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Sonderrecht für den alltäglichen Ausnahmezustand
Zur Ausforschungsfunktion des "Anti-Terror"-Systems
Mit Ausnahme der Kronzeugen-Regelung sind alle
"Anti-Terror"-Gesetze der 70er und 80er Jahre heute noch in Kraft
obwohl sich die politische Situation seitdem gründlich gewandelt hat,
obwohl die linken bewaffneten Gruppen ihre Aktivitäten eingestellt
haben, und obwohl nun die Grünen an der Regierung sind, die noch in
Oppositionszeiten die Abschaffung dieses "Anti-Terror-Systems"
gefordert hatten. An dem Ausnahmerecht um den §129a des
Strafgesetzbuches ("Terroristische Vereinigung") wird dennoch
festgehalten. Warum?
Kollektiv- und Gesinnungsstrafrecht
Zunächst, weil die Norm noch zur gerichtlichen
"Vergangenheitsbewältigung" benötigt wird, wie das
aktuelle RZ-Verfahren zeigt. Anderseits, weil die Anti-Terror-Waffe
§129a weit mehr kann als eine klassische Strafnorm: Zum einen muss
einem 129a-Beschuldigten nicht die eigenhändige Begehung einer
Straftat nachgewiesen werden, sondern seine bloße Zugehörigkeit
zu einer inkriminierten Gruppe reichen aus, um ihn bestrafen zu
können. Dabei können nicht nur Mitglieder, sondern auch
"Unterstützer" und selbst bloße "Werber"
für solche Vereinigungen strafrechtlich belangt werden.
Allein das Aufsprühen bestimmter Parolen, das Verteilen von
Flugblättern oder Kleben von Plakaten kann so zum terroristischen
Delikt werden: Das Georg-Büchner-Zitat "Krieg den
Palästen" und ein 5-zackiger Stern (RAF-Symbol) an die
Plastikwand einer U-Bahn gesprüht, brachten etwa einer Münchner
Arzthelferin wegen Werbens für eine terroristische Vereinigung
zwölf Monate Gefängnis ein. Ihr Begleiter, der sie angeblich per
Sichtdeckung bei ihrem Tun abgeschirmt haben soll, wurde mit sechs Monaten
Freiheitsentzug bedacht.
Knapp 85 % der eingeleiteten 129a-Ermittlungsverfahren betreffen nicht
etwa die schwerwiegenderen Vorwürfe der Mitgliedschaft, sondern
lediglich die minder schweren der Unterstützung oder des Werbens in
aller Regel sind das rein verbale "Taten". Damit handelt es sich
letztlich um Gesinnungsstrafrecht.
Ausforschungsnorm
Doch §129a kann noch mehr, seit er in den 80er Jahren mit
Zielrichtung auf die damals erstarkten militanten Widerstandsszenen noch
erheblich verschärft wurde: Die Ermittlungsbehörden witterten
innerhalb der politisch-sozialen Bewegungen gegen gefährliche Staats-
und Industrie-Projekte eine neue, unberechenbare "terroristische
Gefahr". Tausende von Menschen und zahlreiche oppositionelle
Initiativen der Anti-Atom- und Friedensbewegung, aber auch der
Häuserkampf- und Tierschützerbewegung, später die
"Antifa" sind in die staatliche Anti-Terror-Maschinerie geraten.
So kam es zu einer wundersamen "Terroristen"-Vermehrung per
Gesetz und Rechtsprechung: Etwa 3.300 einschlägige
Strafermittlungsverfahren wurden in den 80er Jahren eingeleitet, in die
fast 10.000 mutmaßliche "Terroristen", Unterstützer
und Sympathisanten involviert waren; zwischen 1990 und 1998 gab es noch
etwa 1.500 Verfahren.
Auffallend viele dieser Verfahren bleiben jedoch im Ermittlungsstadium
hängen, werden also mangels Substanz eingestellt. Nur in
durchschnittlich knapp 5% aller abgeschlossenen Ermittlungsfälle kommt
es überhaupt zu einem Urteil. Wie kann das angehen? Der §129a
lässt sich wie ein Dietrich bedienen, um in die verdächtigen
Szenen einbrechen zu können. Er ist eine Schlüsselnorm, um die
herum ein verzweigtes "Anti-Terror"-Sonderrechtssystem entwickelt
wurde. Ein entsprechender Anfangsverdacht eröffnet den
Ermittlungsbehörden ein ganzes Arsenal spezieller Eingriffsbefugnisse.
Zu diesen zählen neben der Beschneidung der Verteidigungsrechte der
Betroffenen vor Gericht sowie der Verhängung isolierender
Haftbedingungen vor allem geheime, also nachrichtendienstliche polizeiliche
Mittel und Methoden: Postkontrolle, Telefonabhöraktionen,
Observationen, Einsatz von V-Leuten aus politisch verdächtigen
Milieus, Einschleusung von Verdeckten Ermittlern mit falscher
Identität, Abschöpfung von Kronzeugen und der mit elektronischen
Wanzen durchgeführte Große Lauschangriff in und aus Wohnungen
Sonderermächtigungen also, in die zwangsläufig auch eine Vielzahl
von unverdächtigen Personen einbezogen werden und die der
großflächigen präventiven Ausforschung des politischen
Umfeldes dienen.
"Neue Unübersichtlichkeit"
§129a ist in hohem Maße ein Ermittlungs bzw. fungibler
Ausforschungsparagraf, der den Anti-Terror-Kampf zur
Widerstandsbekämpfung mutieren ließ. Diese Entwicklung ist zu
verzeichnen, seit die Formen des politischen und sozialen Widerstands in
der Bundesrepublik bunter, vielfältiger geworden sind und damit
für die Staatsschützer unübersichtlicher. Die Palette reicht
von gewaltfreien Protestformen über militantere Widerstandsaktionen
des "Zivilen Ungehorsams", wie Besetzungen von Häusern und
AKW-Bauplätzen, Blockaden von Militärdepots und
Munitionstransporten, bis hin zur Gewalt gegen Sachen und Ursachen, wie
Anschlägen auf Bauträger und Zulieferfirmen, die den Ausbau
gefährlicher Großtechnologien besorgen; in den 90er Jahren
kommen verstärkt militante antifaschistische Aktionen hinzu. Die
Übergänge zwischen den verschiedenen Aktionsformen und Akteuren
sind fließend geworden und die "Störer" waren nicht
mehr klar zu definieren und auszumachen.
Diese neue Vielfalt und politische Unübersichtlichkeit versuchten
Polizei und Sicherheitspolitiker mit erweiterten präventiven
Polizeibefugnissen zu kompensieren. Dabei stützten sie sich besonders
auf das 129a-Sonderrechtssystem um polizeiliche Zugänge im Um- und
Vorfeld der verdächtigen Szenen zu eröffnen, um
Kommunikationsstrukturen zu knacken und "Soziogramme des
Widerstands" erstellen zu können. Es geht also vor allem um die
Möglichkeit zu intensiven Ermittlungen, die sich dann
rückblickend betrachtet oft als "unberechtigt"
herausstellen. Das mag zwar einerseits für die einzelnen Betroffenen
beruhigend erscheinen, doch entscheidend ist der politische Flurschaden,
der mit dieser Art von Anti-Terror-Kampf angerichtet wird. Und nicht zu
vergessen: Die oft existenzbedrohenden Auswirkungen dieser Kriminalisierung
einer Vielzahl von zu Unrecht Verdächtigten, ja von gänzlich
Unbeteiligten die traumatischen Folgen von Hausdurchsuchungen und
Ermittlungen am Arbeitsplatz, monatelangen Lausch- und Spähangriffen
und die gravierenden Folgen der Untersuchungshaft, die in solchen
Fällen nicht selten unter gesundheitszerstörenden
Isolationshaftbedingungen vollzogen wird.
Politische Konsequenzen?
Aus all den genannten bürgerrechtlichen Gründen plädiere
ich für die Auflösung des 129a-Sonderrechtssystems. Die
Bundestagsfraktion der PDS arbeitet zur Zeit an einer Gesetzesinitiative
zur Abschaffung und knüpft dabei an Initiativen der Grünen aus
deren Oppositionszeiten an. Bürgerrechtsorganisationen und kritische
Juristenvereinigungen, die sich seit Anbeginn gegen dieses Ausnahmerecht
ausgesprochen haben, können diese Gesetzesinitiative fachlich
stützen. Selbst der Deutsche Anwaltsverein hat zusammen mit der
Bundesrechtsanwaltskammer und den Strafverteidiger-Vereinigungen dafür
plädiert, zumindest Folgevorschriften des §129a, wie etwa das
Kontaktsperregesetz, endlich zu streichen. Die Auflösung des
"Anti-Terror"-Sonderrechtssystems bleibt also auf der
Tagesordnung.
Dr. Rolf Gössner
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