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Februar 2000
Zur Verhaftung von Axel H., Harald G. und Sabine E., zur Abschiebung
von Frank L. und Alisia L. und zur Erstürmung des MehringHofes
Am Sonntag, 19. Dezember 1999, stürmten um 6.00 Uhr schwer
bewaffnete Spezialeinheiten von Polizei und Bundesgrenzschutz die
Privatwohnungen von Axel H. und Harald G. in Berlin. Anschließend
wurden sie nach Karlsruhe gebracht, wo ihnen am 20.12.1999 Haftbefehle
verkündet wurden. Im selben Zusammenhang erfolgte in Frankfurt
a.M. die Verhaftung von Sabine E.
Zeitgleich wurde die Umgebung des MehringHofes in Berlin-Kreuzberg
der Arbeitsstelle von Axel und Harald von ca. 1.000 PolizeibeamtInnen
umstellt. BeamtInnen verschiedener Bundesländer und Bundesgrenzschutz
samt Spezialeinheiten durchsuchten mit Schnüffelhunden den
MehringHof nach einem Sprengstoff- und Waffendepot, das sich dort
befinden sollte.Hohlräume wurden aufgestemmt, Türen aufgebrochen,
bis spät in den Abend hinein wurden alle Räume durchsucht
gefunden wurde nichts.
Festgenommen wurden bei der Durchsuchung Frank L. und Alicia L.,
zwei Flüchtlinge, die sich gegen Ende einer Fete noch am Morgen
im MehringHof aufgehalten haben. Sie wurden in Abschiebehaft genommen
und sind mittlerweile nach Weißrußland und Bolivien
abgeschoben.
Die Verhaftungen und Durchsuchungen werden von der Bundesanwaltschaft
damit begründet, daß Tarek Mousli der wenige Wochen vorher
von der Bundesanwaltschaft (BAW) wegen Mitgliedschaft in den Revolutionären
Zellen (RZ) verhaftet worden war Axel H., Harald G. und Sabine E.
mit Aussagen belastet habe.
Axel H. soll danach Mitglied der RZ sein und ein Sprengstoff- und
Waffendepot im MehringHof betreut haben. Harald G. und Sabine E.
sollen gleichfalls Mitglieder der RZ bzw. der Roten Zora sein und
an einem Sprengstoffanschlag auf die Zentrale Sozialhilfestelle
für Asylbewerber in Berlin im Februar 1987 beteiligt gewesen
sein. Tarek Mousli soll weiter behauptet haben, daß Harald
G. und Sabine E. bei den Schüssen auf die Beine des damaligen
Vorsitzenden Richters des Bundesverwaltungsgerichts Günter
Korbmacher im Jahre 1987 beteiligt gewesen seien. Außerdem
soll Sabine im Jahre 1986 einen Anschlag auf den einstigen Leiter
der Berliner Ausländerbehörde Harald Hollenberg mitgewirkt
haben strafrechtlich sind letztere Vorwürfe nach Angaben der
BAW verjährt.
Harald hat 1994 die Forschungsgesellschaft Flucht und Migration
(FFM) mit begründet. Die FFM ist vor allem durch ihre kritische
Recherche und durch ihre Publikationen zu den Auswirkungen der Festung
Europa auf Flüchtlinge in den Grenzregionen sowie in den mittel-
und osteuropäischen Ländern bekannt geworden. In den mittlerweile
fünf Jahren FFM hatte Harald entscheidenden Anteil an der Recherche-
und Öffentlichkeitsarbeit. So hat er die Dokumentationsstelle
Menschenrechtsverletzungen an der Grenze mit aufgebaut. Er hat den
Versuch der staatlich erzwungenen Einbeziehung gesellschaftlicher
Gruppen in die Ausgrenzung von Flüchtungen und MigrantInnen
anhand der Verurteilungen von TaxifahrerInnen an den östlichen
Grenzen Deutschlands recherchiert und öffentlich gemacht. Zuletzt
beteiligte er sich an der Beobachtung eines Prozesses in Cottbus.
Dort stehen junge Nazis vor Gericht, die im Februar 1999 einen algerischen
Flüchtling in Guben in den Tod gehetzt hatten. Die Verhaftung
von Harald reißt nicht nur eine große Lücke in
die ohnehin personell schwierige Situation der FFM, sondern auch
in die flüchtlingsunterstützenden Netze wie den Flüchtlingsrat
Brandenburg, dem Harald ebenfalls angehört. Eines seiner künftigen,
von ihm bereits mit vorbereiteten Projekte ist die
Mitarbeit am Internationalen Menschenrechtsteam an der Grenze ;
damit soll die kritische Beobachtung der polizeilichen Fahndungs-
und Behandlungspraxis gegenüber Flüchtlingen an der östlichen
Schengener Außengrenze zum regulären Aufgabenfeld international
anerkannter Menschenrechtsgruppen werden.
Axel ist mit dem MehringHof seit seinem Bestehen eng verbunden.
Bevor er die Stelle als Hausmeister antrat, war er Mitglied des
Kneipenkollektivs Spectrum, das er seinerzeit mit gründete.
Das legendäre Specci war eine der ersten kollektiv geführten
Berliner Szenekneipen und zog 1980 mit den ersten Projekten in den
MehringHof ein. Das Spectrum war ein Ort, wo regelmäßig
Solidaritätskonzerte, -feten und politische Veranstaltungen
zu den verschiedensten Themen stattfanden, die die Linke in den
80er Jahren bewegten. Nach Auflösung des Kollektivs wurde der
Gewinn in ein Schulbauprojekt in Nicaragua gesteckt und in eine
Seifenmanufaktur für salvadorianische Flüchtlingsfrauen.
Gegen Ende der 80er Jahre hatte Axel an der Errichtung eines kommunalen
Radios im Süden Nicaraguas mitgewirkt. Bis zu seiner Verhaftung
war er in dem Initiativkreis gegen den Schlußstrich aktiv,
der sich in Berlin im Zusammenhang mit dem geplanten Mahnmal für
die ermordeten europäischen Jüdinnen und Juden gebildet
hatte. Der Initiativkreis wendet sich dagegen, dass mit dem Holocaust-Mahnmal
ein historischer Schlußstrich unter die deutsche Vergangenheit
gezogen wird und es als Symbol einer abgeschlossenen Geschichte
funktionalisiert wird. Axel, wie viele andere von uns, gehört
jener Generation an, für deren Politisierung die Auseinandersetzung
mit den Verbrechen des Nationalsozialismus ausschlaggebend gewesen
ist.
Bei der Erstürmung des MehringHofes nahmen die strafverfolgenden
Behörden gezielt in Kauf, daß durch die Durchsuchung
wieder einmal das politische und kulturelle Projekt MehringHof,
das über 30 Gruppen, Initiativen und Gewerbebetriebe unter
seinem Dach vereint und über 120 Menschen einen Arbeitsplatz
bietet, zum Vorführ-Objekt verschiedener JournalistInnen und
PolitikerInnen wurde. Die zwanzigjährige Geschichte des MehringHofes
steht für eine unabhängige, unbequeme und vielfältige
Kultur des Protestes und für ein Engagement für eine gerechte
Gesellschaft. Neben gewerblichen Einrichtungen wie Verlagen, einer
Druckerei, einem Fahrradladen und einem linken Buchladen finden
hier unterschiedliche soziale, kulturelle und politische Initiativen
Platz. In der letzten Zeit hat der gesamte MehringHof eine übergreifenden
Initiative für Flüchtlinge ohne Papiere beschlossen. So
entschieden sich anläßlich des 20-jährigen Jubiläums
alle MieterInnen für die praktische Solidarität mit Flüchtlingen,
MigrantInnen und Illegalisierten durch die Übernahme einer
Patenschaft.
Zum Sonder-Beweismittel des Bundeskriminalamts und der Bundesanwaltschaft:
Kronzeuge Tarek Mousli
Die Durchsuchung des MehringHofs und die Haftbefehle beruhen nach
Angaben der Ermittlungsbehörden ausschließlich auf den
Anschuldigungen des Kronzeugen Tarek Mousli. Der Vorwurf, dass im
MehringHof Sprengstoff und Waffen gelagert wären, wurde bereits
zu Beginn der Polizeiaktion zu einem Schlag ins Wasser: im MehringHof
wurde nichts davon gefunden. Tarek Mousli hat sich offensichtlich
als Kronzeuge den Ermittlungsbehörden angedient, belastet sich
selbst und hofft nun darauf, durch Angaben, die andere belasten,
ungeschoren davon zu kommen.
Diesen Rollenwandel im laufenden Ermittlungsverfahren versucht
die Bundesanwaltschaft (BAW) mit Hilfe der am 31.12.1999 ausgelaufenen
Kronzeugenregelung durchzusetzen. Die Mehrheit der Richter- und
Anwaltschaft bezeichnet den Rollenwandel vom potentiellen Angeklagten
zum Zeugen der Anklage wie insgesamt die Kronzeugenregelung als
Verstoß gegen ein fundamentales strafprozessuales Prinzip.
Kronzeugen werden von den Ermittlungsbehörden bei so genanntem
Ermittlungsnotstand aufgebaut, das heißt in Situationen, in
denen es keine Beweismittel gibt. Die strafverfolgenden Behörden
verhören den Kronzeugen während der Ermittlungen und Strafprozesse
weiter und können sie, die sich auf das Versprechen des Straferlasses
und des späteren Zeugenschutzprogramms eingelassen haben und
sich in absoluter Abhängigkeit von seinen Verhörern befinden,
je nach Opportunität auf neue Fährten setzen. Damit ist
der Manipulation der Ermittlungsverfahren und der Strafprozesse
durch BKA, BAW und andere Behörden Tür und Tor geöffnet.
Sie verschaffen sich damit ein von ihnen selbst kontrolliertes Instrument
der Beweisproduktion.
In der Praxis hat dieses Sonder-Beweismittel mehrfach dazu geführt,
dass die Kronzeugen in den Strafverfahren angesichts ihrer sinkenden
Glaubwürdigkeit immer absurdere Beschuldigungen vorbrachten.
Denn sie klammern sich in ihrer Angst, den Erwartungen der Justiz
nicht entsprechen zu können, an das Versprechen, dass der Strafnachlass
um so höher ausfallen wird, je gravierender die Taten sind,
von denen Kronzeugen angeblich sprechen können.
Die Partei der Grünen, die im Vorwahlkampf zu den letzten
Bundestagswahlen die ersatzlose Streichung nicht nur der Kronzeugenregelung,
sondern auch des Paragrafen 129 a und aller anderen politischen
Sondergesetze der 70er Jahre beantragte, schrieb am 11.12.1997 zur
Kronzeugenregelung: Sie provoziert zum einen Falschaussagen und
eröffnet die Möglichkeit der Einflussnahme durch die Ermittlungsbehörden
auf den Zeugen. Dies wird eindrücklich durch den Fall Nonne
belegt, der im Zusammenhang mit der Aufklärung des Mordes an
Alfred Herrhausen steht. Nonne widerrief seine bereits zuvor gestandene
Beteiligung an dem Anschlag und seine Angaben über den Tathergang
und die Tatbeteiligten. Seine Falschaussagen seien unter Druck der
Ermittlungsbehörden mit Geldzusagen veranlasst worden.
Wir fordern die sofortige und bedingungslose Freilassung von Axel
H.,Harald G. und Sabine E. und protestieren gegen die Abschiebung
von Frank L. und Alicia L.!
In einer Zeit,
- in der jährlich Zehntausende von Menschen an den Außengrenzen
Europas verhaftet, drangsaliert und zurückgeschoben werden,
- in der aufgrund der EU-Abschottungspolitik Tausende ums Leben
kommen,
- in der die rechte und rechtsextreme Mobilisierung politisch
wie kulturell einen für das Europa der Nachkriegszeit noch
nie dagewesenen Aufschwung erfahren hat,
- in der sich die rassistische Stigmatisierung und Ausgrenzung
von Flüchtlingen und MigrantInnen auf allen gesellschaftlichen
Ebenen zugespitzt hat,
- in der Menschen anderer Hautfarbe die berechtigte Angst haben,
jederzeit Opfer eines rassistischen Angriffs zu werden,
- in der alleine aus Deutschland jährlich über 30.000
Menschen per Flugzeug abgeschoben werden,
- in der antisemitische Überfälle, Anschläge auf
jüdische Friedhöfe, die Schändung von Gedenkstätten
erschreckend zunehmen,
- in der die Bundesregierung den ersten Angriffskrieg nach 1945
gegen Jugoslawien mit Auschwitz rechtfertigt,
- in der sich eine unwürdige und schäbige Verhandlungstaktik
von Seiten der beteiligten Firmen über die Entschädigung
für Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter hinzieht,
brauchen wir vielfältige Politikformen, die diesen Entwicklungen
gegensteuern und sie aufhalten.
Zum historischen und aktuellen Hintergrund
Ohne die Absicht, die Geschichte linker Gruppen und Bewegungen
im Moment der Repression stellvertretend zu schreiben, sind dennoch
folgende Anmerkungen angebracht.
Die vorgeworfenen Aktionen richteten sich gegen die staatliche
Flüchtlingspolitik und fanden 1986/87 zu einem Zeitpunkt statt,
als die Regierung, viele Politiker, Behörden und Medien das
durchzusetzen begannen, was heute barbarischer Alltag geworden ist:
Im Rahmen regelrechter Kampagnen setzten sie damals Abschiebeknäste
und Sammellager ein, setzten Gutscheine statt Bargeld und die Abschiebungen
in Folterstaaten durch.
Zu einem ersten Fanal wurde 1983 der Tod von Kemal Cemal Altun:
Er hatte sich nach Ablehnung seines Asylantrages aus dem Fenster
des Bundesverwaltungsgerichtes (Berlin) gestürzt, um seiner
Abschiebung in die Türkei zu entgehen. In der Neujahrsnacht
1983/84 verbrannten sechs Flüchtlinge in Abschiebehaft in Polizeiarrestzellen
am Berliner Augustaplatz (Abschiebeknäste waren damals noch
nicht etabliert). Sie hatten gegen ihre Einkerkerung, die Überbelegung
und die menschenunwürdige Behandlung protestieren wollen. Ihre
Wärter waren nicht zur Stelle, um ihnen während des Brands
aufzuschließen. Einzelne Behörden und Beamte setzten
die staatlichen und medialen Hetzvorgaben mit eigener Energie und
rassistischem Vorsatz in eine Flüchtlingspolitik um, zu einer
Zeit, als sie noch nicht vollends in Spezialgesetze gegossen war.
1986 betrieb der Berliner Senat - bundesweit mit einer so genannten
Sommerkampagne vorpreschend - eine Zuspitzung der Situation. Die
Berliner Polizeibehörden nahmen internationale Spannungen zum
Anlass, alle Berliner Flüchtlingsheime in Großrazzien
zu durchkämmen und besonders alle Flüchtlinge aus dem
arabischen Raum zu kontrollieren. Die Nord-Süd-U-Bahn, die
an der Ostberliner Friedrichstraße hielt, wurde zum Ort tagelanger
Polizeimanöver, bei der alle mitfahrenden ImmigrantInnen und
Flüchtlinge als ausländisch Aussehende stigmatisiert kontrolliert
werden sollten. Schließlich bewog die BRD die DDR dazu, das
Loch in der Mauer für Flüchtlinge zu stopfen, die keinen
anderen legalen Weg in die BRD mehr hatten als die nichtregistrierte
Einreise über den damaligen Grenzbahnhof Friedrichstraße.
Die Senatoren Kewenig und Lummer wollten mit der massenhaften Abschiebung
von Palästinensern in den libanesischen Bürgerkrieg ein
grausames Exempel für die künftige Abschiebepolitik statuieren.
1986/87 engagierte sich ein breites politisches Spektrum gegen
die Razzien und für das Bleiberecht der Flüchtlinge, sowie
für ihre menschenwürdige Unterbringung, Verpflegung und
gegen ihre gesellschaftliche Ausgrenzung und Isolation: in Berlin
z.B. wurde die Aktion Fluchtburg initiiert (Verstecken von Menschen
ohne Papiere); als Reaktion auf die Aufhebung des Abschiebestopps
in den Libanon, autonome und kirchliche Gruppen protestierten auf
den Flughäfen gegen Abschiebungen; die RZ griffen mit militanten
Aktionen ein; Stadtteilgruppen kauften die Gutscheine der Flüchtlinge
auf und übten durch Blockaden der Supermarktkassen Druck auf
die Lebensmittelketten aus, damit der Senat den Flüchtlingen
wieder Geld auszahlte; Flüchtlingsgruppen organisierten Beratung,
suchten die Lager auf und machten die unglaublich miserablen Zustände
dort öffentlich, erteilten den Flüchtlingen Sprachunterricht
und durchbrachen so die soziale Isolation. Das Verhältnis zwischen
all diesen Gruppen war keineswegs widerspruchsfrei, dennoch war
man/frau in einen gemeinsamen Prozeß eingebunden, der von
vielen Auseinandersetzungen und Diskussionen gekennzeichnet war.
Es ist aufschlussreich, die Erklärungen der RZ zu den Anschlägen
auch jenseits der Frage nach der Art ihrer Aktionen zu lesen und
in den Kontext der aktuellen deutsch-europäischen, inzwischen
globalisierten Politik der Flüchtlingsabwehr und Migrationsverhinderung
zu stellen. Denn nicht nur denjenigen, die diese Diskussionen der
80er Jahre mit geführt und den Protest gegen die Anfänge
der Flüchtlingspolitik der BRD mit getragen haben, sondern
auch Jüngeren drängen sich Kontinuitäten auf, was
den Ausbau der Festung Europa anbelangt. Bei einem Rückblick
scheinen freilich auch Diskontinuitäten und zahlreiche neue
Ansätze in der Praxis und Diskussion antirassistischer und
flüchtlingspolitischer Gruppen heute auf.
Ihre militanten Aktionen waren vor allem in Bereichen angesiedelt,
die Brennpunkte aktueller Auseinandersetzungen waren. Dies galt
auch für den Bereich der Flüchtlings- und Asylpolitik
in den 80er Jahren. Die Aktionen in diesem Bereich zielten vor allem
auf Sachbeschädigungen ab. Dazu zählten ein Anschlag gegen
das Ausländerzentralregister (AZR) in Köln (September
1986) ebenso wie gegen die Außenstelle des Bundesamtes für
die Anerkennung von Flüchtlingen in Dortmund (September 1987)
oder gegen die Zentrale Sozialhilfestelle für Asylbewerber
in Berlin (Februar 1987). Anspruch dieser Aktionen, bei denen zumeist
Akten und Datenbestände vernichtet wurden, war es, Flüchtlingen
einen Raum [zu] verschaffen, der nicht mehr staatlich kontrolliert
und reglementiert wird.
Zur Lebenssituation von AsylbewerberInnen in Berlin und andernorts
findet sich in der Erklärung zum Anschlag auf die Zentrale
Sozialhilfestelle für Asylbewerber (ZSA): Der auf niedrigstem
Niveau eingeengte Lebensstandard und die Mißachtung elementarer
Hilfeleistungen (...) ist nicht der Gipfel der Willkür, sondern
die Methode eines logisch funktionierenden, rassistischen Verwaltungsapparates.
Mit der heutigen Zwangsunterbringung in Sammelunterkünften,
der Kürzung des Sozialhilfesatzes um mindestens 30 Prozent
und seit einem Jahr der Politik des regelrechten Aushungerns bestimmter
Flüchtlingsgruppen (Kriegsflüchtlinge aus Ex-Jugoslawien,
besonders dem Kosovo) haben sich die Existenzbedingungen der Flüchtlinge
weiter verschärft. Die Arbeits- und Bildungsverbote, die rassistische
Schikane in den Behörden, eine gesundheitliche Mangelversorgung
bis hin zur Streichung jeglicher medizinischer Versorgung und die
Einschränkung der Bewegungsfreiheit über die Residenzpflicht
sind nur einige Facetten eines Systems, das die Vertreibung von
nicht erwünschten Menschen mit dem Mittel der Sozialpolitik
durchsetzt.
In der Erklärung zum Anschlag auf den Vorsitzenden Richter
am Bundesverwaltungsgericht Korbmacher (September 1987) kann man/frau
zum alten Grundgesetzartikel 16 lesen: Das Asylrecht ist seinem
Wesen nach eben nicht einklagbares Individualrecht konzipiert worden
- vielmehr ist es von vornherein allen opportunen staatlichen Auslegungen
und imperialistischen Dispositionen geöffnet worden und daher
in seinem Kern ein Staatsschutzrecht. Folglich geht es heute nicht
um seine Aushöhlung, sondern um seine Modernisierung zu einem
paßgenauen Instrument imperialer Flüchtlingspolitik.
Korbmacher hatte in Urteilen gegen TamilInnen und KurdInnen Mitte
der 80er Jahre die Linie vorgegeben: Folter und Völkermord,
die der 'Abwehr von Umsturzversuchen oder Gebietsabtrennungen dienen',
sind keine politische Verfolgung, sondern notwendig, denn der Staat
selbst, sein Gebietsbestand und seine Grundordnung sind Schutzgüter'.
Jahre nach dem vielfältigen Widerstand gegen die staatliche
Flüchtlings- und Asylpolitik hat die Bundesregierung unter
Zustimmung einer großen Bundestagsmehrheit und begleitet von
Medienhetze und Pogromen das Asylrecht faktisch abgeschafft. Innenminister
Schily unternimmt derzeit Vorstöße, die allerletzten
formalrechtlichen Reste des Asylrechts zu schleifen und die Aufnahme
abgezählter Flüchtlingskontigente in die Krieg- und Aggressionspolitik
der EU zu integrieren.
Die tödlichen Folgen dieser in Justiz und Verwaltung eingespielten
Abschottungspolitik und Abschiebungspraxis lassen sich belegen:
an allen deutschen Grenzen starben seit der Grundgesetz-änderung
1993 bis heute 113 Menschen beim Versuch, heimlich einzureisen;
davon allein 87 an den deutschen Ost-Grenzen, 78 Abschiebehäftlinge
begingen angesichts der drohenden Abschiebung Selbstmord oder starben
bei dem Versuch vor der Abschiebung zu fliehen, mindestens 185 wurden
bei einem Selbstmordversuch schwer verletzt; 5 Menschen starben
während ihrer Abschiebung aufgrund von Mißhandlungen
durch deutsche Beamte, 97 Abgeschobene wurden verletzt; 9 Personen
wurden nach der Abschiebung im Heimatland ermordet, mindestens 239
wurden von Militärangehörigen oder Polizeibeamten im Herkunftsland
verhaftet, mißhandelt oder gar gefoltert, 33 der Abgeschobenen
verschwanden spurlos.. Europaweit sind über 1700 Tote entlang
der EU-Außengrenzen dokumentiert, ein Großteil von ihnen
ertrank bei Schiffbrüchen im Mittelmeer. Die tatsächlichen
Zahlen dürften um vieles höher liegen
Die EU ist dabei, ihr Flüchtlingskonzept zu erweitern und
nicht nur auf Osteuropa und die Transitstaaten, sondern auch - über
die auf dem EU-Sondergipfel im Oktober 1999 in finnischen Tampere
verabschiedeten Aktionspläne - weltweit bis in die Flüchtlinge
produzierenden Kriegs-, Bürgerkriegs-, Krisen- und Elendsgebiete
auszudehnen. Die EU bereitet sich inzwischen darauf vor, auch militärisch
in ihre von ihr reklamierten Hinterhöfe und Einfluss-Sphären
militärisch einzugreifen, um eine Regionalisierung von Flucht
und Migration zu erzwingen und Menschen auf der Flucht in geschlossene
Flüchtlingslager umzuleiten und mit Waffengewalt festzuhalten.
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