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Kommerzielle Fluchthilfe- die Reisebüros für
Flüchtlinge
Um die Effekte der offiziellen Propaganda zu verdeutlichen, lohnt es,
einen genaueren Blick auf den Mythos der Schlepper und Schleuser zu werfen:
Das Bild, das in den Medien und offiziellen Verlautbarungen erscheint, ist
das von besonders skrupellosen und brutalen Verbrechern, welche die
Ärmsten der Armen ausbeuten und nebenher noch Drogen, Waffen und
kriminelle Energie mitbringen und die wahrscheinlich ein Zweig der
Russen-Mafia oder welcher auch immer sind. Todesfälle von
Flüchtlingen und MigrantInnen beim Versuch nach Schengenland
einzureisen, lassen sich hervorragend dazu instrumentalisieren, um dieses
Bild zu bestätigen. Einer der schlimmsten Vorfälle dieser Art war
1997 der Erstickungstod von 18 Tamilen auf der Ladefläche eines
Lastwagens. Kein Zweifel, es sind kriminelle Elemente in dieses
Geschäft verwickelt, Frauen werden in die Prostitution gezwungen,
andere in sklavenähnliche Abhängigkeitsverhältnisse
geführt. Aber die Mehrzahl aller Fluchthilfe-Handlungen ist
verantwortungsvoll geplant und ein reelles Geschäft.
Solange es nützlich erscheint, um die FluchthelferInnen anzuklagen,
sind die Flüchtlinge willkommen in der Rolle der Opfer, die mit
falschen Versprechungen zum Aufbruch überredet werden, die des
mühsam von den ohnehin bitter armen Familien zusammengesammelten
Geldes beraubt und dann zur extrem gefährlichen, strapaziösen und
illegalen Reisen nach Westeuropa verführt werden, um sich dort dann
einer rassistischen Gesellschaft ausgeliefert zu sehen, die sich ihrer
nicht annimmt - ein Elend!
Tatsache ist jedoch, daß die kommerziellen oder professionellen
FluchthelferInnen wie "normale" Geschäftsleute arbeiten, die
durchaus auf ihren Ruf bedacht sein müssen, der schnell von
abgeschobenen, ehemaligen KlientInnen zerstört werden kann. Der Preis,
den Menschen dafür bezahlen müssen, um von Sri Lanka nach
Deutschland gebracht zu werden liegt etwa zwischen 12 000 und 15 000 Mark.
Die zum Aufbruch entschlossenen Leute - denn es sind Leute mit einem
eigenen Willen und nicht Verführte - sammeln diesen Betrag in der
weiteren Familie, die oft alle verfügbaren Ersparnisse zusammenwerfen,
um wenigstens für ein Familienmitglied eine Chance und
Lebensperspektive zu erwerben. Dann treten sie mit dem im Ort wohlbekannten
"Agenten" und die Sache wird verhandelt. Dann geht die Reise -
übrigens in der Regel bis zur deutschen Ostgrenze auf legalem Wege -
über Moskau, Kiew oder Vilnius nach Polen und an die deutsch-polnische
Grenze. Seit ein, zwei Jahren hat sich übrigens der Schwerpunkt,
zumindest der "Aufgriffe" des BGS, deutlich an die
deutsch-tschechische Grenze verlagert (1998/19 200 Personen),
möglicherweise, weil die polnisch-deutsche Grenze immer
"dichter" wird (1996/10 600; 1998/4 800).
Schleuser sind Fluchthelfer
Erhellend ist es auch, sich in diesem Zusammenhang Urteile des
Bundesgerichtshofes (BGH) aus den 70er Jahren anzusehen, in welchen das
Gericht es für rechtens hält, Leuten nicht nur beim
Überqueren der deutsch-deutschen Grenze zu helfen, sondern auch,
für diese Dienstleistung Honorare bis zu 40 000 Mark zu nehmen. Die
"Schleuser" hießen damals "Fluchthelfer" und es
war eine Heldentat, einem ehemaligen DDR-Bürger - übrigens ein
klassischer "Wirtschaftsflüchtling" - "illegal"
über die Grenze zu helfen. Noch heute sind Fluchthilfe-Honorare als
"besondere Belastungen" von der Steuer absetzbar. Es kommt halt
doch nur auf den Blickwinkel an.
Die große Mehrheit aller professionell organisierter
Fluchthandlungen und Migrationen sind ein faires und reelles Geschäft,
dessen Marktförmigkeit auch jenseits der Gesetze besticht. Oft sind es
die Communities selbst, die für ihre Landsleute die Reise
organisieren. Häufig vertraut man sich nur für den letzten
Schritt, das Überqueren der EU-Außengrenze, einem tschechischen,
polnischen oder deutschen Begleiter mit Ortskenntnis an. (So waren 1996 von
den 387 verhafteten "SchleuserInnen" 226 aus Polen, 77 aus
Deutschland und 18 aus Tschechien).
Eine weitere Information zeigt, daß mit der Entfernung, die
Menschen bis nach Europa zurücklegen müssen, ihre
Abhängigkeit von professionellen Diensten zunimmt. Menschen aus
Osteuropa versuchen den heimlichen Grenzübertritt meist auf eigene
Faust. Andere aus Nahost, dem Balkan, Afrika, Asien oder noch weiter
entfernten Ländern brauchen die Hilfe von FluchthelferInnen. Trotz
allem und immer noch: die Anzahl der Flüchtlinge und MigrantInnen, die
FluchthelferInnen um Hilfe beim Grenzübertritt bitten, liegt kaum bei
einem Drittel derer, die dabei dann festgenommen werden. (Das waren 1996:
von 27 000 Festgenommenen kamen 7364 mit FluchthelferInnen; 1997 wurden 35
205 Personen an der Grenze festgenommen, von denen sich 8288
"schleusen" ließen; 1998 waren es 40 200 Festgenommene
(davon übrigens 13 000 Kosovo-Albaner, von denen sich 5632 helfen
ließen) und 12 500 "Geschleuste". Auffällig ist eher,
daß die Größe der Gruppen, die mit FluchthelferInnen ihr
Glück versuchen, zunimmt und angesichts zunehmend dichter Grenzen auch
deren Risikobereitschaft).
In dem Moment jedoch, wenn diese "Opfer von Schleppern und
Schleusern" im Landesinnern angekommen sind, mutieren sie in den Augen
Einheimischen und in den Medien augenblicklich zu Straftätern und
Kriminellen, je nachdem, wie es die Propaganda gerade braucht. Ganz
ähnlich wurde auch mit den Flüchtlingen aus dem Kosovo Anfang
1999 verfahren: Solange sie heimlich einreisten, waren es die für ihre
kriminelle Energie und blutrachebedingte Reizbarkeit berüchtigten
Hütchenspieler und Mafiosi, als es aber galt, den
"humanitären Einsatz" der NATO-Bomber zu rechtfertigen,
waren es die besten Opfer mit den schrecklichsten Schicksalen, die sich
denken ließen. Nach dem Zusammenbruch Serbiens dreht sich der Wind
für die kosovo-albanischen "Schlitzohren" gerade wieder
gewaltig.
Tödliche Verfolgungsjagd
Ende Juli 1998 ereignete sich ein tragischer Unfall an der
deutsch-tschechischen Grenze, welcher geeignet ist zu erhellen, was sich an
diesen Wohlstandsgrenzen abspielt. Ein kleiner Laster wurde in der
Nähe von Freiberg in Sachsen vom BGS verfolgt. Nach einiger Zeit
verlor der Fahrer des Pickups die Kontrolle über das Fahrzeug, kam von
der Straße ab und fuhr gegen einen Baum und eine Mauer. Auf der
Ladefläche des Kleinlasters standen 28 Menschen, von denen sieben
starben und weitere 17 schwer verletzt wurden. Es handelte sich um
Kosovo-Albaner, die vor dem Bürgerkrieg geflohen waren und keine
andere Möglichkeit sahen, nach Deutschland einzureisen, als in diesen
umgebauten Laster zu steigen und damit zwar ihr Leben zu riskieren, aber
auch den Fahrpreis niedrig zu halten. Es ist sicher keine sonderlich
charmante Idee der Lasterfahrer, so viele Leute dort einzuzwängen,
keine Frage.
Aber können sie für eine Situation verantwortlich gemacht
werden, in welcher Flüchtlinge verzweifelt nach jeder noch so
riskanten Möglichkeit greifen, um durchzukommen? Kann man ihnen die
Verfolgungsjagd zur Last legen, in die der BGS das sichtlich
überladene Vehikel verwickelte? Die tschechischen Anbieter des
Transports über die Grenze reagierten mit ihrem Sonderangebot auf die
dringende Nachfrage nach billigen Grenzübertrittsmöglichkeiten,
aber es ist der deutsche Grenzschutz, der die Menschen veranlaßt,
auch ein hohes Risiko einzugehen, um heimlich nach Deutschland/Westeuropa
zu gelangen. Die meisten von ihnen haben im übrigen auch gar keine
Illusionen das deutsche Asylrecht betreffend mehr. Viele wollen nur etwas
Geld verdienen, um ihre Familien, wo auch immer, über den Winter zu
bekommen, oder sie wollen von Anfang an in der Illegalität und
für länger hier (über)leben.
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