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4. Prozesstag:
Das Urteil wird verkündet
"Im Namen des Volkes" - wie es so schön heißt
- wurde Lothar E. heute vom 1. Strafsenat des Kammergerichts Berlin
zu zwei Jahren Haft auf drei Jahre Bewährung wegen "Herbeiführung
einer Sprengstoffexplosion" verurteilt, der gegen ihn bestehende
Haftbefehl aufgehoben und sein Reisepass ihm von der Bundesanwaltschaft
(BAW) persönlich überreicht.
Wenn sich das Verfahren in vielerlei Hinsicht von dem im März
zu Ende gegangenen ersten Berliner RZ-Prozess unterschied, so waren
sich beide zumindest in einem Punkt gleich: Am Ende beherrschte
wieder der Vorsitzende Richter am Asylsenat des Bundesverwaltungsgerichts
a.D., Dr. Günther Korbmacher, die Szenerie. Dem Asylrichter
Korbmacher hatten die Revolutionären Zellen im September 1987
wegen seiner menschenverachtenden Entscheidungen, mit denen er zu
einem Vorreiter einer restriktiven Asylrechtssprechung in der BRD
geworden war, in die Beine geschossen. Dessen Schicksal hatte bereits
im März den Kammergerichtssenat unter Leitung der Vorsitzenden
Richterin Gisela Hennig "bewegt". Und auch heute widmete
der Vorsitzende Richter Frank-Michael Libera einen großen
Teil seiner mündlichen Urteilsverkündung diesem "Schreibtischtäter
par excellence", wie ihn die RZ in ihrer entsprechenden Anschlagserklärung
bezeichnet hatten.
Zu Beginn war man sich noch einig: So stellte Libera fest, dass
BAW und Verteidigung in ihren Plädoyers übereingestimmten
hätten, dass dieses Verfahren historische Vorgänge zum
Thema gehabt habe - immerhin lägen die Taten fast 20 Jahre
zurück und die RZ seien inzwischen selbst Geschichte. Doch
dann setzte der Senat eigene Duftnoten: In diesem Verfahren, so
Libera, sei es aber auch um "schwerwiegende Straftaten"
gegangen, "die sich in menschenverachtender Form gegen die
körperliche Unversehrtheit von Menschen richteten" - und
da tauchte er auch schon das erste Mal auf, der Asylrichter im Ruhestand.
Verurteilt wurde Lothar E. nicht wegen "Mitgliedschaft in
einer terroristischen Vereinigung" nach § 129a StGB. Auch der
Anklagepunkt "Anschlag auf die Berliner Siegessäule"
wurde fallengelassen. Am Ende umfasste des Urteil alleine den Anschlag
auf die "Zentrale Sozialhilfestelle für Asylbewerber",
den die RZ im Rahmen der so genannten Flüchtlingskampagne im
Februar 1987 unternommen hatten. Lothar E. hatte seine Tatbeteiligung
bereits am 1. Prozesstag in seiner Einlassung eingeräumt. Bei
der Explosion des Sprengsatzes war minimaler Schaden entstanden.
Wie Lothar E. aussagte, habe man den Sprengsatz an einem an der
Gebäuderückseite gelegenen Raum, "in dem sich offensichtlich
die Hausanschlüsse für Heizenergie und Strom befanden"
abgelegt. "Diese Stelle schien als 'Zielobjekt' geeignet, um
den Betrieb für einige Tage lahm zu legen."
Das Gericht zog aus dieser Darstellung seine eigenen Schlüsse:
1. Ziel des Anschlags sei die Zerstörung des gesamten Gebäudes
gewesen, da man den Betrieb lahm legen wollte. 2. geplant war, dies
durch die Zerstörung der zentralen Gasversorgung des Hauses
zu bewerkstelligen, wodurch man das "unkalkulierbare Risiko
eines Gasexplosion" bewusst in Kauf genommen habe. Aus diesen
Gründen könne trotz des geringen Schadens nicht von einem
minder schweren Fall gesprochen werden.
Bei der Strafzumessung könne zudem "nicht unberücksichtigt"
bleiben, so das Gericht, dass sich dieser Anschlag im Zusammenhang
der Aktivitäten der RZ stand, in die Lothar E. seit Mitte der
achtziger Jahre eingebunden gewesen sei. Auf Missfallen stieß
bei den RichterInnen, dass Lothar E. in seiner Erklärung ein
"weichzeichnerisches Bild der Vereinigung" gezeichnet
habe, obwohl sie sich nicht "den Mitteln des demokratischen
Rechtsstaat" bedient habe. Auch vermissten die RichterInnen
distanzierende Worte von Lothar E. Deshalb müsse bei der Strafzumessung
auch seine Einbindung in die RZ und seine Beteiligung an den Anschlägen
auf Hollenberg und Korbmacher berücksichtigt werden, zumal
es sich dabei um "Taten mit erheblicher krimineller Energie"
gehandelt habe. Zum Beweis wurde ausführlich aus der Anschlagserklärung
zu Korbmacher zitiert.
Doch wie man aus solchen Verfahren weiß, sitzen die eigentlichen
Herren des Verfahrens ja in Karlsruhe, also bemühten sich die
RichterInnen des Kammergerichts die Gründe zusammenzutragen,
die "für den Angeklagten" sprechen. 1. die lange
zurückliegende Tatzeit, 2. die zudem in einer Lebensphase von
Lothar E. gelegen habe, "die mit der Persönlichkeit und
dem Leben des Angeklagten heute nichts mehr zu tun hat", 3.
die Tatsache, dass Lothar E. sich in Kanada eine neue Existenz aufgebaut
habe und 4. seitdem nicht mehr straffällig geworden sei. Außerdem
sei man mit einer schwierigen Beweislage konfrontiert gewesen, die
das Verfahren erschwert hätte, was aber durch die Bereitschaft
von Lothar E. zu einer Aussage verhindert werden konnte.
Hatte man im ersten Berliner RZ-Prozess noch 174 Verhandlungstage
benötigt, reichten dieses Mal ganze vier Tage aus. Und dabei
wird es auch bleiben: Noch im Gerichtssaal erklärte Lothar
E., er werde auf Rechtsmittel gegen dieses Urteil verzichten.
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