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31. Prozesstag: 26. Oktober 2001
Über beamtete Mimosen, Mondgesichter und Motorräder
Am heutigen Verhandlungstag waren erneut zwei Zeugen vorgeladen,
die die Umstände der Attentate auf Harald Hollenberg und Dr.
Korbmacher erhellen sollten.
Der heute arbeitslose Zeuge Günter S. war während des
Anschlags auf Korbmacher am 1. September 1987 auf einem gegenüberliegenden
Grundstück mit Bauarbeiten beschäftigt. Zwar sah er nicht
unmittelbar die Tat, hörte es aber knallen, sah die TäterInnen
auf einem Motorrad flüchten und stellte sich dann vorsichtshalber
zunächst einmal hinter einen Baum. Er hatte "Blickkontakt"
mit den Flüchtenden gehabt, konnte aber wegen der Integralhelme
die Gesichter nicht erkennen.
Was weitere Einzelheiten angeht, schien sich auch am heutigen Verhandlungstag
eine ordentliche Brise Morgennebel durch die strengen Eingangskontrollen
geschmuggelt zu haben. Die heutigen Angaben des Zeugen zu fast allen
detaillierten Fragen, so zum Beispiel wieviel Schüsse gefallen
sind, ob Günter Korbmacher nach den Schüssen gestanden
oder gelegen habe, ob die MotorradfahrerInnen dunkle Lederkleidung
trugen oder auch eine helle Jacke dabei war, wieviel Menschen aus
dem Haus der Familie Korbmacher kamen oder ob es sich dabei um Männer
oder Frauen gehandelt hatte, standen zum Teil im Widerspruch zu
seinen damaligen Aussagen.
Auch die "Inaugenscheinnahme" einer Tatortskizze sowie
von Bildern mit Motorradkleidung und Motorrädern aus dem umfangreichen
Aktenbestand dieses Verfahrens, führte zwar mehrmals zu leichtem
Gedränge um den Richtertisch, konnte aber in der Sache nicht
weiterhelfen. Ein kleiner Plausch mit Rechtsanwalt Eisenberg über
die unterschiedliche Höhe von Motorradsitzen führte wenigstens
zum Schluss noch zu einer eindeutigen Aussage: der Zeuge selbst
hatte auch einmal ein Motorrad besessen - eine Hercules. Herr S.
wurde unvereidigt entlassen.
Hollenberg: Eine Frau hat geschossen
Als zweiter Zeuge an diesem Verhandlungstag wurde Harald B. aufgerufen.
Der 56jährige Kriminalhauptkommissar a.D. war der letzte Sachbearbeiter
des Komplexes Hollenberg. Er schrieb dazu den abschließenden
Bericht. Seit Frühjahr 1999 krankgeschrieben, schied er 2000
aus dem Dienst aus und ließ sich pensionieren. Auf Frage von
Rechtsanwalt Eisenberg wurde deutlich, dass er sich zur Vorbereitung
seiner heutigen Aussage nochmals die Akten angesehen hatte.
Etwa eine halbe Stunde nach dem Anschlag auf Hollenberg am 28.
Oktober 1986 befragte er diesen im Krankenhaus. Hollenberg habe
"gefasst und sicher" ausgesagt und den Tatablauf "präzise,
klar und flüssig" geschildet, sich auch um Details bemüht
und keine Besorgnis um seine Verletzung gezeigt. Nach den Aussagen
von Hollenberg hätte es sich bei den TäterInnen um einen
Mann und eine Frau gehandelt. Der Mann habe in der einen Hand eine
Pistole gehalten und mit der anderen Hand ein Klappfahrrad geschoben.
Nach Darstellung Hollenbergs habe die Frau geschossen. Eine Textpassage
in der später erschienen Zeitschrift Revolutionärer Zorn
Extra" hätte diese Aussage Hollenbergs bestätigt,
so der Zeuge heute.
Nach den Angaben Hollenbergs seien Phantombilder hergestellt worden.
Hollenberg wollte eine Frau gesehen haben, die einen Wuschelkopf
trug und ein rundes Gesicht mit auffällig großen Augen
gehabt hätte. Außerdem sei sie - so die damaligen Angaben
Hollenbergs - "mollig" gewesen, der Hals "verhältnismäßig
breit". Der Zeuge erinnerte sich heute, dass von einem "Mondgesicht"
gesprochen worden sei. Rechtsanwalt Becker zitierte aus dem Vernehmungsprotokoll
die - wie auch immer gemeinte -Aussage Hollenbergs: "Die Frau
ist keinesfalls als gutaussehend zu bezeichnen".
Auf Befragen der Vorsitzenden Richterin schildert der Zeuge Teile
seiner weiteren Ermittlungstätigkeiten. Das mit Nummernschilddoubletten
versehene Fluchtauto, das wenig später nach dem Anschlag brennend
in Zehlendorf aufgefunden wurde, sei zwei Wochen zuvor mit einem
verlorenen oder gestohlenen Personalausweis gekauft worden. Dessen
eigentlicher Inhaber hätte mit der Sache nichts zu tun gehabt.
Die Bekennerschreiben, die an verschiedene Agenturen in Westberlin
und Westdeutschland verschickt wurden, waren mit unterschiedlichen
Briefmarkenserien beklebt, die zum Teil aus "Westdeutschland"
stammten. Aufgrund vermutlich veralteten Adressenlisten, seien viele
der Schreiben nicht bei ihren Adressaten angelangt. All diese Ermittlungen
waren kein Weg zum Erfolg.
Das unerfindliche Verschwinden einer "Lichtbildmappe"
Der Fall Hollenberg, so der Zeuge weiter, sei Ausgangspunkt für
das Anlegen von zwei Fotoalben gewesen. Nach Geschlecht getrennt,
trugen dort B. und andere KriminalbeamtInnen die Bilder von etwa
220 Verdächtigten zusammen, die sie dem "linksextremistischen
oder linksterroristischen Umfeld" in Westberlin und der BRD
zuordneten. Wer später als Verdächtigter ausschied, wurde
aus diesen "Lichbildmappen" nicht wieder entfernt. Auf
Befragen der Anwälte Becker und Eisenberg konnte der Zeuge
nicht angeben, ob die Angeklagte Sabine E. in dieser Fotosammlung
vertreten war. Bei einem anderen Angeklagten wagte er jedoch die
Mutmaßung: "Axel H. war bestimmt drin." Diese "Lichtbildmappen"
seien Hollenberg zur Identifizierung der TäterInnen vorgelegt
worden.
Der Verbleib dieser Fotoalben, die "in mindestens dreifacher
Ausfertigung" angelegt wurden, ist unklar. Bis zum Frühjahr
1999 verfügte der Zeuge über ein Exemplar in seinem Dienstzimmer.
Er habe sich in den letzten Jahren seines Dienstes viel bei der
Gauck-Behörde aufgehalten, um dort Informationen zur Klärung
alter ungelöster Fälle zusammen zu tragen. Dazu hätte
er auch diese "Lichtbildmappen" eingesetzt. Vor zwei Tagen
sei - in Vorbereitung auf seine Aussage - eine Nachfrage bezüglich
besagter "Lichtbildmappe" bei der Abteilung "Aktenhaltung"
seiner ehemaligen Dienststelle ergebnislos verlaufen. Etwa 7 bis
8 Aktenordner zum Fall Hollenberg seien aber noch da. Normalerweise
müssten sie zwar schon vernichtet sein, aber so etwas hebe
man auf, weil es "geschichtlich wertvoll" sei. Wer sein
Zimmer geräumt habe, wisse er nicht. Den Namen des Kollegen,
der das Zimmer mit ihm teilte, wolle er nicht sagen. Ein Original
"muss bei der Bundesanwaltschaft gewesen sein".
Nach der Verhaftung von drei der heute Angeklagten im Dezember
1999, hatte der Kriminalhauptkommissar a.D. erwartet, dass er als
derjenige, der sich am tiefsten in den Fall eingearbeitet hatte,
in irgendeiner Weise zu Rate gezogen werden müsse. Bis auf
einen Anruf aus dem BKA in Wiesbaden, bei dem man ihm ankündigte,
bei Gelegenheit mal mit ihm einen Kaffee trinken zu wollen, erfüllten
sich seine Erwartungen jedoch nicht. Dass dies für den Beamten
a.D. auch eine Enttäuschung war, wurde heute mit dem Satz deutlich:
"Man hätte ganz gerne mal zumindest einen Sachstandsbericht
bekommen". Der Zeuge wurde vereidigt und nicht entlassen.
Anschauliche Demonstration vor den "Herbstferien"
Die Rechtsanwälte Becker und Eisenberg hatten eine kurze Prozessunterbrechung
genutzt, um den übrigen Prozessbeteiligten einen kleinen Einblick
in die bevorstehende Arbeit der Verteidigung zu ermöglichen.
Ein Drittel der 955 Tonbänder aus der Telefonüberwachung
von Tarek Mousli waren so drapiert, dass sie die gesamte Länge
eines etwa fünf Meter langen Tisches einnahmen. Rechtsanwalt
Eisenberg nahm diese Demonstration zum Anlass, heute erneut - unter
Bezugnahme auf eine entsprechende Entscheidung des Oberlandesgerichts
Brandenburg - eine Kostenübernahme zu beantragen, die es der
Verteidigung ermöglichen soll, für das Abhören der
über 700 Stunden Tonbandaufzeichnungen und den Abgleich mit
den vorhandenen Protokollen, geeignete MitarbeiterInnen zu beschäftigen.
Gleichzeitig mahnte er eine rasche Entscheidung des Senats an. Die
übrigen VerteidigerInnen schlossen sich diesem Antrag an.
Die Vorsitzende Richterin Hennig nutzte zum Ende der Hauptverhandlung
die Gelegenheit alle Prozessbeteiligten noch einmal an den besonderen
Charakter des nächsten Verhandlungstages zu erinnern. Da eine
Hauptverhandlung im Regelfall nicht länger als zehn Tage unterbrochen
werden darf, ist am 5. November lediglich ein "nur kurzer"
(O-Ton Hennig) Prozesstermin angesetzt, damit dieser formalen Pflicht
Rechnung getragen wird. Schöner Nebeneffekt (oder eigentlicher
Hintergrund?) dieser Übung: die kurzen Herbstferien, die das
Gericht allen Prozessbeteiligten - mit Ausnahme der Angeklagten
- gönnt, werden so noch ein bisschen verlängert. Denn
so richtig los, geht es dann erst wieder am Donnerstag, den 8. November.
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