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Der Berliner RZ-Prozess

Zu den Hintergründe und dem Umfeld des Verfahrens

Jahre nachdem das Kapitel bewaffneter linker Politik in der Bundesrepublik von den jeweiligen Akteuren (RAF, Bewegung 2. Juni, Revolutionäre Zellen) selbst ad acta gelegt wurde, holt die Bundesanwaltschaft (BAW) noch einmal zum Schlag aus. Mit dem Berliner RZ-Prozess, den Auslieferungsverfahren gegen zwei angeblichen RZ-Mitgliedern in Frankreich und einem angeblichen RZ-Mitglied in Kanada sowie dem Frankfurter OPEC-Prozess gegen Hans Joachim Klein und Rudolf Schindler soll nun von Staatsseite das Kapitel Revolutionäre Zellen (RZ) juristisch und dadurch vermittelt politisch abgeschlossen werden.

Am 19. Dezember 1999 initiierten BAW, Bundeskriminalamt (BKA) und der polizeiliche Staatsschutz unter Zuhilfenahme der "Anti-Terror-Einheit" GSG 9 und der Berliner Polizei ein polizeiliches Großereignis, das wohl nicht ungewollt an die groß angelegten Fahndungsmaßnahmen gegen "Terroristen" in den siebziger Jahren erinnern sollte. Insgesamt 1.000 Beamte beteiligten sich an der Durchsuchung des Berliner Alternativzentrums Mehringhof - bei dem ein Sachschaden von rund 100.000 DM entstand - und der Verhaftung von Harald Glöde und Axel Haug in Berlin sowie der Festnahme der Galeristin Sabine Eckle in Frankfurt/Main. Am 18. April 2000 erfolgte die Festnahme von Matthias Borgmann, Leiter des Akademischen Auslandsamtes der Technischen Universität Berlin, unter den selben Anschuldigungen: Mitgliedschaft in der "terroristischen Vereinigung 'Revolutionäre Zellen'" und Beteiligung an Sprengstoffanschlägen.

RZ-Verfahren in den 70er und 80er Jahren

Die RZ waren für die bundesdeutschen Ermittlungsbehörden nie richtig zu fassen. Viermal wurden seit Bestehen der RZ und der Roten Zora Verfahren wegen angeblicher Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation nach §129a durchgeführt. Anfang 1977 wurden Gerd Albartus und Enno Schwall verhaftet; ihnen wurde vorgeworfen, einen missglückten Anschlag auf ein Kino in Aachen verübt zu haben, in dem der Film "Unternehmen Entebbe" gezeigt wurde. Eine Verurteilung der beiden war nur mit Hilfe der Aussagen des 1978 bei einer Bombenexplosion schwer verletzten Hermann Feiling möglich. Feiling wurde, obwohl er vernehmungsunfähig war und unter dem Einfluss starker Medikamente stand, viereinhalb Monate völlig von der Außenwelt abgeschottet und verhört. In diesen "Aussagen" tauchten auch die Namen von Rudolf Schindler und Sabine Eckle auf. Beide entzogen sich damals weiterer Verfolgung, indem sie von der Bildfläche verschwanden. Beide kehrten 1990 wieder nach Frankfurt/Main zurück.

Das "Belastungsmaterial", das durch die illegale Befragung des schwer verletzten Feiling zu Stande kam, war 1978 auch die Grundlage für den Versuch, einen Prozess gegen Rudolf Raabe zu eröffnen, der sich dieser Prozedur jedoch durch Flucht ins Ausland entzog. 1982 stellte Raabe sich den bundesdeutschen Strafverfolgungsbehörden. Im anschließenden Prozess wurde er von allen Anklagepunkten freigesprochen - lediglich wegen Urkundenfälschung wurde er zu einer Geldstrafe verurteilt. Das Verfahren gegen Hermann Feiling wurde während des Prozesses, der 1980 begann, eingestellt. Sybille Straub wurde auf Grund der illegalen Vernehmungsprotokolle zu 15 Monaten auf Bewährung verurteilt. Sylvia Herzinger wurde freigesprochen.

Nach groß angelegten Razzien und Fahndungen wurden am 18. Dezember 1987 Ingrid Strobl und Ulla Penselin verhaftet, denen die Mitgliedschaft bzw. die Unterstützung der Revolutionären Zellen/ Roten Zora vorgeworfen wurde. Eine breite Solidaritätskampagne machte damals die abenteuerlichen Konstrukte der Bundesstaatsanwaltschaft immer wieder öffentlich und half der Verteidigung, die Ankläger in Argumentationsschwierigkeiten und Beweisnot zu bringen, so dass der Vorwurf nach §129a fallen gelassen werden musste. Trotzdem wurde Ingrid Strobl mit fadenscheinigen Beweisen, die ihr den Kauf eines Weckers nachweisen sollten, der später für einen Anschlag benutzt worden sei, 1990 zu drei Jahren Haft verurteilt.

Der Kronzeuge Hans-Joachim Klein

Jahre nach der Selbstauflösung der RZ glaubt die BAW nun den ganz großen Schlag gegen die Revolutionären Zellen/ Rote Zora gelandet zu haben. Maßgeblich dazu beigetragen hat Hans-Joachim Klein, der im September 1998 in Frankreich festgenommen und im Mai 1999 nach Deutschland ausgeliefert wurde. Klein war am Anschlag auf die OPEC-Konferenz in Wien 1975 beteiligt, bei dem er schwer verletzt worden war. Ende der siebziger Jahre stieg er aus den RZ aus und tauchte mit Hilfe von Daniel Cohn-Bendit und anderen Freunden aus dem Umfeld der Frankfurter Spontis in Frankreich unter.

Kaum war Klein im Frühjahr 1999 an die deutschen Behörden ausgeliefert, machte er umfangreiche Aussagen. Dabei beschuldigte er Rudolf Schindler, er habe 1975 die "Örtlichkeiten" ausgespäht und "konspirative Wohnungen" für das Kommando angemietet. (Spiegel, 28.2.2000) Daraufhin wurde Schindler im Oktober verhaftet. Der OPEC-Prozess, in dem am 15. Januar in Frankfurt/Main das Urteil gesprochen wurde, endete für ihn jedoch mit einem Freispruch. Von Anfang an gab es gehörige Widersprüche und Ungereimtheiten in den Aussagen Kleins. So gab Klein einen Decknamen von Schindler an, der nach Aktenlage und Zeugenaussagen in anderen Verfahren eindeutig einer anderen Person zugeordnet ist. Der Anwalt von Schindler, Hans Wolfgang Euler, kritisierte die Ermittlungsbehörden deshalb massiv: "Eine solche Form der Nicht-Vernehmung wie bei Klein, ohne einen ernsthaften Vorhalt von Widersprüchen, habe ich bislang noch nicht erlebt." Das Frankfurter Landgericht schloss sich im Ergebnis dieser Kritik an. Das Gericht erklärte in seinem Urteilsspruch, es habe eine Tatbeteiligung Schindlers "nicht verifizieren können", da sich die Aussagen Kleins nicht als glaubwürdig erwiesen hätten.

Nach dem Freispruch Schindlers, der noch nicht rechtskräftig ist, weil die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt hat, erhob die BAW zusätzlich Anklage gegen Schindler vor dem Berliner Kammergericht wegen angeblicher Beteiligung an RZ-Anschlägen in Berlin. Ende Februar 2001 hat das Kammergericht die Anklage abgelehnt, weil seiner Ansicht nach durch das OPEC-Verfahren für Schindler "Strafklageverbrauch" eingetreten sei, und Schindler aus der Haft entlassen. Gegen diesen Beschluss hat die BAW mittlerweile sofortige Beschwerde beim Bundesgerichtshof (BGH) eingereicht.

Fast einen Monat nach den Verhaftungen in Berlin und Frankfurt/Main im Dezember 1999, am 16. Januar 2000, wurden in Paris Sonja Suder und Christian Gauger festgenommen. Beide waren seit 1978 - dem Zeitpunkt der Feiling-Aussagen - abgetaucht. Auf die Spur der beiden kamen die deutschen Behörden angeblich durch Besucher aus Deutschland. Die Haftbefehle beziehen sich auf zwei Sprengstoffanschläge 1977 in Nürnberg und Frankenthal und einen Brandanschlag auf das Heidelberger Schloss im Jahr 1978. Sudner wird darüber hinaus beschuldigt, den Überfall auf die OPEC-Konferenz mit vorbereitet zu haben. Der Vorwurf der Mitgliedschaft in den RZ wurde wegen Verjährung fallen gelassen.

Diese Anschuldigungen waren offensichtlich nicht so stichhaltig, wie die deutschen Staatsschutzbehörden glauben machen wollten. Die deutsche Seite hatte wegen Mordes, Mordversuches und Brandstiftung die Auslieferung von Suder und Gauger beantragt, allerdings hat ein französisches Gericht Ende Februar 2001 eine Auslieferung der beiden an Deutschland abgelehnt. Das Auslieferungsbegehren stütze sich ausschließlich auf die Aussagen des Kronzeugen Klein. Das reichte den französischen Behörden nicht aus. Für die deutschen Ermittlungsbehörden eine schwere Niederlage, ist die Entscheidung des französischen Gerichts doch ein deutlicher Hinweis darauf, auf welch schwachen Füssen ihr Ausweisungsbegehren stand und was von den Aussagen des Kronzeugen Klein zu halten ist.

Kaufe Aussagen, gebe Strafrabatt

Gehen die Vorwürfen gegen Suder, Gauger und Schindler (zumindest teilweise) auf Aussagen von Hans-Joachim Klein zurück, so sind die Festnahmen im Zusammenhang mit dem Berliner RZ-Verfahren Ergebnis der Aussagen von Tarek Mousli. Mousli wurde im Mai 1999 wegen zeitweiliger Unterstützung der RZ im Jahre 1995 verhaftet, kam aber bald darauf frei. Im November 1999 wurde er erneut in Untersuchungshaft genommen. Die BAW feierte damals die Verhaftung als vollen Erfolg. Ihrer Ansicht nach seien nun die RZ-Aktionen der achtziger und frühen neunziger Jahre in Berlin aufgeklärt, hätte man mit Tarek Mousli doch dem mutmaßlichen "Rädelsführer" der RZ habhaft werden können. (Berliner Zeitung, 24.11.99)

Im Dezember vergangenen Jahres fand vor dem 2. Strafsenat des Berliner Kammergerichts der Prozess gegen Tarek Mousli statt. Er war nicht mehr als eine Formsache, das Urteil stand von vorneherein fest. Der Vorsitzende Richter Eckhart Dietrich hatte das Urteil bereits am ersten Verhandlungstag angekündigt. Das Gericht pflege "nicht ohne zwingende Gründe über die Strafanträge der Staatsanwaltschaft hinauszugehen". Die, in diesem Fall die BAW, hatte für den Fall, dass Tarek Mousli sich in dem Prozess "voll geständig" zeigt, eine Bewährungsstrafe in Aussicht gestellt. So war es dann keine Überraschung, dass der "Zeuge der Anklage" das Gericht nach vier Verhandlungstagen mit einer Bewährungsstrafe auf zwei Jahren als freier Mann verlassen konnte. Von "Rädelsführerschaft" war in der Anklage nicht mehr die Rede gewesen, das Urteil bezog sich auf "Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung" und der Beteiligung an einem Sprengstoffanschlag.

Die Anschuldigungen gegen Matthias Borgmann, Harald Glöde, Axel Haug und Sabine Eckle beruhen im wesentlichen auf den Aussagen von Mousli. Die vier werden beschuldigt, seit Mitte der 80er Jahre Mitglieder der RZ gewesen zu sein. Axel Haug soll im Mehringhof ein Waffen- und Sprengstoffdepot der RZ betreut haben. Zusammen mit Harald Glöde - so die BAW - habe er einem "Koordinierungsausschuss" angehört, der Gelder an legale und illegale Gruppen verteilt habe.

Matthais Borgmann, Harald Glöde, Axel Haug und Sabine Eckle sollen zudem an RZ-Aktionen gegen die bundesdeutsche Asyl- und Flüchtlingspolitik in den achtziger Jahren beteiligt gewesen sein. Konkret wird ihnen der Sprengstoffanschlag auf die "Zentrale Sozialhilfestelle für Asylbewerber" (ZSA) in Berlin am 6. Februar 1987 angelastet. Außerdem sollen die drei Männer noch für einen Sprengstoffanschlag auf die Berliner Siegessäule im Januar 1991 verantwortlich sein.

Vorgeworfen werden allen Angeklagten zusätzlich die Beteiligung an den Knieschuss-Attentaten auf den ehemaligen Leiter der Berliner Ausländerbehörde, Harald Hollenberg, im Oktober 1986 und auf den damaligen Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht, Günter Korbmacher, im September 1987.

Diese beiden letzten Vorwürfe sind zwar schon verjährt, zeigten aber "die Gefährlichkeit der terroristischen Vereinigung ,RZ'", so die BAW in einer Pressemitteilung vom 19. Dezember 1999, und werden deshalb absehbar auch Gegenstand der Verhandlungen vor Gericht sein. Nicht verjährt sind allerdings die Vorwürfe der Mitgliedschaft in den RZ, die Beteiligung an Sprengstoffanschlägen bzw. der unerlaubte Besitz von Sprengstoff.

Der Kronzeuge Tarek Mousli

Mit Tarek Mousli, der in den achtziger Jahren kein Unbekannter in der Westberliner autonomen Szene war, meint die BAW einen Glücksgriff gemacht zu haben. Mousli kennt aus dieser Zeit viele Menschen und die politischen Strukturen der autonomen Szene in Westberlin. Unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt ist dieses Wissen allemal für Verdächtigungen und absurde Konstruktionen gut.

Monatelang wurde Mousli von Beamten der BAW und des BKA vernommen. Währenddessen wurde Mousli immer wieder von den Ermittlern auf Ungereimtheiten in seinen Aussagen aufmerksam gemacht und bekam die Gelegenheit, sie zu revidieren. Dennoch kam selbst der Bundesgerichtshof (BGH) nicht umhin, als er im August 2000 über die Verlängerung der U-Haft bei den Beschuldigten entscheiden musste, die Widersprüchlichkeit dieser Aussagen zu bestätigen. Kurioser Weise erkannte der BGH darin jedoch das "Bemühen um wahrheitsgemäße Angaben". Dass Mousli sich "bei der Vielzahl der Beteiligten und Geschehnisse im Einzelfall geirrt haben kann, belegt seine Unglaubwürdigkeit nicht", kommentierten die Karlsruher Richter.

Unumwunden gab ein mittlerweile pensionierte RZ-Spezialist des BKA während des Mousli-Prozesses im Dezember zu, dass Mousli während der Vernehmungen massiv unter Druck gesetzt wurde: "Wir hatten den Eindruck, dass Mousli zu der einen oder anderen Person noch mehr sagen könnte, und ihm deutlich gemacht, dass die Kronzeugenregelung nur greift, wenn er rückhaltlos Angaben zur Sache macht." Das Ergebnis ist bekannt. Selbst den Namen seines - nach Angaben - "besten Freundes" Lothar Ebke, gegen den zur Zeit ein Auslieferungsverfahren in Kanada läuft, nannte er den BKA-Vernehmungsbeamten.

Was Mousli über die sechs während seines Prozesses zu berichten wusste, war nicht sehr konkret. Nach seinen Angaben sei Rudolf Schindler der Schütze der RZ gewesen. Er habe bei den beiden Berliner Knieschussattentaten geschossen, ebenso wie bei der Ermordung des hessischen Wirtschaftsministers Heinz Herbert Karry im Mai 1981. Beweisen bzw. mit eigenen Beobachtung untermauern kann Mousli diese Anschuldigungen nicht. Das sei ihm so berichtet worden, bzw. habe er bei Erzählungen und Diskussionen den Eindruck gewonnen, dass dies so gewesen sei, erzählt Mousli. Vieles was er berichtet, weiß er nur vom Hörensagen. Für die BAW reicht das aus, um ihn als Zeugen der Anklage in das Frankfurter OPEC-Verfahren, so geschehen am 30. November, oder in den anstehenden Berliner RZ-Prozess zu schicken.

Was die Glaubwürdigkeit solcher Aussagen anbelangt, so müssen sie immer in Bezug gesetzt werden zu den Vergünstigungen, die diese Zeugen von der staatlichen Seite erhalten. Konkret: Mousli, bei seiner Verhaftung noch als RZ-"Rädelsführer" gehandelt, kam mit zwei Jahren Haft auf Bewährung weg. Seit seiner Entlassung aus der U-Haft im April 2000 befindet er sich im Zeugenschutzprogramm des BKA und erhält monatlich 2.400 Mark plus Krankenversicherung, Miete, Telefonkosten und Leihwagen. Wie die erfolglose Durchsuchung des Mehringhofs nach dem Sprengstoffdepot der RZ, das dort nach Aussagen von Mousli sein sollte, beweist, ist es mit seiner Glaubwürdigkeit nicht weit her. Nun meint die BAW die Glaubwürdigkeit des Kronzeugen dadurch beweisen zu können, dass im Sommer 1999 4,8 kg Sprengstoff in einem Wassergraben, zu dem Mousli sie geführt hat, gefunden wurde. Aber ist das ein Beweis, der die Anschuldigungen gegen die anderen Beschuldigten erhärten könnte, hat doch Mousli - nach eigenen Angaben - den Sprengstoff selbst dort versenkt? Alles was bislang über seine Aussagen bekannt ist, zeigt, dass Mousli dort wo er andere beschuldigt, nur vom "Hörensagen" berichten kann. In den Augen des Staatsschutzes sind das allerdings deutliche Beweise. Je widersprüchlicher, desto glaubwürdiger so könnte wohl das Motto der Bundesanwälte in diesem Verfahren lauten.

Stand: 5. März 2001

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