TAZ Nr. 2299 Seite 1-2 vom 02.09.1987 57 Zeilen von TAZ-Bericht Vera
Gaserow
Schüsse in Berlin auf höchsten Asylrichter
Durch gezielte Schüsse in die Beine verletzt / Die Täter
entkamen auf einem Motorrad / Richter Korbmacher für Verschärfung
der Asylpraxis mitverantwortlich
Berlin (taz) - Zwei unbekannte Täter haben gestern morgen in Berlin
den höchsten Asylrichter in der Bundesrepublik, den
Bundesverwaltungsrichter Günter Korbmacher, durch gezielte
Schüsse in die Beine verletzt.
Korbmacher ist langjähriger Vorsitzender des 9. Senats des
Bundesverwaltungsgerichts, der als letzte Instanz für
Asylangelegenheiten zuständig ist. In den letzten Jahren wurde er
durch zahlreiche umstrittene Entscheidungen zum Vorreiter für eine
restriktive Asylrechtsprechung bekannt.
Der 61jährige Korbmacher wurde nach den bisherigen Erkenntnissen
des Berliner Staatsschutzes gestern früh auf dem Weg zu seinem Auto
von zwei behelmten Motorradfahrern angeschossen. Sie flüchteten
anschließend unter den Augen einiger Zeugen mit ihrem Motorrad.
Korbmacher wurde mit zwei Schußwunden am linken Bein in ein
Krankenhaus eingeliefert. Nach Aussage eines Gerichtssprechers besteht
für den Bundesverwaltungsrichter keine Lebensgefahr.
Die Art des gestrigen Anschlags und die dabei verwendete Munition
gleichen auffallend einem Anschlag im letzten Oktober, bei dem Unbekannte
den Leiter der Berliner Ausländerbehörde, Hollenberg, nach Manier
der "Roten Brigaden" gezielt in die Beine geschossen hatten.
Damals bekannten sich die "Revolutionären Zellen" zu dem
Anschlag.
Verschiedene Berliner Ausländergruppen, und die Alternative Liste
hatten im vergangenen Jahr diesen Anschlag als "übel" und
als "Katastrophe für die Flüchtlinge" verurteilt.
Der jetzt angegriffene Richter Korbmacher gilt in Kollegenkreisen als
"Scharfmacher" im ohnehin nicht sehr ausländerfreundlichen
Asylsenat des Bundesverwaltungsgerichts. Unter seinem Vorsitz hat der 9.
Senat mit zahlreichen umstrittenen Entscheidungen die Asylpolitik in der
Bun desrepublik maßgeblich beeinflußt: 1983 fällte das
Bundesverwaltungsgericht unter Korbmacher das denkwürdige
Folter-Urteil, in dem festgelegt wird, daß Folter nur dann als
Asylgrund anerkannt wird, wenn der folternde Staat sie aus explizit
politischen Motiven begeht. Mit ihrem "Tamilenurteil" von 1985
hatten die Bundesverwaltungsrichter eine Gruppenverfolgung der tamilischen
Volksgruppe in Sri Lanka abgestritten. Eine Verfolgung der Tamilen, so
hatten die Richter damals erklärt, diene der berechtigten
"Herrschaftssicherung" des srilankischen Staates gegenüber
separatistischen Bestrebungen. In diesem "Bürgerkrieg" sei
die tamilische Zivilbevölkerung "auf nicht auszumachende Weise in
das Kampfgeschehen einbezogen". Eine solche Beteiligung an einem
Bürgerkrieg sei jedoch nicht als Asylgrund anzuerkennen. Für die
annähernd 20.000 tamilischen Asylbewerber in der Bundesrepublik
bedeutete dieses Urteil das "Aus" für ihre
Asylanerkennung.
Politiker in Bonn und Berlin verurteilten den Anschlag auf den
Bundesverwaltungsrichter. Kritik an der Urteilspraxis des Richters
könne in keiner Weise das Vorgehen gegen Korbmacher rechtfertigen,
erklärte die AL Berlin. Wer sich selbst zum "Richter"
über Richter ernennt, praktiziere die niedrigste Stufe der Justiz:
menschenverachtende Selbstjustiz.
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