www.freilassung.de
Zurück zur Startseite  

Übersicht

Aktuelle Meldung
Meldungen
Berichte
Vorschau
Hintergrund

 

Mailingliste
Mail
Suche

109. Prozesstag: 30. Dezember 2002

Schiebetermin vor Neujahr mit Walter Benjamin

Der heutige Kurztermin zur Überbrückung der Ferientage wurde ausschließlich mit der Verlesung von Anträgen und dem Verkünden von Beschlüssen bestritten. Auch die Bundesanwaltschaft (BAW) hatte diesem Termin offensichtlich keinerlei Bedeutung beigemessen und als einzigen Vertreter einen bislang Unbekannten ins Rennen geschickt.

Den größten Teil des ca. einstündigen Verhandlungstages benötigte Rechtsanwalt König mit dem Verlesen eines 30-minütigen Antrages, der sich v.a. mit Texten beschäftigte, die in dem sogen. Literaturarbeitskreis gemeinsame Diskussionsgrundlage gewesen sein sollen. Diesen Arbeitskreis hatte der Angeklagte Sch. in seiner Einlassung für sich und seine Frau Sabine E. als neue inhaltliche Orientierung, nach ihrer Abkehr von einer militanten Politik, benannt. Zwei weitere Zeuginnen sowie der Angeklagte H. hatten danach ihre Mitarbeit in diesem Arbeitskreis bekundet und damit die Einlassung von Rudolf Sch. bestätigt.

Die Verteidigung referierte heute, dass sich die Beteiligten mit Texten von Sartre, Adorno/Horkheimer, Kristeva, Irigary und Benjamin auf die Suche nach "neuen geistigen Horizonten" und neuer inhaltlicher Neuorientierung begeben hätten, nachdem Sch. und E. ihre Mitgliedschaft in den RZ; Ende 1987; aufgegeben hatten. Die Beschäftigung mit neuen inhaltlichen Fragestellungen, so Rechtsanwalt König, belege die bewußt vollzogene Abkehr von dem Primat einer militanten Politik. Nach 1987 habe es seitens von Rudolf Sch. und Sabine E. keine Kontakte mehr mit den RZ gegeben, damit also auch nicht mit Mousli, der sich damals für ein Weitermachen in den RZ entschieden hätte.

Auch von Philosophie hat der Kronzeuge keine Ahnung

Dass Mousli in seiner Befragung in der Hauptverhandlung einige der genannten AutorInnen bzw. die ihm benannten Texte nicht kannte, sei ein deutliches Zeichen dafür, dass es zwischen 1987 und 1990 keine Kontakte mehr zwischen Mousli und dem Ehepaar Sch./E. gegeben habe.

Die Abkehr von der Politik der RZ sei auch schon Ende 1987 in dem von Sabine E. verfaßtem "Abgesang auf die revolutionären Zellen" formuliert worden, wie mit einem längeren Zitat aus den "Früchten des Zorns" ("Was ist das Patriarchat") belegt werden sollte.

Auch die von Mousli behaupteten inhaltlichen Kontroversen und antagonistischen Standpunkte innerhalb der RZ wurden, unter Bezug auf die in den "Früchten des Zorns" dokumentierten Stellungnahmen, als offensichtlich unsinnig bezeichnet.

Zur Illustration der Themenkomplexe mit denen sich der Literaturarbeitskreis beschäftigt haben will, mussten die Prozessbeteiligten zum Jahresabschluss verschiedene Kostproben aus der "Dialektik der Aufklärung" mit dem bezeichnenden Untertitel "Zur Genese der Dummheit", aus Kristevas "Die Revolution der poetischen Sprache", aus Irigarys "Das Geschlecht das nicht eins ist" sowie aus Benjamins "Über den Begriff der Geschichte", über sich ergehen lassen.

Neue Anträge und alte Beschlüsse

Der Verteidigung von Axel H. stellte einen weiteren Antrag auf Auskünfte vom Bundesamt bzw. vom Berliner Landesamt für Verfassungsschutz zu Observationen im Jahre 1987, die sich zwar möglicherweise gegen andere Personen gerichtet hätten, mit denen ihr Mandant aber in einem Wohn- bzw. Arbeitsverhältnis täglich zu tun gehabt hätte. Da Axel H. die damaligen Observationen in seinem Umfeld aufgefallen seien, hätte er sich - so die Argumentation der Verteidigung - allein aus Sicherheitsgründen nicht an den ihm unterstellten Aktionen aus dem RZ-Kontext beteiligen dürfen.

Den Abschluss bildeten mehrere Feststellungen und Beschlüsse des Senats zu Anträgen der Verteidigung. So wurden Lichtbilder zum angeblichen Sprengstoff-Depot im Mehringhof ebenso in Augenschein genommen wie zwei Schriftstücke mit denen eine Erkrankung von Axel H. zur Zeit des Anschlags auf die Siegessäule belegt werden sollten. Mousli hatte ihn beschuldigt sich an dem Anschlag beteiligt zu haben.

Abschluss des Jahres bildeten mehrere Beschlüsse des Senats zu gestellten Beweisanträgen. Dabei wurden u.a. mehrere Anträge der Verteidigung von Matthias B. und Harald G., die sich mit der Sprengstoff-Sofortmeldung beim BKA im Jahre 1995 und mit der Ermittlungslücke nach dem Kellereinbruch im selben Jahr beschäftigten, als erledigt erklärt oder abgelehnt.

In 2003 wird der Prozess am 9. Januar zur gewohnten Zeit fortgesetzt.

Suche     Mail
http://www.freilassung.de/prozess/ticker/berichte/301202.htm