.

Wir wollten unsere Wut konkret gegen die Männer richten, die die Frauen in selbstHERRlicher und gewalttätiger Weise als Ware behandeln und die (Verfügungs-) Gewalt deutscher Männer über diese Frauen propagieren, organisieren und daraus ihren Profit schlagen. Diese Typen sollten nicht ungestört ihre Machenschaften durchziehen können.

Der Angriff auf die philippinische Botschaft traf exemplarisch eine der Institutionen, die Struktur und Voraussetzungen für den internationalen Frauenhandel bereitstellen, ihn fördern und die Staatskasse mit Devisen füllen. Eine etwas spektakuläre, explosive Form schien uns geboten, um einen möglichst großen öffentlichen Effekt zu erreichen und angesichts des Ausmaßes an sexistischer Gewalt, die Frauen damit angetan wird, und wegen der ungeheuerlichen Dreistigkeit, mit der Männer diese Versklavung versuchen und nutzen - vielen Frauen werden die Pässe genommen, sie werden eingesperrt und gegen ihren Willen zu illegaler Prostitution gezwungen. [10]

Ein sichtbarer Teil des "Erfolges" unserer Aktionen war das Aufgreifen durch die bürgerlichen Medien: dadurch geriet das Thema und gerieten die entsprechenden Institutionen und Typen ins Blickfeld einer größeren, über die FrauenLesbenzusammenhänge hinausgehende Öffentlichkeit und unter Legitimationsdruck. Durch diese Medienöffentlichkeit wurde unser militanter Widerstand für viel mehr Menschen existent und von ihnen akzeptiert. Unsere Freude darüber erhielt aber durch Beifall von der falschen Seite einen Dämpfer: das Schulterklopfen der bürgerlichen Saubermänner und -frauen, die Frauenhandel ausschließlich deshalb stört, weil das nicht 'saubere' patriarchale Praxis ist. Es war uns nicht gelungen, die 'säuberliche' Trennung christlich- patriarchaler Doppelmoral zwischen "guten Ehemännern" und "Heiratsvermittlern" - also zwischen der "ordentlichen Verfügung" über Frauen einerseits und "unseriösen Praktiken der Zuhälterei" andererseits - aufzuknacken. Vor allem bei eher propagandistischen Aktionen ist das mit den Medien natürlich so ein Problem: sie verfremden, verkürzen, verdrehen und unterschlagen Nachrichten nach ihren politischen und/ oder Vermarktungsinteressen. Dieser Meinungsmache können sich auch die, die wir ansprechen wollen, nicht so einfach entziehen, solange sie keine anderen Informationsquellen haben. Kritisch wurde es, wenn für uns die Medienwirksamkeit selbst zum Maßstab unseres Erfolges zu werden drohte, weil darin unsere Eitelkeit Platz finden konnte. Eine "große Presse" zu haben, kann nicht Bestätigung unserer Politk sein, sondern nur die Ausbreitung radikalen FrauenLesbenwiderstandes.

Es lag aber nicht nur an der Darstellung durch die Medien, daß die Inhalte verzerrt werden konnten: unsere Aktionen und unsere Argumentation selbst haben zu kurz gegriffen. Hintergrund war ein noch nicht durch Rassismus- und Unterschiedsdiskussionen geschärftes Fraueninternationalismus-V erständnis: Frauen sahen wir weltweit (letztendlich gleicher) sexistischer Gewalt ausgesetzt. Egal, wo auf dieser Welt, Männer sichern ihre Verfügungsgewalt über Frauen, und die Gemeinsamkeit dieser Erfahrung konstituiert ein gemeinsames (hieß: gleiches) Interesse an Befreiung. Frauenhandel schien uns eine auf die Spitze getriebene Praxis des Patriarchats zu sein, sozusagen pur, ohne jede ideologische Verbrämung. Uns in der Metropole tritt diese Macht zwar nicht ständig in dieser unverblümten Weise entgegen, doch wir waren getragen von dem Bewußtsein eines gemeinsamen Kampfes gegen den gleichen Gegner. Nur daß die vom Frauenhandel betroffenen Frauen noch zusätzlich - auf einer gesonderten Ebene - der imperialistischen Zerstörung ihrer Länder und Existenzgrundlagen ausgesetzt sind, die dafür verantwortlich ist, daß sie das "Angebot" Heirat in die Metropole "annehmen" müssen. Wir begriffen ihre Unterdrückung lediglich als Verdopplung der Gewaltstruktur.

Weil wir die Ursachen des Frauenhandels und Sextourismus nur als Herrschaftssystem gesehen haben und nicht als Wechselverhältnis zwischen den sich wehrenden Frauen als Subjekte und den Ausbeutenden, richtete sich unser Eingreifen nur darauf, die Sexgeschäfte zu unterbinden. Damit übergingen wir die betroffenen Frauen. Viele von ihnen treffen - wenn auch aufgrund einer Zwangssituation - die Entscheidung, die Arbeit in der Sex-industrie oder als Ehefrau hier den Existenzkämpfen oder der Abschufterei in den Weltmarktfabriken in ihren Ländern "vorzuziehen" (z.B. können sie dadurch auch dringend benötigtes Geld nachhause schicken). [11] Das zu ignorieren, bedeutet, die Frauen lediglich zu Opfern zu machen. So beschreiben z.B. philippinische Frauen, daß sie auf der Straße hier immer den mitleidigen Blicken weißer Frauen begegnen, die sie nur als gefangene und verkaufte Frauen betrachten, als jeglicher Subjektivität beraubte Opfer.

In dieser Sichtweise verliert sich die Kenntnis, daß administrative Einschränkungen und Verbote die Sexgeschäfte nicht verhindern, sondern eher in die Illegalität abdrängen, was für die darin arbeitenden Frauen noch miesere Arbeitsbedingungen bedeutet. Bei Aufdeckung illegaler Händlerringe werden ja zuallererst die Frauen abgeschoben, sie haben keinerlei Rechte hier. Unter Aquino verabschiedete die philippinische Regierung z.B. Einschränkungen für offene Frauenvermittlungsagenturen und der Möglichkeit für Frauen, Pässe für die Ausreise zu bekommen. Die staatliche philippinische Reaktion auf die Proteste hier bedeutete eine massive Verschärfung für die Frauen.

Mit unsere Aktion haben wir nicht - wie es eigentlich unser Anspruch ist - die betroffenen Frauen in ihrem Kampf gestärkt, sondern sind über ihre Interessen hinweggegangen.

Heute haben wir durch die Kritik von Schwarzen FrauenLesben begriffen, daß es nicht die gleiche Erfahrung von Sexismus gibt. Daß und wie Männer sich Frauen (als Ware) anzueignen versuchen, ist meist auch gekoppelt mit rassistischen Gewaltverhältnissen, was zu einer anderen Realität von sexistischer Gewalt führt und von da aus auch zu verschiedenen Kämpfen dagegen. Nur in der Verbindung von Sexismus und Rassismus begreifen wir den Kern der Gewaltförmigkeit. Die Macht, die Männer sich im Frauenhandel sichern und ausbauen, schwächt uns FrauenLesben insgesamt. Wir als weiße Frauen müssen uns dazu verhalten, daß wir die Unterdrückung Schwarzer Frauen mittragen, wenn wir diese Tatsache nicht in unser Handeln einbeziehen.

In einem klandestin organisierten Angriff auf Frauenhändler sehen wir im Moment nicht vorrangig das geeignete Mittel, die Frauen zu unterstützen, eher durch eine offensive Präsenz von FrauenLesben an den Orten, wo die Frauen ankommen oder sich aufhalten oder von wo sie abgeschoben werden sollen (z.B.

Flughäfen). Dadurch gewährleisten wir auch eine gewisse 'Kontrolle' der Frauenhändler - wobei das Risiko eines Hausfriedensbruchs bei denen schon zu verkraften sein müßte. Wir schaffen so vielleicht Kontaktmöglichkeiten, die helfen können, sowohl die Isolation voneinander, als auch die, in der die betroffenen Frauen hier leben, zu durchbrechen.

Eine weitere Möglichkeit zum Eingreifen ist es bestimmt auch, den Frauen, die aus diesen Zwangsverhältnissen raus wollen, Verstecke zu bieten, ihnen hier den Aufenthalt zu ermöglichen (z.B. mit Papieren, Geld, für eigenständiges Aufenthaltsrecht kämpfen) oder sie dabei zu unterstützen, woandershin zu gehen. Angriffe gegen Frauenhändler sind angebracht, wenn sie Frauen unter Ausnutzung ihrer beschissenen Situation in Verhältnisse pressen, die die Frauen keinesfalls wollen - häufig müssen sie sich mit ihrer Situation arrangieren, weil sie keine Alternative sehen und wir ihnen auch keine bieten. Oder wenn es möglich ist, die Allmacht, die die Händler aufgrund des Abhängigkeitsverhältnisses der Frauen haben, zu durchbrechen. Bei allen Aktionen müssen die Interessen der betroffenen Frauen im Mittelpunkt stehen. Ihre Entscheidungen und Interessen zu respektieren ist Voraussetzung für jede praktische Solidarität.

Auffällig - wenn auch nicht überraschend - ist, daß der sich im Frauenhandel manifestierende Rassismus in der Antirassismusbewegung in der Regel nicht vorkommt. So wichtig und richtig wir es finden, daß Frauen den sexistischen und rassistischen Bedrohungen durch Rechte und Faschisten etwas entgegensetzen, Solidarität mit den Verfolgten demonstrieren und wenn möglich Schutz anbieten, so unakzeptabel finden wir es, wenn die sexistisehen Gewaltstrukturen, denen Frauenflüchtlinge ausgesetzt sind, aus dem Blick- und erst recht aus dem Handlungsfeld verschwinden.

Daß die sexistische Dimension von Rassimus vernachlässigt oder ausgeblendet wird, hat etwas mit der gesellschaftlichen Wertung zu tun, die Übergriffe von Rechten und Faschisten eher als Politikum sieht als (rassistische) Männergewalt gegen Frauen. Es gibt (wenige) FrauenLesbengruppen, die in dem Spektrum zwischen Beratungsarbeit und öffentlichen radikalen Aktionen in Zusammenarbeit mit Immigrantinnen, Flüchtlingsfrauen und verschleppten Frauen gegen Rassismus und Sexismus aktiv sind. Wir finden, alle gegen den Rassismus aktiven Feministinnen sollten diesen Schwerpunkt setzen. Nicht, weil mann sich nicht um die Frauen kümmert, sondern um der patriarchal geprägten Sicht von Rassismus etwas entgegenzusetzen, den antipatriarchalen Kampf zu stärken.

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http://www.freilassung.de/div/texte/rz/milis/frhandel.htm