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Urteil
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VII. Aktivitäten der Berliner RZ
1) Schußwaffenattentat auf Harald Hollenberg
Der Zeuge Mousli hat bekundet, die Angeklagten E. und Sch. seien
so, wie festgestellt, an dem Anschlag auf Hollenberg beteiligt gewesen.
Es habe von Anfang an festgestanden, daß "Jon" und
"Judith" die Tatausführung übernehmen sollten;
"Jon" habe der Schütze sein sollen. Nach der Tat
hätten sie erklärt, sie sei so, wie geplant, durchgeführt
worden. Es sei nicht mitgeteilt worden, daß der von Lothar
E. und ihm ausgekundschaftete Fluchtweg über den kleinen Bahnübergang
nicht gewählt worden sei., "Heiner" statt dessen
in der Nähe des Tatortes am Hegauer Weg mit dem Fluchtfahrzeug
gewartet habe und dieses gekauft und nicht das gestohlene verwendet
worden sei.
a) Der Angeklagte Sch. hat sich zu dem Anschlag auf Hollenberg
so, wie oben unter III. 1) a) bereits ausgeführt, eingelassen.
Den Namen der Frau, die angeblich die Schützin gewesen sein
soll, nannte er nach seiner Haftentlassung erst Monate später
in einem Beweisantrag. Zu der Tatausführung räumte er
das ein, was aufgrund der bis zu seiner Einlassung durchgeführten
Beweisaufnahme ungeachtet der Aussage des Zeugen Mousli ohnehin
bewiesen war.
So hat der Zeuge Galonska bekundet er sei mit einem Tieflader in
den Hegauer Weg gefahren, um einen Radlader abzuholen. An der Ecke
zur Idsteiner Straße habe ein VW Passat vor einem Bauwagen
geparkt, dessen Lenker ein Mann mit dunklem Schnurrbart gewesen
sei. Eine Frau sei angelaufen gekommen, gefolgt von einem Mann,
der ein Klappfahrrad geschoben habe, das sie hastig zusammengeklappt
und mit Mühe in dem Passat verstaut hätten, wobei der
Fahrer des Fluchtfahrzeugs ausgestiegen sei und geholfen habe. Sie
seien dann weggefahren. Er habe geglaubt, daß das Fahrrad
gestohlen worden sei und habe deshalb das Kennzeichen des Pkw's
notiert. An der Glaubhaftigkeit der widerspruchsfreien und sachlichen
Bekundungen dieses unbeteiligten Zeugen, der sich an die Ereignisse
noch sehr gut erinnern konnte, bestand kein Zweifel. Mit dieser
Aussage stimmt die Einlassung des Angeklagten Sch. überein,
er habe das Klappfahrrad geführt, sie seien zu dem in der Nähe
geparkten Fluchtfahrzeug gelaufen und hätten das Rad dort verstaut.
b) Harald Hollenberg ist inzwischen verstorben. Der Zeuge KHK Großmann
hat ausgesagt, er habe ihn im Krankenhaus informatorisch befragt.
Hollenberg habe angegeben, nicht gesehen zu haben - ob der Mann
oder die Frau auf ihn geschossen habe; er vermute, daß die
Frau es gewesen sei. Denn er habe das Gefühl gehabt, daß
die Waffe direkt auf seine Waden aufgesetzt worden sei. Als er sich
umgedreht habe, habe er bei dem Mann in der Hand seines ausgestreckten
Armes eine Waffe gesehen, nicht bei der Frau. Sie habe 1 m, der
Mann 2 m hinter ihm gestanden. In seinen förmlichen Vernehmungen
hat Hollenberg im übrigen das Geschehen so, wie festgestellt,
geschildert. Als er das Gartentor geöffnet habe, habe er ein
Pärchen, das nach seinem Eindruck herumgealbert habe, mit einem
Fahrrad in seine Richtung laufend gesehen. Er hat die Frau mit vollem
runden Gesicht, großen dunklen Augen und dunklen Haaren beschrieben.
Die Aussagen des Harald Hollenberg sind, soweit er Tatsachen bekundete,
glaubhaft. Sie sind detailreich und weisen eine große Konstanz
auf.
Der Angeklagte Sch. hat sich die Vermutung des Geschädigten,
eine Frau habe geschossen, dessen Beschreibung der Frau und den
Umstand, daß in dem Flugblatt "Geschlechterkampf im Untergrund
- Teil 2" (Näheres unter dd)) ausgeführt wurde, "im
übrigen war es eine Frau, die auf Hollenberg geschossen hat",
zur Überzeugung des Senats mit dem Ziel zu nutze machen wollen,
die Angeklagte E. zu entlasten und den Zeugen Mousli als Lügner
hinzustellen. Die Aussage des Geschädigten vermag jedoch die
Behauptung des Angeklagten nicht zu stützen. Denn Harald Hollenberg
äußerte zu der Frage, wer der Schütze war, nur auf
Schlußfolgerungen beruhende Vermutungen; die Abgabe der Schüsse
hatte er nicht gesehen. Seine Annahme, die Frau habe geschossen,
weil er den Eindruck gehabt habe, die Waffe sei aufgesetzt gewesen,
hat sich nicht bestätigt. Aufgrund des überzeugenden Untersuchungsberichtes
des Sachverständigen Glietz, dem sich der Senat nach eigener
Würdigung angeschlossen hat, steht fest, daß es sich
nicht um aufgesetzte Schüsse handelte, die Waffe vielmehr in
einer Entfernung von etwa 1 m abgefeuert wurde. Der Zeuge irrte
also insoweit. Zweifelsfrei aber sah er den Mann mit der Waffe in
der Hand, der ihm zurief: "Keine Bewegung!"
c) Nachdem sich die Angeklagten Sch., E. und H. eingelassen hatten,
benannte die Verteidigung des Angeklagten Sch. die Zeugin Barbara
W. zum Beweis dafür, daß sie die Schützin gewesen
sei.
aa) Die Zeugin, eine examinierte Sozialarbeiterin, hat bekundet,
es sei ihr nicht leicht gefallen, sich zur Aussage bereit zu erklären,
doch ertrage sie es nicht, daß jemand für eine Sache
beschuldigt werde, die er nicht gemacht habe. Sie kenne Sabine E.,
Rudolf Sch. und Axel H.. Am Morgen des 28. Oktober 1986 habe sie
Sch. am S-Bahnhof Zehlendorf getroffen. Sie habe eine Jacke, eine
etwas weitere Hose, einen Mantel bis zum Knie und eine schwarze
Perücke, die sie im KaDeWe gekauft habe, getragen. Sie seien
ins Auto gestiegen und zur Idsteiner Straße gefahren. An der
"Hegener Straße oder Weg" seien sie ausgestiegen,
hätten das Klappfahrrad herausgenommen und seien zu der Adresse
von Hollenberg gelaufen. Sch. habe ihr auf dem Weg eine Pistole
gegeben. Dort hätten sie gewartet, bis er herausgekommen sei.
Sie habe zwei Schüsse auf Hollenberg abgegeben, sei schnell
zum Auto gelaufen. Im Auto habe sie die Jacke ausgezogen und die
Perücke abgesetzt, die Pistole habe sie nach vorne gereicht.
Am S-Bahnhof Zehlendorf sei sie ausgestiegen und mit der S-Bahn
weggefahren. Gegen Mittag hätten sie sich in einer Wohnung
in der Oranienstraße getroffen, um abzuklären, ob alles
gut gelaufen sei. Sch. und sie seien zuerst da gewesen, Mousli sei
etwas später gekommen und habe erklärt, daß die
Fahndung eingeleitet worden sei. Er habe sie in den Arm genommen,
sie beglückwünscht und gesagt: "Gut so." Die
Zeugin hat keine weiteren zusammenhängenden Angaben gemacht,
sondern hat ausschließlich, soweit es auf ihrer Linie lag,
auf Fragen oder Vorhalte geantwortet. Dabei hat sie ausgesagt, sie
hätten die Tat geplant und vorbereitet. Sch. und sie seien
mit ihrem Auto nach Frankreich gefahren, an die Küste, in die
Normandie, wo sie unter Anleitung des Angeklagten Sch. schießen
geübt habe, weil sie keine schweren Verletzungen habe verursachen
wollen. Sie habe allein die Gewohnheiten von Hollenberg ausgekundschaftet;
zweimal sei sie mit Sch. dort gewesen. Auch Tarek Mousli habe den
Ort ausgecheckt. Sie hätten einige Zeit mit dem Klappfahrrad
geübt. Es sei ein grüner VW Passat Kombi gekauft worden.
Das alles habe Ende 1985 angefangen. Ihr Motiv sei die Situation
der Flüchtlinge gewesen. Hollenberg sei für den Brand,
bei dem Menschen umgekommen seien, verantwortlich gewesen. Von Diskussionen
mit Sch., E. und Mousli wisse sie nichts. Von dem Bekennerschreiben
habe sie später erfahren. Mousli habe sie 1986 im Zusammenhang
mit der Tat kennengelernt. Sie habe nichts davon gehört, daß
er Bedenken gehabt habe, auf Menschen zu schießen. Er sei
zur Tatzeit nicht am S-Bahnhof Zehlendorf gewesen; er habe sich
bei Alpha-Text aufgehalten. Es sei klar gewesen, daß das Auto
abgebrannt werde. Wer den Brandsatz hergestellt habe, wisse sie
nicht. Sie habe Mitte der 70er Jahre in den USA mal geschossen.
Sie wisse nicht, ob sie mit der beim Anschlag verwendeten Waffe
in Frankreich geübt habe. In welchem Ort sie dort gewohnt hätten,
wisse sie nicht. Der nächstgrößere Ort sei wohl
La Rochelle gewesen. Sie sei nicht Mitglied der Roten Zora gewesen.
Axel H. kenne sie seit Ende 1970. Er habe im "Spectrum",
im "Ex" und in einer Weinhandlung gearbeitet. Sabine E.
kenne sie seit Ende 1970/ Anfang 1971, Sch. seit 1986; sie habe
ihn in einer Wohnung in der Oranienstraße kennen gelernt.
Sie habe nicht gewußt, daß E. untergetaucht gewesen
sei, sie habe aber gewußt, daß sie Illegale gewesen
sei. Nach deren Haftentlassung habe sie sie einmal gesehen.
In Vorbereitung ihrer Aussage vor dem Senat habe ein länger
dauerndes Treffen stattgefunden, an dem ihr Rechtsanwalt Dr. Zieger,
sie und die Rechtsanwälte Eisenberg, Becker. Euler, Dr. König
und Studzinsky teilgenommen hätten, ein weiteres Treffen mit
Dr. Zieger, Euler und ihr und möglicherweise noch ein Treffen
mit Dr. Zieger, ihr und Rechtsanwalt Becker. Einzelheiten der Aussage
seien nicht besprochen worden. Sie wolle sich nicht dazu äußern,
ob die Anwälte Fragen gestellt hätten. Rechtsanwalt Dr.
Zieger habe zuvor Akten erhalten. Sie habe die Einlassungen von
Sch. und H. gelesen.
Im übrigen verweigerte die Zeugin unter Berufung auf ein Auskunftsverweigerungsrecht
Angaben
- zu den Angeklagten B. und G.
- zu .,Heiner", "Sigi" und "Toni"
- wie viele und welche Personen an dem Anschlag auf Hollenberg
beteiligt waren
- zu den RZ und Sch. im übrigen
- ob Sch. Mitglied der Berliner RZ war
- wer wegen des Anschlages auf Hollenberg an sie herantrat
- seit wann sich die Angeklagte E. in Berlin aufhielt
- zu ihrem, der Zeugin, Decknamen
- was sie von Albartus hörte, dessen Decknamen
- wer das Fluchtfahrzeug kaufte
- wer es gefahren hat.
bb) Die Aussage der Zeugin ist nicht glaubhaft. Schon ihr Aussageverhalten
als solches, das dem der Angeklagten Sch. und E. entspricht, macht
deutlich, daß sie keine umfassende wahrheitsgemäße
Darstellung geben, jede über deren Angaben hinausgehende Belastungen
der übrigen Angeklagten vermeiden und insoweit Fragen tunlichst
nicht beantworten wollte. Der Senat ist überzeugt, daß
sie nicht die Schützin war, und hält es für ausgeschlossen,
daß eine Frau an der Tat beteiligt war, die nicht den Berliner
RZ angehörte. In anderem Zusammenhang pochte der Angeklagte
Sch. darauf, daß die RZ eine hoch klandestine, konspirativ
arbeitende Vereinigung waren. Wenn das so war, und daran besteht
bereits aufgrund der RZ-Schriften und der Aussage des Zeugen Mousli
kein Zweifel, dann zieht man zur Tatbegehung vernünftigerweise
keine externe Person hinzu. Die Beteiligung der Zeugin als Schützin
wäre allenfalls dann nachvollziehbar, wenn sie Mitglied der
Roten Zora gewesen wäre; das aber hat die Zeugin bestritten.
Sollte eine Frau die Schützin sein - warum, ist von dem Angeklagten
Sch. nicht erklärt worden -, dann hätte die Angeklagte
E. als Mitglied der Vereinigung zur Verfügung gestanden. Hätte
eine Frau tatsächlich geschossen und hätte man das für
so wichtig gehalten, wäre das mit hoher Wahrscheinlichkeit
bereits in dem Bekennerschreiben herausgestellt worden; das aber
ist nicht geschehen. Es ist auch nicht einsehbar, warum jemand als
Schütze genommen werden sollte, mit dem der Angeklagte Sch.
erst Schießübungen machen mußte, wenn er selbst
kundig genug war, wovon auszugehen ist, weil er der Zeugin das Schießen
beigebracht haben soll. Letzteres bestätigt übrigens die
Aussage des Zeugen Mousli, "Jon" sei ein kundiger Schütze.
Es hätte auch dem oben beschriebenen Sicherheitskonzept der
RZ widersprochen, eine verhältnismäßig ungeübte
Person schießen zu lassen. Im "Revolutionären Zorn"
Nr. 5 hieß es, wie bereits erwähnt: "Bereitet man
eine Aktion vor, so muß man immer von den schlechtesten Bedingungen
ausgehen, d.h. jede Eventualität mit einkalkulieren. Die ganze
Geschichte durchspielen, bis sie nicht 100% sondern 1000% sitzt.
... Wer ein Material oder eine Waffe nicht absolut beherrscht, d.h.
vor allem auch äußerst sorgfältig damit umgeht,
bringt sich und andere damit um, bevor er dem Feind schaden kann."
Dem hätte es nicht entsprochen, eine Frau als Schützin
hinzuzuziehen, die 1975, also über 10 Jahre vor der Tat, in
den USA - wenn auch, wie der Senat aufgrund eines Beweisantrages
als wahr unterstellt hat, intensive - Schießübungen mit
Pistolen unternommen und in Frankreich mehrere Tage geübt hatte.
Die Zeugin schilderte die Tatausführung zunächst in einem
ganz groben Raster und erst auf Fragen und Vorhalte äußerte
sie sich jeweils nur in kargen Sätzen, ohne die Fragen oder
Vorhalte zum Anlaß zu nehmen, eine geschlossene Darstellung
zu den erfragten Sachverhalten zu geben, die die Glaubhaftigkeit
ihrer Aussage hätte vermitteln können. Sie konnte weder
die Farbe der Waffe noch deren Kaliber angeben. Sie sagte zwar,
daß bei der Tat auf die Waffe ein Schalldämpfer aufgesetzt
war, nicht aber, ob sie in Frankreich mit der Tatwaffe und aufgesetztem
Schalldämpfer geübt hatte. Ihre Aussage wirkte einstudiert,
Ihren Angaben fehlte vollständig der ideologische Überbau
der RZ; von der Flüchtlingskampagne, in deren Rahmen sich die
Berliner RZ für das Bleiberecht von Ausländern einsetzten,
hatte sie lediglich gehört. Nach den Angaben der Zeugin war
sie in die Diskussionen der Gruppe oder Gruppen über den Anschlag
nicht eingebunden. Auch das widersprach dem oben (VI. 8)) beschriebenen
Konzept der RZ, nach dem man sich genau kennen, alles eingehend
diskutieren und sich vertrauen sollte.
Befragt, was der Zeuge Mousli für ein Mensch sei, konnte sie
keine Angaben machen und erklärte nur, wenn er sich etwas vorgenommen
habe, setze er das auch durch. Die Zeugin räumte ein, die Einlassungen
der Angeklagten Sch. und H. gelesen zu haben, daß ihr Rechtsanwalt
Dr. Zieger Akten erhalten habe und mehrere Gespräche mit Verteidigern
stattgefunden hätten, Der Senat schließt daraus, daß
dies alles geschah, um die Zeugin über das Aussageverhalten
der beiden Angeklagten zu unterrichten und ihr Gelegenheit zu geben,
auf der Grundlage dieser Informationen ihr Aussageverhalten einzurichten.
Dem entsprach die Zeugin. Das wurde auch darin deutlich, daß
sie, abgesehen von dem Aufenthalt in Frankreich, den der Angeklagte
Sch. zunächst nicht erwähnt hatte. und der Behauptung,
auch sie und Sch. hätten die Gewohnheiten Hollenbergs ausgekundschaftet
- auch davon hat Sch. nicht gesprochen - sich an die Einlassungen
der Angeklagten Sch. und H. hielt. Darüber hinausgehende Fragen
beantwortete sie, wie erwähnt, mit dem Hinweis auf ihr Auskunftsverweigerungsrecht
nicht und sie hielt sich insbesondere an deren Linie, zu anderen
Angeklagten nichts zu sagen. In seiner ersten Einlassung hatte der
Angeklagte Sch. von dem angeblichen Aufenthalt in Frankreich nichts
gesagt. Wenn er tatsächlich stattgefunden hätte, hätte
es bei einem für die Verteidigung so wesentlichen Umstand nahe
gelegen, ihn schon damals zu erwähnen. Zur Überzeugung
des Senats steht fest, daß dieser - über die Zeugin eingeführt
und in einer nachgeschobenen Erklärung von dem Angeklagten
Sch. bestätigt - nachträglich erfunden wurde, um das Schießen
der ungeübten Zeugin glaubhaft erscheinen zulassen. Daß
sie über zehn Jahre zuvor in den USA intensiv und in Frankreich
einige Male geschossen hatte, machte sie nicht zu einer geübten,
sicheren Schützin.
cc) Den Bekundungen des damals die Ermittlungen führenden
Zeugen KHK a.D. Bredlow vom Berliner Staatsschutz zufolge wurde
Harald Hollenberg eine von den Beamten allein zum Zwecke der Identifizierung
der Täter zusammengestellte Mappe von Lichtbildern mit mindestens
130 männlichen und mindestens 80 weiblichen Personen vorgelegt,
die im Verdacht standen, linksextremistischen Gruppierungen anzugehören.
Der Zeuge war sich sicher, daß das Lichtbild des Angeklagten
H. beigefügt war, an weitere Personen konnte er sich nicht
erinnern. - Die Lichtbildmappe stand dem Senat nicht zur Verfügung,
weil der Zeuge KHK Hamann vom Berliner Staatsschutz sie inzwischen
versehentlich entsorgt hatte. Sie konnte nach so langer Zeit auch
nicht mehr rekonstruiert werden. - Nach den Bekundungen des Zeugen
KHK Großmann erkannte Harald Hollenberg die Täter auf
den Lichtbildern nicht. Selbst wenn sich ein Lichtbild der Angeklagten
E. in der Mappe befunden haben sollte, würde dies nicht gegen
ihre Täterschaft sprechen. Denn der Senat geht davon aus. daß
sie - was die Zeugin W. für sich behauptete - ihr Äußeres
durch eine Perücke, einen weiten Mantel und zusätzlich
etwa durch ausgestopfte Wangen verändert hatte, um ein Wiedererkennen
unmöglich zu machen. Das war sachgerecht, denn Harald Hollenberg
sollte überleben und hätte ohne Veränderung ihres
Aussehens die Täterin wiedererkennen können.
Nach den Angaben von Harald Hollenberg wurde, so der Zeuge Bredlow,
von der Täterin ein Phantombild gefertigt, das sie mit einem
vollen runden Gesicht, großen dunklen Augen und halblangen
dunklen Haaren bzw. einer dunklen Perücke darstellt. Es ist
bereits zweifelhaft, ob das Phantombild, auf das wegen der Einzelheiten
gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO verwiesen wird (Bd.
I der Akte 1 BJs 295/86-4, BI. 301 = SAO 52, BI. 301), überhaupt
das tatsächliche Aussehen der Täterin zutreffend wiedergibt.
Denn der Geschädigte Hollenberg hat sie nur ganz kurz und zudem
in einer extremen Streßsituation wahrgenommen. Das Bild stützt
im übrigen weder die Aussage der Zeugin W., sie sei die Schützin
gewesen, noch spricht es gegen die (Mit-)Täterschaft der Angeklagten
E.. Die Zeugin W. hat helle Augen und ein etwas herbes Gesicht.
Sie sieht dem Phantombild nicht ähnlich. Auch das von der Verteidigung
des Angeklagten Sch. vorgelegte Foto der Zeugin, das - wie der Senat
als wahr unterstellt hat - in der Mitte der 80er Jahre aufgenommen
worden ist und die Zeugin so abbildet, wie sie zum Zeitpunkt des
Anschlages auf Hollenberg ausgesehen hat, und auf das wegen der
Einzelheiten ebenfalls gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3
StPO Bezug genommen wird (Anlage 3 zum Protokoll der Hauptverhandlung
vom 19. Dezember 2003), ähnelt dem Phantombild nicht. Das Phantombild
sieht auch der Angeklagten E. nicht ähnlich. Wie bereits angesprochen,
spricht dies jedoch im Hinblick auf die Zweifelhaftigkeit der Realitätsnähe
des Phantomsbildes und die Veränderung des Äußeren
vor der Begehung des Anschlages nicht gegen ihre (Mit-)Täterschaft.
dd) Die Aussage der Zeugin W. wird nicht durch das Flugblatt gestützt,
das den Titel "Geschlechterkampf im Untergrund - Teil 2"
trägt und als Verfasser die Revolutionären Zellen ausgibt.
Das Flugblatt befaßte sich mit der Kritik der Roten Zora aus
dem Ruhrgebiet, daß das Buch "Der Weg zum Erfolg -RZ"
die Rote Zora "fast gänzlich aus der Dokumentensammlung
eliminiert", d.h. den Frauenkampf ausblendet. Das Flugblatt
wendet sich gegen diese Vorwürfe und führt - die antipatriarchale
Haltung rechtfertigend - zum Schluß aus: "... Schließlich
war es eine Frau, die dem Chef der berliner Ausländerpolizei
Hollenberg die Knie durchschossen hat, oder sind für euch Frauen,
die schießen, eigentlich doch Männer? Womit wir wieder
beim Sexismus wären." Wer das Papier verfaßte und
welche Erkenntnisse dieser Angabe, eine Frau habe geschossen, zugrunde
lagen, ist nicht überprüfbar, daher auch nicht, ob dies
dem tatsächlichen Geschehen entsprach oder der Kritik der Roten
Zora begegnet werden sollte. Ein nennenswerter Beweiswert kommt
ihm daher nicht zu.
ee) Auch die Aussage des Zeugen Rechtsanwalt Euler, des Verteidigers
des Angeklagten Sch., kann die Bekundungen der Zeugin nicht stützen.
Der Zeuge hat bekundet, er habe den Angeklagten Sch. bereits im
sog. Opec-Verfahren verteidigt und durch eine Pressemitteilung erfahren,
daß gegen Sch. ein neues Verfahren laufe. Er habe ihn am 20.
Dezember 1999 in der Haftanstalt besucht; Sch. sei über die
Verhaftung der Angeklagten E. sehr bestürzt gewesen. Anfang
Januar 2000 habe er von Bundesanwalt Griesbaum Vernehmungsprotokolle
des Tarek Mousli erhalten. Bei seinem weiteren Besuch Sch.s in der
Haftanstalt am 13. Januar 2000 habe dieser erklärt, Sabine
E. sei zur Zeit des Anschlags auf Hollenberg nicht in Berlin gewesen,
eine andere Frau habe auf ihn geschossen. Sch. habe ihm ein Papier
gegeben, auf dem der Name von Barbara W. gestanden habe, und dazu
angegeben, er wisse, wo man sie erreichen könne. Im Februar
2001 habe deren Rechtsanwalt Dr. Zieger, mit dem man Kontakt aufgenommen
habe, erklärt, daß sie bestätige, auf Hollenberg
geschossen zu haben, und daß sie zur Aussage bereit sei. -
Rechtsanwalt Euler wollte mit seiner Aussage nachweisen, daß
der Angeklagte Sch. den Namen der Schützin bereits zu einer
Zeit genannt hatte, da dieser mit ihr noch keinen Kontakt habe aufnehmen
und die Beschuldigung habe besprechen können. Der Senat vermag
dem nicht zu folgen. Denn für einen Inhaftierten bestehen durchaus
Möglichkeiten, etwa durch Kassiber zu Leuten außerhalb
der Anstalt Kontakt aufzunehmen oder durch Besucher unauffällig
Nachrichten übermitteln zu lassen. Es mag auch sein, daß
der Angeklagte, der die Zeugin W. spätestens seit dem gemeinsamen
Literaturzirkel, also seit langer Zeit kannte, den Namen der ihm
als zuverlässig und geeignet erscheinenden Zeugin nannte, weil
er davon ausging, daß sie nach der Verjährung dieser
Tat zu einem solchen Hilfsdienst bereit sei.
d) Der Zeuge Mousli hat bekundet, er habe nicht gewußt, daß
ein anderer als der von Lothar E. und ihm ausgekundschaftete und
verabredete Fluchtweg gewählt worden sei. Es sei abgesprochen
worden, daß "Jon" und "Judith" nach dem
Attentat mit einem Klappfahrrad über den Hegauer Weg, sodann
einen schmalen Weg, auf dem man sie nicht habe verfolgen können,
und einen kleinen Bahnübergang zur Berlepschstraße fliehen
sollten, wo sie "Heiner" mit dem Fluchtfahrzeug habe aufnehmen
sollen. "Jon" und "Judith" hätten von dem
tatsächlich genommenen Fluchtweg nichts berichtet. Auch diese
Aussage des Zeugen ist glaubhaft. Der Plan war, um nicht entdeckt
und gestellt zu werden, durchaus sinnvoll und überlegt. Der
relativ weitab vom Tatort gelegene Standort des Fluchtfahrzeugs
in der Berlepschstraße hätte den Vorteil gehabt, daß
das Verstauen des Rades und die Aufnahme der Angeklagten Sch. und
E. in Ruhe hätte geschehen können, unverfänglich
gewesen wäre und keinen Verdacht erregt hätte. Für
den ursprünglichen Plan spricht auch, daß die tatsächlich
erfolgte Nutzung des Rades angesichts dessen, daß das Fluchtfahrzeug
in der Nähe des Tatortes stand, eher behinderte als nutzte.
Dies wiederum spricht dafür, daß der ursprüngliche
Plan kurzfristig geändert worden war. Daß der Angeklagte
Sch. von der Abweichung des Fluchtweges nichts berichtete, ist nachvollziehbar,
war doch der tatsächlich gewählte Weg ein Fehlschlag.
Denn der Zeuge Galonska hatte den Fahrer des Fluchtfahrzeuges, der
nach seinen weiteren Angaben Zeitung las, sein Fahrzeug ein Stück
nach vorne fuhr, um ihm beim Rangieren Platz zu machen, und später
den Angeklagten E. und Sch. behilflich war, längere Zeit beobachtet;
es bestand daher die Gefahr, daß der Zeuge den Fahrer, aber
auch die hinzugekommenen Angeklagten Sch. und E. identifiziert.
Für die beiden Angeklagten war es, wollten sie nicht Kritik
ernten und ihr Ansehen nicht in Frage stellen, besser, in ihrer
Gruppe diesen Fehler nicht einzugestehen. Bei dem Anschlag auf den
Zeugen Dr. Korbmacher zog man daraus die Lehre, benutzte ein Motorrad
und parkte den Fluchtwagen weitab vom Tatort. Daß der Angeklagte
Sch. dazu neigt, Fehler nicht einzugestehen, sondern sie anderen,
so z.B. dem Zeugen Mousli, anzulasten, belegt seine Einlassung zu
dem im wesentlichen fehl geschlagenen Anschlag auf die ZSA.
Der Umstand, daß die Angeklagten Sch. und E. die Abweichung
von dem ursprünglichen Fluchtweg nicht mitgeteilt haben, führt
nicht dazu, daß ihren gegenüber dem Zeugen und den anderen
Gruppenmitgliedern gemachten Angaben generell zu mißtrauen
ist. Hier hatten sie einen Grund, den geänderten Fluchtweg
zu verschweigen.
e) Der Zeuge Mousli hat ausgesagt, er und Lothar E. hätten
für den Anschlag das Fluchtfahrzeug gestohlen, von dem Kauf
des Fahrzeugs habe er nichts gewußt. Tatsächlich hatte
man das genutzte Fahrzeug von dem Zeugen Liebenau gekauft. Der Zeuge
Mousli war sich zunächst sicher, für diesen Anschlag einen
VW Passat gestohlen zu haben, weil er in seinem Leben nur zwei Fahrzeuge
entwendet habe, und zwar bei den beiden Anschlägen auf Hollenberg
und Dr. Korbmacher. Bei einer späteren Vernehmung war er sich
aber im Hinblick auf den ersten Anschlag nicht mehr sicher. Es ist
möglich, daß die Berliner RZ hier aufgrund in diesem
Einzelpunkt unkoordinierten oder kurzfristig geänderten HandeIns
im Besitz von einem gestohlenen und einem gekauften Pkw waren und
nur letzteren bei der Tat nutzten. Wegen der Unsicherheit des Zeugen,
bei dem Anschlag auf Hollenberg ein Fahrzeug gestohlen zu haben,
konnte dies jedoch nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt
werden: es kann auch dahingestellt bleiben, denn es ist ohne maßgebliche
Bedeutung,
f) Der Angeklagte Sch. hat bestritten, daß er, die Angeklagte
E. und der Zeuge Mousli mit Funkgeräten ausgerüstet waren
und daß dieser zur Tatzeit am S-Bahnhof Zehlendorf gestanden
und zusätzlich einen Scanner bei sich gehabt habe. Die dem
entgegen stehende Aussage des Zeugen Mousli ist glaubhaft. Es war
das erste Mal, daß der Zeuge und Lothar E. als Mitglieder
der Funkgruppe bei einer Tat zum Einsatz kamen. Man mußte
also noch Erfahrungen sammeln und konnte erst hinterher feststellen,
ob der Einsatz von Funkgeräten und einem Scanner sinnvoll war.
Nach den Angaben des Zeugen Mousli sollten diese verwendet werden,
um die Angeklagten E. und Sch. gegebenenfalls zu warnen. Eine Erklärung
hierfür lieferte der Zeuge bei seiner Vernehmung zu dem Anschlag
auf den Zeugen Dr. Korbmacher; denn auf Vorhalt, warum dort keine
Funkgeräte und kein Scanner eingesetzt worden seien, hat er
erklärt, daß dies nicht erforderlich gewesen sei, weil
hier ein schnelles Motorrad benutzt worden sei. Diese Aussage war
besonders überzeugend, ist sie doch zu einer anderen Tat gemacht
worden, bei der der Anschlag auf Hollenberg keine Rolle spielte
und daher unerwähnt blieb. Daß die Berliner RZ funktechnische
Ausrüstung benutzten, räumte sogar der Angeklagte Sch.
ein.
g) Der Senat ist aufgrund der Bekundungen des Zeugen Mousli überzeugt,
daß "Heiner" den Brandsatz herstellte und das Fluchtfahrzeug
fuhr. Der Zeuge Galonska identifizierte den Angeklagten B. zwar
nicht als den Fahrer, beschrieb ihn jedoch als einen dunkelhaarigen
Mann mit einem Schnurrbart und gab damit ein Aussehen an, daß
dieser Angeklagte damals hatte: so beschrieb ihn auch der Zeuge
Mousli. Es ist nachvollziehbar, daß der Angeklagte als führendes
RZ-Mitglied sich nicht auf untergeordnete Tätigkeiten beschränkte
und ebenso wie insbesondere der Angeklagte Sch. als ihm ebenbürtiges
RZ-Mitglied sich unmittelbar an der Ausführung der Taten beteiligte.
Daran ändert nichts, daß er einer regelmäßigen
Tätigkeit an der Technischen Universität nachging. Denn
es ist nicht schwierig, einen Grund zu finden, nicht pünktlich
zur Arbeit zu erscheinen, sofern das damals überhaupt jemandem
aufgefallen war oder jemand danach gefragt hatte.
h) Der Zeuge Mousli hat bekundet, der Entwurf des Bekennerschreibens
sei, so hätten "Jon" und ," Judith" berichtet,
auf dem "Miez"- Treffen diskutiert worden. "Judith"
und "Heiner" hätten gemeinsam mit Thomas K. das Schreiben
zu dem Anschlag gefertigt. "Jon" habe eine Liste mit Buchläden,
Zeitungsredaktionen und Presseagenturen gehabt, an die Kopien des
Bekennerschreibens gesandt worden seien. Der Senat hält auch
diese Aussage für glaubhaft. Mit den Tatbekennungen sind die
RZ an die Öffentlichkeit getreten, wollten Wirkungen erzielen,
ihre Aktionen und deren Zwecke erläutern und Menschen im Sinne
ihrer Ziele beeinflussen. Daß solche Aufgaben nur von den
Mitgliedern übernommen wurden, die hierfür, wie insbesondere
die Angeklagte E., anerkanntermaßen das ideologische Rüstzeug
besaßen und/oder sonst über besondere Qualitäten
verfügten, die sie von den anderen abhoben, wie der Angeklagte
B. und Thomas K., und die sie zur Führung innerhalb der RZ
befähigten, liegt auf der Hand. Einfache Mitglieder zieht man
zu solchen wichtigen Aufgaben kaum heran.
i) Die in den Feststellungen beschriebenen Verletzungen des Harald
Hollenberg stehen fest aufgrund des Gutachtens des Sachverständigen
Prof. Dr. Saternus, dem sich der Senat nach eigener Würdigung
angeschlossen hat.
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