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Mili's Tanz auf dem Eis

Ausblicke

Zum Schluß wollten wir Gedanken zur Einschätzung der aktuellen Situation formulieren in Richtung einer konkreten Perspektive, die aber nicht allein am Schreibtisch entworfen werden kann und für die noch wichtige (unverzichtbare) Analysen gemacht werden müssen, um zu einer politischen Einschätzung und Strategie zu gelangen - wie z.B.: Begreifen der Situation von geflüchteten Frauen, von armen Frauen, von alten Frauen, von Mädchen, von Arbeiterinnen, von Migrantinnen, von behinderten Frauen, von Frauen aus der Ex- DDR, Aufarbeitung der feministischen Bewegung ...

Das haben wir in diesem Papier nicht geschafft. Wir haben uns vorwiegend mit unserer eigenen Geschichte beschäftigt, bisherige Standpunkte hinterfragt und angefangen weiterzudenken. Wir wollen dieses Papier mit einigen Uberlegungen und Ideen, die wir für unsere feministische Orientierung und unser eigenes Handeln wichtig und spannend finden, dieses Papier beenden.

In den vielen Diskussionen um den Schlußteil haben sich, verknüpft mit dem bisherigen Text, unterschiedliche Positionen unter uns herauskristallisiert und festgefahren. Im Text betonen wir, daß wir in unserer politischen Sozialisation von linken Ideen mitgeprägt sind und durch diese Theoriebrille gefärbte Blicke auf die Welt werfen. Wir haben festgestellt, daß uns alte Analysemuster und Betrachtungsweisen in eine Sackgasse führen, daß wir uns nicht an linken Denkmustern orientieren, sondern neue Wege verfolgen wollen. Das ist uns nur manchmal gelungen.

In der antiimperialistischen Sichtweise, die den Schwerpunkt auf materielle! ökonomische Ausbeutung im umfassendsten Sinne (Zerstörung von Lebensgrundlagen, Zurichtung auf und Ausbeutung von sexistischen, antisemitischen und rassistischen Gewaltverhältnissen...) legt, verliert sich häufig die antipatriarchale feministische Betrachtungsweise. Deswegen ist der Text mit Widersprüchen gefüllt, zwischen Festhalten und Verabschieden von linker eurozentristischer Theorie. Schwierigkeiten sind uns v.a. da begegnet, wo deutlich wird, wie wir selbst Teil der metropolitanen Verhältnisse sind und diese reproduzieren.

Wir leben hier in einer technologisch hochgerüsteten Gesellschaft, die nur überlebt, wenn sie zerstört und raubt (von sog. Bodenschätzen, Nahrung bis hin zu Musik und dem Erleben von Exotik, von Gastfreundschaft bis zu kämpferischen Erfahrungen). Es ist eine hoch- informatisierte patriarchale Gesellschaft, in der überwiegend herrschende Ideologien transportiert werden, die eben auch unsere Köpfe kolonisieren und unser Denken und Fühlen ebenso nach produktivistischen Maßstäben funktionieren lassen.

Aufgrund der Komplexität der Gesellschaften kann der Blick auf die Welt allzu leicht in Beschreibungen und Analysen herrschender Macht und Strategien steckenbleiben, ohne sie in einem ständig wechselseitigen Prozeß mit den Verweigerungen, der Gegenwehr, der (Durch-) Setzung kollektiver Lebenspraxis der Menschen, besonders der Frauen, zu begreifen.

Ein tiefes Verständnis anderen Gesellschaften gegenüber bleibt uns meistens verschlossen und damit auch ein differenziertes "Wissen" um die Lebensbedingungen und Kämpfe der Frauen.

Das Problem von Homogenisierungen in unseren Köpfen ist uns bewußt; andererseits sehen wir die Gefahr, ohne den Versuch einer gegen die patriarchal- imperialistische Herrschaft gerichteten gobalen Sichtweise (die immer vereinfachend ist) nicht weiterzukommen, eigene Ideen und Ziele nicht relativieren zu können, kein Korrektiv zu haben und falsche Wege zu gehen.

Es ist uns selbst nicht klar, ob wir den Anspruch auf eine universalistische feministische Theorie aufgegeben haben. Oder ob sich diese Denkweise noch immer schleichend, verschleiert durch unsere Gedanken zieht - eine weiße europäische Tradition, die mit Kolonialismus, Imperialismus und den von hier definierten, an Zerstörung gekoppelten Menschenrechten einhergeht. Das universalistische Denken (dem Universellen liegt immer ein Machtanspruch zugrunde) in der weißen feministischen Theorie geht letztlich davon aus, doch eine allgemeingültige Antwort auf die weltweiten Formen von Unterdrückung, Ausbeutung und Gewalt zu finden; und sei es über die Formulierung allgemeiner Ziele wie "keine Unterdrückung/keine Hierarchien, gegen Rassismus und Sexismus", um doch noch eine Grundlage zu haben, auf der alle Schwarzen und weißen Frauen den gemeinsamen Kampf führen.

Gloria Joseph betont, daß sie dringend eine "spezifisch Schwarze feministische Analyse brauchen, weil die psychologische Dynamik zwischen Schwarzen Männern und Schwarzen Frauen, die sich im Zusammenhang der bestehenden ökonomischen Bedingungen abspielt, qualitativ und kulturell von der weißen verschieden ist." [33]

Wir wären einen Schritt weiter, wenn wir unsere unterschiedlichen Bedingungen und Wege akzeptieren würden, nicht als Lippenbekenntnis, sondern sie mit dem Herzen begreifend.

Ein selbstverständlicher Umgang in Respekt und Toleranz täte unseren weißen Strukturen gut, würde Abgrenzung/ Ausgrenzung gegenüber anderen Frauen beenden und uns befähigen zuzuhören, soziale Verhältnisse und Positionen nicht nur nach eigenen Kriterien zu beurteilen und die Vielfältigkeit der unterschiedlichen Kämpfe als Voraussetzung für gemeinsames Handeln zu nehmen.

MAIL
http://www.freilassung.de/div/texte/rz/milis/ausblick.htm