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Mit dem Taxi ins Gefängnis

Aspekte des bundesdeutschen Grenzregimes an der deutsch-polnischen Grenze

Die Einbeziehung der Bevölkerung in die Grenzfahndung und die alltägliche Einübung von Rassismus

Im folgenden werden die Funktionsweisen des Grenzregimes an der deutsch-polnischen Grenze skizziert und einige Aspekte neuer Formen sozialtechnologischer Grenzfahndung vorgestellt werden. Die Forschungsgesellschaft Flucht und Migration (FFM) untersucht seit Jahren alle Auswirkungen von Grenzen auf die GrenzbewohnerInnen und die Gesellschaft.

Das deutsche Grenz-Regime

Das deutsche Grenzregime ruht auf vier Säulen. Eine davon ist die auswärtige Politik, mithilfe welcher die östlichen Nachbarn Deutschlands zu Türhütern der EU funktionalisiert werden sollen.. Die zweite Säule stellt die deutsche Grenzpolizei, der Bundesgrenzschutz (BGS) dar, welcher eine Bundespolizei ist, und mit immer weiterreichenden Befugnissen ausgestattet wird. Hinzu kommt als dritte Säule die zunehmende Einbindung der Grenzbevölkerung in die Grenzkontrolle. Als vierte Säule kann man die Asylverwaltung und Ausländergesetzgebung betrachten, welche dann nur noch für jene Bedeutung hat, die es doch noch glücklich geschafft haben, die Grenze heimlich zu überwinden. Die vierte Säule mutiert mehr und mehr zu reiner Flüchtlingsabwehr oder als Mittel, jene hinaus zu ekeln, die schon im Lande sind. Hier sollen zunächst nur kurz die ersten beiden Aspekte des Grenzregimes angerissen werden, um dann zum eigentlichen Inhalt des Vortrages zu kommen, nämlich die Beteiligung der Bevölkerung an der Jagd nach "Illegalen" und "Grenzverletzern", oder wie immer man sie nennen mag.

Instrumentalisierung der Nachbarstaaten als Pufferstaaten

Seit der Änderung (oder faktischen Abschaffung) des Grundrechtes auf Asyl 1993 gibt es so gut wie keine Möglichkeit für Flüchtlinge mehr, in Deutschland um Asyl nachzusuchen. Die sogenannte Sichere-Drittstaaten-Regelung ermöglicht es der deutschen Verwaltung nahezu jeden Asylantrag sofort abzulehnen, da der/die AsylbewerberIn durch einen der Nachbarstaaten kam, ehe er/sie einreiste. Alle Deutschland umgebenden Länder gelten nämlich als "Sichere Drittstaaten", in welchen der Flüchtling schon in Sicherheit hätte sein und Asyl beantragen können. Dieser Denkweise zufolge müßte der wirkliche Flüchtling die erstbeste Möglichkeit ergreifen, um seine tatsächliche Not zu beweisen. Wer einen eigenen Willen hat und wählen möchte, wo er/sie bleiben und/ oder Asyl beantragen will, ist demnach ein SchwindlerIn und BetrügerIn, er/sie kann sofort nach seiner/ihrer Festnahme nahe der Grenze ohne weitere Anhörung "zurückgeschoben" werden, ein Schicksal, das etwa 20-30 000 Personen jährlich entlang der deutschen Grenzen erleiden. Aber auch nach einer Ablehnung des Asylantrages, der auch aufgrund der Zugehörigkeit zu einem "sicheren Herkunftsland" (z.B. Türkei, Jugoslawien u.a.m.) als unbegründet erachtet werden kann, werden Flüchtlinge und MigrantInnen erbarmungslos in "sichere Drittstaaten" oder "sichere Herkunftsländer" abgeschoben. Es sind insgesamt (also mit den "Zurückgeschobenen") rund 60 000 Menschen, die jährlich aus Deutschland abgeschoben werden. Von den Asylanträgen werden dann im Jahresschnitt lediglich etwa 4 % anerkannt (in Brandenburg sind es sogar nur 1,2%), weitere rund 4 % erhalten eine Duldung, also einen befristeten Abschiebeaufschub: Das kann man kaum als Chance begreifen.

Musterschüler in dieser Beziehung des Befehlens und Gehorchens war und ist Polen. Gemäß dem deutsch-polnischen Abkommen von Mai 1993 erhielt Polen Zuschüsse in Höhe von 120 Millionen Mark, um seinen eigenen Grenzschutz etwa mit Booten, Helikoptern und technischem Gerät aufzurüsten, aber ebenso, um eine Grenzpolizei vom Zuschnitt des BGS aufzubauen und ein eigenes Asylverfahren zu entwickeln. Seither ist dort ein dichtes Netz von 25 Abschiebe-gefängnissen entstanden. Aber nicht nur die Abschiebung abgelehnter AsylbewerberInnen oder vom BGS zurückgeschobener heimlicher GrenzgängerInnen hat Polen in Deutschland abgeschaut. Auch ein festes Netz von Rückübernahmeabkommen mit den nun noch weiter östlich gelegenen Nachbarn ist im Begriff sich zu entwickeln. So konnte das Phänomen von Kettenabschiebungen auftauchen. Personen, die vom BGS zurückgeschoben wurden, werden anschließend ohne Verzug (oder nach zum Teil durchaus sehr langen Zeiten in Abschiebegefängnissen) in die jeweils nächsten Länder, etwa Weißrußland oder die Ukraine "weitergeschoben". Inzwischen (1999) bildet sich ein neues System der sogenannten "Durchschiebungen" aus, in welchem die Transitländer für die abschiebenden Länder den Transport mißliebiger Abzuschiebender durch ihr Territorium quasi als Dienstleistung übernehmen.. So könnten in Zukunft Abschiebungen auch in entferntere Länder kostengünstiger als mit dem Flugzeug vonstatten gehen. Denn bislang ist es etwa bei bulgarischen oder rumänischen "Illegalen" in Deutschland so, daß sie nicht etwa ins Transitland (Tschechien oder Polen) zurückgeschoben werden, sondern sofort über den Flughafen Berlin Schönefeld in ihre Heimatländer zurückgeflogen werden.

Foto1996 wurden etwa 1500 Menschen, also ein Drittel der rund 5000 vom BGS nach Polen "rückgeschobenen" Personen, unverzüglich in ihre Heimatländer oder einen östlichen Nachbarstaat "weitergeschoben". Die meisten solcher Kettenabschiebungen werden in 48-Stunden-Operationen erledigt. So geschah es, daß am 27. Juni 1997 ein Transport von Abzuschiebenden nach 14stündiger Fahrt von Deutschland in die Ukraine wegen Übermüdung des Fahrers von der Straße abkam und verunglückte. Zwei der Abzuschiebenden kamen ums Leben. Das neue polnische Asylgesetz von 1997 macht es noch schwieriger für Asylsuchende, einen Antrag zu stellen, um der Abschiebung zu entkommen.

Deutschland setzt Beitrittskandidaten gezielt im Sinne dieser Migrationsunterbindungspolitik unter (wirtschaftlichen) Druck: Nur wer den Sicherheitsanforderungen der EU gerecht wird, kann in den rlauchten Kreis aufgenommen werden. Deshalb sind Länder wie Polen und Tschechien auch bereit, oft demütigende Bedingungen dieser Zuckerbrot- und- Peitsche- Politik zu akzeptieren.

Die Aufrüstung des deutschen Grenzschutzes BGS

Die Zahl der Beamten und des Verwaltungspersonals beim BGS ist in den letzten Jahren sprunghaft angestiegen. Gab es 1992 noch 2400 uniformierte BGS-Beamte, gibt es 1998 bereits rund 6000 Bundespolizisten an den Ostgrenzen. Für die nahe Zukunft ist hier ein Personalbestand von 7500 Uniformierten anvisiert. Derzeit stehen also an den Ostgrenzen zu Polen und Tschechien mit den Zivilangestellten 10 000 Grenzschützer. Bundesweit gibt es gar 30 000 uniformierte BGSler, mit dem Zivilpersonal 40 000. Außerdem stehen an der Ostgrenze noch die 1200 GUKs, grenzpolizeiliche Unterstützungskräfte, Wache, quasi unbewaffnete Polizisten mit Angestellten-Status. Aus diesen Zahlen ergibt sich die Zahl von 2,4 Beamten pro Grenzkilometer im Osten. Zum Vergleich: an der US-mexikanischen Grenze sind es nur 0,18 Beamte, weshalb die deutsche EU-Außengrenze wohl mit eine der bestbewachten Grenzen der Welt sein dürfte. Aber im Grunde sind es noch mehr Beamte, die an der Grenze Dienst tun, nämlich der Zoll und die jeweilige Landespolizei. Diese Zahlen mögen ein Bild davon vermitteln, welche Manpower Deutschland bereit ist einzusetzen, um die EU-Grenze "wasserdicht" zu bekommen. Und Grenzschutz und "Innere Sicherheit" läßt sich der EU-Vorturner auch etwas kosten: lag das Budget des BGS im Jahre 1989 bereits bei stolzen 1,3 Milliarden Mark, stieg es nach der Wiedervereinigung und dem Beginn der Abschottungspolitik auf 2,2 Millarden 1993 und ganze 3,13 Milliarden im Jahre 1998.

Wir müssen uns dabei von dem gängigen Bild der Grenze als Linie verabschieden, uns vielmehr Grenze inzwischen als Raum vorstellen, der als eine Art Sicherheitszone 30 Kilometer ins Landesinnere hineinreicht. In dieser Zone haben BGS und Zoll dieselben Befugnisse wie die Landespolizeien, oftmals auch noch darüber hinaus reichende. Sie haben das Recht zu "ereignis- und verdachtsunabhängigen Kontrollen", dürfen also jede Person ohne Angaben von Gründen jederzeit und überall überprüfen, was sie der Rechtfertigung enthebt, wenn sie etwa nur nach phänotypischen Merkmalen kontrollieren. BGS und Zoll können Häuser observieren, Telephone abhören und jederzeit Razzien an sogenannten "gefährlichen Orten" durchführen. Die jüngsten Ergänzungen des BGS-Gesetzes (1998) erweitern diese Befugnisse der Grenzschützer auch auf Transitstraßen, Bahnhöfe (der BGS ist auch Bahnpolizei) und deren Umgebung in den Innenstädten. Von Bedeutung ist bei der Überwachung der Grenzräume auch im Landesinneren die Schleierfahndung, im Rahmen derer zumeist Zivilfahnder locker im 30-Kilometer-Raum und darüber hinaus an Weggabelungen und Knotenpunkten postiert sind und (zumal in Bayern, wo sie erfunden wurde) das Hinterland der Grenze ziemlich wirksam überwacht werden kann.

Die technische Ausrüstung des BGS mit neuester Technologie vergrößert noch den hohen Grenzschutz-Standard an den deutschen Ostgrenzen. Es seien nur einige dieser perfiden Instrumentarien genannt: So gibt es Kohlendioxid-Sonden, welche anhand der CO2-Werte in einem Container messen können, ob darin Menschen atmen; es gibt Infrarotkameras, Restlichtaufheller und Wärmebildkameras; aber auch natürlich Patrouillenboote auf Oder und Neiße, Hubschrauber und (bundesweit) mehr als 600 Spürhunde. (Österreich setzt darüber hinaus auch junge Wehrpflichtige, sogenannte Assisstentsoldaten) beim Grenzschutz ein. Die jungen, unerfahrenen und meist überforderten Soldaten leben während des Wehrdienstes in Zelten an der Grenze und müssen mit der Aufgabe fertig werden, "Illegale" zu verhaften. Außerdem setzt Österreich auch Bodenradar zur Grenzüberwachung ein).

Ein zentrales Moment der technologischen Aufrüstung der europäischen Flüchtlingsabwehr ist das High-Tech-Computersystem SIS, das Schengen Information System. Allein in Deutschland gibt es 9000 (zum Teil mobile) Terminals mit Zugriff auf das SIS. Von den 100 000den, die jährlich an den Schengen-Außengrenzen abgewiesen - allein Deutschland weist jährlich im Schnitt 100 000 Personen ab - und ins SIS als "unerwünscht" eingetragen werden, haben die wenigsten Geld oder Kenntnis von ihren Rechten, gegen eine solche Zurückweisung vorzugehen. Nicht selten hätten sie damit sicher Erfolg, denn das System des Einspeicherns und der Pflege der ins völlig Uferlose wuchernden Datenbestände ist einem internen, noch vertraulichen EU-Untersuchungsbericht zufolge nichts weniger als chaotisch und so gut wie nicht kontrollierbar. Diesem Bericht ist zu entnehmen, daß der Datenbestand 1995 3.9 Millionen Einträge enthielt, 1996 4.6 Millionen, 1997 bereits 5.9 Millionen und daß er im Jahre 1998 fast 8.7 Millionen gespeicherte Datensätze umfaßte. Dabei hält Deutschland den Rekord nicht nur bei der Eintragung von Namen nicht erwünschter Personen, sondern auch den des Einspeicherns sogenannter Alias-Namen, wobei es sich häufig lediglich um verschiedene Schreibweisen des selben Namens handelt, so daß ohnehin tausende Personen schon rein zufällig durch Namensübereinstimmungen in das SIS geraten und so vom Zutritt zur EU bzw. Schengen ausgeschlossen sind. Zu gestohlenen, gefälschten oder verlorenen Identitätspapieren gibt es übrigens fast 5.2 Millionen Einträge im SIS. Laut Schengener Durchführungsabkommen dürfen Datensätze nicht länger als drei Jahre nach dem Einspeichern gesichert werden. In Deutschland hat sich eingebürgert, daß dieser Zeitraum routinemäßig um je drei Jahre verlängert wird. Die Begründung: Es sei zu viel Arbeit, alle Datensätze ständig zu überprüfen, hier müsse auf eine verbesserte Datenverabeitungssoftware für das SIS gewartet werden.

In Deutschland werden die verschiedenen Fahndungssysteme zu einem Grenzterminalsystem gebündelt, für welches an den Ostgrenzen allein 700 Computer zur Verfügung stehen. Der nächste Schritt in diese Richtung dürfte die computergestützte Fingerabdruck- Kartei EURODAC sein... Darauf soll an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden, denn all diese technischen Mittel reichen bei weitem nicht an die "Hilfsbereitschaft" der Grenzbevölkerung heran.

Die Einbindung der Grenzbevölkerung in die Grenzkontrolle

Die FFM bezieht den Großteil der Daten und Statistiken zum Grenzregime direkt von der Grenzpolizei, nämlich aus dem jährlichen Jahresbericht des Bundesgrenzschutzes. Andere Zahlen sind schlicht nicht zu haben, allenfalls Schätzungen, was wohl in der Natur von Dingen wie heimlichem Grenzübertritt liegt. So erklärte der BGS-Sprecher in Frankfurt/Oder in Brandenburg etwa öffentlich, daß 50 % aller "Aufgriffe" heimlicher GrenzgängerInnen auf Hinweise aus der Bevölkerung zurückgehen. Ein BGS-Sprecher in Rothenburg an der Neiße in Sachsen (nördlich von Görlitz) sprach sogar von 70 bis 80 % Festnahmen aufgrund von deutschen Anrufern, die "Grenzverletzer" denunzieren. Dieses Ausmaß macht doch staunen und erschrecken, man möchte mehr über die Rolle normaler Leute beim Grenzschutz wissen und welches Gewicht der BGS seinen zivilen "Helfern" beimißt und welche Art von Propaganda Menschen dazu bringt, es für richtig und notwendig zu halten, Flüchtlinge und MigrantInnen anzuzeigen.Foto

Das Horrorbild, das durch reißerische Medienberichterstattung regelmäßig bedient wird, spricht von einer Flut krimineller Elemente, welche sich im Osten sammeln, um in die EU zu schwappen, wo sie rauben, stehlen und morden , das soziale System zerstören, die Arbeitsplätze ihren rechtmäßigen BesitzerInnen entreißen und unwägbare Ausmaße der sogenannten Organisierten Kriminalität mitbringen werden, dringt nahezu ungefiltert die in die Köpfe der Menschen ein, da es so gut wie keine kritischen Stimmen zu dem Thema gibt, die auf differenzierte Weise versuchen würden, sich den Phänomene von Flucht und Migration zu nähern. Es gibt zweifellos etwas wie "Grenzkriminalität", die Umstände sind einfach zu einladend (zumal an Grenzen, die Scheidelinien enormer Wohlstandsgefälle markieren). Doch das Ergebnis der pausenlosen Indoktrination der Menschen (nicht nur an der Grenze) ist, daß jedes gestohlene Auto oder Fahrrad, jeder Diebstahl oder Raub und jeder gewaltsame Übergriff auf irgendjemand umstandslos den "Ausländern" angelastet wird. Indem Flüchtlinge und MigrantInnen, die so gut wie keine legale Möglichkeit der Einreise mehr haben, mit den Schlagworten "Illegaler" oder "illegale Einreise" belegt werden, verfestigt sich in den Köpfen der Medienkonsumenten das Bild, daß jedeR heimliche GrenzgängerIn einE KriminelleR ist. Nachdem dieses Bild in solcher Klarheit und unwidersprochen entsteht, sieht sich kein Mensch mehr veranlaßt, nach mehr Informationen über die Betroffenen zu fragen, nach den Beweggründen ihrer Flucht, ihres Aufbruches, nach ihren Schicksalen und Leben. Darüber hinaus wird jedeR "GrenzverletzerIn" ohne Not mit einem Gesetzesbruch identifiziert, den als Schwerverbrechen zu betrachten sich inzwischen durchgesetzt hat, der "Menschenschmuggel". Diese Behauptung ließe sich mit zahllosen Zeitungsartikeln und ministeriellen Verlautbarungen belegen. Schon Manfred Kanther war ein Meister darin, die Menschen mit solchen Schauermärchen in Angst zu versetzen und auch sein Nachfolger Otto Schily scheint ihm hierin kaum nachzustehen.

Der BGS betreibt (nicht nur) in der Grenzregion auch eine eigene Werbe- und Informationspolitik. So bietet er das sogenannte "Bürgertelefon" an. Von jedem Ort in Deutschland aus kann man den BGS mit einer gebührenfreien Servicenummer rund um die Uhr erreichen. In jeder grenznahen Zeitung, auf jedem Polizeiauto und in jeder Telephonzelle findet sich die Nummer, um die Bürger zu ermutigen, jede verdächtige Bewegung in ihrer Umgebung zu melden.

In der Grenzregion ist keinerlei signifikante Zunahme der Kriminalität zu verzeichnen. Im Gegenteil: In den meisten Orten, die die FFM untersuchte, sinkt die Kriminalitätsrate, oft in Zehn-Prozent-Schritten pro Jahr. (Ein Beispiel von vielen: 1997 fiel die Kriminalitätsrate im Gebiet der Polizei Frankfurt/Oder offiziellen Zahlen zufolge um elf Prozent, in der Stadt selbst sogar um 16,3%. In Görlitz, Ost-Sachsen, gab es eine Reduzierung um 27%.) Der BGS versucht einen Erklärungsspagat: Zum einen betont er die Wichtigkeit seiner Anwesenheit mit der extrem hohen Kriminalitätsrate, und gleichzeitig schreibt er sich das enorme Absinken der selben als Erfolg auf die Fahne. Wenn diese sinkenden Raten der Öffentlichkeit präsentiert werden, spricht der BGS dessen ungeachtet bevorzugt vom "subjektiven Sicherheitsempfinden" der Bürger, das nach einer Zunahme der Polizeidichte und von Kontrollen verlange.

Tatsache ist, daß fast jeder kriminellen Tat die "Fremden" geziehen werden. Die Leute berichten sogar von Ängsten, wenn sie nachts unterwegs sind, aufgrund gewalttätiger "Ausländer" überall: Diese Angst ist besonders absurd, da die einzigen, die in dieser Region Gefahr laufen, (oftmals mit tödlichem Ausgang) attackiert zu werden, ausländische, also nicht "deutsch-aussehende" Menschen selbst sind.

Ergebnis dieser Imagepolitik der Angst ist es, daß der BGS durchaus mit der freiwilligen und eifrigen Hilfe der GrenzbewohnerInnen rechnen kann, und das, ohne Belohnungen dafür zu vergeben. In Zeiten einer Arbeitslosigkeit, die selten unter 20% liegt, ist der BGS zudem ein interessanter und geschätzter Arbeitgeber, die Zahlen wurden bereits genannt. Ein weiterer Aspekt trägt zur Popularität des BGS bei: In den Zeiten des kalten Krieges war der BGS eine paramilitärische Einheit, die einen potentiellen kommunistischen Eindringling bekämpfen sollte. Neuerdings hat sich der Grenzschutz jedoch zu einer hochflexiblen und integrativen Polizeitruppe entwickelt, die sich den Bürgern beständig angenähert hat. FotoWas kurz nach dem Fall des eisernen Vorhangs von den Einheimischen noch fast wie eine Besatzungsmacht empfunden worden war, ist nun ein wichtiger Bestandteil des Alltags: Viele der BGS-Offiziere leben in der Nähe ihres Arbeitsplatzes, oder kommen direkt aus der Grenzbevölkerung. Etliche von ihnen waren vor ihrer Anstellung auch lange arbeitslos. Die Funktion als Arbeitgeber ist äußerst wichtig für das Ansehen der Grenzpolizei. (Es wird interessant sein, ob sich etwas und wie es sich verändern wird, wenn Polen der EU beigetreten ist, und die ganzen Sicherheitsvorkehrungen an dieser Grenze somit überflüssig werden.)

Es gibt noch weitere Phänomene, die die These der FFM stützen, daß Bürger in die Grenzkontrolle mit sozialtechnologische Praktiken einbezogen werden. Überall in Grenznähe schießen Bürgerwehren aus dem Boden, die ihre eigenen privaten Grenzwächter stellen. Mit selbstentworfenen Uniformen, Taschenlampen, Ferngläsern, Knüppeln und oft gar Gaswaffen patroullieren erwachsene Menschen nachts an der Grenze entlang oder stehen dort Wache. Der FFM wurde dieses Treiben bekannt durch eine rassistische Belästigung eines Jugendlichen in der Nähe von Forst an der Oder, als er sich um 22 Uhr auf dem Heimweg befand. Er wurde, mit anderen, von den selbsternannten Grenzwächtern angehalten und kontrolliert, weil er dunkelhäutig ist. Der BGS wurde gerufen, und die jungen Leute mußten bis zu seinem Eintreffen eine halbe Stunde warten, dann durften sie gehen. Durch die Klage der Mutter eines der festgehaltenen Jugendlichen wurde offenbar, daß der BGS und die Landespolizei eng und vertraulich mit den privaten Grenzschützern kooperieren. Als sich die Angelegenheit zu einem richtigen Skandal auswuchs, leugnete der BGS eine Zusammenarbeit. Mittlerweile sind diese zivilen Patroullien in ein Programm des Innenministeriums von Brandenburg einbezogen, das "Sicherheitspartnerschaft" heißt und im Rahmen dessen Privatpersonen ihre Nachbarschaft bewachen. Sie sind nicht bewaffnet. Ihre Aufgabe ist es, die Polizei zu rufen, falls sie etwas Verdächtiges bemerken. Bisher gibt es solche Sicherheitspartnerschaften in 50 Orten Brandenburgs und weitere auch in Sachsen.

Auf offizieller Ebene gibt es ebenso "Denunziationsverbünde" zwischen staatlichen Stellen wie dem Arbeitsamt und den Sozialbehörden, die informell eng zusammenarbeiten, um illegale ArbeiterInnen oder Menschen ohne legalen Status aufzuspüren. Aber auch regierungsunabhängige Institutionen wie Berufsverbände und Handelskammern sind ähnlich eingebunden. Die andere Seite der Medaille der Einbeziehung der Grenzbevölkerung in die Grenzkontrolle: auf Menschen, die keine Hilfssheriffs der Grenzpolizei sein wollen, warten harte juristische Sanktionen.

Deutsche Jagdgesellschaft an der Grenze

Das Ergebnis alles Beschriebenen ist eine Atmosphäre, in der sich Dinge wie das folgende ereignen können, ohne daß irgendjemand Alarm schlüge angesichts derartiger Monstrosität: Am 15. Mai 1998 überquerte eine Gruppe von 12 Personen heimlich die Grenze südlich von Schwedt. Ein Einwohner informierte den BGS. Die Grenzschützer stoppten die "Grenzverletzer" um halb zwölf Uhr nachts und nahm sie fest, bis auf einen jungen Kosovo-Albaner, der entfliehen konnte. Was nun geschah spottet jeder Beschreibung: Mehr als vier Stunden lang hetzte eine Jagdgesellschaft, bestehend aus BGS-Beamten, Zollbeamten, Landespolizisten und der lokalen Freiwilligen Feuerwehr, ausgerüstet mit Autos, Hunden und Lichtanlagen sowie Unterstützung aus der Luft durch einen BGS-Hubschrauber den flüchtigen Bürgerkriegsflüchtling. Nach Stunden versuchte der Gejagte sich aus der Umzingelung durch diese Streitmacht zu befreien, indem er neben einer Brücke, auf der BGS-Beamte thronten, durch einen Kanal schwamm. Aufgrund der Erschöpfung durch die Hetzjagd ging er unter und ertrank. Man muß sich immer vor Augen halten, welcher Straftat dieser Mann bezichtigt wurde: er hatte lediglich auf unerlaubte Weise die Grenze überquert. Und was die Episode aus dem Grenzalltag noch erschütternder macht, ist die Tatsache, daß diese unglaubliche Tragödie keinerlei Beachtung in den Medien fand, lediglich die Lokalzeitung berichtete davon. Daran zeigt sich, wie sehr der erschreckende Mangel an humaner Orientierung immer mehr zur Normalität wird.

Die Antirassistische Initiative Berlin (ARI) hat mit der FFM die Opfer des deutschen Genzregimes und der Ausländerpolitik "gezählt" und ihre Tode dokumentiert: an allen deutschen Grenzen starben seit der Grundgesetzänderung 1993 88 Menschen beim Versuch, heimlich einzureisen, 67 Menschen allein an den Ostgrenzen; 54 Abschiebehäftlinge begingen angesichts der drohenden Abschiebung Selbstmord, mindestens 95 wurden bei einem Selbstmordversuch schwer verletzt; 5 Menschen starben während ihrer Abschiebung aufgrund von Mißhandlungen durch deutsche Beamte, 33 Abgeschobene wurden verletzt; 4 Personen wurden nach der Abschiebung im Heimatland ermordet, mindestens 86 wurden von Militärangehörigen oder Polizeibeamten im Herkunftsland verhaftet, mißhandelt oder gar gefoltert, 11 der Abgeschobenen verschwanden spurlos. Und bei dieser Aufzählung handelt es sich nur um jene Fälle, die bekannt wurden, also in irgendeinem Medium erwähnt wurden. Die tatsächlichen Zahlen dürften um vieles höher liegen. Europaweit sind im übrigen über 1100 Tote entlang der EU-Außengrenzen zu beklagen, ein Großteil derer beim Versuch, das Mittelmeer zu durchqueren, ertranken.

Abschließend lässt sich sagen, dass für die Polizei, Behördenvertreter und Politiker der "inneren Sicherheit" die Grenzregion eine Art Laboratorium ist. Sie wollen wissen, wie weit sie gehen können, bis zu welchem Maß GrenzregionsbewohnerInnen bereit sind, kostenlos Hinweise auf verdächtige Bewegungen in ihrer Umgebung zu geben und inwieweit die Politik der Abschreckung gegen die Gegner dieses Sicherheitskonzeptes Wirkung entfaltet.

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