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Einlassung von Lothar Ebke

7. Juli 2004

Am 30. Oktober 1953 wurde ich als zweiter Sohn meiner Eltern in Westerkappeln geboren. Nach dem Besuch der dortigen Volkschule und der Realschule in Mettingen wechselte ich 1969 auf das Gymnasium in Ibbenbüren, wo ich 1972 das Abitur machte. Anschließend leistete ich den Wehrdienst ab. 1974 begann ich ein Studium der Publizistik und Politikwissenschaften in Münster. Ein Jahr später zog ich nach Berlin und setzte das Studium an der Freien Universität fort. Nach der Zwischenprüfung 1977 begann ich zu arbeiten und brach das Studium schließlich 1980 ab.

1984 arbeitete ich in einem Arbeitsprojekt in Nicaragua und besuchte Kanada. Nach meiner Rückkehr im Mai 1985 bezog ich mit Tarek Mousli eine gemeinsame Wohnung. Ich kannte ihn damals rund zwei Jahre: zum einen über den Karatesport, zum anderen hatten wir uns beide - allerdings in verschiedenen Gruppen - mit dem Abhören von Polizeifunk beschäftigt. Im Laufe der Zeit hatte sich eine Freundschaft zwischen uns entwickelt. Zunächst lebte ich von Gelegenheitsjobs, bis ich im April 1986 im MehringHof als Hausmeister angestellt wurde.

Wenige Wochen vorher wurde ich gefragt, ob ich Interesse hätte, mich mit der Politik der "Revolutionären Zellen" auseinander zusetzen, oder sogar Lust hätte, in einer "Gruppe" mitzumachen. Ich möge darüber nachdenken, dürfe mich höchstens mit einer vertrauten und zuverlässigen Person beraten, und solle mich für den Fall einer positiven Entscheidung zu einem bestimmten Zeitpunkt in einem Restaurant in der Nähe des "Zoologischen Gartens" einfinden. Außerdem könne ich mir schon mal einen "Decknamen" ausdenken. Falls ich zu diesem Termin nicht komme, werde dies als Absage verstanden.

Zum einen fühlte ich mich "geschmeichelt", von einer "Revolutionären Zelle" angesprochen zu werden, da die "Revolutionären Zellen" in der "Szene" einen "guten Ruf" hatte. Ihre Politik schien mir durchaus attraktiv, präzise und sauber. Ausweislich verschiedener mir bekannter Texte verbanden sie eine fundierte politische Analyse mit einer sorgfältigen Auswahl der Ziele und einer angemessen Dosierung ihrer militanten Aktionen. Die "Revolutionären Zellen" versuchten eklatante politischen Missstände aufzuzeigen. Sie hatten gezeigt, dass es möglich war, die daran beteiligten Firmen und Institutionen anzugreifen. Unbeteiligte sollten nicht zu Schaden kommen. Insbesondere aber wurde der politische Hintergrund der Aktionen nicht durch eine überzogene Militanz überlagert. Allerdings war ich mir über die Konsequenzen eines "Einstiegs" nicht im klaren, hatte keinerlei Erfahrungen mit klandestiner Arbeit und wusste nicht, inwieweit meine Vorstellungen von den "Revolutionären Zellen" realistisch waren.

Damals hatte ich zu Tarek Mousli ein enges Vertrauensverhältnis. Deshalb berichtete ich ihm einige Tage später von dem Angebot. Er war von der Idee begeistert, gleichzeitig aber auch fast "neidisch", dass das Angebot mir - und nicht ihm - gemacht worden war. Jedenfalls meinte er, ich solle "unbedingt" auf das Angebot eingehen - und baldmöglichst vorschlagen, auch ihn anzuwerben.

Etwa zwei Wochen später bin ich zu dem angebotenen Gespräch gegangen. In dem Restaurant sprach mich eine mir zuvor nur vom Sehen bekannte Person an. Mit dieser habe ich dann an diesem Tag und bei zwei weiteren Treffen über politische Positionen, Erwartungen der "Gruppe", meine persönliche Situation und Sicherheitsvorkehrungen gesprochen. Die Gespräche endeten mit der Zusage, der "Gruppe" werde meine Aufnahme empfohlen.

Einige Wochen später wurde ich zu einem "Gruppentreffen" eingeladen und lernte die meisten der anderen "Mitglieder" kennen. Da Tarek Mousli mich zwischenzeitlich nochmals darum gebeten hatte, teilte ich bei diesem Treffen mit, eine guter Freund von mir würde sich sehr freuen, wenn auch ihm eine "Mitgliedschaft" angetragen würde. Kurze Zeit später wurde Tarek Mousli ein "Bewerbungsgespräch" angeboten.

Als ich und einige Wochen später Tarek Mousli in die "Gruppe" eintraten, begannen die ersten Diskussionen über die spätere "HollenbergAktion". Dessen Person und seine unsägliche Rolle in der Berliner Ausländerpolitik waren damals jedem einigermaßen regelmäßigen Zeitungsleser bekannt. Da Tarek Mousli und ich die "jüngsten" in der Gruppe waren, wir noch keine "Leistungsnachweise" erbracht hatten, unsere "Zuverlässigkeit" noch nicht überprüft war, unsere Kenntnisse und Erfahrungen mit der "Funküberwachung" aber durchaus bekannt waren, ergab es sich gleichsam automatisch, dass uns dieser "Arbeitsbereich" zugewiesen wurde. Am Tattag hörte Tarek Mousli den Polizeifunk in unmittelbarer Tatortnähe ab, während ich das gleiche in Kreuzberg tat. Der Grund für diese Aufteilung war banal: Tarek Mousli konnte gegebenenfalls schneller wegrennen als ich.

Nach meiner Erinnerung fanden aus Sicherheitsgründen nach jeder "Aktion" einige Wochen keine "Gruppentreffen" statt. Als wir uns zum ersten Mal wieder trafen, wurde die "Aktion" - bei der Hollenberg durch Schüsse in die Beine verletzt worden war - aufgrund ihrer Resonanz in der Öffentlichkeit und der "Szene" als großer Erfolg gewertet. Sie war plangemäß durchgeführt worden und hatte die Handlungsfähigkeit der "Gruppe" bewiesen. Inhaltlich wurde beschlossen, die Ausrichtung auf die "Flüchtlingskampagne" beizubehalten.

In Fortführung der "Flüchtlingskampagne" kam der Vorschlag, nunmehr die Zentrale Sozialhilfestelle für Asylbewerber "anzugreifen". Tarek Mousli berichtete über seine dortigen Erfahrungen. Er selbst hatte sich in diesem Gebäudekomplex regelmäßig einzufinden und musste sich unter die Massen mischen, die dort um die Ausstellung oder Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis nachsuchten. Dies war in der Tat damals ein entwürdigendes Schauspiel, da sich bereits viele Stunden vor der Öffnung hunderte Menschen am Eingangstor drängten, um eine Wartenummer zu ergattern.

Ich unterstützte den Plan, und die "Gruppe" beschloss die Ausführung. In der Folgezeit verbrachte ich viele Nächte mit der Erkundung des Geländes der Zentralen Sozialhilfestelle für Asylbewerber, seiner Bewachung und der Umgebung. Das Gelände wurde nur unregelmäßig im Vorbeifahren von polizeilichen Streifenwagen überprüft. Rückseitig grenzte es an ein weitläufiges und wenig benutztes Bahngelände, welches durch zwei offene Auffahrten leicht zu erreichen war. Zwischen dem Bahngelände und der Rückseite des Gebäudes befand sich ein ungesicherter Maschendrahtzaun. Das Bahngelände war dunkel, das Gelände der Zentralen Sozialhilfestelle für Asylbewerber nur spärlich beleuchtet. An der Gebäuderückseite war ein Raum, in dem sich offensichtlich die Hausanschlüsse für Heizenergie und Strom befanden. Diese Stelle schien als "Zielobjekt" geeignet, um den Betrieb für einige Tage lahm zu legen.

Es wurde eine "Explosivmischung" hergestellt und in einen Karton gepackt, der zuvor mit Glasfasermatten verstärkt worden war. Der Karton wurde dann mit grauer Folie umklebt, um ihn farblich dem Gebäude anzupassen.

Am Tattag - einem trüben Berliner Winterabend - traf ich mich mit einem weiteren "Gruppenmitglied" in der Nähe des UBahnhofes Amrumer Straße. Wir gingen über die Putlitzbrücke und die Quitzowstraße zu dem Bahngelände. Ohne weitere Probleme überwanden wir den Maschendrahtzaun. Wir stellten das Paket mit der Explosivmischung auf ein Brett und lehnten es gegen die Außenwand des Gebäudes. Die Paketseite mit der Detonationsrichtung war markiert und die elektrischen Anschlüsse noch offen. Wir zogen den Wecker auf, testeten die Apparatur und schlossen den Stromkreis. Anschließend verließen wir das Gelände und fuhren in unsere Wohnungen. Außerdem wurde ein bereits vorbereitetes "Bekennerschreiben" versandt.

Die "Aktion" hatte eine für uns enttäuschende Wirkung. Die Detonationskraft des Sprengsatzes war zu gering, so dass er lediglich geringen Sachschaden anrichtete. Es wurde nur ein kleines Loch in die Außenmauer gerissen, die Haustechnik aber nicht beschädigt. Es war uns nicht gelungen, irgendetwas lahm zu legen - und die öffentliche Resonanz war entsprechend.

Nach einigen Wochen wurde auf einem "Gruppentreffen" grundsätzlich die Fortführung der "Flüchtlingskampagne" gebilligt. Insoweit wurde angedacht, eine zweite "Aktion" nach dem Muster der "HollenbergAktion" durchzuführen. Allerdings gab es bei dieser Diskussion auch schon erste Stimmen, die das "danach" kritisch thematisierten: inhaltliche Differenzen deuteten sich an.

Die Rolle des Vorsitzenden Richters am Bundesverwaltungsgericht Dr. Korbmacher bei der Abschiebung von asylsuchenden Menschen sollte exemplarisch thematisiert werden. Die insoweit gebildete "Arbeitsgruppe" übernahm die Planung und Vorbereitung der "Aktion". Es wurden ein Motorrad und ein Fahrzeug besorgt - übrigens nicht von mir. Da ich technisch ein wenig vorbelastet war, wurde ich in die Modifizierung des Motorrades eingebunden.

Etwa eine Woche vor der Tat habe ich Einzelheiten des geplanten Ablaufs erfahren. Ich wurde gebeten, während der Tat den Polizeifunk abzuhören, was ich auch tat. Auch diese "Aktion" lief wie geplant ab: Dr. Korbmacher war am linken Bein verletzt worden.

Drei Monate später wurden wir durch eine Durchsuchungsaktion im Bundesgebiet verunsichert, mit der vermeintliche Mitglieder dortiger "Gruppen" überzogen wurden. Bei einem kurzen Treffen der "Berliner Gruppe" wurde verabredet, sich einige Zeit ruhig zu verhalten und abzuwarten, inwieweit wir berührt sind.

Im Frühjahr 1988 wurde der Versuch gemacht, zur inhaltlichen Auseinandersetzung zurückzukehren. In den Diskussionen brachen die bereits ein Jahr zuvor latent vorhandenen Differenzen in voller Schärfe auf. Während einerseits keine klaren Vorstellungen entwickelt wurden, wie die "Flüchtlingskampagne" fortzusetzen sei, hatten sich andere "Gruppenmitglieder" zwischenzeitlich verstärkt dem Studium literarischphilosophischer Texte zugewandt und hielten die "Patriarchatsfrage" für den gesellschaftlichen "Hauptwiderspruch". Ein "Mitglied" wurde wegen einer angeblich "frauenfeindlichen" Äußerung ausgeschlossen, ein anderes "Mitglied" wurde als "Sicherheitsrisiko" behandelt. Es begann ein zermürbender Prozess voller Vorwürfe, der schlussendlich in Selbstzerstörung endete. In dieser Zeit sickerten auch die ersten Gerüchte über die Ermordung von Gerd Albartus durch: die Leute, die ihn gekannt hatten, waren tief getroffen. Die als Folge der Durchsuchungsaktion im Dezember 1987 "Untergetauchten" forderten praktische Unterstützung. Da sich die Auseinandersetzungen der ehemaligen "Mitglieder" zwischenzeitlich fast zu persönlichen Feindschaften entwickelt hatten, wurde selbst die Unterstützung der "Untergetauchten" davon abhängig gemacht, mit welcher "Fraktion" Kontakte und inhaltliche Übereinstimmungen bestanden. Tarek Mousli und ich gerieten immer mehr zwischen die verschiedenen Fronten. Waren wir für die einen "Genossen mit guter Vita" und Zugang zu "autonomen Kreisen", dachten wir für andere "objektiv konterrevolutionär". Für mich war das Ende dieser Politik und meines Engagements in der "Gruppe" gekommen.

Wenn ich gefragt werde, wieso sich die "Gruppe" nicht offiziell aufgelöst hat, kann ich nur sagen, dass wir noch nicht einmal zur Formulierung einer gemeinsamen "Auflösungserklärung" oder zu einer gemeinsamen Stellungnahme zur Ermordung von Gerd Albartus imstande waren. Übrig blieb eine Sprachlosigkeit zwischen früheren "Mitglieder" der Gruppe.

Auch meine persönlichen Beziehungen zu Tarek Mousli lösten sich mehr und mehr auf. Er konzentrierte sich immer stärker auf seinen persönlichen Lebensstil und die - bezahlte - Versorgung eines verunglückten Freundes.

Ich konzentrierte mich auf meine Tätigkeit im MehringHof, wo die gesamte Haustechnik mit dem Ziel von Energieeinsparungen erneuert wurde. Nachdem diese Arbeiten abgeschlossen waren, kündigte ich im April 1993 und reiste nach Kanada. Dort konkretisierte sich mein Plan, irgendwann nach Kanada überzusiedeln. Zwar kehrte ich noch mehrmals nach Deutschland zurück, arbeitete von 1994 bis 1996 bei einem Vertrieb von Blockheizkraftwerken, doch zog es mich immer wieder nach Kanada.

Seit 1996 lebe ich in Yellowknife. Dort betreibe ich mit einer Freundin eine kleine Pension. Außerdem verdiene ich etwas Geld durch Umbauten und Renovierungen in der Gemeinde.

Auf Veranlassung der Bundesrepublik Deutschland bin ich am 18. Mai 2000 in Yellowknife festgenommen worden. Am 18. Juni 2000 wurde ich vom Vollzug der Auslieferungshaft verschont. In den folgenden Jahren bis zu meiner Auslieferung durfte ich die Gemeinde nicht verlassen und musste mich täglich bei der örtlichen Polizeiwache melden. Außerdem hatte ich eine Kaution zu hinterlegen. Freunde von mir mussten außerdem für eine weitere hohe Sicherheitsleistung bürgen. Am Ende des "extraditionhearings" wurde ich vom 6. September 2001 bis zum 20. September 2001 erneut in Auslieferungshaft genommen, dann für die Dauer des Berufungsverfahrens aber wieder haftverschont. Seit dem 17. Januar 2003 befand ich mich für die Dauer der Berufungsverhandlung erneut in Auslieferungshaft. Da ich Rechtsmittel gegen die Auslieferungsentscheidung eingelegt hatte, wurde ich am 14. Februar 2003 für die Dauer des Verfahrens vor dem Supreme Court wieder vom Vollzug der Auslieferungshaft verschont, allerdings wurde die Bürgschaft deutlich erhöht. Am 11. September 2003 wies der Supreme Court meine Beschwerde gegen die Auslieferungsverfügung zurück. Deshalb begab ich mich am 12. September 2003 wieder in kanadische Auslieferungshaft. Am 15. Oktober 2003 wurde ich der Bundesrepublik Deutschland übergeben. Am 16. Oktober 2003 traf ich in Frankfurt ein. Am nächsten Tag wurde mir der Haftbefehl verkündet. Bis zum 19. Dezember 2003 befand ich mich dann in Untersuchungshaft, von der ich seither gegen Auflagen verschont bin.

Seit einigen Monaten arbeite ich wieder bei einem Vertrieb von Blockheizwerken. Ich hoffe, baldmöglichst nach Kanada zurückkehren zu können.

Lothar Ebke

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