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Adler! Flair Fashion [15]
Unsere Vorstellungen von internationaler Solidarität konnten
wir zuletzt mit unseren Angriffen gegen den Textilmulti Adler konkretisieren:
Frauen aus anderen Kontinenten direkt in ihrem Kampf zu unterstützen,
Machtverschiebungen zu ihren und Unseren Gunsten bewirken.
Der Angriff auf das Verwaltungsgebäude der Firma Adler in
der BRD war symbolischer Ausdruck unserer Solidarität und der
Bereitschaft, in den Konflikt einzugreifen, d.h. den Streik der
Textilarbeiterinnen in der südkoreanischen Produktionsstätte
zu unterstützen. Die Angriffe auf die Adler- Verkaufsmärkte
hier boten real die Möglichkeit, Schwachpunkte zu treffen.
Die Märkte waren nicht zu schützen, und wie der zündende
Funke unserer Schwestern, der "Amazonen", gezeigt hat,
konnte bei dieser Form noch 'nachgelegt' werden [16].
Zusammen mit den vorhergegangenen öffentlichen Aktionen vor
den Verkaufsmärkten (u.a. Information der KundInnen und Arbeiterinnen
in den Adlermärkten über den Streik bei Flair Fashion
in Südkorea) war der materielle und ideelle Schaden für
Adler nicht begrenzbar. Hinzu kommt, daß Adler (zum Konzern
Massa gehörend) zu der Kategorie von Multis zählte, denen
die unmittelbare Profitsicherung wichtiger ist, als 'politische
Zeichen' zu setzen, also unserem Druck zugunsten übergeordneter
Ziele nicht nachzugeben (was vom BKA ja schärfstens kritisiert
wurde).
Unsere/ unsere Aktionen hier waren aber nur der Tropfen, der das
Faß zum Überlaufen brachte.
Südkorea befand sich in der zweiten Hälfte der 80er Jahre
in einer Situation sozialer und ökonomischer Umstrukturierung.
Darin war der Kampf der Textilarbeiterinnen von zentraler Bedeutung.
Die traditionelle Frauenrolle bedeutet Verantwortlichkeit für
die materielle Reproduktion der Familie. Die Übernahme dieser
Aufgabe gewährt Frauen einerseits starken Rückhalt in
den familiären Strukturen; andererseits sind sie gezwungen,
ihre Arbeitskraft unter verschärften Ausbeutungsbedingungen
zu verkaufen, um ihrer Aufgabe gerecht zu werden. Viele Frauen wandern
auf der Suche nach Arbeit in die Städte und Freihandelszonen
ab. Von den geringen Löhnen versorgen sie auch die zurückgebliebene
Familie. Die Löhne reichen allerdings oft kaum für das
eigene Überleben. Bei Flair Fashion (100 prozentige Tochter
von Adler) waren die Frauen zusätzlich permanent sexistischer
Gewalt, besonders der Vorarbeiter ausgesetzt; politische und gewerkschaftliche
Organisierung waren verboten.
Aus den widersprüchlichen Anforderungen entwickelte sich eine
Kampfbereitschaft der Arbeiterinnen, die Unterstützung in den
Frauenstrukturen der Städte fand, in autonomen und kirchlichen
Unterstützungsbüros und Frauenzentren.
Langfristig und hartnäckig kämpften die Frauen gegen
alle repressiven Maßnahmen für ihre Forderungen [17]
und benannten offensiv sexistische Gewaltverhältnisse als Teil
der Ausbeutung. Dies gab ihrem Kampf eine besondere Stärke
innerhalb der zugespitzten Widersprüche im Land. Der Kampf
bei Flair Fashion war erfolgreich, weil darin die spezifische politische
Situation in Südkorea, die Stärke des allgemeinen Frauenkampfes,
die Entschlossenheit der Arbeiterinnen, ihre kollektiven Strategien
und schließlich die Unterstützung aus/in der Metropole
BRD zusammenwirkten.
Der materielle Erfolg lag in der Durchsetzung der Forderungen der
Flair- Fashion- Arbeiterinnen. Der politische Erfolg bestand/besteht
in der Erfahrung der eigenen Kraft, Forderungen durchzusetzen. Der
materielle Erfolg kann die Ausgangsbasis für weitere Kämpfe
verbessern, er kann aber auch von der Gegenseite zurückgenommen
werden. Was bleibt, ist die Erfahrung, daß wir in gemeinsamen
Kämpfen Stärke entwickeln können, an der die herrschende
Macht Grenzen findet.
Von solch einem politischen Erfolg können wir allerdings nur
'zehren', wenn er nicht aus dem kollektiven FrauenLesbenbewußtsein
verschwindet, wenn wir die Bedingungen, die dazu geführt haben,
genau analysieren und von da aus unsere Strategie für weitere
und andere Kämpfe entwickeln.
Aus so einem einzelnen Kampf und Erfolg gewinnen wir kein Patentrezept
für die Zukunft, auch wenn in diesem speziellen sehr viel von
unserer zentralen politischen Orientierung eingegangen ist. Im Nachhinein
bzw. für die Zukunft scheinen uns besonders vier Aspekte wichtig,
die wir praktisch und politisch angehen müssen:
Erstens: Im Kampf gegen Adler haben Frauen in Südkorea agiert,
und in der BRD ist der Kampf auf legaler und illegaler Ebene unterstützt
worden. Die einzelnen Bindeglieder der 'Aktionskette' hier haben
im Grunde genommen eher zufällig ineinandergegriffen - 'Frauenzufälle',
auf die wir uns zwar zum Teil aufgrund gemeinsamer Erfahrungen verlassen
können, die aber nicht einen kontinuierlichen Informationsaustausch
und Diskussionszusammenhang zu frauenpolitischen Strategien ersetzen
können. Dazu ist eine wie auch immer geartete stärkere
Organisierung/Vernetzung der radikalen FrauenLesbenkräfte nötig
und eine verbesserte Kommunikation zwischen legaler und illegaler
sowie auf internationaler Ebene.
Zweitens: Die Forderungen und der Kampf der Frauen in Südkorea
sind vor allem durch die Flugblatt- Aktionen vor den Märkten
und viele Veranstaltungen mit klaren politischen Positionen in die
öffentliche Diskussion gebracht worden. Unter uns haben wir
bei der Planung der Aktionen darüber diskutiert, ob und wie
wir einen Bezug zu den Arbeitsbedingungen der Frauen hier in den
Märkten herstellen können. Die Bezugnahme auf diese Frauen
wurde nicht konsequent weiterverfolgt. Ein erster Schritt hätte
z.B. sein können, die Adler- Arbeiterinnen über den Erfolg
der international zusammenfließenden Frauenkämpfe zu
informieren. Wieweit spielen da Berührungsängste und Ignoranz
gegenüber Frauen aus anderen sozialen Zusammenhängen eine
Rolle? Und - für die öffentlich agierenden Frauen: Wieweit
hängt das auch mit der Angst vor Repression zusammen, wenn
z.B. vermieden wird, militante Politik offensiv öffentlich
zu vertreten? Auf jeden Fall überlassen wir bei diesem Vorgehen
den Frauen das Feld, die auf institutioneller Ebene agieren und
für sich in Anspruch nehmen, für alle Frauen zu sprechen,
die ihre Systemtreue betonen und den militanten Widerstand oft auszugrenzen
versuchen.
Drittens: Nachdem Adler ein Zugeständnis abgerungen war, tauchte
das Thema in den öffentlichen FrauenLesbenzusammenhängen
(bis auf Ausnahmen) nicht mehr auf. (Selbst in der Solidaritätskampagne
nach dem 18.12.1987 haben nur wenige das Thema aufgegriffen, obwohl
doch gerade die entsprechenden Aktionen von uns eine zentrale Rolle
in den Anschuldigungen des BKA spiel(t)en.) Es existieren keine
übergreifenden kontinuierlichen Zusammenhänge, in denen
auch Nachbereitungen von Erfahrungen (Rückschläge und
Erfolge) geleistet werden. Dieses Abhaken unserer eigenen Kämpfe
trägt mit dazu bei, daß wir uns von einer 'Kampagne'
zur nächsten hangeln, uns die Verbindungen verlorengehen bzw.
wir vieles nur als Einzelkämpfe begreifen können, die
nicht durch allgemeine strategische Bestimmungen miteinander verbunden
sind. (wir sagen es nochmal, auch wenn wir uns wiederholen).
Viertens: Anhand unserer Auseinandersetzung mit der Forderung der
Südkoreanerinnen nach, eigenen Gewerkschaften ist deutlich
geworden, wie sich unsere Befreiungsvorstellungen von der Metropole
aus oft als eurozentristisches Denken zu unseren Vorstellungen von
Internationalismus querlegen. Metropolitane Gewerkschaften wie die
in der BRD sind ein reformistischer Faktor zur rassistischen Einbindung
der ArbeiterInnen ins Kapitalverhältnis (Stichwort z.B. "Sozialpartnerschaft"),
und schon gar nicht eine Organisation, die sich den Kampf gegen
das Patriarchat auf die Fahne geschrieben hat. Daß Gewerkschaften
in den Drei Kontinenten nicht die gleiche Funktion haben wie hier,
erfordert den Blick über die eigenen Verhältnisse hinaus.
Wollten wir unsere Sicht auf die Gewerkschaften als Institutionen
hier auf Frauen aus anderen Kontinenten übertragen, die für
sich unabhängige Gewerkschaften fordern, würden wir darin
nicht nur koloniale Verhältnisse fortsetzen, sondern uns auch
der Chance berauben, aus ihren Kämpfen und Forderungen zu lernen
und unser begrenztes Denk- und Wahrnehmungsvermögen aufzubrechen,
um Teil einer internationalen Frauenstärke zu sein.
Die Forderungen der Arbeiterinnen in Südkorea zu unterstützen,
war eine einfache Entscheidung für uns. Schwierig wird es,
wenn Forderungen sich gegen unsere Vorstellungen von Befreiung richten,
sie in unserem Verständnis weitere Zerstörung bringen.
Wir können derzeit keine verallgemeinernden Kriterien aufstellen.
Wir brauchen eine grundlegende Offenheit und Bereitschaft, in jeder
einzelnen Situation die Forderungen sehr genau zu diskutieren, die
sozialen Verhältnisse, in denen die Forderungen stehen, begreifen.
Auch unsere eigenen Maßstäbe müssen offengelegt,
diskutier- und veränderbar sein, eigene Gewißheiten infragegestellt
werden können. Häufig sind wir nur in der Lage, Verhältnisse
in ihrer Widersprüchlichkeit zu beschreiben, Relativierungen
vorzunehmen und am Ende vor lauter "wenn und "aber"
handlungsunfähig dazustehen.
Nur im praktisch politischen Handeln und im Mut zu möglichen
Fehlern bringen wir unseren Klärungsprozeß voran. Dieser
Prozeß bedeutet eine ständige Herausforderung zu lernen,
uns auf neue Erfahrungen einzulassen. Wir wollen eine Beziehung
zu den Frauenkämpfen in anderen Ländern herstellen, die
weder vereinnahmend noch opportunistisch ist.
Hier in der Metropole ist es uns möglich, die Herrschenden
dort anzugreifen, wo sie die Zerstörung und Ausbeutung anderer
Kontinente organisieren und verwalten. Es ist nicht nur unsere Chance,
die Verantwortlichen hier zu benennen und ihre Geschäfte zu
durchkreuzen, sondern es liegt in unserer politischen Verantwortung,
die Schwachpunkte der Herrschenden zu suchen und zum Angriff zu
nutzen.
Welche Sprengkraft in den über nationale FrauenLesbeninteressen
und Grenzen hinausgehenden Kämpfen und in der Verbindung der
unterschiedlichen Kampfbedingungen und -formen liegt - von dieser
Dimension haben die Aktionen gegen Flair Fashion und Adler eine
Ahnung aufscheinen lassen.
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