Übersicht
Aktuelle Meldung
Meldungen
Berichte
Vorschau
Hintergrund
Mailingliste
Mail
Suche
|
Als mpg Datei
Gespräch mit Enno Schwall (Mitglied der RZ)
Nach dem Militärputsch in Chile explodierten Ende 1973 zwei
Sprengsätze bei ITT in Berlin und Nürnberg, verantwortlich
für diese Anschläge zeichnet sich erstmals eine Gruppe mit dem
Namen RZ.
Enno Schwall als einer der ersten Mitglieder der RZ, der 1977 verhaftet
wurde und zu 6 Jahren Gefängnis verurteilt wurde, stellte sich nach
seiner Entlassung 1982 einem Gespräch.
Wann und welche Gründe führten zur Bildung der RZ?
Enno: 1972 war eine Situation entstanden, in der ein Einschnitt
stattfand, daß heißt die erste Verhaftungswelle war gelaufen.
Eine ganze Reihe von Leuten der RAF saß im Knast und einige von uns
waren eingefahren. Trotzdem war nichts ausgemacht. Es gab im Grunde die
Notwendigkeit sich zu überlegen, was man aus dieser Stagnation macht.
Zum Anderen war es auch die Zeit zurückzuschauen, was man aus den
Erfahrungen machen kann, die bis jetzt gemacht worden sind.
Aus welchen Gründen heraus entstand das ursprüngliche Konzept
der RZ?
Es waren im Grunde verschiedene Überlegungen, aus denen heraus das
ursprüngliche Konzept entwickelt wurde. Da ist zum einen der
Internationalismus, zu dem die RAF einfach das historische Beispiel gegeben
hat. Sozusagen der historische Verdienst der RAF, diesen Punkt haben sie
praktisch auf die Tagesordnung gesetzt. Zweitens ist dann gleichzeitig der
Versuch sich auf die soziale Realität hier zu beziehen. Drittens war
ein starkes Motiv, eine eigenständige Gruppe in Tradition der RAF,
aber unabhängig von ihr zu gründen. Eine weitere Erfahrung war
es, daß es eine ganze Reihe von Gefangenen gab und das man diese
Gefangenen rausholen muß. Sie wurden draußen gebraucht. Man
konnte nicht zulassen, daß der Staat diese Auseinandersetzung
für sich entscheidet indem er die Leute einfach abgreift.
Wo lagen die Unterschiede zwischen der RZ und der RAF?
Das Ziel des Konzeptes der RZ war im Unterschied zur RAF, daß es
darum ging, nachmachbare Aktionen, die vermassbar sind, durchzuführen.
Das was die RZ als Gruppe macht, sollte jeder machen können. Man
wollte kein Patent auf den bewaffneten Kampf haben, aber praktisch eine
Hierarchie von Aktionsformen schaffen, bei der man sozusagen die Spitze der
Interventionsmethode darstellt. Es geht darum, sich in das aufmüpfige
Potential reinzudiffundieren, daß es eine Massenguerilla gibt, die
sich verbreitet. Wo es eine Vorstellung gab, befreite Gebiete,
unkontrollierbare Zonen oder staatsfreie Räume aufzutun, wo man von da
aus weiterschauen kann und die sich zunehmend verbreitern sollten. Das war
eine wichtige Strategie und ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal zur
RAF.
In der RZ hat es von Anfang an den Versuch gegeben den feministischen
Aspekt mit einzubeziehen. Nicht nur als einen zusätzlichen politischen
Bereich, sondern das war immer verbunden damit, daß sich innerhalb
der RZ, später unter dem Namen "Rote Zora" Frauen
zusammengesetzt haben und versucht haben ein Guerillakonzept unter
feministischer Perspektive zu entwickeln. Es hat innerhalb der Frauen
Fraktionen gegeben, die gesagt haben, sie finden sich nicht innerhalb der
gemischten politischen Gruppe wieder, sie wollten eine eigenständige
Politik unter der Frauenperspektive machen und haben von Anfang an auf eine
Autonomie bestanden.
Welche Ereignisse führten zur Abkehr der ursprünglichen
Konzepte und aus welchen Gründen heraus entstand die Kampagne zur
Flüchtlingsfrage?
Der Herbst der RAF, die Aktion Schleyer und die Geschichte in
Mogadischu, warf grundsätzlich die Frage über die Befreiung der
Gefangenen auf. Das war auf der Ecke schon eine Niederlage. Man muß
einfach sehen, daß historisch die Frage des Knastes in Zusammenhang
mit der der Guerillapolitik zu stellen ist. Mitte bis Ende der siebziger
Jahre wurde eine defensive Politik verfolgt, die gegenüber den
ursprünglichen Konzepten bestimmte weitreichende Ansprüche schon
aufgegeben hat.
Flüchtlinge sind ein Ausdruck einer weltweiten Bewegung. Die
Flüchtlinge sind anders als die Arbeitskollegen der sechziger Jahre
aus Südeuropa. Sie kommen aus anderen Beweggründen hierher. Sie
sind die Speerspitze derjenigen, die in den drei Kontinenten aktiviert
worden sind. Sie sind diejenigen, die dort in Flüchtlingslagern leben,
die durch Kriege und Umsiedlungsprogramme aus ihren Zusammenhängen
gerissen worden sind.
Wenn man Aktionen in der Politik macht, die sich auf das soziale Subjekt
beziehen, bezieht man sich nicht nur auf die Asylanten, sondern auf den
internationalen Prozeß, der dahinter steht. Was gleichzeitig aus der
Erklärung der RZ zur Flüchtlingskampagne zu entnehmen ist,
daß sie neben dieser internationalen Migration, die sich in Form der
Flüchtlinge bemerkbar macht, einen zweiten Bereich sehen, der sich mit
einem anderen Bereich mischt. Nämlich dem der Arbeitslosigkeit
hierzulande, von prekären Arbeitsplätzen, von ausgegrenzten
Rentnern, Alten und sogenannten Behinderten. Ein Sektor, der unter dem
Sammelbegriff "Massenarmut" einen größeren Raum
einnimmt, im Alltag und in der politischen Diskussion. Man muß sehen,
daß die Aktionen der RZ sich versuchen auf beides zu beziehen. In der
Möglichkeit der Vermischung der beiden Sektoren könnte eine
einzigartige soziale Brisanz entstehen, auf die eine revolutionäre
Organisation vorbereitet sein muß und auf die man sich beziehen
muß. Das ist offensichtlich ein Prozeß, der am entstehen ist
und es ist durchaus anzunehmen, daß sich in der Vermischung beider
Prozesse eine starke soziale Brisanz entwickeln wird.
Diese Kampagne kann nur eine politische Wirkung erreichen, wenn sie in
eine breite soziale Bewegung eingebettet ist, die diese
Flüchtlingsfrage aufgreift. Es muß darum gehen, daß auch
legale Gruppen den Flüchtlingen einfach nur einen staatsfreien Raum
schaffen. Einen Raum, in dem sie sich entfalten können, in dem sie
sein können. Fragen wie "freie
Flüchtlingsstätten", die auch diskutiert worden sind, sind
wichtige Voraussetzungen im Hintergrund um überhaupt die politische
Wichtigkeit der RZ-Kampagne zum Tragen zu bringen.
|